Die erdichtete Inschrift von Singan Fii.
\'on Prof. jVeuiuann.
Die Spanier und Portugiesen begnügten sicb nicht mit der
Eroberung der entdeckten Länder; sie begnügten sich nicht mit
mässigen , mit erträglichen Abgaben der neuen Unterthanen. Diese
fanatischen , haihbarbariscben Völker drückten die uoglücklicheu,
ihres Besitzthums beraubten Eingebornen in geistiger und in kör¬
perlicher Beziehung zu Sklaven herab. Die weltlichen und geist¬
lichen Zwingherren unterstützten und halfen sicb gegenseitig; ein
inniges Band umschlang die offenkundige und geheime Polizei,
die offenkundige und geheime Inquisition. .\lle Mittel waren gut,
dem Pürsten gemäss, wie ihn Macbiavelli mit erschreckender
Wahrheit schildert, wenn sie nur zum erwünschten Ziele führten.
Gegen die schwachen Barbaren gebrauchte man Gewalt, in Ame¬
rika, auf den Inselgruppen der Pbilippinas und den Molukken.
Gegen die starken und zahlreichen Culturvölker in Indieu und
China ward, um auch dort dieselbe staatliche und geistige Knech¬
tung zu erreichen, jeder nur ersinnbare Lug und Trug aufge¬
boten. Als die sichersten Werkzeuge, als die treuesten Gehülfen
bewährten sich auch hier die bekannten Meister dieser Künste,
die Jesuiten.
Dem chinesischen Volke ist nie ein Gott erschienen ; von einer
Offenbarung ist bei ihm keine Spur. Das Wort Gott, Seele,
Geist als etwas von der Materie Unabhängiges und sie willkür¬
lich Beherrschendes kennt die chinesische Sprache gar nicht.
Juden, Moslims und Christen sind gezwungen, für ihren Gott
eine Zusammensetzung zu bilden, Tientschu, Herr des
Himmels, weil Tien allein blos den materiellen Himmel, oder
den wie jedes andere Wesen mit seiner Urkraft begabten Raum
bedeuten würde. Ein einziges Band umschlingt nach den Ansich¬
ten der Weisen dieses Landes alles Seiende, das Reich der Natur
und das Reich des Geistes; der Bruch, die Störung der ange¬
messenen Thätigkeit eines Gliedes bringt Unordnung in die ganze
Kette der Wesen. Die geistigen uud moralischen Kräfte gebieten
aber den physischen; wer Tugend und Sitte beleidigt, stört die
glückliche Ordnung der Elemente; er bringt Unheil über die Ge-
IV. Bd. 3
34 Neumann , die erdichlele Itisehrifl ron Sivgati I'n
sellscliuft und ist ilir dcsLalb voriintn'orllicli. So innig isl diusci Ideengang mit der Spraclie selbst verwacbsen, dass es iinni()!>'lieli ist, die ersten Verse der (icnesis obiie weitlaulige l'inscbreibunt^
ins Cbinesiscbe zu übersetzen.
Die Jesuiten verfubren nun in China, in Indien und in vielen
andern Ländern, wie die Apostel und die Kirche selbst im I^aufe
vieler Jahrhunderte. Man wusste, dass des Menschen (Jeist, seine
durch Geschichte, Erziehung und Unterricht eingeprägte Ricbtung
durch äussere Ceremonien nicht umgeformt werden könnte. Man
suchte deshalb sich zu assimiliren ; man suchte dem Profanen
einen anderen Sinn unterzuschieben und das Cbristlicbe mit den
vorhandenen Ansichten und Gebräuchen auszugleichen. Die Jesui¬
ten beriefen sich, wenn sie den deutlichen lleweisen ihrer («egner
nichts mehr entgegenstellen konnten, nicht selten auf dieses Ver¬
fahren der Kirche; häufig führten sie den Spruch Pauli im Munde:
„Ich komme, um Euch den unbekannten Gott zu deuten." Die
evangelischen Sendboten kommen mit grossem Eifer für ihren
Glauben und mit grosser Scbulgelchrsanikeit ausgerüstet; sie pre¬
digen Gottes Wort und die Geheimnisse des Glaubens; sie über¬
tragen die Schrift in alle Zungen und verbreiten sie nach allen
Richtungen. Sie überlassen nun dem göttlichen Gärtner die .Sorge,
diesem ausgestreuten Samen zu einem glücklichen H'arhsthuni zu
verhelfen. Ganz anders der Jesuit. Er nimmt die Person eines
Geistlichen und Weisen des Landes an, in dem er predigt; er
buhlt um die Gunst der Fürsten und Machthaber, sucht sicb ibnen
durch allerlei Mittel gefällig zu machen, um Einfluss in Staats¬
und Regierungsgeschäften zu erlangen. Aucb Reichtbum gewährt
Ansehen; deshalb suchte der Orden durch weltliche und geistliche
Verrichtungen, durch Handel und Vermächtnisse so viel Geld
und Güterbesitz uls möglich zu erwerben. Mit welch anderem
Nachdrucke predigt den höheren Classen wie dem gemeinen Volke
ein reicher, ein gebietender Mann! Welch ein weites Feld war
überdies eiuem Orden, durch die listige von Pascal in seinem
fünften Briefe gebrandmurkte Kunst des Probabilisinus in die
Hände gegeben! FUr Alles, für das Gute wie für dus .Schlechte
lassen sich Gründe, lässt sich die Zustimmung irgend eines Leh¬
rers auffinden; allen Leidenschaften, aller Selbstsucht, ja wenn
die Ankläger der Jesuiten nicbt übertreiben, allen \'erbrecben war
dadurch Thor und Thür geöffnet, namentlich in einem so fernen
Lande wie China und Indien. Die Jesuiten besassen, wie römisch¬
katholische Geistliche uns erzählen, in Peking eine Menge Häuser
und Läden , die sie vermietheten ; sie lebten , so namentlich der
Astronom und Stückgiesser Adam Schall ') aus Köln (1591—1669),
1) Memoires Iiistoriques sur les affaires des Jesuites avec lc Sainl Siege.
