• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Chronische Erkrankungen in Entwicklungsländern: Herzinfarkte und Diabetes im Slum" (08.10.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Chronische Erkrankungen in Entwicklungsländern: Herzinfarkte und Diabetes im Slum" (08.10.2010)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1922 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 40

|

8. Oktober 2010

CHRONISCHE ERKRANKUNGEN IN ENTWICKLUNGSLÄNDERN

Herzinfarkte und Diabetes im Slum

Obwohl inzwischen 80 Prozent chronischer Erkrankungen in Schwellen- und Entwicklungsländern auftreten, stehen sie noch immer im Schatten der Infektionskrankheiten. Das muss sich ändern, zeigen internationale Studien.

F

aiz Mohammad leidet seit vie- len Jahren an Diabetes. Der 48-jährige Pakistaner muss in regel- mäßigen Abständen in einer kleinen lokalen Gesundheitsstation Insulin kaufen. Die Informationen über das Krankheitsbild, die Mohammad dort bislang erhielt, haben zum Teil mehr zu Verwirrung als zu Klarheit geführt. Noch immer glaubt der Viehhalter, Diabetes sei eine sexuell übertragbare Krankheit. Die Leute in der Umgebung des dreifachen

Vaters nehmen sogar an, Moham- mad habe in der Vergangenheit et- was Schlimmes getan und sei dafür mit der Krankheit bestraft worden.*

Chronische Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen und Dia- betes sind längst keine „Wohlstands- krankheiten“ mehr. 80 Prozent die- ser nichtübertragbaren Krankheiten treten inzwischen in Schwellen- und Entwicklungsländern auf. Dies wirkt sich auf die Mortalitätsraten aus:

Einem Bericht der Weltgesundheits- organisation (WHO) aus dem Jahr 2002 zufolge sind 60 Prozent aller weltweiten Todesfälle die Folge dieser „non-communicable diseases“

(NCD). Bis 2020 soll ihr Anteil auf 73 Prozent weltweit steigen.

Damit vollziehen die Entwick- lungsländer einen Prozess, für den die westliche Welt rund zwei Jahr- hunderte benötigt hatte, in nur we- nigen Jahrzehnten. „Das ist einer

der Nachteile des Fortschritts“, sagt Sheana Tambourgi, Leiterin des Risikonetzwerks beim Weltwirt- schaftsforum. Sie sieht die Ursachen für die Zunahme chronischer Er- krankungen in mangelnder Bewe- gung, zu fettem Essen, erhöhtem Ta- bak- und Alkoholkonsum – eben den Nebenwirkungen von Wohlstand und Verstädterung.

Industrialisierung und Urbanisierung nehmen zu

Am stärksten betroffen sein werden der WHO zufolge die Länder in der Western-Pacific-Region und in Süd- ostasien sein. Schon jetzt sind chro - nische Erkrankungen für 51 Prozent aller Todesfälle in Südostasien ver- antwortlich, 89 Millionen Menschen werden wahrscheinlich in den nächs- ten zehn Jahren an diesen Krankhei- ten sterben – allein 60 Millionen mit hoher Wahrscheinlichkeit in Indien.

Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf der Hand: „Die Menschen in Entwicklungsländern sind mittler-

* Geschichte stammt aus dem WHO-Bericht:

„Preventing Chronic Diseases – a vital investment“

Am Montag, den 11. Oktober 2010, wird sich von 10.30 bis 12.30 Uhr eine Working Session mit dem Thema: „The Future is Chronic: Adapting Health and Sustainable Deve- lopment to Epidemiological Transitions“ beschäftigen.

Redner werden unter anderem Olivier Raynoud vom World Economic Forum und Hal Wolf von Kaiser Permanente sein.

Geleitet wird die Sitzung von Dr. Ala Alwan von der Welt - gesundheitsorganisation und von Pekka Puska, Direktor des National Institute for Health and Welfare in Finnland.

