S C H L U S S P U N K T
D
ie kurze Mittagspause nutze ich, um mein viel- fach gesprenkeltes Auto einer Schnellreinigung zu unterziehen – mit so einem erbärmlichen Auftritt würde ich noch nicht mal ein Minidarlehen bei einem Kredithai bekommen, würde höchstens ein Investmentbroker auf meinen Aktienver-fall wetten. Nach- dem sich die
Gum-
mitore der Schnell- waschstraße hin- ter meinem Gefährt geschlossen haben, fangen die Bürsten an zu rotieren, und mein Mobiltelefon meldet fehlen- den Empfang. Ich genieße diesen Zu- stand zutiefst. Während ich, geschützt durch meine zweite blecherne Haut, entspannt und ent- rückt vor mich hin träume, wedeln unzählige Bürsten und Lappen um mich herum, ohne mich in irgendeiner Form zu belästigen. Ja, ich fühle mich geradezu uterin. Mütterlich umwedelt von lauter reinigenden Zotten. Und niemand kann diese Ruhe stören, um irgendwelche Fra- gen zu stellen. Keine Anrufe sind zu befürch- ten, deren Inhalt sich zwischen „Warum kriege ich keine teuren Medikamente mehr?“ und
„Wir möchten Ihnen ein neues Serviceangebot aufschwatzen“ aufspannen. Verstehen Sie, hier ist der grundsätzliche Unterschied zu einem Besuch beim
Friseur gegeben, der ständig versucht, mich in irgend- welche Gesprächsstrudel zu reißen; bei dem ich perma- nent in Angst lebe, als Arzt geoutet zu werden, um dann die umfangreiche morbide Familiengeschichte kom- mentieren zu müssen. Kostenfreies Konzil zwischen Kamm und Kahlrasur, sozusagen. Das ist der Grund, warum ich ausschließlich fremdsprachige Figaros mit mürrischen Blicken aufsuche, die minimale Mitteilsamkeit signalisieren. Und mich viel lie- ber in diese Waschanlage begebe, die oben- drein die Geschwätzigkeit meines Mobiltele- fons abwürgt und mich für einen kurzen Mo- ment in eine pränatale Seifenblase taucht. Die Bürsten heben sich, der Schaum verfliegt, der Wagen ist sauber. Draußen entdecke ich ein Schild: Demnächst wird die Waschanlage mo- dernisiert. Oje, hoffentlich verbessert sich damit nicht der Mobilfunkempfang. Wenn ich dann nicht mehr in meinem Auto sitzen und meinen fötalen Frohsinn frönen darf, haben sie mich als Kunden ver-
loren.
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe
in Gladbeck.
VON SCHRÄG UNTEN
Waschanlage
Dr. med. Thomas Böhmeke
[120] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 3⏐⏐16. Januar 2009