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Was ist der Mensch?Warum die Frage?

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Academic year: 2022

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Wa s i st der Men sch ?

Waru m die Frage?

Geht es nicht u m gesellsch aftlich e Fragen? Was soll da die Frage n ach der N atu r des M en- sch en? Zu mal die gefäh rlich ist. Den n alle Überlegu ngen, was der M ensch ist, ru fen bereits die Gefah r einer normierenden Politik bereit. Denn wer von einem bestim mten M en sch en- bild au sgeht, h at einen − zu mindest diffu sen − Wertm aßstand bereits im Kopf, meist aber sogar ein bestimmtes Ziel, was der M ensch sein sollte. Allein desh alb loh nt es sich , näh er h inzu sch au en. H errsch en de Politik gesch ieht vor dem H intergru n d von Ann ah men ü ber den „ M ensch en an sich“. Umfangreich e Disku rse, die Den ken, Verh alten u n d darau f grü n- dende Politik beeinflu ssen, basieren au f bestimmten M ensch enbildern. Sch on u m diese Debatten zu versteh en u nd die beh au pteten Gru ndlagen h errsch ender Politik h interfragen u n d demaskieren zu können, ist ein e B esch äftigu ng mit dem M ensch sein wichtig. Doch es geht n och u m meh r. Em anzipatorisch e Politik, die gesellsch aftlich e Verh ältnisse au s dem B lickwinkel des Ein zelnen u nd seiner freien Kooperationen analysiert u nd fü r die B efreiu ng der Ein zelnen wirkt, brau cht ein Verstän dn is von der N atu r des M ensch en u nd der Art sei- ner sozialen P rägu ng bis Zu richtu ng. Und sei es nu r, u m festzu stellen, dass der M en sch u n d der Sinn des Lebens nicht defin iert sind.

Was prägt den Men sch en ?

Religionen, I deologien , spiritu elle bis esoterisch e Th eorien − sie alle produ zieren ein B ild des M ensch en : Wie er ist, wie er sein soll, welch e Wege dah in fü h ren, worau s er sein e Kraft sch öpft u sw. Eben so ringen versch iedene Wissensch aftssparten u m Antworten au f die Fra- gen nach dem M ensch en u n d dem Sinn seines Leben s, von der P h ilosoph ie ü ber Psych o- logie bis Anth ropologie. Alle dort au fgeworfenen Th emen zu klären oder au ch nu r den Stand der Disku ssion n ach zu zeich nen, wü rde dieses Kapitel sprengen. Fü r die I dee der H errsch aftsfreih eit sind aber einige zentrale Fragen von besonderer B edeu tu ng. B evor es dah er in der Entwicklu ng der Th eorie weitergeht, bevor Entwü rfe fü r ein e h errsch aftsfreie, den M en sch en in der Selbstentfaltu ng fördern den Gesellsch aft formu liert werden werden, seien diese m it einigen Kläru ngen h ier au fgefü h rt.

Gu t oder sch lecht − welch es M ensch enbild liegt zu gru nde?

Regeln , Gesetze, der ganze Staat u nd alle Entsch eidu ngen mit Du rch setzu ngsmacht legiti- m ieren sich au s der Ann ah me, dass M ensch en n icht zu trau en ist. Sie mü ssen angeblich kontrolliert u nd ih r wildes Leben eingeh egt werden, son st wü rde m in destens Ch aos, wenn nicht M ord u nd Totsch lag au ftreten .

N u n gibt es fü r die B eh au ptu n gen, dass „ der M ensch des M ensch en Wolf“ (H obbes) ist oder au ch , zu rü ckh alten der formu liert, sein im Überleben skampf nü tzlich er Egoism u s zwangsweise mit einem konku rrierenden Verh alten gegenü ber anderen verbu nden ist, kei- nerlei belastbare Qu ellen. Das dü rfte au ch schwierig sein , denn ein Experiment mü sste ja M en sch en vonein ander isolieren, dam it sie sich in ih rer „ N atu r“ entwickeln . Um das dann au ch statistisch abzu sich ern, m ü sste es ein u mfangreich er M en sch enversu ch sein. Die Ab- sch ottu ng mü sste viel totaler sein als in der Legen de von Kaspar H au ser, der ja nicht von ei-

