468
Die altabessinische Inschrift von Matara.
Von Eduard Glmer.
In den Bendiconti der Reale Accademia dei Lincei (Sitzung
vom 17. Mai 1896) hat Hen-Dr. C. Conti Rossini eine höchst
merkwürdige Inschrift veröffentlicht, welche für ihn von dem nach¬
her in der Schlacht von Adua gefallenen Capitano Antonio Rossini
bei Matai'ä, nnweit von Senaffe, copirt wurde.
Die vierzeilige Inschrift hefindet sich an einem 5,6 Meter hohen
Obelisken, welcher oben das Zeichen der Mondsichel mit
darüber (darin) gemeiseltem kleinen Kreise (Sonne
oder Stern) zeigt, besteht ans rein axumitischen (nicht Ijim-
jsn-ischen) Buchstaben ohne jede Vocalbezeichnung und
verläuft nicht von rechts nach links, sondem wie alle bisher be¬
kannten axumitischen Inschriften, soweit sie nicht mit himjarischen
Zeichen geschrieben sind, und die Handschriftentexte, von links
nach rechts.
Herr Conti Rossini erblickt in dieser Insohrift mit Recht das
älteste bis jetzt bekannte Denkmal axumitischer Schrift. Doch
scheint er zu irren , wenn er annimmt , dass diese Insohrift das
Vorhandensein eines axumitischen Alphabets in der vorchristlichen Zeit Abessiniens beweise , was er aus den heidnischen (sabäischen) Emblemen erschliesst.
Da dieses heidnische Emblem auf den sabäischen Denkmälera
schon in den ältesten Zeiten aiuftritt nnd bis ungefähr zur Mitte
des vierten Jahrhunderts, höchstens bis 370 nach Chr. beobacbtet
■wird, so steht einstweilen Eines fest: die Inschrift von Matarä
kann nicht später als im 4. Jahrhundert gemeiselt sein; denn
nach dieser Zeit sind sowohl in Arabien als auch in Abessinien
die Embleme christlich. Damit &llt die von D. H. Müller auf¬
gestellte Hypothese von der Entstehung des axumitischen Alpha¬
bets im fünften Jahrhundert in sich zusammen, und es handelt sich
nur noch dämm, ob ich Recht habe, wenn ich in meinem Buche:
„Die Abessinier in Arabien und Afrika' die Bildimg des axumi¬
tischen Alphabets der Mitte des rierten Jahrhunderts und den
nächstfolgenden zwei Jahrzehnten zuweise. Ich glaube, ja.
Znnächst liegt die Einwendung nahe, die Inschrift von Matarä
könnte weit älter sein als diese Epoche, da das heidnische Zeichen
ja weit in's Alterthum hinaufreicht. Darauf erwidere ich aber,
dass alle bis jetzt bekannten älteren Inschriften, die man in
464 Glaser, Die altabessinische Inschrift von Matarh.
Abessinien gefunden hat, rein sabäisch sind und von rechts
nach links verlaufen, so insbesondese die Fragmente aus Jeha und
neuerdings eine für mich von Grenerallieutenant Baratieri auf oder
unweit von den Ruinen Koloe's copirte Obeliskeninschrift, die
ganz den Habitus (sogar auch den einen oder andern Eigennamen)
der Inschriften von Jeha aufweist, also aus derselben Zeit wie
diese stammt. Bei oder in Koloe liegt ja auch Matarä, der Pund¬
ort des Rossinischen Obelisken. Des weiteren wissen wir, dass
auch die Bilinguis des Königs Aizanas (Mitte des 4. Jahrhunderts)
auf der semitischen Seite des Steines noch die sabäischen Buch¬
staben, wenn auch schon axumitische Sprache, aufweist und ebenso
auch die um .Weniges jüngere Inschrift Bent II. Erst in den beiden
Rüpellschen Inschriften, die, wie ich nachgewiesen habe, nicht nach
378 geschrieben sein können, begegnen wir nicht nur axumitischer
Sprache, sondern auch schon axumitischer Schrift u. z. einer schon
mit Vocalisation versehenen Schrift, die von links nach rechts ver¬
läuft. Die Inschrift von Matarä, ihres heidnischen Zeichens wegen
überhaupt nicht später als in das 4. Jahrhundert zu setzen , ist
also älter als die beiden Rüpellinschriften und wahrscheinlich jünger
als die Bilinguis des Aizanas und als die Inschrift Bent II. Als
das Wahrscheinlichste werden wir annehmen können , dass sie
etwa gleichzeitig mit Bent II ist und in die Zeit der
ersten Versuche zur Schaffung eines von links nach
rechts verlaufenden Alphabets fällt. Diese Reform der
Schrift ist nach wie vor den christlichen Missionären zuzuschreiben,
welche um die Mitte des 4. Jahrhunderts und kurz nachher nach
Abessinien kamen, vielleicht direet dem Frumentius, nachmaligem
Bischof von Axum. Die Inschrift von Matarä beweist durch ihre
heidnischen Abzeichen nur, dass die Schriftreform leichter und
schneller Eingang fand als die christlichen Anschauungen. Gross
aber war das Zeitintervall, das die Einführung des Christenthums
von der Reform der Schrift trennt, gleichwohl gewiss nicht. Das
eine folgte dem andern auf dem Fusse, wie wir aus den Rüpell¬
inschriften ersehen , die aus ganz anderen , nämlich historischen.
