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Daß die Beziehungen der Banken zur Industrie sehr vielseitige sind, läßt sich leicht nachweisen

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B e r i c h t e

Banken und Industrie in Deutschland, Frankreich und England

Vortrag, gehalten auf dem 18. Nationalen Symposion des Instituts für bankhi- storische Forschung e.V. in Frankfurt am 23. Juni 1995

von Professor Dr. Hans E. Büschgen

„Eine wissenschaftliche Untersuchung über das Thema ‘Industrie und Banken’

hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, einmal, weil sich die Beziehungen der Banken zur Industrie auf verschiedene Banktypen und auf verschiedene In- dustriezweige ausdehnen, zum anderen infolge Mangels an ausreichender spezieller Literatur und wegen der Verschlossenheit der Bank- und Industrie- kreise. Beide haben kein Interesse an der Aufdeckung und Klarlegung der ge- genseitigen Beziehungen. Daß die Beziehungen der Banken zur Industrie sehr vielseitige sind, läßt sich leicht nachweisen. Schwierig jedoch ist es, sie im Ein- zelfalle kritisch zu beleuchten und die evtl. Verschiebung der gegenseitigen Stellung herauszufinden.“1

Diese Einleitung stammt nicht von mir, sondern datiert aus dem Jahre 1931.

Gleichwohl, so glaube ich, hat sie heute unverändert Gültigkeit. Dennoch will ich – der ich zudem einer sehr engen Zeitbudget-Restriktion unterliege – den Versuch unternehmen, einige Entwicklungslinien der Beziehungen aufzuzei- gen. Ich bitte um Nachsicht, wenn der Ökonom ein anderes Erklärungsziel zu- grundelegt als es möglicherweise der Historiker tun müßte: Ich will nicht primär geschichtliche Entwicklungen nachzeichnen, sondern einen Schritt weiter- gehen und diese zusätzlich auf ihnen zugrundeliegende ökonomische Bestim- mungsgründe hin untersuchen.

1 Wilhelm Hagemann, Das Verhältnis der deutschen Großbanken zur Industrie, Berlin 1931

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1 Beziehung, Einfluß oder Beherrschung? — Grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Banken und Industrie 2 Historische Entwicklungslinien

2.1 England

2.1.1 Die frühe Industrialisierung 2.1.2 Die Industrialisierung nach 1830 2.1.3 Das 20. Jahrhundert

2.1.4 Nachkriegszeit 2.2 Frankreich

2.2.1 Die frühe Industrialisierung 2.2.2 Das Zeitalter des Crédit Mobilier 2.2.3 Zwischen den Weltkriegen 2.2.4 Nachkriegszeit

2.3 Deutschland

2.3.1 Frühe Industrialisierung und Gründerzeit 2.3.2 Jahrhundertwende und Vorkriegszeit 2.3.3 Zwischen den Weltkriegen

2.3.4 Wiederaufbau der Industrie nach dem 2. Weltkrieg 2.4 Zusammenschau

3 Resumee

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1 Beziehung, Einfluß oder Beherrschung? — Grundsätzliche Überle- gungen zum Verhältnis von Banken und Industrie

Wenn man einige grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Banken und Industrie anstellt, ergibt sich aus der systemimmanent angelegten ökono- mischen Arbeitsteilung zunächst eine Dienstleistungsfunktion der Banken inso- fern, als die Deckung der finanzwirtschaftlichen Bedürfnisse „der Wirtschaft“

und damit in gewisser Weise die Herstellung der Leistungsbereitschaft der In- dustrie funktionelle Zielsetzung der Banken ist. Ohne die ökonomische Be- deutung dieser Aufgabe hier weiter zu betrachten, ist doch offensichtlich, daß eine geschäftliche Zusammenarbeit dieser Art ohne eine wie auch immer ge- artete „Beziehung“ weder vorstellbar noch aus übergeordneter Sicht wün- schenswert sein kann.

Zu unterscheiden ist bei der Natur geschäftlicher Beziehungen zunächst zwi- schen partnerschaftlich geprägten auf der einen und einseitig dominierten Be- ziehungen auf der anderen Seite. Spricht man von Beziehungen zwischen Banken und Industrie, ist regelmäßig letztere Art gemeint. Dabei ist offenkun- dig, daß keinesfalls immer von einer einseitigen Einflußnahme durch Banken auf Industrieunternehmen ausgegangen werden kann; dennoch wird gerade diese in der bisweilen verengten Sichtweise öffentlicher Diskussion thematisiert zum politischen Dauerbrenner „Bankenmacht“.

Wenn nun über die Macht der Banken gesprochen wird, steht oft die Position der Bank als Anteilseigner oder Vertreter der Anteilseigner im Vordergrund, die sich nicht zuletzt in der Vertretung der Banken in Aufsichtsorganen von Indu- strieunternehmen manifestiert und im Ergebnis dazu führt, daß Banken entwe- der als Gesamtheit der beteiligten Banken oder sogar als einzelnes Institut häufig über die Stimmrechtsmehrheit in Beschlußfassungsorganen verfügen.

Ergebnis der daraus entstehenden (Mit-)Entscheidungskompetenzen werden entsprechend der gesellschaftsrechtlichen Situation insbesondere Einflußnah- men auf personelle Entscheidungen sein.

Nicht aus der Position als Anteilseigner – oder Vertreter der Anteilseigner – heraus, sondern durch kapitalaufnehmende und kapitalgebende Aktivitäten der Bank entsteht eine Schuldner-Gläubiger-Beziehung mit spezifisch anderen Er- gebnissen. Aus dieser entsteht in dem Ausmaß Einflußnahme, in dem Informa- tions- und Kontrollbeziehungen sowie Mitwirkungsrechte aufgrund einer ver- traglich vereinbarten oder durch die konkrete Situation entstandenen Grundla- ge eine geeignete Machtbasis darstellen.

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Als weiterer Aspekt der Geschäftsbeziehung ist das Dienstleistungsgeschäft zu erwähnen, insbesondere die Emission von Eigen- und Fremdkapitaltiteln sowie das Erbringen von Zahlungsverkehrsleistungen. Vor allem das Emissionsge- schäft setzt enge Zusammenarbeit voraus und resultiert oft wieder in wechsel- seitiger Besetzung von Aufsichtsratsmandaten.

