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Archiv "Humanitas et scientia: Humanitas in der Medizin ein Lernprozeß" (20.12.1980)

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KOSTENVERGLEICH

Zu einer Notiz in Heft 40/1980, Seite 2338, die sich auf die Kosten des Sommerfe- stes des Bundeskanzlers bezieht:

Wo bleibt

die Ausgewogenheit?

. Ich bin auch nicht einverstanden mit solcher Verschwendung. Nur frage ich mich, ob uns deutschen Ärzten da Kritik zusteht, solange wir uns nicht scheuen, uns unser Abendessen bei Fortbildungsveran- staltungen von der Industrie bezah- len zu lassen, was letzten Endes auch über den Preis wieder vom Normalverbraucher getragen wird.

Eine solche Notiz gehört meines Erachtens nicht ins DEUTSCHE ÄRZTEBLATT. Der Ausgewogenheit wegen müßte sonst auch der Bun- despräsident in seiner Ausgaben- f reudigkeit kritisiert werden (die man vom Amt her erklären kann) und vielleicht gar der Papst, dessen Deutschland-Besuch schon mit 20 Millionen veranschlagt wird! Quo vadis?

Dr. med. W. Walther Am Fohrenhang 7743 Furtwangen

Amnesty International

Bei amnesty international wurden bei einem Diebstahl auch Adressen von Kollegin- nen und Kollegen entwendet, die in den letzten Wochen dem „Arbeitskreis Ärzte-Psy- chologen" ihre Unterstützung bzw. Mitarbeit zugesagt hat- ten. Die Interessenten werden gebeten, sich noch einmal zu melden bei:

Dr. med.

D. Schmitz-Burchartz Sprecher der Ärzte im Arbeitskreis

Ärzte-Psychologen Idastraße 65 4270 Dorsten 21

1. Die Situation

und ihre Hintergründe

1. Glaube an

die technische Machbarkeit Der Heidelberger Medizinhistoriker Heinrich Schi pperges hat unter dem Titel „Utopien der Medizin" eine Reihe von Kostproben aus den Fest- vorträgen der „Gesellschaft deut- scher Naturforscher und Ärzte" aus dem 19. Jahrhundert vorgelegt. Sie sprechen alle von einem ungebro- chenen Glauben an die technische Machbarkeit menschlicher Zukunft.

So prophezeite Werner von Siemens 1886 in Berlin: Die Naturwissen- schaften werden die Menschen

„moralischen und materiellen Zu- ständen zuführen, die besser sind, als sie je waren", weil Machtfülle der Wissenschaft die Menschheit auf

„eine höhere Stufe des Daseins" er- hebt. Wir alle wissen, welch impo- nierende Fortschritte gerade das Gesundheitswesen der naturwissen- schaftlichen Forschung verdankt.

Durch eine lange Reihe gezielter Iso- lierungen ist es der Forschung ge- lungen, zunächst den Erreger einer Krankheit zu entdecken, dann den Wirkstoff aus der Droge zu gewin- nen und schließlich die Unabhängig- keit von raren und oft teuren Natur-

stoffen durch Vollsynthetisierung zu erreichen. Die Erkenntnisse in der Hygiene, die Möglichkeiten der Im- munisierung, die Molekularbiologie und die moderne Narkosetechnik haben die gesamte Medizin revolu- tioniert und unser Leben mehr ver- bessert als irgendein anderer Fak- tor. Die Biochemie und die pharma- zeutische Industrie sind an diesen Schritten entscheidend mitbeteiligt.

2. Unbehagen

vor den Auswirkungen des technischen Fortschritts Trotz dieser positiven Erfahrungen hat die Zukunftseuphorie heute eher einem Unbehagen vor den Auswir- kungen des technisch-zivilisatori- schen Fortschritts Platz gemacht.