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n er Stillmasch ine ern äh rt oder vollau tom atisch gewickelt wu rde. Zu m B eleg der Th ese des von N atu r au s bösen M ensch en aber tau gt Kaspar H au ser oh n eh in n icht, denn er war selbst vor allem „ u nterentwickelt“, aber nicht gewalttätig oder u nterdrü ckend. Stattdessen wu rde er ersch lagen − m u tmaßlich von Personen, die nicht isoliert, son dern im Geh ege der Zivilisation au fgewach sen waren.

Obwoh l es also B eweise n icht gibt, bau t die Th eorie moderner Staaten stark au f die An- n ah me des M ensch en au f, der dem anderen M ensch en Sch lechtes will. Au ch h eu te wird M en sch en ständig An gst vorein ander gemacht − sei es in den modern en M ärch en der all- gegenwärtigen Krim in alität oder im Wirtsch aftsleben, wo sich M en sch en als Konku rrentI n- n en u m M arktanteile, Ressou rcen oder Arbeitsplätze begegnen. I n ein er Welt, in der jedeR jedeN fü rchtet, inszen iert sich der Staat als H offnu ngsträger u nd Garant fü r ein friedlich es Zu samm enleben − eine P ropagan dan u mm er, die bislang richtig gu t zieht.

Au s B a ku n in , Mich ael A. , „D er Sta at − das ist ein Gefän gn is“

Der Staat hat nicht nur die Aufgabe, die Sicherheit seiner Bürger gegen alle Angriffe von außen zu verteidigen, er muss im Inneren seine Bürger auch voreinander und jeden vor sich selbst beschützen. Denn der Staat − und dies ist sein grundlegender Charakterzug − , jeder Staat, wie auch jede Theologie, setzt voraus, dass der Mensch seinem Wesen nach schlecht ist.

Aus „Herrschaftsfreiheit oder gerechte Herrschaft?“ in: Otfried Höfe (1 979): Ethik und Poli- tik, Suhrkamp (S. 405f)

Deshalb ist dieser Schluß unumgänglich: Ein vernünftiges, ein humanes Zusammenleben ist für den Menschen nicht bloß unter seinen bisherigen subjektiven und objektiven Lebensbe- dingungen, sondern in jedem Fall ohne eine politische, ohne eine Herrschaftsordnung nicht möglich.

Au s Rol f Can tzen (1 995): „Wen iger Staa t − m eh r Gesel l sch a ft“, Trotzdem -Verl ag in Gra- fen au (S. 1 7 f. )

Folgende Positionen zeichnen sich im Zusammenhang des uns gestellten Problems ab:

− ein »schlechter« Mensch braucht einen »guten« Staat, um in Gesellschaft friedlich mitei- nander leben zu können

− ein durch seine gesellschaftlich-soziale Umwelt determinierter Mensch wird schließlich zum »guten«, wenn der »gute« Staat unter Mithilfe von Eliten die Gesellschaft für die Bevöl- kerung entsprechend gestaltet

− ein »guter« Mensch braucht keinen Staat, der ein friedliches und geordnetes Zusammen- leben ermöglicht. . . .

Schon Hobbes begründete im 1 7. Jahrhundert die Notwendigkeit des Staates damit, dass

»der Mensch des Menschen Wolf« sei und dass aufgrund der egoistischen und unsozialen Naturanlagen des Menschen die Gesellschaft eines mächtigen Kontrolleurs bedürfe.

Die P ropaganda des angeblich bösen M en sch en als Legitim ation von Kontrolle u nd Sank- tion kran kt aber nicht n u r an der willkü rlich en Annah me, dass der M ensch sch lecht sei, sondern verfällt au ch noch in einen zentralen logisch en Feh ler: Waru m sollten, wenn M en- sch en von N atu r au s sch lecht sind u nd kontrolliert werden m ü ssen , Kontrolle u nd H err- sch aft eigentlich fu nktionieren? Sch ließlich wird die au ch von M en sch en au sgefü h rt, die

zu dem dan n in ih rer Position n icht kontrolliert u nd beh errscht werden!