A Lisbonne 1766. III. S. 612. Hiervon sagt natürlich Kemnsnt nichts in seinem Leben SchalVs. Das Kanoocngieisen der Jesaiten vertheidigt der Professor
Neumann, die erdichtete Inschrift von Singan Fu. 35
mit ihren Kehsweibern in ihren eigenen Häusern und erfreuten sich
der Söhne und Töchter. Den Befehlen der Päpste gehorchten sie
nur so weit, als sie ihren Absichten dienten, Waren die Legaten
des römischen Hofes zu selbstständig oder zu ehrlich, so wurden
sie von Gefängniss zu Gefängniss geschleppt und am Knde vergiftet.
Die Begleiter des Kardinals Tournon haben die Jesuiten in meh¬
reren Schriften dieses Verbrechens angeklagt ').
Der mit der grössten Krbitterung geführte Streit über die
sogenannten chinesischen Gebräuche ward durcb die Art und Weise,
wie die Jesuiten sie vertheidigten , in einen rein wissenschaft¬
lichen umgewandelt, und deshalb kann er von Niemandem, der
Uber die Geschichte des menschlichen Geistes in China Unter¬
suchungen anstellt, umgangen werden. Ehe noch fremde Ordens¬
leute in den Zwist sich mischten, waren die Jesuiten seihst über
die religiösen Ansichten der Chinesen getbeilter Meinung. Ricci
gab wohl zu, dass die jetzigen Chinesen durchaus Atheisten wären;
doch hätten die Alten unter dem Namen .Schangti den erhabe¬
nen , unsterblichen Gott angebetet. Vorstand der chinesischen
Mission nach Ricci wurde der Sicilianer Nicotaus Longobardi , er
kam nach China 1597 und starb zu Peking 1654 — ein scharf¬
sinniger, sehr gelehrter Mann, wie seine Schriften zeigen und
namentlich die Abhandlung über einige Punkte der chinesischen
Religion °). Longobardi ist der Ansicht, dass die Chinesen nie
und zu keiner Zeit, Gott den Allmächtigen erkannt hätten;
er hat seinen Satz mit solch überwiegender Geisteskraft und Ge¬
lehrsamkeit verfochten, dass man nicht begreift, wie von irgend
einer Seite her etwas Erhebliches dagegen eingewendet werden
könnte. Des beiligen Gehorsams ungeachtet, den jeder Jesuit
seinen Obern schuldig ist, erschütterten die Gründe Longobardi's
doch so viele fromme, in die ganze Politik des Ordens nicht
eingeweihte Väter, dass der dritte Vorsteher der Mission, der
Nachfolger Longobardi's , der Portugiese Ilurtado, seines Vorgän-
am College de France durch die Gewalt der Umstände. Was lässt sich da¬
durch nicht alles vertheidigen !
1) Mem. hist. a. a. 0. .S, 601. Dies ist übrigens ganz übereinstimmend mit den Lehren ihrer Casuisten vom Meuehelmord , von dem Gehorsam gegen den Papst und die ökumenischen Synoden. Pascal's unsterbliche Briefe ent¬
halten alle Zeugnisse.
