Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
ÜBERSICHTSAUFSATZ
Chronische Hepatitis
Martin Wienbeck und Georg Strohmeyer
Aus der Zweiten Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universität Düsseldorf
(Direktor: Professor Dr. med. Georg Strohmeyer)
Die chronische Hepatitis kann virusassoziiert, drogenassoziiert oder unbekannter Ätiologie sein. Pathogenetisch wird bei der chronischen Hepatitis unbekannter Ätiologie ein AutoimmunmechanismuS vermu- tet; es finden sich Antikörper gegen Leberzellmembranproteine. Kli- nisch ist die chronisch-persistierende Hepatitis von der chronisch- aktiven Hepatitis abzugrenzen, da nur die chronisch-aktive Hepatitis zu Komplikationen und insbesondere zum Übergang in die Leberzir- rhose neigt. Die chronisch-aktive Hepatitis ist in der Regel behand- lungsbedürftig, die chronisch-persistierende Hepatitis nicht. Diagno- stisch entscheidend ist die Lebermorphologie, die bei der chronisch- aktiven Hepatitis Mottenfraß- und in manchen Fällen Brückennekro- sen erkennen läßt.
Oben: Chronisch-persistierende Hepatitis. Die braun gefärbten, orceinpositiven Milchglashepa- tozyten enthalten HB sAg (Fär- bung nach Shikata) — Unten:
Chronisch-aktive Hepatitis mit Mottenfraßnekrosen und begin- nender Zerstörung der Läpp- chenarchitektur (HE-Färbung) — Wir danken Privatdozent Dr.
med. F. Borchard für die Über- lassung der Abbildungen
Obwohl die chronische Hepatitis(CH) verschiedene Ursachen haben kann, zeigt sie relativ charakteristi- sche morphologische und klinische Erscheinungen. Nach Jahren unter- schiedlicher Benennung und Klassi- fizierung kam es 1968 zunächst in Europa und dann 1974 mit Hilfe der
„International Association for the Study of the Liver" zu einer einheitli- chen Nomenklatur. Sie berücksich- tigt jetzt nicht nur histologische, sondern auch ätiologische und klini- sche Gesichtspunkte (2).
Danach wird die gutartig verlaufen- de chronisch-persistierende Hepati- tis (CPH) von der chronisch-aktiven Hepatitis (CAH) mit ungewissem Ausgang unterschieden. Diese recht grobe Unterteilung hat den großen Vorteil, daß sie für weitere Differen- zierungen offen ist.
Von der CH spricht man definitions- gemäß erst dann, wenn die klini- schen, laborchemischen und patho- logisch-anatomischen Krankheits- zeichen ohne wesentliche Änderung mindestens sechs Monate fortbe- stehen.
Ätiologie und Pathogenese Die CH kann entweder virusassozi- iert, drogenassoziiert oder unbe- kannter Ätiologie sein. Eine virusin- duzierte Erkrankung wird angenom- men, wenn sich der chronische Ver- lauf an eine akute Hepatitis an- schließt oder wenn sich der antigene Marker einer Virus-B-Hepatitis (frü- her: Serumhepatitis), das HBAg (He- patitis-B-Antigen) beziehungsweise Antikörper dagegen (Anti-HBAg) nachweisen lassen. Zur Frage des Überganges der akuten Hepatitis in eine chronische Verlaufsform kennt man heute prädisponierende Fakto- ren und mehrere Indikatoren (Tabel- le 1).
Die CH kann auch aus einer Virus-A- Hepatitis (früher: infektiöse Hepati- tis) und wahrscheinlich ebenfalls aus einer Infektion mit den vermute- ten „Nicht-A- und Nicht-B-Viren"
hervorgehen.
Aus Mangel an geeigneten serologi- schen Nachweismethoden läßt sich zur Häufigkeit eines solchen Über- ganges bisher nichts Sicheres sa-
gen.
Jedenfalls scheint eine Virus-A- Hepatitis nicht zu einer CAH fortzu- schreiten (Tabelle 2).Die Pathogenese der virusinduzier- ten CH ist noch immer hypothetisch.
Sie ist jedoch aufgrund zahlreicher immunologischer Befunde inzwi- schen recht gut zu erklären: Bei der Virusreplikation in der Leberzelle er- scheint HBAg an der Zelloberfläche und sensibilisiert T-Lymphozyten.