Der Umfang und die Art der die Beziehung zwischen Banken und Industrieun- ternehmen bestimmenden Interessenkonstellationen sind bei aller konzeptio- nellen Gleichartigkeit bereits innerhalb eines nationalen Bankensystems, noch mehr jedoch international determiniert von jeweiligen historischen Entwick- lungslinien und institutionellen Rahmenbedingungen. So erkennt man z.B.

schnell, daß das Depotstimmrecht mit seinen weitreichenden Auswirkungen gleichsam deutsche Spezialität ist, und mögliche Interessenkonflikte aus dem Emissions- und Darlehensgeschäft können in einem Trennbankensystem nicht in gleicher Weise auftreten wie im deutschen Universalbankensystem. Da ein Beziehungsgefüge zudem maßgeblich bestimmt wird von den Größenverhält- nissen der beteiligten Partner, ist es insgesamt kaum überraschend, daß vor allem die deutschen Universal-Großbanken im Zentrum der Betrachtung und Kritik stehen.

2 Historische Entwicklungslinien

Die zu untersuchenden Beziehungen müssen nach dem bisher Gesagten also in der historischen Betrachtung abhängig sein von Entstehung und Entwicklung der jeweiligen nationalen Bankensysteme und ihrer institutionellen Ausgestal- tung. Ich will versuchen, einige dieser historischen Entwicklungslinien unterteilt nach den Ländern England, Frankreich und schließlich Deutschland kurz nach- zuzeichnen.

2.1 England

Dem englischen Bankensystem wird in der Literatur oft eine „Tradition der Nicht-Einmischung“ in Angelegenheiten der Industrie zugesprochen. Dies mag berechtigt sein, galten doch für das Verhältnis der „orthodoxen“ Banken zur In- dustrie als Maxime ihres Handelns drei Prinzipien, die Gilbart Anfang des 19. Jahrhunderts so kennzeichnete:

– Es sei nicht Aufgabe der Banken, ihre Kunden mit dem Kapital zum Be- treiben ihres Geschäfts auszustatten;

– es widerspreche allem vernünftigen bankmäßigen Handeln, Darlehen zu geben gegen „tote Sicherheiten“ wie Mühlen und Fabriken,

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– es sei schlechte Bankpolitik, einem einzelnen Kunden ein sehr großes langfristiges Darlehen zu gewähren.

Starke Präferenz lag somit auf der Gewährung von sich selbst liquidierenden kurzfristigen Krediten gegen Sicherheiten wie Warenlager und Material. Born hat einmal formuliert – analog Mark Twains „Regenschirm-Hypothese“ –, daß die englischen Banken nicht so sehr für diejenigen Kunden dagewesen seien, die Geld brauchten, sondern vielmehr für die, die bereits Geld hatten.

Wie zu erkennen, liegt jenen „Prinzipien“ ein Verständnis des Industriege- schäfts zugrunde, das die Entstehung allzu enger Beziehungen gar nicht erst zuläßt. Stark vereinfacht kann man daher wohl sagen, das Verhältnis Banken – Industrie in England sei mehr ein Neben- als ein Miteinander. Die historische Begründung für diese starke Zurückhaltung der Banken ist in der wirtschaftli- chen Situation Englands zu Beginn der Industrialisierung zu suchen: Bereits sehr frühzeitig konnten Unternehmen über recht gut funktionierende Kapital- märkte auf Kapital zurückgreifen, das im reichen Bürgertum aufgrund der lan- gen Tradition des englischen Handels nicht zuletzt mit den reichen Kolonien des Commonwealth zur Genüge vorhanden war und auch ohne Vermittlung von Banken mobilisiert werden konnte.

Während die Verbindungen daher viel weniger eng sind als beispielsweise in Deutschland, wird über das Ausmaß Unterschiedliches gesagt. Grundsätzlich scheint jedoch unstreitig, daß die bereitgestellten kurzfristigen Finanzie- rungsfazilitäten den Bedarf zu decken vermochten, während dies im langfristi- gen Bereich kontrovers ist.

2.1.1 Die frühe Industrialisierung

Als spezifisch für die frühe Industrialisierungsphase in England wird angese- hen, daß die akkumulierte Eigenkapitalausstattung der „Pionier-Unternehmer“

im allgemeinen so hoch war, daß sowohl die Finanzierung der Produktion als auch maßvoller Expansion ohne Fremdkapital erfolgen konnte. In einigen der Fälle, wo diese Finanzierungsmöglichkeit nicht gegeben war, wird den Banken durchaus attestiert, die Lücke in hinreichender Weise durch langfristige Darle- hen geschlossen zu haben; diese Aufgabe kam allerdings vorwiegend den sehr aktiven Provinzbanken mit entsprechender lokaler Verankerung zu. Der Bedarf an höheren langfristigen Volumina konnte nur am Kapitalmarkt gedeckt wer- den. Gleichsam als Rechtfertigung für dieses Leistungsdefizit der großen Ban- ken wird angeführt, daß angesichts der großen Bedeutung der kurzfristigen Fi-

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nanzierung in der frühen Industrialisierung und der hohen Gewinne erfolgrei- cher Unternehmen auch oder gerade die kurzfristige Finanzierung bereits die ausreichende Basis für die Ansammlung von Eigenkapital lieferte.

2.1.2 Die Industrialisierung nach 1830

Der Zeitraum von etwa 1830 bis zum ersten Weltkrieg ist angesichts eines er- heblichen Strukturwandels des englischen Bankwesens schwieriger zu be- schreiben. Beachtliche Konzentration in Verbindung mit insgesamt wachsen- den Einlagen führte zu höherer Liquidität der großen filialisierten Banken; Fi- nanzierung der Industrie fand daher überwiegend in Form von Kontokorrent- krediten statt. Von der Lloyds Bank wird berichtet, daß zunächst kurzfristige Fazilitäten mit wachsendem Vertrauen in die Kreditnehmer zunehmend auch längerfristig strukturiert wurden. Ebenso wird für bestimmte Regionen konsta- tiert, daß die Kapitalversorgung durch ansässige Banken vielleicht nicht opti- mal, aber jedenfalls ausreichend gewesen sei, um eine Abhängigkeit von aus- serregionalen Kapitalgebern zu verhindern.