Gründen nicht nach 378 angesetzt werden können und deren eine
(Rüpell II) ganz evident christlich ist. Bis dahin war also auch
schon die Vocalisation der reformirten Schiift durchgeführt. Die
Inschrift von Matarä, zugleich ein Denkmal des auf dem Felde
der Ehre gefallenen Antonio Rossini, ist also der älteste
Denkstein der axumitischen Schrift, die in ihren nun
bekannten ältesten vocallosen Formen deutlich verräth, dass nicht
ausschliesslich das sabäische Alphabet als Vorlage
diente, sondern vielfach auch andere semitische
Alphabete der damaligen Zeit, die den christlichen Re¬
formatoren Abessiniens geläufig waren.
München, im Juli 1896.
m
Neue Materialien zur Litteratur des Ueberlieferungs-
wesens bei den Muhammedanem.
Von Ignac Ooldziher.
I.
Die im Islam kanonisches Ansehen geniessenden Hauptwerke
der 9adlt-Litteratur sind hereits seit geraumer Zeit in gedruckten
oder lithographirten Ausgaben allgemein zugänglich. Es sind dies
durchgehends jener Classe von Hadit-Sammlungen angehörende Werke,
die man mit den Orientalen selbst am besten Musannaf-Samm-
lungen nennt.
Von den Musnad -Sammlungen war bisher auch im Orient
nichts der Oeffentlichkeit übergeben. Obwohl auch die in Hand¬
schriften zugänglichen spärlichen Materialien allerdings hinreichten,
uns auf Grund derselben in litterarhistorischer Hinsicht einen
correcten Begriff von der Stufe des Hadtt-Sammelns zu bilden,
welche die Musnad-Werke darstellen , so ist es doch immerhin er¬
wünscht , jene allgemeinen Kenntnisse durch die Betrachtung eines
abgeschlossenen Werkes dieser Gattung vervollständigen zu können.
Noch im 6. Jahrh. konnte Abü-1-farag ibn al-(jauzl
eine grosse Menge von Musnad-Werken als unmittelbare Quellen
für seine theologischen und historischen Compilationen benutzen
imd 'Izz al-dln ibn al-Atlr (st. 638) führt unter den Quellen¬
schriften , die er für sein Usd al-gäba excei-pirt hatte , ausser den
Hauptwerken der Traditionskimde , noch die Musnad-Sammlungen
von Alimed b. Hanbal, Abü Däwüd al-TajälisI, Abü Ja'lä al-Mausüt
und Mu'äfä ibn 'Imrän auf.*) In späteren Zeiten vrird die directe
Benutzung solcher Werke immer seltener. Excerpte aus denselben
sind zumeist auf Citate , in wenigen Fällen auf unmittelbare Ein-
1) S. darttber die Nachweise von C. Broekelmann in seiner Abhandlung Ihn öauzi's Kitäb al-wafä u. s. w. 9if.
2) Usd al-gäba I, 9—11.
Bd. L. 80
3 4*