WHS – PROGRAMMPUNKT

Foto: picture-alliance

W O R L D H E A L T H S U M M I T

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 40

|

8. Oktober 2010 A 1923 weile ähnlichen Belastungsfaktoren

ausgesetzt wie die in entwickelten Ländern“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Hein vom German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Die Urbanisierung schreite voran, ebenso die Industrialisierung. Gleichzeitig mangele es an adäquaten Kontroll- mechanismen, um die mit diesen Entwicklungen einhergehenden Be- lastungsfaktoren wie verunreinigtes Trinkwasser und schlechte Luftquali- tät zu reduzieren, meint der Mit - herausgeber des Buches „Making Sense of Global Health Governance“.

Auch die Ergebnisse einer Unter- suchung von Suman Kanungo et al.

zu den Todesursachen von Indern, die in einem Slum in Kalkutta leb- ten, widerlegen die irrige Auffas- sung, chronische Erkrankungen trä- ten überwiegend bei wohlhabenden Men schen auf. Danach gehören über- tragbare Krankheiten zu den häufigs- ten Todesursachen der Slumbewoh- nern im Alter von über 40 Jahren. An erster Stelle standen kardio vaskuläre Erkrankungen, gefolgt von malignen Tumoren, Atemwegsleiden und Ver- dauungsstörungen.

Nach Ansicht von Dr. med. Peter Tinnemann vom Institut für Sozial- medizin, Epidemiologie und Gesund- heitsökonomie an der Charité – Uni- versitätsmedizin Berlin wird sich diese Entwicklung fortsetzen. „Arme Menschen ernähren sich schlecht, weil ihnen das Geld für ausgewoge- nes Essen fehlt. Außerdem neigen sie zum Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum“, sagt der Public- Health-Experte.

Gleichzeitig steige die Zahl der Slums in den Megastädten, weil die Politik bei der Armutsbekämpfung nicht mitgekommen sei, ergänzt Hein. Auch Tinnemann sieht hier maßgeblich die Politik in der Ver- antwortung. „Ohne ein Eingreifen der Politiker wird sich die Situation nicht verbessern.“

Eine negative Entwicklung geht auch aus internationalen Studien hervor. NCDs, heißt es, würden bis 2020 80 Prozent der Krankheitslast in Entwicklungsländern ausmachen – eine Entwicklung, die auch wirtschaftliche Auswirkungen nach sich zieht. In China beispielsweise, heißt es in dem WHO-Bericht „Pre-

venting Chronic Diseases – a vital investment“, gingen bedingt durch Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Diabetes zwischen 2005 und 2015 558 Milliarden US-Dollar des Nationaleinkommens verloren. Da- mit wiegen die Verluste der Volks- republik weitaus schwerer als die Indiens (236 Milliarden US-Dol- lar), der Russischen Föderation (303 Milliarden US-Dollar) oder die des Vereinigten Königreichs (circa 35 Milliarden US-Dollar).

Globale Netzwerke sollen geknüpft werden

Um die Entwicklung zu stoppen, hat die WHO im Mai 2008 eine Resolu- tion über die Prävention und Kon- trolle nichtansteckender Erkrankun- gen verabschiedet. Der darin formu- lierte Aktionsplan, der zwischen 2008 und 2013 umgesetzt werden soll, zielt in erster Linie darauf ab, mehr Aufmerksamkeit für die Zu- nahme von NCDs vor allem in Ent- wicklungsländern zu erzeugen.

Gleichzeitig wird angestrebt, Prä- ventionsmaßnahmen zu entwickeln und diese durch die nationale Politik umzusetzen. Zudem sollen globale Netzwerke zur Prävention und Kon- trolle nichtansteckender Erkrankun- gen geknüpft werden.