Mehrere Bankzusammenbrüche um 1860 herum, die offensichtlich in fehlender Zurückhaltung aufgrund zu enger persönlicher Beziehungen zwischen Bank- und Unternehmensleitungen begründet lagen, trübten nur kurzzeitig die Ver- besserung des Finanzierungsklimas, so daß im letzten Drittel des 19. Jahrhun- derts Banken wieder ihren unter strukturellen Schwächen leidenden Kunden – vor allem im Baumwollgeschäft – unter die Arme griffen. Aber gerade die enge regionale Verbindung von Banken und Kunden war in der Folge dann erneut ursächlich für Bank-crashs.

Eine grundlegend andere Situation war übrigens in Schottland zu beobachten.

Während englische Banken sich weitgehend an althergebrachte Grundsätze des Inhalts hielten, Kredite seien „self-liquidating“ zu gestalten, also kurzfristig für Warenbestände oder Verbrauchsmaterialien zu gewähren, vergaben schot- tische Banken freizügig unbefristete Darlehen. Dies schien auch insofern erfor- derlich, als die Kapitalisierung der schottischen Wirtschaft eine sehr viel schlechtere Ausgangsposition hatte als die englische. Auf der anderen Seite entstanden dadurch auch Überhitzungserscheinungen mit der Folge von Fallis- sements der Kunden und Gefährdung der darlehensgewährenden Banken.

Dennoch ist insgesamt die Beziehung zwischen Banken und Industrie als in- tensiver zu bezeichnen als im übrigen England.

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2.1.3 Das 20. Jahrhundert

Obwohl sich in zahlreichen Einzelfällen eine engere Verzahnung von Banken und Industrie nachweisen läßt, die sich vor allem in der Finanzierung von Ex- pansionen und Unternehmensverschmelzungen zeigte, wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt öffentlich die mangelnde Unterstützung der Industrie durch Banken kritisiert — sowohl bei der Kreditversorgung als auch bei der Un- terstützung von Unternehmensgründungen. Angesichts zahlreicher dieser Be- hauptung offenbar widersprechender Einzelfälle war offenkundig die man- gelnde Verläßlichkeit der Banken eigentlicher Kern der Kritik. Möglicherweise hat auch das Entstehen landesweit tätiger Banken aufgrund von Konzentra- tionsbestrebungen seit etwa 1890 generelle Verhaltensänderungen der Banken mit sich gebracht: In der Tat waren innerhalb der großen Bankorganisationen rigide Besicherungsvorschriften in Verbindung mit sehr niedrigen Kreditkompe- tenzen der regionalen Direktoren festzustellen.

Im Ergebnis führte jedenfalls die vermeintliche Unterversorgung insbesondere im Vergleich zu den offenkundig deutlich überschätzten Aktivitäten der deut- schen Banken, verstärkt durch konjunkturelle Schwächen in den 1920er Jah- ren, rasch zu öffentlichen Forderungen nach institutionellen Vorkehrungen.

Nach politischen Debatten und der Einrichtung eines parlamentarischen Unter- suchungsausschusses zum Verhältnis der Finanzbranche zur Industrie („Macmillan Committee“) wurden – gleichsam in „vorauseilendem Gehorsam“, vielleicht aus Befürchtungen von Nationalisierungen durch die neue Labour- Regierung – zwei Spezialinstitute zur Finanzierung industrieller Rationalisie- rungsvorhaben ins Leben gerufen: der Securities Management Trust 1929 und die Bankers Industrial Development Corporation 1930. Deren konjunkturell be- gründetes Versagen zumindet bei der Erfüllung ihrer Finanzierungsaufgaben führte allerdings dazu, daß die Bank of England ab 1932 selbst begann, Indu- striefinanzierungen darzustellen.

Der Bericht des Macmillan Committee, der 1931 als Ergebnis die später als

„Macmillan Gap“ bezeichnete finanzielle Unterversorgung vor allem mittlerer In- dustrieunternehmen präsentierte, führte interessanterweise nicht zu den viel- fach als Reaktion der großen Banken erwarteten Konsortialgründungen, son- dern im Gegenteil zur Neugründung mehrerer kleinerer Spezialinstitute. Ergeb- nis der nach wie vor großen gesamtwirtschaftlichen Probleme war nunmehr je- doch nicht mehr ein Unterangebot, sondern mangelnde Nachfrage nach bank- mäßig vertretbaren Finanzierungen.

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2.1.4 Nachkriegszeit

Auch nach Ende des zweiten Weltkriegs legte sich die Kritik an den englischen Banken nicht; vielmehr entzündeten sich gerade am Vergleich mit den deut- schen Banken die Vorwürfe immer wieder aufs neue. Mehrfach wurden offizi- elle Untersuchungen durchgeführt, noch bis etwa 1980. Das Ergebnis dieser Erhebungen widerlegte regelmäßig die Kritik in weiten Teilen: Konstatiert wur- de eine langanhaltende Präferenz der Industrie für die langfristige Selbstfi- nanzierung; nach langfristigen Bankdarlehen bestand daher kaum Nachfrage.

Die alte Tradition der Nicht-Einmischung aus den Anfängen des 19. Jahrhun- derts scheint also im traditionsbewußten England in gewisser Weise fortzube- stehen.

