Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 25⏐⏐22. Juni 2007 A1817
M E D I E N
MEDIZINGESCHICHTE
Überfällige Korrektur
Im öffentlichen Bewusstsein gelten die Militärmediziner als Sondergrup- pe der Ärzteschaft, die in der NS-Zeit und während des Zweiten Weltkriegs hocheffiziente Leistungen erbracht habe und aufgrund ihres hohen Be- rufsethos bis zuletzt „sauber“ ge- blieben sei. In diesem Licht erschien es auch als angemessen, dass sie per- sonell und institutionell ungebrochen im Sanitätswesen der Bundeswehr fortwirkten. Wer trotzdem Zweifel anmeldete, wurde auf die monumen- tale Dokumentation des ehemaligen Sanitätsoffiziers Hubert Fischer ver- wiesen, in der dieser seiner Berufs- gruppe ein uneingeschränkt positives Denkmal gesetzt hatte.
Mit diesem Mythos wird in dem Sammelband gründlich aufgeräumt.
Er füllt eine wichtige Lücke der kri- tisch-historischen Analyse, die bis- lang zu sehr auf das Wirken der SS- und KZ-Ärzte, der Akteure der Psy- chiatriemorde und der nationalso- zialistischen Funktionsträger in Ge- sundheitswesen und „Rassenhygie- ne“ fokussiert war. Gerade die Mi- litärmediziner – die aktiven Sani- tätsoffiziere und die sie „beraten- den“ Hochschullehrer – sahen im Krieg ein Massenexperiment, das der medizinischen Forschung ein- malige Gelegenheiten verschaffte.
Für sie waren die Soldaten in erster Linie „Menschenmaterial“, dessen Individualität nicht mehr zählte und das sie in hypernationalistischer Verblendung auch dann noch in den Kampf schickten, als ihre physi- schen und gesundheitlichen Reser- ven erschöpft waren. Dabei träum- ten auch Sanitätsoffiziere vom Ideal einer serologischen Differenzierung der Menschenrassen, missbrauchten Lazarettinsassen und Kriegsgefan- gene zu Malaria-Experimenten und groß angelegten ernährungsphysio- logischen Versuchsserien, partizi- pierten an KZ-Versuchsserien zur Giftgasforschung und beteiligten sich aktiv an der Erforschung der biologischen und chemischen Mas- senvernichtungswaffen in defensi- ver wie offensiver Absicht.
Zusätzlich zu dieser überfälligen Korrektur unseres medizinhistori-
schen Geschichtsbilds betreten die Herausgeber dieses Sammelbands Neuland und verweisen auf die künftigen Perspektiven der For- schung. Es geht um die sozialge- schichtliche Vertiefung unseres Wissens über den grausigen Alltag auf den Hauptverbandsplätzen und in den Frontlazaretten, wozu Wolf- gang U. Eckart einen erschütternden
Essay über Krankheit und Verwun- dung im Kessel von Stalingrad bei- steuert, während sich Ulrike Thoms mit der immer prekärer gewordenen Verpflegungssituation der Wehr- macht auseinandersetzt. Und es ist längst an der Zeit, die Geschichte der NS-Medizin in ihren militäri- schen wie zivilen Sektoren verglei- chend zu bilanzieren. Erste Ansätze dazu finden sich in einem Aufsatz von Iris Borowy über die Stellung der Gesundheitsorganisation des Völkerbunds zum Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs und in der schon erwähnten Skizze über die Malariaforschung, in der die Autorin die analogen Aktivitäten des britischen Sanitätskorps als Ver- gleichsmaßstab heranzieht.