So stellte Prof. Graul bei der Grün- dung eines internationalen Instituts für medizinische Zukunftsforschung in Marburg fest: „Wir werden uns in zunehmendem Maße bewußt, daß technischer Fortschritt nicht unbe- dingt menschlichem Fortschritt gleichzusetzen ist. Skeptiker mei- nen, daß wir die verbleibenden Jahre zur Jahrtausendwende dazu brau- chen werden, um die negativen Aspekte technisch-zivilisatorischer Entwicklung zu beseitigen." Graul bezieht sich vor allem auf die dem Menschen von der gestörten Umwelt

Humanitas et scientia

Humanitas in der Medizin ein Lernprozeß

Franz Böckle

Humanitas und Scientia gelten als tragende Säulen des ärztlichen Berufes. Sie sollen jedoch nicht minder die pflegerischen Berufe — und letztlich das Krankenhaus wie überhaupt das Gesundheitswesen

— prägen. Heute wird allerdings in weiten Kreisen der öffentlichen Meinung geklagt, die Humanitas sei stetig im Schwinden. Entspricht ein solches Empfinden fragt der Verfasser, Moraltheologe mit Erfah- rungen als Krankenhausseelsorger — der Wirklichkeit? Wenn ja, wel- ches sind die Hintergründe?

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Aufsätze • Notizen

Humanitas in der Medizin

her drohenden gesundheitlichen Schäden. Man muß aber wohl auch die Gefahren sehen, die mit dem me- dizinischen Fortschritt selbst ver- bunden sind. Die Ambivalenz dieses Fortschritts wird heute immer deutli- cher empfunden. Je mehr man dem Arzt die Rolle eines angewandten Naturwissenschaftlers zuweist, um so mehr erscheint das Subjekt Pa- tient als ein Objekt der Behandlung.

Die personale Dimension des Kran- ken droht aus dem Blick zu kom- men. Um ein klares Bild der körperli- chen Vollzüge zu erhalten, sind die subjektiven Einflüsse soweit wie möglich auszuschalten. Die phy- siologischen und pathologischen Funktionen werden in ein Datensy- stem überführt, bei dem es darum geht, bestimmte Grenzen und Ab- errationen zu erfassen. Die Subjekti- vität des kranken Menschen wird im- mer mehr ausgeblendet. Symptom dafür ist der fortschreitende Ver- zicht auf die Sprache zwischen Pa- tient und Arzt. Sie wird durch Orien- tierung an Meßdaten ersetzt.

Es scheint, als ob wir damit über den Dualismus von Seele und Körper, der zu einem guten Teil das natur- wissenschaftlich-technische Zeital- ter eingeleitet hat, noch nicht recht hinausgekommen seien. J. Molt- mann betont: „Für Descartes geriet dem reflektierenden Ich der eigene Körper in den Bereich der objektiv erkennbaren und beherrschbaren res extensa, nur die Zirbeldrüse ver- band ihn mit der res cogitans. La- mettrie verstand den Körper als Ma- schine nach dem Vorbild der damals fortschrittlichsten Technik: dem Uhrwerk. Wir sind darüber weit hin- aus gekommen: wir verstehen den Körper als informations- und sy- stemtheoretischen Regelkreis (Ber- talanffy)". Dabei setzen wir auch psychogene Fakt( ren in Rechnung.

Tatsächlich aber haben wir die fun- damentale Isolierung des Körpers von jenem Lebenszentrum, das man Seele oder Ich oder Ich-Bewußtsein nennt, nicht wirklich überwunden.

Die Isolierung des kranken Men- schen von seiner Umwelt und die Isolierung des Körpers von seinem gelebten Leben sowie die Isolierung

der Krankheiten vom offenen Sy- stem des Körpers sind im Gegenteil eher noch vertieft worden. Ein ver- kürzter Krankheitsbegriff, der sich auf die gestörte Körperfunktion und deren klinischen Befund, etwas was wir Nosos nennen, beschränkt, ver- kürzt zwangsläufig auch die zwi- schenmenschlichen Beziehungen.