2.2 Frankreich

Die über das französische Bankensystem oft zu lesende Aussage, die eta- blierten Privatbankhäuser – die „Haute Banque“ – hätten kein Interesse an Ge- schäftsbeziehungen mit der Industrie gehabt, gilt, wenn überhaupt, erst ab et- wa 1848. In den Jahren zuvor, ab den 20er Jahren, stellte „la Haute Banque“

durchaus das Kapital bereit für den ersten großen Wachstumsstoß in der Indu- strialisierung der französischen Wirtschaft. Bemerkenswert hoch war dabei das Engagement im Bergwerks- und Metallverarbeitungsbereich sowie im Ka- nalbau, und zwar sowohl in Form von Beteiligungen als auch in Form langfri- stiger Fremdfinanzierungen. Allerdings wanderte das Kapital großenteils in die überseeischen Départements Frankreichs wie Nordafrika und fand dort Ver- wendung vor allem im Kanalbau durch französische Unternehmen; das Enga- gement in der nationalen Industrie war ungleich geringer und bezog sich fast ausschließlich auf Bergwerksgesellschaften.

2.2.1 Die frühe Industrialisierung

Dies mag daran liegen, daß als typisch für die frühe Industrialisierungsphase die Dominanz des Handels anzusehen ist, der sich zunehmend auch in der in- dustriellen Produktion engagierte; Kontakte der Banken bestanden daher vor- wiegend zu den Händlern, die ihrerseits die Verbindung zur Industrie schufen.

Das Bankwesen war insofern bereits zweigeteilt, als die Verbindungen zum Handel und damit die Finanzierung der Industrie weitestgehend auf die kleine- ren lokalen Provinzbanken beschränkt blieben, während sich die Pariser Groß-

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banken lieber mit der Staatsfinanzierung befaßten. Mit zunehmender Größe der Industrieunternehmen und gestiegener Leistungsfähigkeit des Finanz- marktes engagierten sich die Großbanken dann zunehmend zwar auch in der Industriefinanzierung, aber vorwiegend weiterhin in der Finanzierung des Auf- baus von Transportwegen wie Eisenbahnverbindungen und Schiffahrtskanälen.

Ab dem Krisenjahr 1848 ging das industrielle Engagement der Banken prak- tisch vollständig zurück; die mangelnde Eignung der zersplitterten Struktur des Finanzwesens zur Industriefinanzierung führte weithin zu Kritik und Überlegun- gen zur Reform des Bankwesens nach englischem oder belgischem Vorbild, nachdem bereits 1822 in Belgien die erste „echte“ Universalbank ins Leben ge- rufen worden war.

2.2.2 Das Zeitalter des Crédit Mobilier

Meilenstein im Verhältnis von Banken und Industrie in Frankreich war in dieser Phase des Umbruchs die Gründung des „Crédit Mobilier“, genauer: der „So- ciété générale de Crédit Mobilier“ durch die Brüder Péreire 1852, die mit der klaren Zielsetzung erfolgte, die bestehenden Strukturen aufzubrechen durch ein Institut, das umfassend engagiert war in der Sammlung von Geldern in der breiten Bevölkerung und der Anlage in Unternehmenskrediten zur Unterstüt- zung gesamtwirtschaftlicher Zielvorstellungen. Beeinflußt war diese Neugrün- dung nicht zuletzt durch sozialistisches Gedankengut in Saint-Simonistischer Tradition. Obgleich vorwiegend aus Gründen der Management-Inkompetenz dem Crédit Mobilier kein allzulanges aktives Dasein beschieden war, führte sein zunächst außerordentlicher Erfolg doch rasch zur Gründung vergleichba- rer Institute, als Aktiengesellschaft organisiert und sich umfassend im (kurzfri- stigen) industriellen Kreditgeschäft betätigend. Diese Institute vermochten frei- lich nicht, die Dominanz der Kapitalanlage durch das Bankensystem vor allem in staatlichen Rentenpapieren zu brechen, so daß bisweilen die Befürchtung aufkeimte, Frankreich werde eines Tages noch zur „nation des rentiers“ ver- kommen, anstatt sich zu einer Industrienation zu entwickeln.

Rezessionen und Bankenkrisen in den 80er Jahren führten allmählich zu einer Spezialisierung der Banken. Während ein Teil der Institute sich als „Deposi- tenbanken“ mehr und mehr auf das rein kurzfristige Kreditgeschäft kon- zentrierte, erfüllte ein weiterer Teil als „Emissionsbanken“ aktive Aufgaben in der Strukturierung der Wirtschaft, indem sie sich einerseits in der Emission von Wertpapieren betätigten, andererseits aber intensiv durch Planungshilfen, Kon- taktherstellung und Beratung Einfluß auf die industrielle Entwicklung nahmen.

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2.2.3 Zwischen den Weltkriegen

Zwischen den Weltkriegen zeigte sich die Dynamik des französischen Bankwe- sens vor allem in Neugründungen, die als ausdrückliche Zielsetzung größere Nähe zu Industrieunternehmen und größere Risikofreudigkeit in der Kreditge- währung anstrebten. Einzelne dieser Neugründungen vermochten sich als Hausbank ihrer Kunden zu positionieren, was sich bisweilen in wechselseitiger Präsenz in Aufsichtsräten und Engagement der Banken in den Industrie- und Handelskammern niederschlug. Insgesamt jedoch war es den Banken offenbar nicht möglich, die Finanzierung des Wiederaufbaus der Wirtschaft sicherzu- stellen. Dies erscheint erstaunlich, stellte doch die Plazierung staatlicher Pa- piere die Banken nicht vor größere Probleme. Als Ursache wird oft angesehen, daß es den Banken an der Fähigkeit gefehlt habe, diese Aufgaben wahrzu- nehmen und die entsprechenden Konsequenzen für das Leistungsprogramm zu ziehen. Statt dessen habe man sich lieber auf althergebrachte Geschäfts- felder konzentriert. Steigenden Risiken aus dem Industriekreditgeschäft wurde erst zu spät durch die Entwicklung von Bonitätsanalyseinstrumenten begegnet;

statt dessen wurde eher nach konkurrenzvermeidenden Absprachen und staat- licher Protektion gesucht.