Die Kritik darf aber n icht in die gegenteilige B eh au ptu ng verfallen, dass der M ensch von N atu r au s gu tmü tig sei. Denn es au ch dafü r gibt kein erlei B eweise − au s den gleich en genannten Grü nden, dass eine solch e Erfor- sch u ng mit statistisch er Absich eru n g kau m möglich ersch eint. Selbst die Zwillingsforsch u ng wäre, au ch wenn sie belastbare Ergebnisse ü ber den

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Meh r zum Th em a kontrol l freie Räum e unter Strategien für eine h err- sch aftsfreie Wel t, dort im Kapitel zu offenen Räum en.

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Werdegang zweier M ensch en m it gleich er gen etisch er Gru ndlage liefern wü rde, m it Vor- sicht zu gen ießen, den n sch on die neu n M on ate im M u tterbau ch sin d sozialer Einflu ss, also in dem Sinne nicht m eh r „ N atu r“. Was ü berh au pt „ N atu r“ ist, stellt sich zu dem als Fra- ge. M eist sind damit die Gene gemeint − aber die sind, wie das vorh erige Kapitel zeigen sollte, gar keine so starre Angelegenh eit, dass sie als Koch bu ch fü r das spätere Leben h er- h alten könnten. H inzu käme eine weitere Schwierigkeit in der Definition von gu t u n d sch lecht. Diese Kategorien speisen sich in ih rem I nh alt au s dem jeweiligen Disku rsen einer Zeit, sin d als verän derbar u n d steu erbar. Die Frage, ob M en sch en von N atu r au s gu t oder sch lecht sind, ist wenig sinnvoll, weil mensch nicht etwas von N atu r au s sein kan n, was gar nicht du rch die N atu r bestimmt ist, son dern gesellsch aftlich . I m Wan del des B egriffsinh al- tes von „ gu t“ u nd „ sch lecht“ mü sste sich sonst die Antwort mit verändern.

Letztlich h at die Frage fü r die I dee emanzipatorisch er Gesellsch aftsgestaltu ng keine Rele- vanz, wie noch gezeigt wird. Vorh er soll es u m einen weiteren großen Streitpu n kt der De- batte „Was ist der M ensch?“ geh en.

Der M ensch − ein P rodu kt der N atu r oder der Ku ltu r?

Steu ern die Gen e (plu s eventu ell eben so beteiligter anderer Stoffe in den Zellen des M en- sch en) oder die äu ßeren B edingu ngen, also die sozialen Einflü sse wäh rend des Lebens, die Persönlich keit eines M ensch en? I st der M en sch bei Zeu gu n g oder Gebu rt ein u nbe- sch riebenes B latt, dass du rch die dann folgenden Einflü sse geformt wird oder bringt er m eh r oder weniger B estimmu ng sch on m it? Au ch diese Frage besch äftigt sein Jah ren Anth ropologie, Psych ologie u nd P h ilosoph ie. Eine experim entelle B eantwortu ng sch eidet erneu t au s. Vergleich e können zwar gezogen werden, z. B. wieder in der Zwillingsfor- sch u ng, aber n u r mit begrenzter Au ssagekraft, denn sowoh l der materiell codierte Au s- gan gspu nkt wie au ch die Komplexität sozialer Einflü sse sin d nu r schwer messbar.

Zu dem lassen sich die Sph ären n icht trennen, denn die körperlich e Au sstattu ng von M en- sch en, die angesichts der Äh nlich keit zwisch en den M en sch en zu mindest au ch einen ge- m einsamen, materiell codierten Urspru ng h at, beeinflu sst die Art, wie soziale B ezieh u ngen entsteh en, I nformation en au fgen omm en u nd verarbeitet werden. Das gilt eben so anders h eru m, denn das äu ßere Gesch eh en u nd die Leben sweise ein es M ensch en wirkt sich au f dessen körperlich e Kon stitu tion au s − von der M u sku latu r bis zu r Stru ktu r u nd Arbeits- weise des Geh irns.