Das subjektive Krankheitsgefühl, die Aegritudo, die Erfahrung des Krankseins mit allen Auswirkungen der Erkrankung auf Beruf, Familie und Mitmenschen, die Möglichkeit der existentiellen Verunsicherung, das Erlebnis einer religiösen Krise, die Erfahrung von Lebensangst in einer Grenzsituation, dies alles bleibt unberücksichtigt. Und doch geht es gerade unter diesem Aspekt der Aegritudo um den kranken Men- schen als erlebendes Wesen, wel- ches der Führung und Begleitung in mitmenschlicher Güte bedarf — ganz im Gegensatz zu Pathos und Nosos, die zunächst einmal nach medizini- scher Versorgung oder sachbezoge- ner Intervention verlangen.

Durch die zunehmende Spezialisie- rung der im Krankenhaus tätigen Menschen wird deren Verantwor- tungsbereich kleiner und das Beob- achtungsfeld enger, so daß der kran- ke Mensch als ganzer mehr und mehr aus ihrem Blickfeld gerät und sie sich für ihn nicht mehr „zustän- dig" fühlen. Auch für sie selber hat das Folgen. Der eigene Dienst, die eigenen Dienstleistungen werden nicht mehr als Teil des Ganzen gese- hen, erlebt und erfahren, so daß sie sich in dem nicht mehr überschau- baren Prozeß schließlich selber klein und verlassen vorkommen.

3. Der Patient

fühlt sich allein gelassen

Wissenschaftliche Untersuchungen geben eine Vorstellung, wie sehr der Patient im Krankenhaus mit seinen Problemen allein gelassen und wie wenig auf seine persönlichen Be- dürfnisse eingegangen wird. Be- kannt ist die Studie von K. Engel- hardt und seinen Mitarbeitern

„Kranke im Krankenhaus. Grenzen und Ergänzungsbedürftigkeit natur- wissenschaftlich-technischer Medi-

zin". Nur 8 Prozent der von K. Engel- hardt befragten Frauen und 10 Pro- zent der Männer bezeichneten den Umgang des Arztes mit ihnen als persönlichkeitsbezogen. Die ande- ren nannten den Umgang oberfläch- lich (54 Prozent der Frauen, 40 der Männer), unpersönlich (30 Prozent der Frauen, 43 der Männer) oder wa- ren sich nicht klar darüber (8 Pro- zent der Frauen, 7 Prozent der Män- ner). Diese Aussagen werden indi- rekt von den Ärzten bestätigt. Sie gehen nur selten auf die persönliche Situation der Patienten ein. Nur bei 10 Prozent der Patienten hatten sie Kenntnis vom Einfluß persönlicher Faktoren auf das Beschwerdebild und konnten sich eine Vorstellung von der Person des Patienten ma- chen. Bei 83 Prozent der Patienten hatten sie keine oder nur teilweise Kenntnis von der persönlichen Si- tuation „ihrer" Patienten — und das, obwohl bei 70 Prozent der Patienten die persönliche Vorgeschichte Ein- fluß auf das Krankheitsbild hatte. Die gleiche Unkenntnis trifft überra- schenderweise auch auf die Pflege- kräfte zu. Sie wußten über die mei- sten Patienten nichts (53 Prozent) oder nur sehr wenig (29 Prozent).

Entsprechend dem Interesse und den Vorstellungen der Ärzte und Schwestern von der Person des Pa- tienten sind auch deren Umgangs- formen: „Die Krankenschwestern beschrieben Patienten häufig mit

‚netter Kerl' „ruhiger Vertreter' oder ,schwieriger Patient„frech',faules Ei`, typisch von zu Hause abgescho- bener Pflegefall' usw".

Wenn wir auf diese Situation hinwei- sen, dann tun wir es nicht, um die Ärzte und ihre verschiedenen Mitar- beiter auf die Anklagebank zu set- zen. Es geht vielmehr darum, uns der Ambivalenz des Fortschritts be- wußt zu werden. Ich möchte sogar nachdrücklich vor falschen Verall- gemeinerungen warnen. Wir alle er- warten gegebenenfalls selbst eine medizinische Versorgung und Be- handlung, die den neuesten Er- kenntnissen der Wissenschaft ge- recht wird. Wir können und wollen gegebenenfalls selbst nicht auf die vieldiskutierte Intensivtherapie ver-

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zichten. Jeder mit dieser Therapie Vertraute weiß, wieviele Menschen ausschließlich durch intensiv-medi- zinische Maßnahmen gerettet wer- den konnten und heute wieder ein vollkommen normales Leben führen.

