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Archiv "Rp. Humanitas ad 100.0 — Brief aus dem Krankenhaus" (18.04.1974)

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igentlich sollte zur Ausbildung des Mediziners ein vierwöchiger stationärer Aufenthalt gehören. In- kognito, versteht sich, Touristen- klasse; ohne Hinweis auf eigene medizinische Aktivitäten. Ohne Fra- ternisierungsempfang, ohne Fach- exhibitionismus. Schlicht als Pa- tient, als irgendwer. Den man ge- sund zu pflegen gedenkt und routi- niert umhegt, dieweil er mit Com- motio oder vegetativer Dystonie aus den zerbeulten Federkissen der Sankt-Pflegeleicht-Krankenan- stalten dem sich bietenden Ablauf eines aufgeklärten, zeitgemäßen Gesundheitswesens auflauert.

Nicht nur für Mediziner erwiese sich ein solcher Exkurs als heil- sam. Das gälte auch für jenen ge- segneten und beneidenswerten Menschheitsteil, der sich Kompe- tenz und Planungsrecht zuschreibt.

Man muß nicht gerade unter der zeitüblichen Nostalgie zu leiden versuchen, wenn man, aufge- schreckt durch einen Augenblicks- eindruck, eine Frage, ein Ereignis, aus der täglichen Anspannung und Routine auf die ungehörige Frage stößt, ob das Krankenhaus, das zeitgemäß konzipierte, das impo- nierend moderne, das eindrucks- voll durchorganisierte, noch pa- tientengerecht sei. Es reicht dabei Nachdenklichkeit.

Die Klassenlosigkeit des Kranken- hauses ist ausdiskutiert. Gut. Kom- fort läßt sich, falls notwendig, be- schaffen. Telefonanschlüsse sind vorhanden, und Speisekarten las- sen sich ohne viel Aufwand druk- ken, wenn es sein muß.

Aber das ist eigentlich nicht die Frage. Die Frage stellt sich viel- mehr aus der Beobachtung, daß, unabhängig von der zeitgemäßen medizingerechten Ausweitung der Klinik, organisatorische, verwal- tungsgerechte Veränderungen das Hospital ergreifen und sich seine Angestellten, an der fürsorglichen Hand von Gewerkschaften, berech- tigterweise in den Arbeitsbedin- gungen unaufhaltsam den Bank-, Stadt- oder Finanzangestellten an- gleichen. Die Veränderungen des

Krankenhauses beziehen sich dem- entsprechend mehr auf Organisa- tion, Rationalisierung, auf Rentabi- lität und Komfort des Arbeitsplat- zes, um konkurrenzfähig, d. h. für Personal erstrebenswert zu sein.

Alles Dinge, die dem Patienten zu- gute kommen sollen. Dennoch: Die Planungen, so scheint es, gehen zwar nicht gerade an dem Patien- ten vorbei, setzen ihn jedoch auch nicht, ihn, den extrem sozial Be- dürftigen, in einen erwarteten hu- man-medizinischen Mittelpunkt. Es bewegt sich alles ein bißchen, so scheint es, an der Frage des Zu- mutbaren entlang, die sich durch Gewöhnung morgen sicherlich be- reits anders, rigoroser als heute, beantworten ließe. Das kranke und damit naturgegeben egozentrische Individuum droht, sagen wir: er- drückt zu werden.

Rp. Humanitas ad 100.0

Brief aus dem Krankenhaus

Das beginnt mit dem beängstigen- den, tausendfenstrigen Klinikbau, der sich in seinem monumentalen Äußeren wie das Hauptverwal- tungsgebäude eines Eisenkonzerns gebärdet und die Erkenntnis des Patienten, hilfsbedürftig zu sein, ins Lächerliche potenziert. Der Einzug zu den Samaritern findet nicht statt. An seiner Stelle gerät man in das Gefüge eines Dienstleistungs- betriebes, der, in entfernter Ver- wandtschaft mit jenen Samaritern, Medizin verwaltet. Das Anrecht auf eine Dreibettenbleibe besteht erst nach Absolvierung eines Kliniksla- loms: Hauptaufnahme, Wartezim- mer, Druckerei, Wartezimmer, La-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen FEUILLETON

bor, Wartezimmer, Labor, Warte- zimmer, EKG, Wartezimmer, Tho- rax.

Dabei sind Notwendigkeiten dieser Art nicht einmal anzuzweifeln. Was allerdings gleichfalls die Frage nach dem patientengerechten Krankenhaus nicht ausräumt.

Die Tagesabläufe schließen sich an. Die Tagesabläufe des Schicht- personals nämlich, aus denen sich schließlich der Patiententag zu- sammensetzt. Das beginnt mit Wecken und Waschungen zur Nachtzeit und hört mit Abendessen am Nachmittag auf, das offenbart sich in dem Hinweis, daß Selters- wasser nur nachmittags ausgege- ben wird.

Schlimmer noch als diese ange- deutete Konfrontation des kranken Menschen mit der Organisation des Krankenhauses ist die zuneh- mende Entfernung der Bezugsper- sonen. Die Stationsschwester, ru- hender Pol der Station, Hauptbe- zugsperson des Kranken, verfolgt mit Recht ihre Arbeitsstundenzahl, geht ins verdiente freie Wochenen- de, nimmt ihren Hausfrauentag in Anspruch, wenn es in ihren Plan paßt, läßt sich ihre notwendigen Überstunden durch weitere freie Tage abgelten. Den anderen Schwestern ergeht es nicht anders, so daß es zunehmend Los der Kranken ist, fremd auf der Station zu bleiben, da die Gesichter nahe- zu wie Tage wechseln. Und ironi- scherweise droht jeder weitere so- ziale Fortschritt diesen Zustand zu verschlimmern.

Die Routine droht das Blickfeld des Arztes für diese Situation des Pa- tienten zu verwischen. Wo ein Arzt wegen des erkannten Problems be- wußt Abhilfe zu schaffen versucht, gerät er in Konflikt mit den eigenen Wünschen nach Verbesserung sei- ner Berufsbedingungen, die, wie auch immer, zeitlicher Natur sind.

Was nun ist wirklich in seinem Sinn?

Ein vierwöchiger stationärer Auf- enthalt - vielleicht - brächte ihm Aufschluß. Dr. med. lvo Starnberg

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 16 vom 18.April1974 1195

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