Nach den gegenwärtigen Vorstel- lungen wirken weder das Hepatitis- B-Virus noch seine antigenen Ei- genschaften HB,Ag, HB,Ag und HBeAg direkt zytopathogen. Die Ur- sache für die Leberzellschädigung ist vielmehr in der Immunantwort des Körpers gegen virusinfizierte Hepatozyten zu sehen. Bei der aku- ten Hepatitis eliminiert diese Im- munantwort rasch und vollständig das antigene Material. Ist die Im- munantwort unvollständig, so resul- tiert ein chronisch-zyklischer Pro- zeß, im. einfachen Fall
eine CPH. Bei
der CAH wird darüber hinaus eine kontinuierliche Schädigung der Le-DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 22. September 1977 2273
Chronische Hepatitis
berzellen angenommen, entweder durch z}'totoxische Wirkung von Lymphozyten oder antikörperver- mittelt
8- und K-Lymphozyten, verbunden mit Antikörpern gegen Lipoproteine von Leberzellmembranen (LMA), spielen wahrscheinlich eine wichti- ge Rolle im Pathomechanismus der ätiologisch unklaren HB5Ag-negati- ven Formen der CAH (4). Die T-Lym- phozyten, die normalerweise diese
"autoimmunen" Reaktionen suppri- mieren, sind dazu nicht in der Lage.
Der Defekt in der Suppressor-Funk- tion der T-Lymphozyten ist wahr- scheinlich zum Teil genetisch be- dingt. Darauf weisen familiäres Auf- treten von CAH und gehäuftes Vor- kommen der genetischen Merkmale HLA-88 und HLA-812 bei diesen Pa- tienten hin. Die Annahme eines Au- toimmunmechanismus wird da- durch gestützt, daß sich während der Erkrankung meistens hochtitri-
ge Antikörper gegen körpereigene Strukturen nachweisen lassen und daß gleichzeitig vermehrt sogenann- te Autoimmunkrankheiten vorkom- men. Die bei der CH nachweisbaren Antikörper sind gegen Zellkerne (ANA), gegen glatte Muskulatur (SMA), gegen Mitochondrien (AMA) und manchmal gegen Mikrosomen gerichtet. Ob und inwieweit die HB5Ag-negativen Formen der CH durch Viren oder Toxine in Gang gesetzt werden, ist bisher unbe- kannt.
Die drogenassoziierte Form der CH tritt vor allem in Zusammenhang mit der Einnahme von Oxyphenisatin, Alpha-Methyldopa, seltener auch von Salizylaten, INH, Halothan, Sul- fonamiden und Barbituraten auf. Die Reaktionen auf diese Medikamente können klinisch und insbesondere leberhistologisch den bekannten Formen der CH gleichen. Die Er- scheinungen verschwinden mei-
Tabelle 1: Begünstigende Faktoren beziehungsweise Indikatoren eines chronischen Verlaufes der Virus-B-Hepatitis
~ herabgesetzte immunologische Abwehrlage (zum Beispiellympha- tische Systemkrankheit, immunsuppressive Therapie, Mongolis- mus)
~ Brückennekrosen im Leberpunktat
~ HBcAg/Ak-lmmunkomplexe im Leberpunktat
~ HB8Ag-Titerabfall in 4 Wochen < 50 Prozent
~ Persistenz von HB8Ag im Serum> 13 Wochen
~ Persistenz von Lymphozytotoxizität
~ Persistenz von a-Fetoprotein im Serum
Tabelle 2: Unterschiedlicher Verlauf HB5Ag-positiver und HB5Ag- negativer akuter Hepatitiden*)
HB8Ag+ . HB8Ag-
unkomplizierter Verlauf 84,1% 94,6%
fulminante Hepatitis 3,4% 0,6%
chronisch-aktive Hepatitis 6,8% 0,6%
chronisch-persistierende Hepatitis 3,4% 3,0%
unklassifizierbare chronische Verläufe 2,3% 1,2%
·) modifiziert nach Chiaramonte et al., 1974
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stens nach Absetzen der schädli- chen Substanz. Wahrscheinlich können jedoch Drogen auch eine CAH in Gang setzen ("triggern"), die sich anschließend verselbständigt.
Erst retrospektiv deckt dann die Anamnese diesen möglichen Zu- sammenhang auf.
Epidemiologie
Die CH kommt in allen Ländern der Erde vor, allerdings mit unterschied- licher Häufigkeit. Dafür wird in er- ster Linie der stark schwankende Durchseuchungsgrad mit dem He- patitis-8-Virus verantwortlich ge- macht. Die Durchseuchung ist mit den hygienischen Bedingungen, un- ter denen die jeweilige Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe lebt, grob korreliert. Der Anteil der H85Ag-po- sitiven Erkrankungen innerhalb der CAH schwankt dementsprechend zwischen 5 Prozent und 60 Prozent.