Die Technik aber verändert das Bild des Krankenhauses. Nicht nur das Bild des Arztes, sondern auch das der dienenden und aufopfernden Krankenschwester hat sich dem Fortschritt der Medizin und ihren hohen Ansprüchen angepaßt. Die Schwester ist viel stärker zur Funk- tionsgehilfin des Arztes geworden.

Ihre Verantwortung in den speziali- sierten Abteilungen des Kranken- hauses ist stark angewachsen. Die Überlastung mit apparativer und Schreibtischarbeit nimmt den Kran- kenschwestern die Zeit, sich ausrei- chend jedem Kranken zuwenden zu können. Und wenn sich auch im Schwesternberuf nicht nach der Stechuhr leben läßt, so verlangt doch gerade die erhöhte Verantwor- tung auch im Krankenhaus die gere- gelte Arbeitszeit mit dem entspre- chenden Problem des ständigen Wechsels der Bezugspersonen. Es ist also nicht einfach ein schwinden- des Berufsethos, das die Mensch- lichkeit in Krankenhaus und Praxis schwinden läßt. Der Wille zu helfen und zu heilen bestimmt auch heute dominant das ärztliche und pflegeri- sche Ethos. Das Verlangen, die aus- einanderklaffende Schere von scien- tia und humanitas zu schließen, ist groß, und die Offenheit für entspre- chende Hilfen ist durchaus vorhan- den. Lassen Sie mich dazu einige Hinweise geben.

II. Die wichtigsten Ziele

Den Mitarbeitern im Krankenhaus, insbesondere Ärzten, Schwestern und Pflegern muß deutlicher als bis- her bewußt werden, daß körperliche Krankheit immer auch seelische Be- troffenheit einschließt. Deshalb müssen die persönliche Situation des einzelnen Menschen, sein sozia- les Umfeld und sein religiöser Bezug in Diagnose und Therapie einbezo- gen werden. Menschliche Nähe, Ver-

stehen und Zuwendung gehören zu den Grundbedürfnissen des Kran- ken. Ich möchte mich hier nicht auf einzelne Postulate der Gesundheits- politik und des Krankenhauswesens einlassen, sondern auf drei grundle- gende Voraussetzungen der huma- nitas hinweisen, die uns alle ange- hen. Es geht um einen dreifachen Lernprozeß:

1. Wir müssen die Sprache lernen Es ist die Sprache, die die Anonymi- tät der Technik zu überwinden ver- mag. Der Patient braucht Menschen, die ihm helfen, um sich in seiner Situation zurechtzufinden, sein Selbstvertrauen wiederzuerlangen und seine Probleme zu klären. Er braucht dies um so mehr, je ein- schneidender die Krankheit in sein Leben eingreift und je undurch- schaubarer für ihn die spezialisierte und technisierte Umwelt im Kran- kenhaus ist. Das ärztliche Gespräch hat gerade in dieser Situation eine neue Bedeutung erlangt. Gerade die nicht nachlassende Diskussion über die Intensivmedizin weckt in breiten Kreisen der Bevölkerung nicht ge- ringe Ängste. Das bloße Ahnen von dem, was im geheimnisvoll abge- schirmten Bereich der Intensivsta- tion möglich ist, bringt viele zu Ab- wehrreaktionen. Die wachsende Zahl derer, die nach einem sog. Pa- tientenbrief verlangen, macht dies deutlich. Die scheinbar widerspre- chenden Interessen, die sich glei- cherweise gegen eine Verlängerung wie eine Verkürzung des Lebens richten, haben eine gemeinsame Wurzel im Grundwert der Freiheit.

Das Reizwort heißt Manipulation.

