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Archiv "IM ZEICHEN DES HALBMONDS" (28.08.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

I

hre Entwicklung vom kleinen turkmenischen Nomaden- volk zur türkischen Groß- macht begann Ende des 13.

Jahrhunderts. Nach Osman, dem Gründer ihrer Dynastie, nannten sie sich „Osmanen".

Von unstillbarem Expansions- drang im Zeichen des Halbmon- des angetrieben, traten sie in Kleinasien zunächst die politi- sche Nachfolge der Seldschu- ken an. 1326 eroberten sie nach zehnjähriger Belagerung das byzantinische Bursa im nord- westlichen Kleinasien, machten es zur heiligen Stadt und zur Re- sidenz der Sultane. 1394 wurde Bulgarien osmanisch, 1430 folg- te Mazedonien, und 1453 — ein Datum von höchstem histori- schen Rang — eroberten die Os- manen Konstantinopel und er- hoben es unter dem Namen Istanbul zu ihrer neuen, glanz- vollen Hauptstadt.

Die Errichtung eines straff durchorganisierten Zentralstaa- tes im Inneren ging mit perma- nenten Eroberungszügen und unermeßlichen Landgewinnen Hand in Hand. 1521 fiel Belgrad, 1526 unterlagen die Ungarn, und drei Jahre später, 1529, lagen die Türken erstmals vor Wien, mußten jedoch unverrichteter Dinge abziehen. Militärischer Hauptgegner der Osmanen war nun über Jahrhunderte das Habsburger Reich. Die zweite erfolglose Belagerung Wiens durch die Türken, 1683, wird in unseren Geschichtsbüchern als Sieg des Abendlandes über das Morgenland, als definitive Ab- wendung der Gefahr der Islami- sierung ganz Europas, gefeiert.

Von nun an befand sich das os- manische Reich in Europa in der Defensive. Ende des 17. und im 18. Jh. konnten Österreich und Rußland auf Kosten der Osma- nen große territoriale Gewinne erzielen, 1817 errangen die Ser-

IM

ZEICHEN DES

HALBMONDS

Im Mittelpunkt Sultan Mehmet II., der im Jahr 1453 Konstantinopel eroberte

Die Osmanen im Spiegel

ihrer Kunst und Kultur bis Ende Oktober

in der Villa Hügel

Rainer Wick

ben ihre Autonomie und einige Jahre später begann der Auf- stand der Griechen gegen die türkische Fremdherrschaft. Zu Beginn des 20. Jh. war das ein- stige osmanische Großreich auf die Grenzen der heutigen Türkei zusammengeschrumpft, mit Ab- schaffung des Su ltanats 1922 und der Gründung der Republik Tür-

kei 1923 fand die zum Teil beweg- te und bewegende Geschichte des Osmanenreichs nach rund 600 Jahren ihren Abschluß.

Was hier in aller Kürze und mit den unvermeidlichen Vergröbe- rungen referiert wurde, bildet die historische Folie einer reprä- sentativen und ausgezeichnet inszenierten Ausstellung, die zur Zeit unter dem Titel „Türki- sche Kunst und Kultur aus os- manischer Zeit" in der Essener Villa Hügel (bis zum 27. Oktober 1985) gezeigt wird. Die durch zwei Katalogbände hervorra- gend fundierte und dokumen- tierte Ausstellung entfaltet mit ihren mehreren hundert Expo- naten ein großartiges Panorama osmanischer Kunst- und Kultur- geschichte von den Anfängen bis in die Spätzeit. Hilfreich für den Besucher, der sich hier bei aller Einsicht in die vielfältigen kulturellen Verflechtungen zwi- schen Orient und Okzident letzt- lich doch einer fremden For- men- und Geisteswelt gegen- übersieht, ist die klare Gliede- rung der Ausstellung in fünf Ab- teilungen.