Diese problematische Entwicklung wurde verstärkt durch das politische Umfeld:

Zur liberalen Tradition des französischen Bankwesens, die bereits zu Ausbruch des ersten Weltkriegs durch Moratorien außer Kraft gesetzt worden war, fand Frankreich auch nach Ende des Krieges nicht wieder zurück. Je nachdem, wo der Staat Mängel in der bankwirtschaftlichen Versorgung von Wirtschaft und Bevölkerung zu erkennen glaubte, griff er punktuell durch dirigistische Maß- nahmen ein. So wurde durch die Gründung des „Office nationale de Crédit agricole“ 1920 die Kreditvergabe deutlich in Richtung landwirtschaftlicher Er- zeugung und Verarbeitung gelenkt, ebenso wie schon 1917 der „Crédit popu- laire“ zur Unterstützung des industriellen Mittelstands ins Leben gerufen wor- den war. Der Wahlsieg der „Volksfront“ 1936 legte den Grundstein für massive Eingriffe in die unternehmerische Freiheit der Bankiers, nachdem bereits in der Bankenkrise 1931 der Staat sehr aktiv in die Krisenbewältigung eingegriffen hatte. Die Ergebnisse von Untersuchungsausschüssen Ende der 30er Jahre zeigten ebenso wie Regierungsanalysen nur zu deutlich in Richtung Verstaatli- chung der Banken.

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2.2.4 Nachkriegszeit

Bereits seit den 40er Jahren war versucht worden, die Beziehungen zwischen Banken und Unternehmen von lästiger Konkurrenz freizuhalten: Unterneh- menskredite wurden durch einen „Bankenpool“ vergeben, in dem der Anteil je- der Bank aufgrund von Verhandlungen von Banken- und Industrievertretern festgelegt wurde; sowohl Preiskonkurrenz als auch jegliche Innovation im Lei- stungsangebot der Banken wurden so erfolgreich verhindert. Abschluß der be- reits vor dem Krieg initiierten Reformen war dann nach Kriegsende 1945 die Verstaatlichung der Pariser Großbanken und die Einrichtung von Kontrollme- chanismen, die das Schatzamt faktisch zum Träger der bankbetrieblichen Kre- dit- und Geschäftspolitik machten. In der Tat lenkte der Staat die verfügbaren Mittel vollständig entsprechend der politischen Zielvorgabe in die jeweils be- vorzugten Sektoren der Wirtschaft. Die gesetzliche Einteilung der Banken in Emissionsbanken, Depositenbanken und Institute mit Spezialisierung auf mit- tel- und langfristige Kredite tat ein Übriges zur Einschränkung des Wettbe- werbs.

Es ist eigentlich müßig, die Phase der Modernisierung des französischen Bank- wesens ab etwa den 60er Jahren nachzuzeichnen: Beginnend mit der Ein- schränkung der Spezialisierungsvorschriften ist hier „lediglich“ der Weg von einem veralteten, leistungsschwachen und staatlich gelenkten Bankensystem zu einem neuzeitlichen, umfassend funktionsfähigen Bankwesen zu konstatie- ren. Politische Umfeldveränderungen haben maßgeblich dazu beigetragen, obgleich auf der Seite der Industrie die in weiten Teilen noch bestehende staatliche Dominanz die Beziehungen zu den Banken entscheidend bestimmt hat. Erst mit der Privatisierung sowohl der Banken als auch der maßgeblichen Industriekonzerne ist in jüngster Zeit eine Normalisierung des institutionellen Umfelds und damit auch der gegenseitigen Beziehungen festzustellen.

2.3 Deutschland

2.3.1 Frühe Industrialisierung und Gründerzeit

Die Beziehungen zwischen Banken und Industrie beginnen – wie sollte es an- ders sein – auch in Deutschland mit der Gründung von Industrieunternehmen in der Phase der Industrialisierung. Banken gab es mit unterschiedlichen Auf- gabenbereichen schon lange zuvor: Die technische Entwicklung vom –vorwie- gend – Agrarstaat zur Industrienation führte nun aber zur Entstehung von grö-

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ßeren Unternehmen, die viel höheren Kapitalbedarf aufwiesen als in den land- wirtschaftlich und handwerklich geprägten Wirtschaftsräumen zuvor der Fall.

Bemerkenswerterweise waren es – abgesehen von Ausnahmen wie Bankhaus Oppenheim und A. Schaaffhausen’scher Bankverein bei Krupp – nicht die deut- schen Banken, die dieses Kapital zur Verfügung stellten; vielmehr waren belgi- sche und französische Kapitalgeber die ersten Financiers, die den nicht aus Ei- genmitteln finanzierbaren Spitzenbedarf abdeckten. Deutsche Banken waren lediglich als Vermittler engagiert. Die generell große Zurückhaltung der Banken änderte sich erst um 1870 durch die Aktivitäten der Berliner Disconto-Gesell- schaft, die erstmals neben der Vermittlung von Staatspapieren auch das Konto- korrentkredit- und das Depositengeschäft auszuüben begann. Parallel zum Entstehen industrieller Kernbereiche vor allem im Ruhrgebiet entwickelten in der Folge vor allem die Berliner Aktienbanken ein solches Engagement im In- dustriegeschäft sowohl als Teilhaber als auch im Kreditgeschäft, daß sie im Zusammenwirken mit alteingesessenen Privatbankiers das industrielle Finan- zierungsgeschehen weitgehend kontrollierten.

Dabei ist es nicht abwegig, angesichts der geringen Anzahl der in diesem Ge- schäft aktiven Banken von kartellartigen Strukturen zu sprechen, innerhalb de- rer die Entscheidungsmacht über das industrielle Geschehen allein bei den Bankvorständen zu suchen war. Diese Einbindung war für die betroffenen Un- ternehmen keineswegs nur von Nachteil: So hatte zwar keines die Fähigkeit, eine völlig eigenständige Unternehmenspolitik zu verfolgen, aber ebenso war unter der Klientel der großen Aktienbanken selbst in der „Großen Depression“

oder „Gründerkrise“ seit etwa 1873 kein Bankrott zu verzeichnen.

In der Gesamtbetrachtung ist so zu konstatieren, daß trotz periodenbezogen deutlich unterschiedlicher Entwicklungen die Einflußnahme der Banken auf die Industrie und die industrielle Entwicklung im Deutschland des 19. Jahrhunderts sehr groß war. Dies findet seine Ursache in der Bedeutung der Banken als Financiers des Industrialisierungsprozesses, in dem die Unternehmen – anders als in anderen Ländern – nicht in ausreichendem Umfang auf vorhandene Mit- tel zurückgreifen konnten und somit die Rolle der Banken zum einen als un- mittelbarer Kapitalgeber, zum anderen aber auch als Transformator kurzfristi- ger in langfristige Mittel unverzichtbar war.