Seide Formen der CH betreffen die verschiedenen Altersgruppen und Geschlechter mit unterschiedlicher Häufigkeit (Tabelle 3). Dies wird als weiterer Hinweis auf die Bedeutung immunologischer Reaktionsweisen angesehen.
Klinik
a) Chronisch-persistierende Hepatitis (CPH)
Patienten mit dieser gutartig verlau- fenden Form der CH können über Inappetenz, allgemeine Abgeschla- genheit und Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, Druckgefühl in der Lebergegend, Unverträglichkeit von Fett und Alkohol klagen. Die Be- schwerden ähneln oft denen der akuten Hepatitis, sind jedoch insge- samt weniger intensiv. Nicht selten fehlen jegliche Krankheitszeichen. Laborchemisch fällt eine Erhöhung der Serumtransaminasen bis etwa zum Vierfachen der Norm auf. Auch das Serumbilirubin kann leicht er- höht sein. Hingegen ist die alkali- sche Phosphatase meist normal. Die Serumeiweißfraktionen sind nicht verändert, lediglich lgG kann gering vermehrt sein. Immunologische Re-
HB sAg + HB,Ag —
15.-25. L.J.
und Menopause
> 30. L.J.
Alter
15%-35% positiv
LE-Zellen negativ
selten häufig
„Autoimmunkrankheiten'
Tabelle 3: Unterschiede zwischen HB sAg-positiver und HBsAg-ne- gativer („lupoider") chronisch-aktiver Hepatitis*)
Geschlecht überwiegend (IS überwiegend
y
1-113cAg intrahepatisch vorhanden fehlt Dane-Partikel im Blut - vorhanden fehlen
normales Vorkommen
gehäuftes Vorkommen HLA-B 8 und -B 12
wenig bis mäßig erhöht
mäßig bis stark erhöht
Serumgammaglobuline (besonders IgG) Leberzellmembran- antikörper (LMA) SMA- und ANA-Titer
fehlen
niedrig bis fehlend
vorhanden meist hoch
Primäres Leberkarzinom gehäuft selten Glukokortikoidtherapie Erfolg ungewiß erfolgreich
*) modifiziert nach S. Sherlock
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aktionen fallen gewöhnlich negativ aus, jedoch läßt sich HB,Ag häufig (etwa 70 Prozent) nachweisen. Ent- scheidend für die Diagnose ist der histologische Befund, der in den er- sten Krankheitsmonaten dem einer mild verlaufenden akuten Hepatitis ähnelt und später in einer charakte- ristischen Vergrößerung der Portal- felder mit vorwiegend mononukleä- rer Zellinfiltration besteht. Die Le- berarchitektur bleibt intakt.
b) Chronisch-aktive Hepatitis (CAH) Die CAH ist durch eine fortschreiten- de Schädigung der hepatozellulären Funktionen gekennzeichnet, die in vielen Fällen in eine Leberzirrhose überleitet (6). Die Erkrankung kann mit einem akuten Krankheitsbild be- ginnen. Meistens ist der Beginn je- doch schleichend. Oft stimmen die anamnestischen Angaben über Dauer der Beschwerden und die Ausprägung der Leberveränderun- gen nicht miteinander überein, das heißt die Erkrankung hat schon Mo- nate oder Jahre ohne Symptome be- standen. Erstes objektives klini- sches Zeichen ist in vielen Fällen ein Ikterus oder eine Amenorrhoe. Die Beschwerden können denen einer CPH ähneln. Vor allem bei Adoles- zenten ist das Allgemeinbefinden meist ausgezeichnet, das Aussehen gesund. Auffällig sind gewöhnlich eine Akne, bei näherer Betrachtung auch kleine Gefäßspinnen, eine ver- größerte und vor allem in der Konsi- stenz vermehrte Leber sowie häufig eine Milzvergrößerung. Es können auch ein Palmarerythem und Striae vorhanden sein. Die Zeichen einer hämorrhagischen Diathese treten unter Umständen schon früh auf, während Aszites, Ödeme und Enze- phalopathie Spätzeichen sind. Fie- ber kommt bei schwerem Krank- heitsverlauf vor.