Karl Heinz Roth
Wolfgang U. Eckart, Alexander Neumann (Hrsg.): Medizin im Zweiten Weltkrieg. Militär- medizinische Praxis und medizinische Wissen- schaft im „Totalen Krieg“. Schöningh, Stuttgart, 2006, 238 Seiten, gebunden, 34,90 Euro
IN KÜRZE
Medizin/Naturwissenschaft
Clemens-Alexander Greim, Norbert Roewer: Transöso- phageale Echokardiographie für Intensivmediziner und Anästhesisten. 2. Auflage, Thieme, Stuttgart, 2007, 234 Seiten, kartoniert, 49,95 Euro
Timothy C. Marrs, Robert L. Maynard, Frederick R. Sidell (Hrsg.): Chemical Warfare Agents.Toxicology and Treatment.
Wiley, West Sussex, 2007, 750 Seiten, gebunden, 279 Euro
Thomas Grau (Hrsg.): Ultraschall in der Anästhesie und Intensivmedizin. Lehrbuch der Ultraschalldiagnostik.
Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2007, 414 Seiten, gebunden, 79,95 Euro
Simone Claudi-Böhm, Bernhard O. Böhm: Diabetes und Schwangerschaft.Prävention, Beratung, Betreuung vor, während und nach der Schwangerschaft. Springer, Heidel- berg, 2007, 175 Seiten, kartoniert, 39,95 Euro
Klaus-Jürgen Bauknecht, Christa Niedobitek, Fred Nie- dobitek: Die Gründung des Auguste-Viktoria-Kranken- hauses in Berlin-Schöneberg vor einhundert Jahren (1906–2006).Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Schöne- berg. Jacobs Verlag, Lage, 2007, 120 Seiten, kartoniert, 19,90 Euro
Andreas Roth, Rudolf-Albert Venbrocks (Hrsg.): Minimal invasive Hüftendoprothetik. UNI-MED, Bremen, 2007, 168 Seiten, Hardcover, 44,80 Euro
Jörg Busse, Thomas Standl (Hrsg.): Ambulantes Operie- ren.Rahmenbedingungen – Organisation – Patientenver- sorgung. Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2007, 226 Seiten, gebunden, 59,95 Euro
M. Härter, I. Bermejo, W. Niebling (Hrsg.): Praxismanual Depression.Diagnostik und Therapie erfolgreich umsetzen.
Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2007, 182 Seiten, mit CD-ROM, kartoniert, 29,95 Euro
Bernd Hamm, Patrick Asbach, Dirk Beyersdorff, Patrick Hein, Uta Zaspel: Urogenitales System. Pareto-Reihe Radiologie. Thieme, Stuttgart, 2007, 250 Seiten, kartoniert, 49,95 Euro
Angela Schuh: Biowetter.Wie das Wetter unsere Gesund- heit beeinflusst. Beck’sche Reihe, Bd. 2416 Wissen, Verlag C.H. Beck, München, 2007, 128 Seiten, kartoniert, 7,90 Euro
Versorgungsstrukturen
Thomas Müller: DRG-Basiswissen für Ärzte und Kodie- rer.Eine kurze Anleitung. Medizificon Verlag, Mannheim, 2007, 180 Seiten, kartoniert, 18,95 Euro
Manfred Haubrock, Walter Schär (Hrsg.): Betriebswirt- schaft und Management im Krankenhaus.4. Auflage.
Huber, Bern, 2007, 616 Seiten, gebunden, 49,95 Euro
Ina Rösing: Der verwundete Heiler. Kritische Analyse einer Metapher.Asanger Verlag, Kröning, 2007, 280 Sei- ten, kartoniert, 25 Euro
Andreas Frodl: Management-Lexikon für Mediziner.
Fachbegriffe aus Betriebswirtschaft, Arbeitsrecht und Infor- mationstechnologie. Schattauer, Stuttgart, New York, 2007, 432 Seiten, gebunden, 69 Euro
Bettina Salis: Psychische Störungen im Wochenbett.
Möglichkeiten der Hebammenkunst. Urban & Fischer, Elsevier GmbH, München, 2007, 142 Seiten, kartoniert, 24,95 Euro