Darum richten sich die Befürchtun- gen auch in erster Linie gegen die sogenannte apparative Medizin. Sie ist vielen Zeitgenossen zum Schreckgespenst geworden. So be- wundernd man vor ihren Erfolgen steht, so unsicher und verängstigt fühlen sich viele im Gedanken, ein- mal selbst am Apparat liegen zu müssen. Dabei ist es wohl gar nicht so sehr die Abhängigkeit vom tech- nischen Gerät, welche die Unsicher- heit weckt. Apparate können zwar beim Laien Furcht erregen. Angst,

anonyme Angst entsteht aber vor- nehmlich aus dem Verlust persona- ler Beziehungen. Kein noch so per- fektes Meßgerät kann ersetzen, was für den Patienten die Auskultation seiner Lunge und das Palpieren sei- nes Leibes durch den Arzt bedeuten.

Noch weniger ist die Orientierung an Meßdaten ein Ersatz für das Ge- spräch zwischen dem Arzt und sei- nem Patienten. Das Verblassen der persönlichen Beziehung und die im- mer stärker um sich greifende Sprachlosigkeit in der apparativen Medizin sind wohl der entscheiden- de Punkt; nicht der Einsatz der tech- nischen Mittel als solcher. Wo die persönliche Beziehung fehlt, entfal- ten sich irrationale Gefühle. Sie sind es, die hinter dem Apparat bald eine Gefährdung, bald eine erzwungene Verkürzung des Lebens wittern. Sol- len diese Gespräche sinnvoll geführt werden, so dürfen sie sich nicht in biologisch-medizinischen Informa- tionen erschöpfen. Von uns wird verlangt, daß wir auch

2. Den Sinn des Leidens verstehen

„Der Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefin- dens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen" — wie be- kanntlich die WHO die Gesundheit definiert — wird nie für alle Men- schen erreichbar sein. Diese Er- kenntnis darf uns nicht davon abhal- ten, alles einzusetzen, möglichst vie- le diesem Zustand so nahe als mög- lich zu bringen. Planung und Einsatz für eine bessere Verwirklichung des von der WHO geforderten Gesund- heitszustandes der Menschheit ist eines der humansten Ziele. Es bleibt aber nur solange human, als es in den dem Menschen immanent ge- setzten Grenzen bleibt. Die Entdek- kung der Grundstruktur aller Lebe- wesen im genetischen Code der DNS offenbart uns eine eigenartige Ambivalenz. Einerseits eröffnet die Kenntnis des genetischen Informa- tionsmusters den Spekulationen über eine Beeinflussung der Ent- wicklung des Menschen ein breites Tor. Anderseits verweist aber die mit der gleichen Erkenntnis verbundene

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Aufsätze • Notizen

Humanitas in der Medizin

Einsicht in die Möglichkeit unvor- hersehbarer Mutationen eine totale Gesundheitsplanung in den Bereich der Utopie.

Unter der Voraussetzung, daß bei fast allen Krankheiten genetische Faktoren mit im Spiel sein können, ergibt sich vom humangenetischen Standpunkt aus die Erkenntnis, daß Krankheiten in einer letztlich unauf- hebbaren Weise zur konkreten Exi- stenz des geschichtlichen Men- schen gehören.

Die Utopie einer grundsätzlichen Überwindbarkeit aller Krankheiten führt im sozialen Kontext leicht zu einer Überschätzung der Gesunden und vor allem zu einer Abwertung der nicht mehr oder noch nicht reha- bilitierbaren Kranken. Der nicht re- habilitierbare Kranke wird dann für die moderne Gesellschaft sehr bald zu einer Last, die der Allgemeinheit auf der Tasche liegt. Verführt von der Illusion einer leidfreien Gesell- schaft, befinden wir uns allenthal- ben auf der Flucht vor dem Leiden, das wir längst heimlich zu einer sinnleeren Verlegenheit degradiert haben. Johann Baptist Metz spricht zu Recht von einem „anonym ver- hängten Leidensverbot in unserer

‚fortschrittlichen' Gesellschaft", das es zu durchbrechen gelte.

Dabei geht es nicht darum, auf die- ses Leidensverbot mit einem ab- strakten Gegenkult des Leidens zu reagieren. Es geht vielmehr darum, uns selbst leidensfähig zu machen, um dann auch am Leiden anderer zu leiden. „Ohne diese Leidensfähig- keit mag es Fortschritte in der Tech- nik und in der Zivilisation geben. In Sachen Wahrheit und der Freiheit jedoch kommen wir ohne sie nicht voran."