Der Großherr und sein Hof Den strahlenden Auftakt bildet die Abteilung „Der Großherr und sein Hof", die einen Eindruck von dem Glanz und der ver- schwenderischen Pracht der Sultane und ihrer Umgebung vermittelt. Flankiert von den Bildnissen anderer osmanischer Herrscher, bildet das Porträt Mehmed II., des Eroberers von Konstantinopel, den optischen Mittelpunkt dieser Abteilung.

Gemalt von dem Venezianer Gentile Bellini, zeigt es das scharfe Antlitz des Herrschers in knapper Dreiviertelansicht, ge- rahmt von einer Bogenstellung im typischen Stil der italieni- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 35 vom 28. August 1985 (67) 2495

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Aus dem späten achtzehnten Jahrhundert stammt diese Darstellung einer Geburtsszene, eine Gouache auf Papier, von Fäzill Enderünl, Istanbul

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kultur der Osmanen

schen Frührenaissance. Kronju- welen, kostbare Gewänder der Sultane und die mit Einlegear- beiten reich verzierte Thron- bank eines Sultans, möglicher- weise die Murads IV. (3. Viertel 16. Jh.), stellen weitere Höhe- punkte dieses ersten Teils der Ausstellung dar.

Historische Karten und alte Stadtansichten von Istanbul im Maßstab 1:1000 sind geeignet, dem aufmerksamen Besucher ein anschauliches Bild vom Ort der Handlung zu übermitteln.

Lediglich ein Einblick in einen Harem auf einer Radierung des frühen 19. Jh. wird hochge- spannten Erwartungen kaum gerecht werden: Von eroti- schem Flair ist in der Darstel- lung des Treibens in einem nüchtern erscheinenden dreige- schossigen Holzgebäude, even- tuell dem Sommerharem des Sultans, jedenfalls nicht zu be- merken.

Die Moschee

und das religiöse Leben

Der Darstellung der islamischen Glaubenswelt ist der zweite Teil der Ausstellung, die Abteilung

„Die Moschee und das religiöse Leben", gewidmet. In einer in- formativen Fotodokumentation wird die Moschee als Bautypus dargestellt, und hinsichtlich ih- rer Strukturmerkmale (etwa Kuppel, Minarett, Portal, Reini- gungsbrunnen, Mihrab) erläu- tert. Größten Einfluß auf die os- manische Sakralarchitektur ge- wann nach einer Eroberung Konstantinopels der justiniani- sche Bau der Hagia Sophia, den die Türken sogleich in eine Mo- schee umgewandelt hatten. So ließ Mehmed II. als erstes mo- hammedanisches Heiligtum der neuen Metropole eine nach ihm benannte Moschee errichten, die ganz offensichtlich dem Schema der Sophienkirche ver- pflichtet ist, und selbst der Hof- baumeister Sinan, der eigent- liche Begründer der osmani-

schen Baukunst, griff noch rund ein Jahrhundert später, in der zweiten Hälfte des 16. Jh., gele- gentlich auf den byzantinischen Kirchenbau zurück.

Die in dieser Abteilung gezeig- ten Exponate — kultisches Gerät aus Bronze, Gebetteppiche, Ko- rankästen, aus Moscheen stammende Fliesen — zeugen von dem hohen Niveau der für die islamische Kunst aufgrund des Bilderverbotes insgesamt charakteristischen abstrakten

Ornamentik, wobei formale Ent- lehnungen aus anderen Kultu- ren, bis hin nach China, freilich unverkennbar sind. So wird man Michael Rogers zustimmen dür- fen, der den Osmanen in seinem Katalogbeitrag eine „wie ange- boren wirkende eklektische Nei- gung" attestiert, die wesentlich dadurch mitbedingt gewesen sein dürfte, da sie auf ihren zahl- losen Feldzügen mit den unter- schiedlichsten Kulturen in Be- rührung kamen und sich durch sie beeinflussen ließen.