2) Longobardi's Werk, das anch Leibniz sebr schätzte, findet sich im Originale bei Kavnrcttc : Tradatos historicos , politicos, ethieos y religiosos de la Monarcbia de China. Madrid 1676. fol. 276 S. Louis de Cid, apo¬
stolischer Vicar zu Siam und Japan, hat dieses Büchlein, wie er selbst sagt, in seiner Lettre au.v R. R. P. P. Jesuits sur les idolatries de la Chine (o.J.) S.27 in das Französische übersetzt und es ward gedruckt unter dem Titel:
Traile sur quelques points de la religion des Chinois , par le R. Pere Longo¬
bardi. Par. 1701. Man hat auch einen Leipziger Nachdruck davoo, mit An¬
merkungen von Leibniz in dem zweiten Bande seiner vermischten Briefe.
Leipzig 1735.
3 •
3G Neumann , die erdichlele Inschrift von Singan ru.
gers Werk ins Fcuer werfen liess, «m alien unntifzen Griilieleien
und Gewissensbissen mit einem Male ein Ende zu machen '). Der
Orden erklärte sich \pn nun an für die sogenannte alte Weisheit
der Chinesen, die sie aus irgend einer antediluvianischen Verbin¬
dung mit den bibliscben Erzvätern gerettet hätten. Andere stiegen
nur bis zur Sündfluth empor und meinten, Noe's Kinder seien die
ersten Weisen des Landes gewesen; noch Andere wollten zwi¬
scben Jao, IVoe oder gar Jehova ganz besondere Aebniichkeiten
linden — so leicht lindet man, was man sucht und wünscht.
Wo ist aber diese alte Weisheit der heiligen Erzväter bei
den Chinesen zu suchend Man sehe nur zu, sagte der Orden,
die Wörter Tien, Ti und Schangti in den King bedeuten
keineswegs, was die heutigen atbeo-politischen Gelehrten darunter
verstehen; diese Ketzer sind herabgesunken vou der erhabenen
Weisheit ibrer Ahnen, die alten Chinesen erkannten ihren Gott,
den Schöpfer des Himmels und der Erde. Es erheischt wobl
einen bedeutenden Grad von Selbstgefühl , um uns keines härtern
.Ausdrucks zu bedienen, einer der weisesten Nationen der Erde
gegenüber geradezu die Behauptung aufstellen zu wollen: sie
habe das Verständniss ihrer alten Urkunden verloren ; sie sei im
Laufe der Zeiten von der hoben geistigen Ausbildung ihrer Ahnen
herabgesunken und den Schlingen des Bösen anheinigefalleri.
Bedenkt man noch, dass seit den ältesten Zeiten (>escliichte und
Moral das Lieblingsstudium der Nation ist, dass zu keiner Periode
dieses ältesten Reiches der Erde die Literatur und alte Tradition
ganz vernachlässigt wurde, dass auch unter Todesgefahren derea
Reste in dem Gedäcbtniss des Volkes und durcb den Eifer der
Gelehrten treu der Nachwelt überliefert wurden; bedenkt niaa,
dass diese Reste selbst für die Gelehrtesten der Nation höchst
schwierig und in einzelnen Stellen ohne die bei älteren Auslegern
sich vorfindenden Traditionen ganz unverständlich wären: erwägt
man dies Alles reiflich, so gehört wohl keine geringe Vermessen¬
heit dazu, etwas in diesen .Monumenten finden zu wollen, was
von Niemandem und zu keiner Zeit darin gefunden wurde. Mit
Recht erwiderten deshalb die Gegner der Jesuiten, dass die Väter
den alten Chinesen einen Glauben angedichtet hätten, der ihnen
niemals in den Sinn gekommen wäre
Wie aber die frommen Väter die alten Texte ihren Absiebten
gemäss zu verfälschen suchten, davon möge ein Beispiel hinrei¬
chen. In dem ersten Abschnitt des .Schuking, Jaotien d. h.
Norm des Jao überschrieben , beisst es nach der wörtlichen gram¬
matischen Uebersetzung des chinesischen Textes: „Der Kaiser
1) Louis de Cice in dem angef. .Sehreilien S. 29.
2) Varo, estratio del trattato cirea il eulto , ofTerte, riti ehe pralticano i Chinesi etc. In Colonia. 1700. 8. S. 270. Dasselbe sagen aueh Btisilius de Glemona uud der liischor Kavarette.