Evolu tionär geseh en ist Ku ltu r eine Form der Organisieru ng au f der B asis des Lebens, wel- ch es wiederu m die materielle Gru ndlage verändert. Ku ltu r ist selbst eine Au sdru cksform des M ateriellen u nd bildet sich im M ateriellen ab. M aterie, Leben u nd Ku ltu r sind im M en- sch en gleich zeitig verwirklicht u nd jeweils u n ersetzlich . B ei M aterie u nd Leben ist das u n- m ittelbar ein leu chtend, die Fäh igkeit zu r ku ltu rellen Entwicklu ng ist aber das typisch M en sch lich e u nd dah er als B estan dteil des M ensch seins ebenfalls nicht wegzu denken.

Au s Sch l em m , An n ette: „Wie kom m en wir au f ein e m en sch en gerech te Weise zu ein er m en - sch en gerech ten Gesel l sch a ft?“

Menschliches Sein geht über das Tierische hinaus durch:

• Entwickelte psychische Fähigkeiten und kulturelle Traditionen (besonders im Zusammen- hang mit der möglichen und notwendigen „Durchbrechnung der Unmittelbarkeit“ − der Entwicklung von kognitiver Distanz und planendem Denken);

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• Typisch menschliche Bedürfnisse sind nicht mehr nur Beseitigung individueller Mangelzu- stände, sondern beinhalten eine kooperativ-vorsorgende Schaffung und Aufrechterhaltung von günstigen Lebensbedingungen (Hungerhilfe ist deshalb nur dann wirklich human, wenn nicht nur Nahrung verteilt wird zur unmittelbaren Tilgung von Hunger, sondern die Men- schen die Möglichkeit bekommen, sich selbst zu versorgen);

• Jedes Individuum will sich selbst erhalten, d. h. reproduzieren. Das heißt für Menschen, dass sie über seine eigenen Lebensbedingungen verfügen wollen − was gleichzeitig bedeu- tet: teilzuhaben an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß. Diese Möglichkeit des Menschen, (nur) über die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß seine eigene Existenz zu reproduzieren, wird „Handlungsfähigkeit“ genannt (Holzkamp 1 983/85, S. 241 ). Die Aufrechterhaltung/Ausweitung der Handlungsfähigkeit ist das grundlegendste menschliche Bedürfnis.

• Es gibt keine nicht-gesellschaftlichen Menschen. „Ein Mensch ist kein Mensch“. Jeder Mensch hat das Gesellschaftliche in sich. Jeder Mensch ist natürlicherweise immer gesell- schaftlich.

• Menschliche Freiheit ist deshalb nicht ausgehend von gedachten vereinzelten Individuen zu diskutieren und zu definieren, sondern von vornherein als gesellschaftliches Phänomen:

„Die Gemeinschaft der Person mit anderen muss daher wesentlich nicht als eine Beschrän- kung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angese- hen werden. .“ (Hegel 1 801 , S. 82).

Au s Graswu rzel revol u tion (H rsg. , 1 999): „Gewal tfreier An a rch ism u s“, H eidel berg (S. 86 f. ) Was aber ist .der Mensch«, wenn nicht die Idee meiner selbst? Wie bewegt sich die Men- schenmasse, wenn nicht jede/ r einzelne Schritte macht? Es ist sicher nicht anmaßend zu be- haupten, dass der dergrößte Teil der Menschheit in etwa folgende Vorstellung vom guten Leben hat: etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf, sich den Neigungen gemaß entfalten, in einer selbstgewählten Gemeinschaft von Menschen leben, denen er/sie emotional zuge- tan ist. Das ist ein bescheidener Traum vom Glück, frei von Aggressivität und nicht unverein- bar mit demselben Traum einedeiner anderen. Die natürlichen Ressourcen stellen für jeden auf der Welt lebenden Menschen die Möglichkeit bereit, sich diese Wunsche zu erfüllen.

