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Archiv "Man muß eine Antwort geben" (24.06.1983)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen FEUILLETON

Goh Kian Tek war ein noch junger Mann Mitte Dreißig, der seit ein paar Wochen in meine Praxis in Medan auf Sumatra kam. Er hatte eine bösartige Geschwulst, ein Knochensarkom am rechten Ober- arm und den beidseitigen Schul- terknochen. Der Chirurg hatte ei- ne Operation abgelehnt, da die Krankheit schon zu weit fortge- schritten sei. Nun kam er wieder zu mir zurück.

„Bei wieviel Zentimetern werde ich sterben?"

Seine Schulter schwoll immer un- förmiger an, und allmählich wurde er sich der Schwere der Krankheit bewußt. „Jetzt ist der Schulterum- fang schon 120 cm", sagte er. „Bei wieviel Zentimetern werde ich sterben?" Das war eine Frage, die unerwartet kam, und ich wußte ei- nen Moment nicht, was ich sagen sollte. Der Patient hatte die Vision eines Todes, der die Geschwulst an seiner Schulter wachsen ließ und ihren Umfang maß, aber bei welcher Marke der Tod zugreifen würde, wußte niemand.

Es war eine der Fragen, die einem als Arzt begegnen wie ein Schick- sal, und denen man nicht auswei- chen kann. Man mußte eine Ant- wort geben, und man war ganz auf sich allein gestellt. Es gab keine Regeln und Vorschriften, nach de- nen man sich richten konnte, und selbst die Ratschläge wichen von- einander ab und paßten nicht auf den einzelnen Fall.

Die alte Frage

Darf man einem Menschen sagen, daß er sterben wird? Natürlich darf man es nicht, und der Aus-

nahmen von dieser Regel werden sehr wenige sein. Das Wissen um den baldigen Tod, ganz abgese- hen von einem möglichen menschlichen Irren, das man dem Arzt gemeinhin und unlogischer- weise nicht zubilligt, was man aber tun sollte, da er auch nur ein Mensch ist, wird zu einer Bela- stung, die schwer zu ertragen ist und ein unnötiges Martyrium be- deutet.

So weit, so gut! Wie aber, wenn es sich nicht mehr verheimlichen läßt, wenn der Betreffende selbst es merkt, weil die Zeichen sogar für ihn, der keine ärztliche Schu- lung besitzt, zu überdeutlich wer- den? Soll dann der Arzt dagegen Sturm laufen und diese Zeichen als Täuschung hinzustellen versu- chen? Ich fürchte, er wird es nicht können, ohne sich jeden Vertrau- ens, dessen er für die Führung des letzten Stück Weges so sehr be- darf, zu vergeben. Sind es also die Zeichen der Krankheit selbst, de- nen der Arzt folgt, so ist auch die- ser Weg unsicher und der Schwie- rigkeiten voll. Sind nämlich die Zeichen nicht so deutlich, und dies wiederum hängt nicht nur von den Zeichen selbst, sondern auch von der Urteilskraft des Leidenden ab, die ihrerseits wieder durch den Prozeß der Krankheit beeinflußbar ist, so wird der Arzt sie zu verne- beln suchen, so lange es möglich ist, und die Entscheidung, wo die- se Möglichkeit endet, ist nun wie- der in sein Urteil gestellt.

Allein mit sich in allen solchen Fragen, fallen alle Entscheidun- gen auf sein Gewissen und gehen zu seinen Lasten. Und manchmal wird er seufzen und denken, daß sie für die Schultern eines Men- schen zu schwer sind und daß man mehr sein müßte als ein

Mensch, nicht um dieser Lasten willen, sondern um den Kampf zu führen gegen so übermächtige Gegner wie Krankheit und Tod.

Und so sagte ich zu ihm: „Da ist noch lange Zeit. Das Wachstum kann jederzeit zum Stillstand kom- men, das ist durchaus möglich, aber selbst wenn es weitergehen sollte, damit kann man noch eini- ge Zeit leben."

Den Kampf überstanden

Goh Kian Tek saß vor mir am Schreibtisch. Sein rechter Arm stand vom Körper ab wie etwas, das schon nicht mehr recht dazu- gehörte, und unter dem Hemd zeichnete sich die unförmige Schwellung der Schulter ab. Er deutete mit der linken Hand dar- auf. „Ich sehe es wachsen", sagte er, „täglich. Ich habe meine Ange- legenheiten geregelt. Das Ge- schäft führt jetzt mein Bruder, der wird auch für meine Familie sorgen."

Ich nickte und fühlte, daß er den Kampf bereits hinter sich hatte, der den Verzicht auf das Leben forderte. Da war nichts mehr zu trösten. Ich gab ihm die Hand, er lächelte ein wenig, höflich und wie entschuldigend, und wir waren ei- nen Augenblick lang wie zwei Brü- der oder zwei Verschworene.

Acht Tage danach wurde ich von der Familie morgens früh gerufen.

Er hatte sich in der Nacht an den Verstrebungen des Luftschachtes in seinem Zimmer aufgehängt. Als ich kam, war er schon abgenom- men und lag nun da in seinem besten Anzug, den er sich zuvor angezogen hatte. Er war schon Stunden tot, und man mußte ihn lassen, dort, wohin er aus eigenem Willen gegangen war, bevor ihn die Krankheit geholt hätte.

Aus: Walter Fick: „Dr. Jardon", Arztro- man aus Fernost, J. G. Bläschke-Verlag, A-9143 St. Michael, 1980, 22,80 DM

Man muß eine Antwort geben

Ein Berufserlebnis aus meiner Praxis in Medan (Sumatra)

Walter Fick

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 25 vom 24. Juni 1983 65

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