Neumann, die eidiehlele Insehrifl von Singan Fu. 37
(.lao) s|)i-acli: IcIi will ilin ( ileo Scliun) prüfen durch die Ver-
laittcluiig des Weibes; icb will sehen, ob er g-ezügelt wird
verniitfelst zweier Frauen ; ich will ihn geben und überliefern
zweifFrauen nach Knei-jui (dem Wohnorte .Schun's). „Haus¬
frauen heget Hochachtung", sprach der Himmelssohn, „und
ehrt den tiatten." Die Ausleger sagen, es handle sich hier von
den zwei Töclilern Jao"s, die namentlich aufgeführt werden,
welche dieser seinem erwählten Nachfolger, um ihn zu prüfen,
ob er zur Regierung des Reiches tauglich sei, zur Ehe gegeben
bätte. Die Chinesen kommen immer, wenn von diesen Dingen
die Rede is( , uuf dieses älteste Beispiel der Vielweiberei zurück,
und ihre Roniunscbreiber gebrauchen häufig aus einer Nachahmung
Juo's eine doppelle Hciratli , um die Geschichte zu einem glück¬
lichen Ende zu bringen. Alan kann sich leicbt denken, dass den
Missionaren dieser Text nicbt wenig verbasst sein musste. Die
Jesuiten suchten ihn durcb eine Erklärung zu umgehen; erl,
sagte der Jesuit Aieni , heisse nicht zwei sondern die zweite;
es kümmert ihn wenig, dass in diesem Falle die Ordinal-Fartikel
ti, welche die Stelle des deutschen te und des griechischen %og
vertritt, nicht fehlen dürfte. Glaubt man nun dem Berichte des
Jesuiten MagaiUans, so bätte diese der gemeinsten Regel der
Grammatik widersprechende Erklärung hei den einheimischen Ge¬
lehrten vielen Beifall gefunden '). Der \ta.\\<inQ.r Julius Aleni war
übrigens ein sebr gelehrter Munii. Er kum 1613 nacb Cbiua und
starb zu Fo tsc heu, der Hauptstadt des Kreises Fokien 1650.
In dem Verzeichuiss der Väter des Jesuitenordens werden vier¬
undzwanzig Schriften aufgeführt, die er in chinesischer Sprache
geschriebeu habe, wovon einige mehrere Bände umfassten. Darunter
ist auch eine Beschreibung aller Reiche auf Erden in fünf Bänden ^).
Ein Mittel war noch übrig, um die gebildeten Klassen und
den grossen Haufen des Mittelreichs noch mehr an sich zu ziehen:
Es sollte nämlicb der Wahn verbreitet werden , die berühmtesten
Himmelssöline der Vorzeit hätten dem Cbristentbum gehuldigt.
Man fühlt, welche Wirkung solch ein (iluube bei einem Volke
äussern würde, welches die Vergangenheit, das Beispiel der Alt¬
vordern , znm Muster nimmt für alle Zukunft, und sich verpflichtet
hält hiernach zu denken und zu handeln. Die Christen, sagt der
Jesuit Semedo ^), hatten scbon lange gewünscht, ein solches
Zeicben des Glaubens ihrer Ahnen zu besitzen. Nun sehe man
(liottes Hand deutlich an der Entdeckung des .Steines von Singan;
Gott wollte augenscheinlich die Neugeborenen in der Religion
bestärken.
1) lti-lalii)ii (Ii; la Cliiiii-. l'aris l(i8K. 4. S. Man .sehe auch des ge lehrten und ehrlichen Giiuliil's INolu zu der Stelle des Schuking 10. Nr. 1.
2) Catalogus am Ende dor Astronomia Europaea. Dilingae 11)87. S. 107.
.3) Hisl. uiiiv. dc la Chine. I'ar. I(i45. S. '.'16 Uer Stein wurde angeblich lt)25 gefunden.
1
38 Neumann , die erdichtete Inschrift vun Sinyan Fu.
l)uH cbinesiscbe Reicb wur niemuls^in bliibenderem Zustande,
als in den ersten Jubrbunderten des Herrscberbuuses der Tung;
uur die Zeiten der Uun -Dynastie mügen mit ibnen verglichen
werden. Beide erfreuen sich aucb gleicher Gunst in dem An¬
denken der nachfulgenden Geschlechter. Hansebin, Tang-
schin, Leute der Han, Fleute der Tang nennen sich die Chi¬
nesen in ihren poetischen Erzeugnissen, wenn sie mit besonderem
Nachdruck, mit stolzem Selbstgefühle sprechen. Zu diesen Zeiten,
wollte man sie nun gluuben muchen, hätte dus Cbristentbum sich
eines grossen Anhanges, einer vollkommenen Freilieit in ihrem
Lande erfreut; ihm wäre sogar von den grössten Staatsmännern
gehuldigt und seine Lehre von drei hochverehrten Himmelssöhnen
der Tang gepriesen Worden. Dies ist der Endzweck der er¬
dichteten, mehr, als sie es verdient, besprochenen Inschrift von
Singan, worin erzählt wird, Ol open aus Tatsin sei während
der Regierung T a i ts o n g, des zweiteu Himinelssobues der Tang
(635) nach der damaligen Residenz Tschangugan, später
Singan genannt, gekommen. Taitsong hätte zur Verherr¬
lichung der christlichen Religion (638) ein Kabinetsschreiben er¬
gehen und eine Kirche gründen lassen. Sein Sohn und Nach¬