Diese Feststellung widerspricht kei- neswegs dem grundlegenden Men- schenrecht auf Gesundheit. Der Sinn dieses Rechtes liegt aber nicht in irgendeinem undefinierbaren

„Recht auf Glück".

Der Mensch ist Mensch, weil er die Wahrheit suchen und sein Handeln wählen kann. Gesundheit und ent-

sprechend das Recht auf Gesund- heit lassen sich nur verstehen, wenn man versteht, daß Menschsein keine bloße Tatsache, sondern Aufgabe ist. Es gibt ein Recht auf Gesund- heit, weil Krankheit und Schmerz die klare Sicht und Entscheidungskraft beeinträchtigen, aber dieses — der- weise absolut begründete — Recht vermag nicht das Leiden, die Krank- heit, das Alter und den Tod aus der Welt zu schaffen. Wir müssen wohl deutlich unterscheiden zwischen

„douleur" und „souffrance", zwi- schen „pain" und „suffering", zwi- schen Schmerz und Leiden. Gewiß nicht im Sinn einer Spaltung von Leib und Seele.

Beide Phänomene hängen zusam- men, müssen aber gerade in einem ganzmenschlichen Verständnis un- terschieden werden. Die Bekämp- fung und Eliminierung von physi- schem Schmerz ist heute weitge- hend möglich. Die Entwicklung der Anästhesie gehört zu den entschei- dendsten Grundlagen moderner Me- dizin.

Die Bekämpfung unerträglicher Schmerzen bildet die Vorausset- zung für ein menschlicheres Ertra- gen von Krankheit, d. h. zur Leidens- bewältigung. Dieses Ertragen im Sinne von „Zu-ertragen-Wissen" ist selbst Teil der Gesundheit. Ein ver- tieftes Verständnis des Leidens läßt uns erkennen, daß auch das Sterben zum Leben gehört.

3. Das Sterben begreifen

Robert Leuenberger sagte in seiner Zürcher Rektoratsrede, die inhuma- ne Behandlung eines Sterbenden beginne in Wahrheit weder damit, daß sein Leben künstlich verlängert werde, noch erhalte ein Sterbender den Todesstoß dadurch, daß man ihm die Zufuhr wichtiger Stoffe ver- weigert. „Beides aber geschieht da, wo dem Kranken — vielleicht Monate vor der Sterbestunde — die innere

Gemeinschaft entzogen wird". Die entscheidende Voraussetzung liegt daher in einer persönlichen Bezie- hung, die zu dem Kranken herge- stellt werden muß, so daß er sich in

seiner Unsicherheit und Einsamkeit nicht allein fühlt. Dazu ist allerdings eine Kunst vonnöten, die klar emp- finden läßt, was der Patient in sei- nem Sprechen, seinem Schweigen oder seinen Gesten an Wünschen und Gefühlen auszudrücken ver- sucht. Entsprechend hat er dann ein Recht auf ehrliche Information und einen Beistand, ein Bei-ihm-Sein, das es ihm ermöglicht, auf persönli- cher Ebene mit seinem Sterben fer- tig zu werden und seinen eigenen Tod zu sterben. Nicht jede Frage ver- langt sogleich eine erschöpfende Antwort.

Wichtiger ist, aus der Frage das in- nere Empfinden herauszuspüren.

Auch die sogenannten negativen Gefühle der Angst, der Aufsässigkeit und des Kummers müssen mitgetra- gen und bejaht werden. Die Aufmun- terung, tapfer zu sein, ist nicht der Weisheit letzter Schluß, um Sterben- den zu helfen, ihre Gefühle richtig zu verarbeiten. Der Sterbende leidet oft existentiell an der Frage nach dem Sinn des Sterbens. Er ist be- drückt von der sinnwidrigen Ohn- machtserfahrung. Nur langsam kann er begreifen, daß das Sterben als inneres Moment zum Leben gehört.

Leben ist ja keine unendliche Lei- stung, sondern ein beschränkter Auftrag, den es in dieser Beschrän- kung zu erfüllen gilt.