Warum leben die Menschen ganz anders? Wenn wir es uns leicht machen wollen, antwor- ten wir, der Mensch sei schlecht, d. h. egoistisch, trage, mindestens latent aggressiv und nicht fähig, mit seinesgleichen in Frieden zu leben. Die Gemeinschaft muss den/die Einzel- neh letztlich zwingen, ein soziales Wesen zu sein, weil sonst nichts herrschen würde als das Recht des Stärkeren, häufig genug mißverstanden als ,Anarchie'.

Wir haben in diesem Jahrhundert mehrere Ansätze erlebt, eines planvollen Staates zu wandeln − und lernen müssen, den individuellen Wildwuchs in die geordnete Harmonie, dass das höchste Maß an Ordnung auch die größte Grausamkeit hervorbringt. Warum wehren sich die meisten Menschen so hartnäckig, diese offensichtliche Tatsache anzuerken- nen?

Ob gu t, ob böse, ob N atu r oder Ku ltu r − H errsch aftsfreih eit ist im m er richtig!

Wir kön nen die Fragen, ob der M en sch von N atu r au s gu t oder böse ist u n d wie h och ü ber- h au pt der Anteil ist, der du rch die u nter anderem in den Gen en codierte Anfangsau sstat- tu ng vorgegeben ist, aber einfach beiseite lassen. Der Streit u m die N atu r des M ensch en m ag weitergeh en, noch Gen erationen von P h ilosoph I n nen u nd Verh alten sforsch erI nn en dü rfen gerne ih re Debatten ins Un en dlich e fortsetzen. Fü r die gesellsch aftlich e P raxis der Em anzipation ist sie aber völlig u n bedeu tend. Denn was au ch imm er der Au sgangspu nkt ist, d. h . ob M ensch en nu n vermeintlich als gu te oder böse Wesen ins Leben starten, ob sie als u n besch riebenes B latt oder genetisch codiert dah erkom men, spielt keine Rolle meh r, wen n als Ziel besteht, dass sich M ensch en m it ih ren Fäh igkeiten gleich berechtigt entfalten.

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Denn ob jedeR Ein zelne eh er von der Entfaltu ng oder von der Unterdrü cku ng Anderer N u tzen h at, wird das Verh alten beeinflu ssen u n abh ängig vom Au sgangspu n kt. Wer Eman- zipation zu m Ziel h at, wird also imm er au f die gesellsch aftlich en Verh ältnisse u nd die da- rau s folgende soziale Zu richtu ng von M ensch en sch au en . Wü rden M ensch en, was sich zu r Zeit abzeich net u nd angesichts der dom inanten gesellsch aftlich en Kräfte u nd Disku rse ein ige Sorgen bereiten kan n, die Codieru ngen z. B. in den Genen gezielt verän dern, so wäre das ein e ku ltu relle H andlu ng u nd nicht meh r die definierte N atu r des M ensch en.

Wer im eigenen Leben erlebt, dass die stän dige Konku rrenz N achteile bringt, wäh rend das Anwach sen ein es gem einsamen Reichtu ms an Wissen, I deen u nd Ressou rcen , gegensei- tige H ilfe u nd Kooperationen Vorteile bringen, wird dazu neigen, sich in dieser, fü r ih n/sie nü tzlich eren Weise zu verh alten. Egoism u s als Antrieb u nd Gemeinnu tz als Effekt fallen dann zu samm en . Verh ältnisse h in gegen , die einzelnen M ensch en ermöglich en, sich Vor- teile au f Kosten an derer zu versch affen, oh ne eigene N achteile fü rchten zu mü ssen, sin d das Gift fü r eine solch e Gesellsch aft. Sie fördern konku rrieren des Verh alten u nd mach en das H andeln des Ein en zu m N achteil der Anderen. Genau diese B edingu ngen h errsch en dort, wo M acht au sgeü bt wird. B eeinflu sst davon sind alle − egal ob sie als gu te oder sch lechte, biologisch festgelegte oder freie Wesen gestartet sind.