folger, Kaotsong, hätte befohlen, dass im ganzen Reiche
Kirchen gebaut würden. Unter der Regentin Wuheu, welche
nach den amtlichen Jahrbüchern alle alten guten Sitten vernichten
und selbst das Herrscherhaus der Tang stürzen wollte — sie
wird nur unter Verwünschungen vun den Chinesen erwähnt —,
musste natürlich buch das Cbristentbum, der alte Glaube des
Reichs, verfolgt werden. Die buddhaistischen Mönche, die ent¬
schiedensten Gegner Ricc^s und seiner Genossen , lässt man auch
damals an der Spitze der Feinde des Christenthums stehen. Liegt
es doch in der Natur der Dinge, dass ein Mönchthum, ein auf
demselben Grunde der Verduminung auferbautes, herrschsüchtiges
Pfaffentbum der neu sich erhebenden Nebenbuhlerin feindlich ent¬
gegentritt. Hiuentsong, den die amtlichen Jahrbücher als einen
trefflichen Fürsten schildern , erkannte natürlich auch die Herrlich¬
keit des Glaubens aus Tatsin; die Lehre des Olopen erfreute
sich seines Schutzes während der langen dreiundvierzigjährigen
Regierung (713—756). Sutsoiig, sein schwacher Sohn und
Nachfolger (756—763) baute neue Kirchen und Taitsong (763
— 780) opferte Weihrauch in diesen Gotteshäusern. Tetsong,
unter welcheu vorgeblich der Stein errichtet wurde, gewährte
den Christen , gewährte der fremden , dem ganzen chinesischen
Wesen feindlich gegenüber tretenden Religion seinen mächtigen
Schutz , und zwar blos in Nachahmung des Beispieles seiner herr¬
lichen ruhmgekrönten Ahnen.
Diese der chinesischen Schriftkunde und allen ihren Ge¬
schichtsquellen Hohn sprechende, plumpe Erfindung konnte natür¬
lich auf die gebildeten Bewohner des Mittelreichs keinen Ein-
Neumann, die erdichtete Inschrift vvn Sinf/an Fu. 39
Jruck. iiiaclicn. Wussten sie tlocli , class die Charaktere des achten .luhrliuiulerts von den modernen der Inschrift vollkommen verschie¬
den waren! Wussten sie doch aus ihrer I.iandcsg'eschichte , dass
diese erliahencn Herren, welche, wie die Inschrift verkündet,
Kirchen gebaut und Cabinetsbefeble zum Schulz und Ruhme des
Evangeliums erlassen haben sollen, die treuesten Anhänger der
Schule und Lehren des Kongtse gewesen sind! Wussten sie
doch, dass die Sammlung aller Erlasse aus den Zeiten der Tang
— sie findet sicb unter meinen chinesischen Itüchern in der Huf-
und Staatsbibliothek zu München — nuch nicbt die entfernteste
Anspielung auf diese erdichteten liefehle der Himmelssöline ent¬
halte ! Diese Chinesen baben deshalb das Mährlein vom Steine
zu Singan verachtet; sie, die grossen Freunde von Alterthümern
jeder Art, haben die Inschrift in keine ihrer zahlreichen Samm¬
lungen , wo sie selbst Denkmäler in .Scbriftzeichen und Sprachen,
die sie nicht mehr verstehen, abbilden, aufgenommen. Das um¬
fassende Rücherverzeichniss des Kienloiig ,,Alle Bücher
der vier Magazine" überschrieben, kennt kein Werk über
dieses, wenn es ächt wäre, einzige Denkmal der chinesischen
Geschichte. Unbegreiflich scheint es aber, dass sich mehrere
europäische Gelehrte, die in der That nach Wahrheit forschten,
von solch einein sichtbaren Betrug täuschen Hessen. Itemusat und
Sainl-.Marliii zählen hier uicbt. Sie waren zu sehr dem Ordens-
Interessc und den innig damit verbundenen reactionären Bestre¬
bungen der zweiten Restauration ergeben , um die Untersuchung
über die Aeclitheit dieses Denkmals mit klarem, unbefangenem
Blicke führen zu können. Itemusal können wir überdies in meh¬
reren anderen wissenschaftlichen Fragen, wie man bei der Darstel¬
lung seines Lebens und seiner Schriften zeigen wird, selbst von
einer absichtlichen Fälschung nicht freisprechen. Schon die blosse
Angabe des Inhaltes wird jeden Kundigen von dem absichtlichen
Betrüge überzeugen. Man denke sich nur, unterrichtete Männer
des westlichen Asiens , des byzantinischen Reiches und der übri¬
gen damals bekannten Welt; man denke sich, siebzig Geistliche,
die im syrischen Theile der Inschrift namentlich aufgeführt wer¬
den, wissen von deu westlichen Ländern der Erde nichts .Anderes
zu berichten als die Missverständnisse und Abentheuerlicbkeiten
der chinesischen .lahrbücher! Noch mehr, Mar Jazedbuzid , der
angebliche Sohn eines Geistlichen aus Balk , welcher das Denkmal
(781 u. Z.) errichtete, nennt sich Cliorepiscopus von Chumdam ;