Laborchemisch finden sich die Se- rumtransaminasen durchschnittlich auf das Fünf- bis Zehnfache der Norm erhöht. Der Bilirubinspiegel liegt zwischen 1 und 10 mg/100 ml.
Diagnostisch und differentialdia- gnostisch besonders wichtig sind die Serumspiegel von y-Globulinen
(IgG), SMA und ANA (Tabelle 3). ANA sind gewöhnlich nicht gegen die DNS gerichtet. Da die Untersuchun- gen auf LE-Faktor und LE-Zellen manchmal positiv ausfallen, wurde die Erkrankung auch als „lupoide Hepatitis" bezeichnet. Die CAH hat jedoch sowohl hinsichtlich der Le- berveränderungen als auch der übri- gen klinischen Symptome wenig oder keine Gemeinsamkeiten mit dem Lupus erythematodes.
Bei der HB sAg-positiven CAH ist der HB,-Antigentiter nur mäßig erhöht.
Der Nachweis von zirkulierendem e- Antigen (HB eAg) hat möglicherweise eine prognostische Bedeutung und bedeutet wahrscheinlich auch er- höhte Infektionsgefährdung für Kontaktpersonen. HB eAg wird nur bei HBs-Ag-positiven Leberkranken gefunden, besonders häufig bei der CAH. Dagegen sind Träger von Anti- HBe Ag in der Regel lebergesund und weniger infektiös.
Die Diagnose steht und fällt mit dem morphologischen Befund (siehe Ti- telbild): Charakteristisch sind Mot- tenfraßnekrosen am Rande der Peri- portalfelder. Die Grenzmembran zum angrenzenden Parenchym ist
durchbrochen. In schwer verlaufen- den Fällen finden sich multiple Brückennekrosen zwischen den Pe- riportalfeldern, die später in binde- gewebige Septenbildungen überge- hen. Die Läppchenstruktur wird zu- nehmend aufgehoben und ist oft nicht mehr klar erkennbar. Da die morphologischen Veränderungen nicht gleichmäßig über das Paren- chym verteilt sind, sollte bei einer Diskrepanz zu den klinischen und laborchemischen Befunden die Biopsie wiederholt werden. Noch besser ist ein primäres Vorgehen unter laparoskopischer Sicht (Tabel- le 4).
Differentialdiagnose
Die Differentialdiagnose der CH wird dadurch erschwert, daß identische klinische Krankheitsbilder auch als Begleiterscheinung anderer Krank- heiten (sogenannte reaktive Hepati- tis) beziehungsweise als Reaktion auf „Toxine" auftreten können. Bei der CPH ist dies weniger bedeutsam, da sich hieraus keine unmittelbaren therapeutischen Konsequenzen er- geben. Anders ist die Situation bei der CAH. Ihre Krankheitserschei-
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Tabelle 4: Laparoskopische Befunde bei chronisch-aktiver Hepatitis
Leberfarbe braun bis rotfleckig, zum Teil chagriniert
Läppchenstruktur oft verdeutlicht (Verbreiterung der Periportalfelder) Lichtreflexe gering bis deutlich aufgesplittert (periportale Fibrose) Oberflächengefäße oft vermehrt
Perivaskuläre Extravasate möglich
Lymphexsudation und Lymphangiektasien häufig Kapselfibrose unterschiedlich ausgeprägt
Leberrand oft sägeblattartig oder biesenförmig bindegewebig Kollapsstraßen, Narben und Adhäsionen möglich
Knotiger Umbau und Regeneratbildung möglich Milz oft vergrößert
Gallenblase groß und gefüllt
Tabelle 5: Unterschiede zwischen leberkranken und lebergesunden HB sAg-Trägern*)
leberkrank lebergesund intrahepatisch:
fiB cAg im Serum:
Dane-Partikel
HBeAg
+1-
spezif. DNS-Polymerase
+/-
Anti-e (HB eAk) +/ —
*) + = vorhanden/— = nicht vorhanden
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Chronische Hepatitis
nungen können auch durch Medika- mente und durch Alkohol ausgelöst werden (siehe Ätiologie). Der CAH ähnliche Krankheitszeichen kom- men vorübergehend im Rahmen ei- ner Hämochromatose, eines Morbus Wilson, eines a1 -Antittypsinmangels und bei der Entwicklung einer pri- mär biliären Zirrhose vor. Während es bei den erstgenannten Erkran- kungen weitgehend zuverlässige Abgrenzungsmöglichkeiten gibt (Hi- stologie der Eisenspeicher, Histolo- gie der Kupferspeicher zusammen mit Serumzäruloplasmin-Bestim- mung beziehungsweise Quantifizie- rung von a1 -Antitrypsin im Serum und Nachweis von PAS-positiven
Ablagerungen in der Leber), sind die Grenzen zu den primär biliären Le- bererkrankungen unscharf (1):
Beide Erkrankungen befallen be- sonders Frauen im 3. bis 5. Lebens- jahrzehnt, beide können cholesta- tisch verlaufen, und AMA kommen in beiden Fällen vor. Da AMA bei der CAH jedoch nur inkonstant und meist in geringer Konzentration vor- handen sind, erlauben Titerbestim- mungen und Verlaufskontrollen auch hier gewöhnlich eine Differen- zierung.