Zum Sterben ja sagen heißt, zum Leben in seiner Begrenzung ja sa- gen. Die Hoffnung auf Ewigkeit be- sagt darum keine Erwartung eines Immer-weiter-Gehens. Das Immer- weiter-Gehen wäre eine „schlechte

Ewigkeit" (Guardini); es ist die Stei- gerung der Vergänglichkeit bis ins Untragbare. Das Bewußtsein des Nicht-Vergehens wächst in dem Ma- ße, als das Vergehen in Aufrichtig- keit angenommen wird.

Die Hoffnung auf die lebenerwek- kende Macht Gottes vermag dem er- löschenden Leben noch Identität, Sinn und Zukunft zu verleihen. Hilfe zum menschlichen Sterben müßte also dazu helfen, daß der Sterbende den Sinn seiner letzten Lebenspha- se zu entdecken vermag. So werden wir seinem Recht auf einen würdi-

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Kassenärztliche Bundesvereinigung

Beschluß der Arbeitsgemein- schaft gemäß § 19 des Arzt/Er- satzkassenvertrages aus der 81. Sitzung in Köln.

308. Änderungen bzw. Ergänzungen der E-GO

Die Arbeitsgemeinschaft beschließt:

Es wird das Kapitel B V neu eingefügt:

B V Ambulantes Operieren

Bei ambulanter Durchführung von ope- rativen Leistungen kann für die erforder- liche Vor- und Nachsorge einschließlich der Bereitstellung von Operationsein- richtungen ein Zuschlag nach Maßgabe der Nummern 100, 101 und 102 berech- net werden.

Unbeschadet der Verpflichtung des Arz- tes, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Art und die Schwere des Eingriffs und der Gesundheitszustand des Patienten die ambulante Durchführung der Opera- tion nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit den ihm zur Verfügung stehen- den Möglichkeiten erlauben, ist Voraus- setzung für die Berechnung des Zu- schlags, daß die folgenden Mindestan- forderungen an die Praxisausstattung nachgewiesen sind:

a) Operationsraum-Einrichtung 1. Fußboden

Fugenloser Fußboden (Kunststoff ver- schweißt) oder Fliesen

2. Wände und Decken

Wandkacheln bis 2 m Höhe oder ab- waschbarer Kunststoffbelag, darüber Wände und Decke mit Binder- oder Öl- farbe

3. Tageslicht

Gewöhnliche Fenster genügen; bei Ein- sicht Milchglas oder Außen- bzw. Zwi- schenjalousetten, keine Vorhänge oder Gardinen

4. Künstliches Licht

OP-Lampe mit schattenlosem Licht bzw.

fachentsprechende Beleuchtung 5. Waschmöglichkeit

Fließendes Kalt- und Warmwasser, Waschmittelspender

6. Sterilisation der Instrumente und Ver- bandstoffe

Überdruck-Autoklav mit Tablett und Ver- bandstofftrommeln

7. Inventar

OP-Tisch mit verschiedenen Lagerungs- möglichkeiten, Beisetztische, Instrumen- tarium entsprechend dem Fachgebiet und den vorgesehenen Operationen, Ab- falleimer, OP-Kleidung, OP-Handschuhe und OP-Tücher

8. Narkose-Gerät (kann auch von Anäs- thesisten gestellt werden)

9. Gerät zur künstlichen Beatmung (ein- schließlich Sauerstoff)

10. Gerät zur Infusion und Schockbe- handlung

11. Tracheotomie-Besteck, Tuben zur Freihaltung der Luftwege

12. Materialien

Ausreichendes Verband- und Nahtmate- rial, Infusionslösungen, Medikamente für Zwischenfälle usw.

b) Hilfspersonal

Mindestens zwei entsprechend qualifi- zierte Hilfskräfte

c) Nachsorge

Für die Nachsorge ist ein geeigneter Raum mit Ruhemöglichkeit vorzuhalten.