dann ein gewisser Gabriel, Archidiaconus von Chumdam und Sa¬
raga — , Städte die niemals in Chiua vorbanden waren und aucb
gar nicht vorhanden sein konnten, indem der Laut r den Chinesen
fehlt und kein Wort anf m sich endigt. Sar und Chnm sind
in der Sprache des Jao und Schun unerhörte Laute! Warum
nun diese zwiefache Unwissenheit oder richtiger dieses Anklam¬
mern an der zwiefachen Unwissenheit , an der des Westens und
40 Neumann , die erdichlele Inschrift von Singan Fu.
Ostens? Der Geograph Ptolemäus erwähnt der Stadt Saragä
im südlichen China und die byzantinischen Annalisten sprechen
von einem Chubdan ') im Mittelreiche, ein Name, der gleichwie
Fakfur in diesem Lande niemals existirt hat. Chubdan ist
aus Kongtien verdorben und bedeutet Hof, Palast, während
Fakfur die persische Uebersetzung ist von Tientse, Him¬
mels sobn. Der jesuitische Betrüger aus Portugal, welclier sein
Syrisch unter den nestorianischen .Syrern in Dekkan erlernte, wo
er auch die Sagen von der Verbreitung des Cbristenthums im
östlichen Asien und die syrischen Namen des Steines gehört ba¬
ben mochte, dieser Mann, es ist wahrscheinlich der P. Alvares
Semedo selbst (f 1658), schrieb aber in auffallender Vergessen¬
heit statt Chub oder Kong: Chum, weil im Portugiesischen
der Buchstabe m am Unde der Sylben wie ng ausgesprochen wird.
So wollte man auf der einen .Seite durcb Krinnerung an bekannte
Namen und Laute den Westen hintergeben! Sonst würde wohl
der christliche Priester China's, wie heutigen Tages geschieht
und aucb ganz natürlich ist, die .Städte seines Sprengeis milden
einheimischen chinesischen Namen bezeichnet haben. Die Chinesen
suchte man in anderer Weise zu betrügen. Krst lehrte man sie,
das Land Tatsin ihrer Jahrbücher sei Judäa und im weiteren
Sinne verstehe man alle Länder der Christenheit darunter; dann
wurde Vieles den Beschreibungen "^ratsins (nach den Jahr¬
büchern der Tang und Wei) entnommen und in das Denkmal
übertragen.
Man höre nur nochmals die angeblichen Christen und nesto-
rianisch-syrischen Geistlichen aus dem achten Jahrhundert unserer
Zeltrechnung! ,,Die Dreieinigkeit, der Oloho oder Kleb, die
tiefste Kiiisicht, der Krste des Krsten , selbst ohne Anfang, hat
alle Wesen aus dein I..eeren geschaffen in höchster Vollkommen¬
heit und Reinheit. Siebe, .Satanas machte das Vollkommene man¬
gelhaft und bcscbmuzte die Reinheit. Dieser Kleb hat auch das
Kreuz geformt als Sinnbild der vier Theile der Welt." Ks scheint
diesen Geistliclieu also Amerika bereits bekannt zu sein oder der
Fälscher fügte sich dem Aberglauben des gemeinen Chinesen ,
welcher glaubt, die Krde sei eine viereckige Platte. „Ks ent¬
standen 365 Arten des Irrglaubens, die den rechten Weg ver¬
loren und lange in Finslerniss umherirrten. Nun hat aber die
Dreieinigkeit mit ihrem Körper den wundervoll ehrwürdigen Mes-
1) XorliSuf. i\eaniunii. Die Völker des siidlieheii Russlaiids. S. 114. Welch ein IJewebe von liclriigiieien und Verfälschungen der zu entwirren bekommt welcher sich mit dem ticliiebe der Jesuiten beschäftigt, lehrt dieses einzige Beispiel. Hat doch der Jesuit Kircher mehrere Worte des syrischen Theiles der Inschrift erdichtet, um zu beweisen, dass auch ägyptische und äthiopische Sendboten das Christenthum nach China verbreitet haben. Confictae omnino a Kirchero hae voces, sagl ausdrücklich Assemani bibliotheca orienlalis III.