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2.3.2 Jahrhundertwende und Vorkriegszeit

Ab etwa 1880 führten Auseinandersetzungen bezüglich der weiteren politi- schen Vorgehensweise zur Protektion der deutschen Wirtschaft zu einem Auf- begehren der bis dato von den Banken dominierten Industrieunternehmen und damit zu größerer Selbständigkeit. Zu dieser Entwicklung trugen die weiter zu- nehmenden Konzentrationstendenzen in der Industrie bei mit dem Ergebnis derartiger Unternehmensgrößen, daß die Banken sich ihrerseits zur Deckung des Kapitalbedarfs in Syndikaten zusammenschließen mußten. Die Initiative im Konzentrationsprozeß verlagerte sich mehr und mehr zur Industrie; die Banken konnten allenfalls sehr globalen Einfluß ausüben. Diese Entwicklung verstärkte sich in der Phase der großen Konzerngründungen: Hatten sich Verflechtungen zuvor meist als 1:1-Beziehung dargestellt, zogen etwa in den Aufsichtsrat der Gelsenkirchener Bergwerks-AG Vertreter von gleich drei Großbanken ein, die auch untereinander recht unterschiedliche Interessen hatten.

In der Zeit vor dem ersten Weltkrieg begannen die großen Industrieunterneh- men zudem, sich die beginnende Internationalisierung der Kapitalmärkte zu- nutze zu machen. In dem Maße, wie Emissionen auf dem internationalen Markt stattfanden, sank die Bedeutung einzelner deutscher Banken, die das ver- langte Kapitalvolumen aus eigener Kraft nicht mehr oder nur noch im Rahmen von Kooperationen bereitstellen konnten.

Gleichwohl führte die Stellung der Großbanken in der Gesamtwirtschaft dazu, daß der globale Einfluß der Banken auf die Geschäftspolitik der Unternehmen insgesamt zunächst dennoch als hoch zu bezeichnen war. Dazu trug neben der nationalen und internationalen Verflechtung der Banken mit anderen Banken und mit Industrieunternehmen über Konzernbildung und Anteilsbesitze nicht zuletzt ihre Tätigkeit bei der Vermittlung von Staatsanleihen bei, die ihnen eine dominante Stellung am nationalen Kapitalmarkt sicherte.

2.3.3 Zwischen den Weltkriegen

Nachdem die staatliche Finanzierung von Rüstungsaufträgen den Unterneh- men in unmittelbarer Vorkriegs- und Kriegszeit „satte“ Gewinne und entspre- chende finanzielle Polster verschafft hatte, war das Finanzierungsgeschehen in Deutschland in der Zeit zwischen erstem und zweitem Weltkrieg maßgeblich von gesamtwirtschaftlichen Einflüssen geprägt.

So führte in der Zeit von 1919 bis 1923 der Versuch der Unternehmen, Gutha- ben durch Transferierung ins Ausland vor dem Währungsverfall zu schützen,

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zu intensiveren Kontakten mit ausländischen Banken. In der Zeit der Hyperin- flation und des Kapitalmangels insbesondere zur Zeit der Währungsumstellung in Deutschland spielten denn auch Kredite ausländischer Banken insbeson- dere für die Schwerindustrie eine bedeutende Rolle. Das Verhältnis deutscher Banken zur Industrie war in dieser Zeit gekennzeichnet durch scharfe Konkur- renz der Banken untereinander und im internationalen Kontext, die von den Unternehmen konsequent zur Diversifizierung ihrer Bankverbindungen ausge- nutzt wurde. Vielfach belegt sind die aus heutiger Sicht eher verwunderlich bis naiv anmutenden Beschwerdebriefe von Bankvorständen an Unternehmen mit dem Ziel, den Umfang der Geschäftsbeziehung zulasten anderer Banken aus- zuweiten; die veränderten Machtverhältnisse werden aus recht „coolen“ und di- stanzierten Antworten der Industrievorstände denn auch allzu deutlich identifi- zierbar.

Dies kann allerdings keine Allgemeingültigkeit beanspruchen: Bestes Gegen- beispiel ist wohl das Verhältnis zwischen Deutscher Bank und Mannesmann, wo es erstere bereits im 19. Jahrhundert vermocht hatte, ihre „institutionellen Brückenköpfe“ so gut zu verankern, daß die Dominanz umfassend blieb. Eine Auslandsemission beispielsweise durfte Aufsichtsratsprotokollen zufolge mit Zustimmung der Bank nur deshalb erfolgen, weil diese selbst nicht in der Lage war, den Kapitalbedarf am nationalen Markt zu decken.

2.3.4 Wiederaufbau der Industrie nach dem 2. Weltkrieg

Die Auswirkungen der Währungsreform nach dem zweiten Weltkrieg, die Re- gulierung des Kapitalverkehrs mit dem Ausland und nicht zuletzt die Zerschla- gung der Großbanken ebenso wie von Teilen der Industrie führten dazu, daß sich Beziehungen nur auf sehr niedrigem Niveau entwickeln konnten. So waren die regionalen Einheiten der Großbanken nicht leistungsfähig genug, den Be- darf der Industrie an Bankleistungen zu decken; und selbst wenn sie es in or- ganisatorischer Hinsicht gewesen wären, so reichte das gesamtwirtschaftliche Kapitalaufkommen aufgrund der nur spärlichen Spartätigkeit kaum aus.