100 Zuschlag für die erforderliche Vor- und Nachsorge einschl. der Bereitstel- lung von Operationseinrichtungen bei ambulanter Durchführung von Operatio- nen nach den Nrn. 307, 315, 316, 317, 319, 325, 332, 675, 698, 757, 765, 766, 780, 1011, 1014, 1050, 1085, 1086, 1097, 1098, 1103, 1112, 1131, 1136, 1140, 1292, 1357, 1428, 1438 1439, 1441, 1457, 1467, 1472, 1493, 1501, 1513, 1550, 1576, 1586, 1713, 1740, 1741, 1776, 1795, 2005, 2010, 2032, 2060, 2062, 2065, 2100, 2158, 2223, 2293, 2339, 2346, 2347, 2353, 2354, 2380, 2381, 2402, 2405, 2427, 2430, 2431, 2441, 2444, 2800, 2808, 3120, 3219, 3220, 3221,

3237 34,05

101 Zuschlag für die erforderliche Vor- und Nachsorge einschl. der Bereitstel- lung von Operationseinrichtungen bei ambulanter Durchführung von Operatio- nen nach den Nrn. 218, 306, 700, 1025, 1042, 1043, 1044, 1052, 1089, 1099, 1104, 1111, 1113, 1120, 1122, 1129, 1135, 1141, 1155, 1158, 1299, 1301, 1305, 1359, 1445, 1446, 1455, 1468, 1469, 1470, 1499, 1500, 1509, 1518, 1519, 1528, 1534, 1535, 1588, 1622, 1628, 1635, 1639, 1704, 1721, 1738, 1745, 1755, 1757, 1759, 1761, 1765, 1767, 1796, 1802, 1816, 1826, 2040, 2041, 2045, 2051, 2052, 2066, 2072, 2073, 2080, 2084, 2092, 2101, 2105, 2110, 2118, 2122, 2130, 2156, 2170, 2203, 2210, 2224, 2250, 2253, 2254, 2256, 2257, 2294, 2295, 2325, 2336, 2340, 2348, 2382, 2384, 2386, 2393, 2404, gen Tod am besten gerecht. Ärzte

stehen immer wieder am Bett ster- bender Menschen. Hat der Tod sie besiegt, so ist ihre Aufgabe vollen- det. Ärzte haben es mit dem Leben und nicht mit dem Tod zu tun. Als Menschen aber weist sie das Ster- ben der anderen auch mahnend hin auf ihr eigenes Schicksal. Wir kön- nen die Frage unterdrücken, aber wir können nicht vermeiden, was un- aufhaltsam auch auf uns zukommt.

Je mehr der Arzt Mensch wird und sein ärztliches Ethos zur Vollendung bringt, um so mehr wird auch die Frage nach dem Sinn von Sterben und Tod eine Frage des Arztes selbst, der den Menschen nach- blickt, denen er seine Sorge geweiht hat, und dem im Schicksal dieser Menschen auch sein eigener Tod entgegenblickt. Haben wir den Mut, die Frage auszuhalten, dann ent- birgt sich uns mehr und mehr auch die Antwort, die im Grunde der Fra- ge schon verborgen liegt. „Nur auf der Oberfläche unseres Bewußt- seins scheuen wir den Tod; jedoch der Grund unseres Daseins begehrt nach dem Ende des Unvollendeten, damit Vollendung sei."

(Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag vor der „Aktion Menschlich- keit in Krankenhaus und Praxis")

Literatu r

Böckle, F., Menschenwürdig sterben, Zürich, Einsiedeln, Köln 1979 - Engelhardt, K.: Kranke im Krankenhaus. Grenzen und Ergänzungsbe- dürftigkeit naturwissenschaftlich-technischer Medizin, Stuttgart 1973 - Moltmann, J.: Die Menschlichkeit des Lebens und des Sterbens in: Schweizerische Ärztezeitung (14. 3. 1973 u.

21. 3. 1973) Nrn. 11 u. 22. - Schipperges, H.:

Utopien der Medizin. Geschichte und Kritik der ärztlichen Ideologie des 19. Jhdts., Salz- burg 1968.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. theol. Franz Böckle Moraltheologisches Seminar an der Universität Bonn Universitätshauptgebäude 5300 Bonn

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