V. II. Dissen. DXLVII.
Neumann , die erdichtete Inschrift von Singan Fu. 4 1
sias umkleidet. Ein Weib g-ebar den Heiligen in Tatsin, ein
Gestirn verkündete den GlUcklicben und Posse — Persien, so
lautet der Name in den JahrbUcbern des Mittelreicbs — scbautc
das Liebt und überbraclite den Zins. Dieser Messias hat die
alten Gesetze, in den Schriften der 24 Heiligen entbalten, zu
einem Ganzen gerundet und im Geiste der Dreieinigkeit die Re¬
ligion gegründet. Am bellen Tage stieg er zur Wahrheit empor
und 27 Bücher der Schriften wurden hinterlassen" ■).
„Ein Mann hervorragender Tugend, Olopen geheissen, aus
dem Reiche Tatsin, beobachtete die blauen Wolken und merkte
auf die Normen der Winde, um alle Schwierigkeiten und Gefahren
zu besiegen. Er brachte diese wahrhaftigen Schriften. Im neun¬
ten Jahre des Zeitraumes Tschingkuan (635 u. Z. ) kam er
nach Tschangngan. Der Himmelssohn Taitsong sandte
seinen ersten Minister entgegen um Olopen in den Palast zu
führen, wo die Schriften im Buchersaal übersetzt wurden. Olo¬
pen verehrte die Bücher und die Bilder dem erhabensten Hofe.
Taitsong (627—649) pries ihren Inhalt in glänzenden Worten ;
er befahl in der Nähe der Residenz einen Tempel des Reiches
Tatsin zu errichten und Wohnungen für 21 Priester! Kaot¬
song, sein Nachfolger (650—683), erhob Olopen noch höher;
er machte ibn zum höchsten Wächter des Gesetzes, das sich nun
über alle Theile des Reiches verbreitete. Und neue Tempel wur¬
den auf Befehl anderer Himmelssöhue der Tang errichtet!"
Nun sollte aucb durch geschichtliche Thatsachen den Chine¬
sen gezeigt werden, dass das Christenthum der ursprüngliche
Glaube ihrer Ahnen gewesen. Um dies zu erreichen, nimmt man
zu einem andern Truge die Zuflucht; man deutet an, die Lehre
des Lao tse und die des Evangeliums sei eigentlich dieselbe.
Lao tse soll nämlich nach einer bekannten Sage gen Westen
gezogen sein; in der Person des Olop.en, wird im Stein ange¬
deutet, sei er jetzt wieder nach dem Mittelreiche zurückgekehrt.
Dies ist der .Sinn der folgenden etwas räthsclhaften Worte : „Die
Tugend des ehrwürdigen Herrscherhauses der Tscheu erlosch
und der blaue Wagen — auf einem solchen fuhr Lao — ging
nach dem Westen; die Weisheit der grossen Tang erglänzte
und die wundervolle Sitte ■— die Religion des Olopen — erhob
sich wieder im Morgenlande."
Der Jesuit lässt die nestorianisch - christlichen Priester ihre
Heimath beschreiben. Jeder Denkende setzt natürlich voraus, sie
1) Ich weiss nicht, ob die Syrer, und namentlich die Neslorianer, in der That scbon die Schriften des alten und neuen Testaments so eingetheilt haben. Die Stelle , welche Eichhorn (Einleitung in das A. T. Leipzig 180.3.
I, 133.) aus Hieronymus anfuhrt, seheint in Betreff des A. T. dem Stein zu widersprechen. 'Die Schrift wird dort nach den Buchstaben des Alphabets, das gleich sei bei den Hebräern , Syrern und Chaldäern , in 22 Büchern ein¬
getheilt.
42 Neumann . die erdichlele Insehrifl ciin Singan h'u.
würden die Länder des westlichen Asiens und des byzantinischen
Reiches sammt dem Wege vtmi AVesten gen Osten so darstellen,
wie sie sind und wie sie ibnen bekannt sein mussten. Nimmer¬
mehr! Sie beschreiben diese Gegenden mit den Worten der Jahr¬
bücher der Han und Wei, und es ist dies in der That eine
wunderliche Erdkunde. ,,l)as Reich Tatsin umfasst gen Mittag
das Korallenmeer; im Westen gränzt es ans Land der Unsterb¬
lichen am Blumenwalde. Gen Aufgang erhebt sich ewiger Wind
uud rinnt das schwache Wasser. Raub und Mord sind hier un¬
bekannt; die Menschen leben in Frieden und Freude uudvman wählt
den Tüchtigsten zum König und Herrscher."