Nachdem durch das Großbankengesetz 1952 in Form der Dreier-Lösung wie- der funktionsfähige Größenordnungen für die bankbetriebliche Betätigung ge- schaffen worden waren und dank bereits kräftig sprudelnder Steuereinnahmen der Staat keinen hohen Marktkapitalbedarf hatte, konnten sich die Banken ver- stärkt auf die Finanzierungsbedürfnisse von Industrie und Handel konzentrie- ren. Etwa ab 1957/58 gingen die Banken dann die letzten Schritte zur Normali- sierung. Mit dem Wiederzusammenschluß der Großbanken, der Liberalisierung

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des Kapitalverkehrs, aber auch dem „Sparwunder“ konnten die Banken nun- mehr ihre Position als Financiers der Industrie voll zurückgewinnen: dies einer- seits durch ihre Emissionstätigkeit im Aktien- und Anleihengeschäft, anderer- seits durch die Herauslegung von Schuldscheindarlehen, also in der direkten Fremdfinanzierung, aber nicht zuletzt durch ihren Beitrag zur Internationalisie- rung der Wirtschaft und die Unterstützung des Auslandsgeschäfts. Einherge- hend mit den „Volksaktien“-Begebungen Ende der fünziger Jahre ist dann aber auch die allmähliche Hinwendung zum Privatkunden zu konstatieren, die die bis dahin allein auf die Firmenkundschaft konzentrierten Interessen deutlich verschob.

Entscheidend für das Verhältnis von Banken und Industrie war die Entwicklung des Euromarktes, der völlig neuartige Wege der Fremdkapitalbeschaffung er- öffnete. War der nationale Kapitalmarkt bis dahin fest in der Hand der deut- schen (Groß-) Banken, so kamen diese auf dem Euromarkt eher als Nachzüg- ler an. Auch für Unternehmen, deren Finanzierungsvolumen bisher für inter- nationale Anleiheemissionen zu gering war, wuchs zu gleicher Zeit mit dem Entstehen dieses Geld- und Kapitalmarktpotentials tendenziell die Unab- hängigkeit von herkömmlichen Finanzierungen der Banken und damit die Un- abhängigkeit insgesamt; das Schlagwort „Desintermediation“ kam auf. Diese Entwicklung ging einher mit dem Trend fort von der Hausbank-Beziehung, dem

„relationship banking“, hin zum „deal-based“ oder „transactional banking“: Statt mit nur einer oder wenigen Banken wurden Transaktionen aufgrund jeweiliger Konditionen mit dem im Einzelfall günstigsten Anbieter getätigt.

Obwohl wir nunmehr in den achtziger Jahren angelangt sind und daher nur noch schwer von „historischer Entwicklung“ die Rede sein kann, will ich die

„tour d’horizon“ doch kurz zu Ende führen.

Große Industrieunternehmen verfügen heute in einem solchen Ausmaß über li- quide Mittel, daß sie bei den Banken Gelder kaum mehr aufnehmen, sondern vielmehr anlegen. Die geschäftliche Beziehung ist also nicht mehr die frühere Beziehung eines Financiers zu seinem Schuldner, sondern eine solche gleich- berechtigter Partner. Der Trend zum „transactional banking“ hat sich teilweise dahingehend umgekehrt, daß nun nicht mehr ein Institut, sondern eine Gruppe von Banken – die „core-banks“ – Hausbankfunktionen wahrnimmt. Die tenden- zielle Verlagerung der bisherigen Geschäftsbeziehungen schlägt sich nicht zuletzt auch darin nieder, daß große Industrieunternehmen zunehmend bisher an Banken übertragene Aufgaben – wie cash management oder auch die Ab- satzfinanzierung – im eigenen Hause erledigen und zu diesem Zwecke konzer-

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neigene Banken – „corporate banks“ – ins Leben rufen oder zumindest für ei- gene Zwecke spezielle Abteilungen im Rahmen eines „inhouse banking“ be- treiben.

Von diesen Veränderungen in den bankgeschäftlichen Umfeldbedingungen weitestgehend unbeeinflußt blieben personelle Verknüpfungen. Da „personelle Netzwerke“ eine Tendenz haben, sich selbst zu erhalten, ist es nicht weiter verwunderlich, daß die gegenseitige Verbindung über vielfältige Aufsichtsrats- und Beiratsposten nach wie vor ein Ausmaß besitzt, das aktuell wieder zu poli- tischen Willensbildungsprozessen ebenso Anlaß bietet wie der heute wie da- mals wohl oft überschätzte Anteilsbesitz der Banken.

Kaum möglich ist es, bereits abschließende Untersuchungen anzustellen über die Beziehungen zwischen Banken und Industrie in den neuen Bundesländern.

Spezifisch in den Fällen, in denen westdeutsche Unternehmen durch Neuauf- bau oder Übernahme Expansionschancen nutzten, konnte die Beziehung zwi- schen Konzernmutter und jeweiligen Hausbanken zur Finanzierung not- wendiger Investitionen genutzt werden. Allerdings scheint es noch verfrüht, für den seltenen entgegengesetzten Fall der „echten“ Neugründung oder Privati- sierung ostdeutscher Industrieunternehmen ohne westlichen Konzernrückhalt bereits generelle Aussagen zu treffen.

2.4 Zusammenschau

Versucht man nun schließlich, die Ergebnisse der historischen Betrachtungen gleichsam „auf einen Nenner“ zu bringen, so fallen trotz sehr unterschiedlicher Rahmenbedingungen doch vergleichbare Verhaltensmuster auf.

Wenn intensive Beziehungen zwischen Banken und Industrieunternehmen überhaupt entstanden sind, dann haben sie ihre Grundlage in der Entste- hungsphase der Unternehmen oder Unternehmenskonglomerate dann, wenn einerseits ein von Banken zu deckender langfristiger Finanzierungsbedarf vor- liegt und die Banken andererseits willens und in der Lage sind, diesen zu dek- ken. Als Resultat aus dem sehr unterschiedlichen Volumen der unterneh- mensexternen langfristigen Finanzierung in England und Deutschland ergeben sich somit bereits erste Erklärungsansätze.

Wie sich am Beispiel Frankreichs zeigen läßt, ist dies nur teilweise auf die tra- ditionellen bzw. bevorzugten Geschäftsfelder der Banken zurückzuführen: Zwar waren die englischen Banken ebenso wie die etablierten französischen Insti-

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tute aus ihrer normalen Geschäftstätigkeit heraus nicht in der Lage, langfristige Finanzierungen sicherzustellen, aber das Beispiel Frankreichs zeigt, daß bei entsprechendem marktlichen Druck und den mittlerweile überall ausreichend leistungsfähigen Kapitalmärkten die Nachfrage der Unternehmen sich ihr Ange- bot in Form der Neugründung entsprechend tätiger Banken selber schaffen konnte.