Ferner scheinen die AMA beider Er- krankungen eine unterschiedliche Spezifität zu besitzen. Von der CH
sind lebergesunde HBsAg-Träger abzugrenzen (vgl. Tabelle 5). Dabei kann die Leber pathologisch-anato- misch entweder völlig normal er- scheinen, oder aber es können so- genannte Minimalveränderungen nachweisbar sein. In beiden Fällen handelt es sich offensichtlich um ein Toleranzphänomen des Organismus gegenüber dem HBsAg. Hepatitis-B- Viren (komplette Dane-Partikel) sind nicht mehr vorhanden. Der Zustand bleibt meist über viele Jahre erhal- ten, und nur ausnahmsweise wurde ein Übergang in eine CH beob- achtet.
Immunhistologische Befunde lassen neuerdings Zweifel aufkommen, ob es berechtigt ist, CPH und CAH scharf voneinander zu trennen. Flie- ßende Übergänge sind zumindest bei der HB sAg-positiven Form wahr- scheinlich.
Verlauf und Komplikationen Bisherige Langzeitbeobachtungen belegen die gute Prognose der CPH (3, 8). Obwohl die Entzündungszei- chen über mehr als fünf Jahre anhal- ten können, braucht kein Umbau der Leberarchitektur einzutreten. Die Häufigkeitsangaben zu einem Über- gang in die CAH schwanken zwi- schen 1 Prozent und 10 Prozent.
Ganz anders ist der Verlauf der CAH.
Unbehandelt führt sie bei 20 Prozent bis 60 Prozent der Erkrankten inner- halb von fünf Jahren zum Tode.
Hauptsächliche Todesursachen sind die Leberinsuffizienz, Blutungen und andere Komplikationen einer sekundären Leberzirrhose. Jede CAH muß als potentielles Vorsta- dium einer Leberzirrhose angese- hen werden. Diese Entwicklung scheint besonders rasch und regel- mäßig einzutreten, bei morphologi- schem Nachweis multipler Brücken- nekrosen (Typ II b der früheren Klas- sifizierung), bei HB sAg-negativen Erkrankungen von Mädchen in der Adoleszenz und bei nachweisbarem HBeAg der HB sAg-positiven Form.
Sicherlich kommen auf der anderen Seite auch Spontanheilungen der CAH in 5 Prozent bis 20 Prozent vor.
Die Serumtransaminasen sind zwar
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Tabelle 6: Therapie der chronisch-aktiven Hepatitis
gesichert ungesichert überflüssig abzuraten ungesicherte The- rapievorschläge HB sAg-negativ Glukokortikoide
(evtl. in Kombi- nation mit Azathioprin)*)
Antazida (zur
„Ulkusprophy- laxe" bei Stero- idtheraphie)
Diät, strikte Bett- ruhe, „Leberthe- rapeutika"
D-Penicillamin Suppressor-Fak- tor aus T-Lympho- zyten
D-Penicillamin
HB s Ag-positiv Glukokortikoide
(+ Azathioprin)
Diät, strikte Bett- ruhe, „Leberthe- rapeutika"
Interferon, Sup- pressor-Faktor aus T-Lymphozy- ten, Transfer-
Faktor
*) Dosierung:
Prednison- Äquivalent
Azathioprin
Anfangsdosis 30-50 mg tgl.
1,5-2 mg/kg KG tgl.
Erhaltungsdosis (nach ca. 4 Wochen) 7,5-20 mg tgl.