2496 (68) Heft 35 vom 28. August 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kultur der Osmanen

Das durchorganisierte Heerwesen

Staat und Religion waren im Os- manenreich eng miteinander verwoben, und der Islam lieferte die ideologische Rechtfertigung für die militärische Expansion der Osmanen. Möglich war die- se nur auf der Grundlage eines gut durchorganisierten Heerwe- sens — so die dritte Abteilung der Essener Ausstellung. Rück- grat des osmanischen Heeres waren über einen langen Zeit- raum die berühmten Janitscha- ren, eine Elitetruppe, die mit Hil- fe der ungewöhnlichen Methode der sogenannten Knabenlese rekrutiert wurde. Das heißt, von den christlichen Untertanen des Sultans wurde im Bedarfsfalle ein Tribut in Form von zwölf- bis achtzehnjährigen Knaben erho- ben. Diese Knaben wurden zum Islam bekehrt, an die islamische Lebensweise gewöhnt und mili- tärisch ausgebildet, bevor sie in das Janitscharenkorps aufge- nommen wurden.

Dem osmanischen Heer gesellte sich schon im 15. Jh. eine immer stärker werdende Flotte hinzu, die den Türken bis ins späte 17.

Jh. die Seeherrschaft über das östliche Mittelmeer sicherte. — Die Ausstellung zeigt neben ei- nem tadellos erhaltenen Zelt aus dem 17. Jh. das gesamte Ar- senal osmanischer Waffen:

Schild und Bogen, Dolch und Säbel, Kettenhemd und Reit- zeug, Streitbeil und Gewehr, al- les edelst verarbeitet und kunst- voll ornamentiert und so über die Ebene bloßer Utilität ent- schieden hinausweisend.

Das tägliche Leben

Dies gilt auch für die Exponate der vierten Abteilung der Aus- stellung, die unter dem Stich- wort „Das tägliche Leben" fir- miert. Hier haben die Verant- wortlichen den Versuch unter- nommen, über den Radius von Hof, Moschee und Militär hinaus

Für die Mittel- und Oberschicht gehörte der täg- liche Besuch des Bades zum guten Ton. Der Kupfer- stich aus dem Jahre 1824 von L. Fuhrmann, Breslau, zeigt die Innenansicht ei- nes türkischen Bades

den zum Verständnis einer fremden Kultur so bedeutsamen Alltag auszuleuchten. Gezeigt werden Gegenstände, die vor al- lem in der städtischen Ober- und Mittelschicht für Körper- pflege und Kosmetik, für Essen und Trinken, für Sport, Spiel, Musik und Theater, für Familien- feste und zur Einrichtung der privaten Behausung gebraucht wurden. Zusätzlich findet der an Numismatik interessierte Besu- cher in dieser „alltäglichen" Ab-

Gold und Edelsteine schmücken diese edle Wasserflasche (16. Jahrhundert)

teilung der Ausstellung eine Iük- kenlose Sammlung türkischer Münzen.

Buch- und Schriftkunst

Eine fünfte Abteilung zum The- ma „Buch- und Schriftkunst"

rundet die Ausstellung ab. In ih- rem Mittelpunkt steht — neben gegenständlichen Buchmalerei- en und nichtfiguralen Illumina- tionen — die islamische Kalligra- phie: Handschriften, denen in ihrer hochgradig artifiziellen Formbildung über das bloß Kommunikative hinaus zweifel- los der Rang künstlerischer Ge- staltungen zukommt. Mag sein, daß der unvorbereitete und des Arabischen unkundige europä- ische Besucher zu diesem Teil der Ausstellung kaum einen spontanen Zugang findet; an- statt sich gleich entmutigen zu lassen, sei ihm die Befragung des lohnenden Katalogs emp- fohlen, der ohnehin als stiller Begleiter durch ein halbes Jahr- tausend osmanischer Kunst und Kultur unverzichtbar erscheint.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Rainer Wick Tränkerhofstraße 43 5303 Bornheim 4

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 35 vom 28. August 1985 (69) 2497

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