Dabei ist Alternative zur bankmäßigen Fremdfinanzierung die Vermittlung von Kapital über Finanzmärkte: Diese Funktion erfüllten denn auch die Banken, die nicht entsprechende eigene Ausleihungen disponieren konnten, bereitwillig. Al- lerdings blieb dieser Markt vorzugsweise sehr großen Unternehmen vorbehal- ten und war zur Finanzierung echter Neugründungen nicht geeignet. Ent- sprechend war eine Zweiteilung festzustellen mit guter kapitalmäßiger Versor- gung großer und – auch öffentlich kritisierter – Vernachlässigung kleinerer und mittlerer Unternehmen.

Die Intensität der Beziehungen wiederum läßt sich – abgesehen vom Fall der Kapitalbeteiligung – erklären aus dem Grad der finanzwirtschaftlichen Verbun- denheit. Dieser ist naturgemäß umso größer, je höher die Abhängigkeit des Unternehmens von der Bank ist — oder auch umgekehrt. Zunächst ist zu ver- muten, daß bei einer langfristigen bankmäßigen Finanzierung die Intensität der Kontrollbeziehungen höher ist als bei einer kurzfristigen, und ebenso höher als bei einer reinen Vermittlungstätigkeit der Banken an Kapitalmärkten.

Ebenso liegt die Vermutung auf der Hand, daß bei einer exklusiven Beziehung der Kontakt intensiver ist, als wenn das Unternehmen es vermag, eine Mehr- zahl von Banken gegeneinander auszuspielen, „Bankpolitik“ zu betreiben. Die- se Erkenntnis vermag die Machtverschiebungen zu erklären, die in Deutsch- land dann festzustellen waren, als die 1:1-Beziehungen zwischen Banken und Industrieunternehmen vermehrt zugunsten von Bankenkonsortien zurückgin- gen.

Drittens ist zu vermuten, daß die Intensität der Beziehungen mit ihrer Langfri- stigkeit steigt. Dies mag daran liegen, daß in diesem Falle zu den finanzwirt- schaftlichen Verbindungen auch personelle Liaisons hinzutreten. Die Voraus- setzung einer Mindestdauer der Beziehungen kann als Erklärung dafür dienen, daß vor allem in Frankreich angesichts beständiger Umstrukturierungen und Veränderungen des Marktumfeldes im Bankwesen langfristige Verbindungen gar nicht erst oder kaum entstehen konnten.

Versucht man, ungeachtet dieser externen Einflußfaktoren die Art der Verbin- dung zwischen Banken und Industrie nachzuzeichnen, so könnte man zu dem

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Ergebnis gelangen, daß die deutschen Banken nach einer Phase intensiver Fi- nanzierungsaktivitäten nunmehr wieder eine Tätigkeit ausüben, die an den Be- ginn der Betrachtung zurückführt: die Vermittlung von Kapital über Kapital- märkte. Diese Tätigkeit ist diejenige, die sich wie ein roter Faden ebenso durch die gesamte Bankengeschichte in England und Frankreich hindurchzieht.

Wenn man weiterhin versucht, aus diesen Aussagen Rückschlüsse auf die Ge- samtheit der Beziehungen – also auch der nicht finanzierungsmäßigen – zu ge- winnen, so stellt sich neben der Frage der personellen Verknüpfungen folge- richtig die Frage nach Art, Richtung und Ausmaß der Einflußnahme, also ver- kürzt die Frage nach der Macht. Diese scheint offenbar eine spezifisch deut- sche Fragestellung zu sein: So wird in England und Frankreich eher das man- gelnde Engagement von Banken in der Industrie kritisiert und in Deutschland demgegenüber ein allzu großes. In der historischen Entwicklung könnte letzte- re Einschätzung etwa darin gründen, daß gleichsam als Überbleibsel früher sehr viel intensiverer und von Banken dominierter Beziehungen ein „Old Men’s Network“ durch persönliche und personelle Verbindungen das Geschehen in der deutschen Industrie bestimmt.

3 Resumee

Mag es für den Historiker nun insgesamt ausreichend sein, eine vergangene Entwicklung nachzuvollziehen, so fragt der Ökonom möglicherweise eher nach einer Bewertung mit dem Nebenziel, Konsequenzen aus der Historie ziehen zu können für die zukunftsorientierte Gestaltung der Beziehungen zwischen Ban- ken und Industrie.

Generell muß offenbar hingenommen werden, daß bei einer engen geschäftli- chen Zusammenarbeit insbesondere bei der langfristigen Kapitalversorgung von Unternehmen immer auch Einfluß entsteht, der seiner Art und seinem Ausmaß nach unerwünscht sein kann. Es zeigt sich, daß das deutsche Univer- salbankensystem der engen geschäftlichen Kooperation, aber auch der Ein- flußnahme durch Banken auf Industrieunternehmen zuträglich war und ist. Auf der anderen Seite werden erst so Finanzierungsfazilitäten eröffnet, die von der Beschaffenheit der Kapitalmärkte weitgehend unabhängig und vergleichsweise wenig krisenanfällig sind, so daß auch bei schwierigen Umfeldbedingungen ei- ne Kapitalversorgung der Industrie sichergestellt werden kann.

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Die Beantwortung der Frage, ob die gerade in „krisenfesten“ Beziehungen fast zwangsläufig entstehende Einflußnahme durch die Banken durch administrati- ve Regelungen zu steuern ist, obliegt allein der politischen Willensbildung. Der geschichtliche Vergleich der drei Nationen und eine dem gegenübergestellte Beurteilung der industriellen Strukturen in England, Frankreich und Deutsch- land gibt jedoch insgesamt durchaus Anlaß zu der Aussage, daß sowohl die deutschen Banken als auch die deutsche Industrie mit dem bestehenden Sy- stem wirtschaftlich nicht schlecht gefahren sind.

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