Die Insebrift von Singan ist hiermit in das zahlreiche \'cr-
zeichniss der sogenannten frommen Betrügereien eingetragen ;
Niemand, der sich und die Wissenschaft achtet, darf von nun an
dieses Document uls eine historische <tuelle betrachten; konnte
sich doch gelbst der fromme Claude Visdelou (1656—1737), wel¬
cher die Trugschrift seinen Genossen mit grosser Gelehrsamkeit
und vielem Scbarfsinn erläutert, sich einiger Bedenken und Zweifel
niclit enthalten. Dieses schwache Wasser und mehreres Andere,
sagt der wackere Mann im Verlaufe seiner Erläuterungen , sind
natürlich chinesische Märchen '), welche die Syrer, um den
Chinesen zu schmeicheln, durch ihr Zeugniss bekräftigen
mochten. Aber, wird man einwenden, es wurden ja die Könige
im byzantinischen Reiche nicht gewählt? Man bedenke nur, dass
die Chinesen den Westen zur Zeit der Consularrcgieruiig kennen
lernten und wähnten, sie daure nocb fort nach dreihundert und
seihst nach tausend Jahren. Und auch dieser historischen Un¬
wissenheit schmeichelten die Syrer im vorletzten Jahrzehent des
achten Juhrhunderts durch ein falsches Zeugniss ! Wenn wir uuch
dies Alles, wenn wir uuch das Unmögliche, das Widersprechend¬
ste, die Trug- und Lugkünste der nestorianischen Syrer zugeben,
was konnten sie für einen Grund hahen , uns in ihren Schriften
die Geschichte des wenigstens hundertundfiinfzig Jahre dauernden,
zum grossen Theil blühenden Zustandes der chinesischen Christen¬
heit vorzuenthalten —, eine Geschichte , die, wäre sie wahr, ihnen
zur grössten Ehre gereichen würde ( Warum kennen sie keinen
Olopen, keinen der siebzig Sendboten — die mystische Zahl
wäre allein schon hinreichend , Verdacht gegen die Aechtbeit des
Steines zu erregen —, die sich mit den jetzigen syrischen Chu-
rukteren nicbt in Estrangbelo, welches im achten Jahrhundert in
Gebrauch war, unterzeichnet haben? Warum hat endlich keiner
der Geistlichen , welche doch wobl das Mittelreich von einem
Ende zum anderen durchzogen, um allenthalben, angeblichen Ca-
binetsbefehlen gemäss, Kirchen zu errichten, warum hat gar keiner
dieser westlichen Männer die grosse Entdeckung eines gewaltigen
1) d'Ilerbelul, BihliuibOiiuc oriculalc. \ la Haje 1779. U. 4:.:0.
Neumann , die erdichlele Inschrift ron Singan Fu. 43
Culturreiclies iin Osten und der benaclibarten Lander, der Mon¬
golei und Mandschurei , Korea's und Japan's , seinen Zeitgenossen
niitgetbeilt ? Welche Gründe könnten sie zu dieser übermensch¬
lichen Entsagung eines für sie und ibre Kirche so ausserordent¬
lichen Ruhmes bewogen haben? Doch genug hiervon. Man war
nur deshalb so ausfüiirlich , weil man glaubte, den syrischen Chri¬
sten, welche von den Jesuiten und der portugiesischen Inquisition
so furchtbare Verfolgungen erlitten — sie sind in einem eigenen
Abschnitte unserer Gescbichte des englischen Reiches
in Asien verzeichnet —, weil man glaubte dem syrischen \'olke
es schuldig zu sein, den Itetrug, welchen die Söiine Loyola's
ihm aufbürden wollten , in einer Weise uuf ihre Urheber zurück-
zuschleudern , die keinen Widerspruch gestattet. Hierdurch ist
auch eine seit Jahren übernommene Schuld abgetragen '). — *)
1) Kennder , allgem. Gesehichtc der chrisllicheii Heligion und Kirclie.
Hamb. 1834. III. 179.
*) Auf den cbinesiscben und syrischen Te.xt dur Inschrift hülfen wir in
einem späteren Hefte der Zeitschrift zurückzukommen. D, Ked.
II.
Ans Dschaini's Licbesliedcin.
■Von Fr. Rackert.
(S. Bd. II. S. ir.
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Antwortbrief.
Nacb dem Gruss will icb ein Zeicben meiner Liebeswebn dir
reichen ,
Doch all meine Worte reichen nicht zu eines Wehes Zeichen,
Dir zu schildern mein Verlangen ist das Buch zu End gegangen
Meines Lebens, doch gegangen nicht zu End' ist mein Verlangen.
Trostlos wie ich bin, betreten darf ich selbst nicht deine Stäten;
Dieses Blatt hab' ich gebeten, meine Stelle zu vertreten.
Welch Geschenk werd' icb dir geben, wenn ich sehn dich darf,
mein Leben ,
Da ich längst mein baares Leben in der Trennung ausgegeben !
Betten willst du dich aufs Augenlid, wenn du mir kommst im
Traum ?