Der Arzt und Wissenschaftler Tinnemann hält Resolutionen wie diese zwar grundsätzlich für begrü- ßenswert, der weltweit starke Ein- fluss der Großindustrien, insbeson- dere der Tabak- und der Nahrungs-

mittelindustrie, führe allerdings dazu, dass die Umsetzung sinnvol- ler Präventionsmaßnahmen häufig jahrzehntelang dauere. „Man denke nur daran, wie schwer die deutsche Politik sich mit der Einführung ei- nes Rauchverbots getan hat.“

Ein aktuelles Ziel internationaler Organisationen ist es, die Präventi- on chronischer Erkrankungen in den sogenannten Millennium Deve- lopments Goals (MDGs) zu veran- kern. Als die Weltgemeinschaft die- se Ziele im Jahr 2000 formuliert habe, hätten NCDs noch nicht im Mittelpunkt gestanden, erinnert Hein.

Denkbar wäre, die Bekämpfung chronischer Erkrankungen dem sechsten Punkt der MDGs (Die Be- kämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Erkrankungen) zuzu- ordnen. Dies wäre vor allem vor dem Hintergrund sinnvoll, dass mit Ausnahme Afrikas jährlich weitaus mehr Menschen an chronischen Er- krankungen sterben als an HIV/

Aids, Malaria oder Tuberkulose.

Die Tatsache, dass chronische Er- krankungen öffentlich noch nicht als Problem der Entwicklungsländer erachtet werden, wirkt sich auch auf die internationale Spendenbereit- schaft aus: 2002 wurden zwar 2,9 Milliarden US-Dollar für die Be- kämpfung von Infektionskrankhei- ten gespendet, der Betrag für die Bekämpfung nichtansteckender Er- krankungen betrug lediglich 0,1 Mil-

liarden US-Dollar. ■

Martina Merten GRAFIK

Mortalitätsraten je 100 000 Einwohner

Entwicklung der weltweiten Krankheitsbelastung von 2002 bis 2030 1 500

1 000

500

0

2002 2015 2030 2002 2015 2030 2002 2015 2030 2002 2015 2030 Südafrika Südasien Mittel- und

Ostasien Latein- amerika

2002 2015 2030 Hohes Einkommen 2002 2015 2030

Osteuropa

2002 2015 2030 Ostasien

2002 2015 2030 Weltweit Infektionskrankheiten Chronische Erkrankungen

Quelle: Stuckler, D: Milbank Quarterly, 86 (2008) 269

W O R L D H E A L T H S U M M I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

bei bestimmten Risikogruppen auch ein mäßiger Alkoholkonsum das Ri- siko für Erkrankungen der Leber und des Pankreas, für bestimmte Tumor- erkrankungen und die Entwicklung

„Notfallversorgung verunglückter äl- terer Kraftfahrer” auch aus dieser Sicht darauf hin, daß gerade die älte- ren Unfallopfer für die Zukunft ein wachsendes Problem

Auch nach zehn Jahren hatten 22 Prozent der Patienten mit exo- kriner Pankreasinsuffizienz auf dem Bo- den einer chronischen Pankreatitis noch eine normale Glucosetoleranz.. Mehr

Ge- org Thieme Verlag, Stuttgart, 2000, 520 Seiten, 250 Abbildungen, 145 Tabellen, kartoniert, 79 DM.. NACHSCHLAGEWERKE Pasquale Calabrese, Hans Förstl (Hrsg.): Psychopatholo- gie

Die Autoren referieren über ei- nen Patienten mit lange bestehender chronischer Lambliasis und allge- meiner, variabler Hypogarnmaglo- bulinämie , bei dem nach fünf ver-

Auffällig ist der hohe Anteil der Patienten, bei denen – obwohl sie sich subjektiv für gesund hielten – ein Hautkrebs oder eine Prä- kanzerose aufgedeckt wurde.. So hiel-

Weitere Studien In kleineren Studien konn- te der Nutzen einer Therapie mit Valsartan auch bei herz- insuffizienten Patienten be- legt werden.. Im Rahmen der ValHeFT-Studie

Durch die „Wait and See"- Strategie bleiben zwar den Patienten die allgemeinen OP-Komplikationen erspart und die Ejakulation in 100 Prozent erhalten, jedoch können nur durch