Es geht also im mer daru m , gesellsch aftlich e Verh ältn isse so zu organ isieren, dass sie Selbstentfaltu ng u nd Kooperation fördern − u nabh än gig vom Au sgangspu nkt gu ter, sch lechter oder gar nicht festgesch riebener M ensch en. H inzu kom mt, das erstens man- ch es dafü r spricht, dass fü r das soziale Verh alten der natü rlich e Einflu ss vor allem der Gen e gegenü ber den gesellsch aftlich en B edingu ngen den geringeren Einflu ss h at. Zweitens sin d die Codieru n gen der Vererbu n g als h och komplexe, dynamisch e M aterie selbst m eh r Ein- flü ssen au sgesetzt als das starr materialistisch e B ild der Welt vorgau kelt. Die Zweifel an der Unabänderlich keit der Ch romosomen meh ren sich − fü r Wissende u m die Dynamik von M aterie sich er keine Überrasch u n g.

Es spricht also alles dafü r, die sozialen Verh ältnisse zu verändern u nd so die B efreiu n g des M en sch en zu erreich en. Denn die soziale Zu richtu ng wirkt stark u n d sch reibt sich im m ate- riellen Körper fest: Wer täglich ein gebläu t bekommt, dass das Leben ein Daseinskam pf ist u n d die besten sich die Vorteile u nd Ressou rcen sich ern, wird es m it h oh er Wah rsch ein lich - keit als normal empfinden , sich genau so zu verh alten. Was ih m seine Gene m itgegeben h aben, spielt keine Rolle meh r. Wer aber lernt u nd selbst au slebt, dass das Leben reich er ist, wen n neben eigenen Fäh igkeit au ch alle anderen M en sch en ih re Fäh igkeiten frei entwi- ckeln können, wird es eben so als norm al empfin den, dass alle M en sch en ih re Freiräu m e beh alten u nd sich nicht gegenseitig komm andieren .

I ndividu u m u nd/oder soziales Wesen?

I n den vielen Debatten, B ü ch ern u n d ph ilosoph isch en Darstellu ngen zu m M en sch en tau cht als weitere Frage au f, ob der M ensch von N atu r au s ein soziales Wesen ist, also au f Gemein sch aft oder Kooperation orientiert ist, oder ob er eh er ein Einzelgänger ist, der sich m it anderen zu sam mensch ließen kann , aber n icht m u ss. Die Frage zerfällt in einen prakti- sch en u nd einen th eoretisch en Teil. Von der Th eorie läu ft die Frage au f ein klares Ja zu m sozialen Wesen h inau s. Denn wen n als typisch mensch lich die ku ltu relle Evolu tion au f der B asis der vorh erigen stofflich en Entwicklu ng u n d dann der des Lebens definiert wird, dann

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geh ört zu m M ensch en der Au stau sch mit anderen M ensch en − denn Ku ltu r ist imm er au ch Komm u nikation.

Au s der P raxis ergibt sich die gleich e Antwort: Der M ensch ist die ersten Jah re seines Le- bens gar nicht allein ü berlebensfäh ig. Er wäch st zwangsweise in einer Umwelt au f, die selbst dann, wenn an dere M ensch en darin nicht (meh r) leben wü rden , von mensch lich er Sch affenskraft gestaltet wu rde. Es wü rde also au ch fü r eine Person, die sich irgendwann zu m völligen Rü ckzu g au s mensch lich em Zu sam menleben u nd -wirken entsch ließt, gel- ten , dass die m it An deren au fgewach sen ist u nd in der von Anderen geprägten Welt lebt.

Au s Kl au s Roth , I n terp retation zu Aristotel es in : Ma ssin g, Peter/B reit, Gotth a rd (2002 ): „D e- m okratie-Th eorien“, Woch en sch au Verl ag Schwal bach , L izen zau sgabe fü r die B u n d eszen t- ral e fü r pol itisch e B il du n g, B on n (S. 41 )

Aristoteles begreift den Menschen als zôon lógon echón, als sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen, sowie als zôon politikón, als ein politisches Lebewesen, das seinen Sinn und Zweck (télos) nicht in sich selbst, sondern nur in der Interaktion und Kooperation mit seines- gleichen finden kann (Politik I, 1 253 a 2 f. ; III, 1 278 b 1 9 ff. )