(oder doppelte Dosis an alternierenden Tagen) 0,7-1,2 mg/kg KG tgl.
bis zu einem gewissen Grade Spie- gelbild der morphologischen Verän- derungen, ihre Höhe erlaubt aber keine Aussage über den weiteren Verlauf. Eine niedrige Prothrombin- zeit hingegen ist ein prognostisch ungünstiges Zeichen. Die langfristi- ge Prognose der meist weniger stür- misch verlaufenden HB sAg-positi- ven Erkrankungen wird dadurch ge- trübt, daß hier später gehäuft primä- re Leberkarzinome auftreten (HB- Virus als Kanzerogen wirksam?).
Therapie
Aus unserem Wissen über die Pro- gnose der CH leiten sich die Indika- tionen für die Therapie (Tabelle 6) ab: Die CAH wird in der Regel be- handelt, die CPH sollte vor differen- ten Medikamenten bewahrt werden.
Bezüglich der Medikamentenwahl bei der CAH liegen heute eindeutige Ergebnisse aus kontrollierten ameri- kanischen, englischen und däni- schen Studien vor (7). Danach ver- bessern Glukokortikoide allein oder in Kombination mit Azathioprin ein- deutig die Überlebenszeit der Kran- ken, indem sie die Aktivität der ent- zündlichen Vorgänge in der Leber zurückdrängen. Allerdings wird dies mit einer beträchtlichen Anzahl von Nebenwirkungen erkauft. Da der Nutzen dieser Therapie bei der HB,Ag-positiven Form der CAH bis- her fraglich ist, sollte hierbei die In- dikation zur Behandlung zur Zeit nur mit Zurückhaltung gestellt werden (5). Azathioprin allein verbessert die Prognose nicht; in der Kombina-
tionsbehandlung soll es aber stero- idsparend wirken, obwohl dies durch streng vergleichbare Kontroll- untersuchungen bisher nicht bewie- sen ist.
Die Dosierung orientiert sich an der Klinik, den Serumtransaminasen, der Serumelektrophorese (Immun- globuline) sowie an den jährlich durchzuführenden Kontrollbiopsien.
Die Dosis sollte so niedrig wie mög- lich gewählt werden. Der Versuch eines vorsichtigen Ausschleichens in der Medikation darf frühestens nach einem Jahr unternommen wer- den. Mit Rezidiven ist in etwa 50 Prozent zu rechnen.
Neben dieser Behandlung sind bis heute keine therapeutischen- Maß- nahmen bekannt, deren Wirksam- keit durch kontrollierte Untersu- chungen erwiesen ist. Dies gilt auch für die körperliche Schonung; die körperliche Aktivität paßt man daher am besten dem Allgemeinbefinden des Kranken an. Von einer Therapie mit D-Penicillamin, obwohl mögli- cherweise wirksam, sollte wegen der häufigen und schwerwiegenden Ne- benwirkungen besser Abstand ge- nommen werden.
Prophylaxe
Schutz vor einer CH ist bisher nur beschränkt und nur bezüglich der HB,Ag-positiven Form möglich. Vor- dringlich sind die Verhütung von Transfusionen HBsAg-positiven Blu- tes oder Serums sowie ein generel-
ler Schutz von Kranken mit ge- schwächter immunologischer Ab- wehrlage vor HB,Ag-positiven Per- sonen oder Material. Selbstver- ständlich sind alle Patienten mit ei- ner HBsAg-positiven Hepatitis als potentiell infektiös anzusehen, be- sonders solche mit gleichzeitig zir- kulierendem HB 9Ag oder Dane-Par- tikeln, die wahrscheinlich mit dem Hepatitis-B-Virus identisch sind.
Literatur
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Wschr. 101 (1976) 1536 - (2) Diseases of the liver and biliary tract: Standardization of nomenclature, diagnostic criteria, and dia- gnostic methodology. U.S. Government Print- ing Office, Washington D.C. 1976 - (3) Krieg, D., Weigel, E., Bach, H.: Prognosis of chronic hepatitis, Acta hepato-gastroent. 23 (1976) 168 - (4) Meyer zum Büschenfelde, K. H., Arnold, W., Hütteroth, T. H.: Immunologische Aspekte der Virushepatitis, Internist 18 (1977) 201 - (5) Schalm, S. W., Summerskill, W. H. J., Gitnick, G. L., Elveback, L. R.: Contrasting features and responses to treatment of severe chronic ac- tive liver disease with and without hepatitis B s antigen, Gut 17 (1976) 781 - (6) Sherlock, S.:
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82 (1976) 316
Anschrift der Verfasser:
Professor
Dr. med. Georg Strohmeyer Medizinische Einrichtungen der Universität
2. Medizinische Klinik und Poliklinik Moorenstraße 5
4000 Düsseldorf 1
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