Au s H öfe, Otfried (1 979): „E th ik u n d Pol itik“, Su h rka m p Verl ag in F ra n kfu rt

Einerseits steht der Mensch zwar im Unterschied zu reinen Naturwesen unter mannigfachen biologischen, dann auch psychologischen und soziokulturellen Bedingungen. Keineswegs ist er absolut frei im Sinne von »indeterminiert«. Durch diese Bedingungen ist er aber weder vollständig noch eindeutig festgelegt. Er kann sich vielmehr in ein Verhältnis zu seinen Le- bensbedingungen setzen und kraft Selbstverständnisses die Bedingungen benennen und beurteilen, er kann sie sich aneignen und schöpferisch erarbeiten, er kann sie anerkennen oder verwerfen und sich gegebenenfalls um ihre Veränderung bemühen. Während Tiere durch spezialisierte Organe und ererbte Verhaltensreaktionen (Instinkte) umweltgebunden sind, ist der Mensch − negativ formuliert − in seinem Organ- und Instinktbereich verunsi- chert und deshalb den natürlichen Widrigkeiten und Feinden zunächst weitgehend schutz- los ausgeliefert. Doch bedeutet dies zugleich und damit positiv gewendet, dass er − ohne Erbmotorik und mittels vielseitig verwendbarer Organe − seiner Natur nach ein weltoffe- nes, ein plastisches Wesen mit einem ungewöhnlich weiten Spielraum ist, innerhalb dessen er als einzelner, als Klein- oder Großgruppe unterschiedlich sich entwickeln und tätig wer- den kann. Mit Sprache und Vernunft begabt, kann der Mensch überlegen und wählen, kann er sich Vorstellungen vom Lebensnotwendigen, vom Angenehmen, Nützlichen sowie vom Guten und Gerechten machen; er kann sich Zwecke setzen, die solchen Vorstellungen entsprechen, und kann durch sein Tun und Lassen die Zwecke zu realisieren trachten. In die- sem Sinn ist er ein praktisches Vernunftwesen. Bei der Realisierung der Zwecke kann er er- folgreich sein oder auch seine Zwecke verfehlen, sei es aufgrund widriger Umstände, sei es aufgrund konkurrierender Zwecke. Er kann methodische Verfahren zur Realisierung seiner Zwecke entwickeln und die Verfahren zu Fertigkeiten, zu Künsten und Wissenschaften aus- bilden. (S. 407)

D ü rr, H a n s-Peter (2 01 0): „Waru m es u m s Ga n ze geh t“, Ökom in Mü n ch en (S. 1 67) Wir müssen unser Denken erweitern und unser jetziges Verhalten grundlegend korrigieren.

Hierbei können gerade die revolutionär erweiterten Einsichten der neuen Physik einen hilf- reichen Einstieg liefern. Sie besagen, dass der einzelne Mensch, wie alles andere auch, prinzipiell nie isoliert ist. Er wird im allverbundenen Gemeinsamen in seiner nur scheinba- ren Kleinheit zugleich unendlich vielfältig einbezogen und bedeutsam. Unser individuelles Handeln beeinflusst auch wieder die gesamte gesellschaftliche Verfasstheit und verändert die sich ständig dynamisch wandelnde Potenzialität der lebendigen Wirklichkeit. So ist die Einzigartigkeit des Einzelnen tragender Bestandteil unseres gemeinschaftlichen kulturellen Evolutionsprozesses.

Allerdings sagt das nu r au s, dass der M ensch imm er in einem Verh ältnis mit anderen M en- sch en lebt, also nicht von diesen isoliert. Es sagt aber n ichts darü ber au s, wie diese Gesell-

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sch aftlich keit des M ensch en au ssieht. M u ss sie ü berh au pt eine bestimmte Form h aben?

Wie frei ist der M ensch , der gezwu ngen ist, in einem Au stau sch mit anderen M ensch en zu leben, in der Gestaltu ng der Art dieser sozialen B ezieh u ng? Au s em anzipatorisch er Sicht darf Gesellsch aft kein Gebilde mit kollektiven Werten sein , denen sich die M ensch en als B estandteile u nterzu ordnen h aben, d. h . der Sin n des Lebens leitet sich nicht au s dem Sinn von Gesellsch aft ab. Sondern die Gesellsch aft ist ein Ort, in dem die einzelnen M en sch en ih re Ch ance zu r Selbstentfaltu n g u nd zu einer möglich st selbstbestim mten Form des M it- ein anders finden. Das setzt vorau s, dass ein H öch stmaß an I n dividu alität u n d Eigen art er- reicht wird − u nd zwar als M öglich keit fü r alle, d. h . also weder des Einen au f Kosten der Anderen noch der Wenigen au f Kosten der Vielen oder der M eh rh eit zu Un gu nsten der M in derh eit.

Au s Mü m ken , J ü rgen : „Kein e Ma ch t fü r N iem an d“

Innerhalb der anarchistischen Gesellschaften müssen erst neue Formen der Subjektivierung und Individualität hervorgebracht werden, die eine anarchistische − d. h. auf Freiheit aus- gerichtete − Individualität ermöglichen. In diesem Sinne gibt es auch keine Autonomie − im aufklärerisch-klassischen Sinne − des Individuums, da dieses immer auch ein Produkt gesellschaftlicher Konstituierungspraktiken ist, wichtig und zentral ist nur, dass diese Prakti- ken von allen Herrschaftszuständen befreit werden und es auch bleiben. Es muss in den anarchistischen Gesellschaften darum gehen, jedem Individuum eine „anarchische Subjekti- vität“ (Schäfer 1 995, 53-76) zu ermöglichen, diese besteht darin, „sich kritisch gegen jede Form des Daseins zu verhalten, sich keiner Lebens-, Denk- oder Sprechweise verpflichtet zu wissen, kurz: der Welt nicht verfallen zu wollen“ (Schäfer 1 995, 54). Es sollte in den anar- chistischen Gesellschaften nicht darum gehen, dem Menschen eine bestimmte Form von Subjektivität und Individualität − um ihrer/seiner Freiheit willen − abzuverlangen, denn es geht hier um Freiheit „als die Fähigkeit, sich vom Zwangscharakter des Gegebenen, von der Eingebundenheit in die Selbstverständlichkeit des als ,wahr' geltenden Gegenwärtigen, zu lösen“ (Schäfer 1 995, 44).

An dieser Stelle kommt auch die Foucault'sche Vorstellung von „Autonomie“ zu tragen. Er geht nicht − wie z. B. bei Kant − von einer Identität des ethischen Subjekt aus, dass das In- dividuum auf ein vermeintliches authentisches Selbst verpflichtet. Autonomie ist bei Foucault

„die Fähigkeit und Bereitschaft von Individuen, sich immer wieder ,von sich selbst zu lösen' und mit sich zu ,experimentieren', d. h. bisher (wodurch auch immer) ausgeschlossene Arten des Selbstseins als Möglichkeiten anzuerkennen“ (Schäfer 1 995, 49).

I ndividu alität als P rozess der Selbstentfaltu ng gelingt am besten in einer Gesellsch aft der Vielen, die sich selbst entfalten. Denn die Entfaltu ng der Anderen sch afft, wenn es kein e Absch ottu ng von Wissen u nd Sach en du rch Eigentu m sbildu ng zwisch en den M en sch en gibt, au ch jedem /r Ein zelnen wiederu m bessere H andlu ngsmöglich keiten. Wer sich selbst entfalten will, h at ein eigen es I nteresse, dass sich alle entfalten können, u m den dadu rch entsteh enden m ateriellen u n d I deenreichtu m selbst zu nu tzen. Das verbindet die oft konträr gegenü bersteh en den Entwü rfe von Egoism u s u nd Altru ism u s (Eigenn u tz u nd Gem ein- nu tz), von I n dividu al- u nd sozialer Anarch ie, von Freih eit u n d Gleich h eit (im Sin ne gleich er M öglich keiten).

I ndividu u m u nd M asse können zu sam m enpassen:

Vereinzelu ng u nd Verm assu ng im Gleich klang

Wäh rend also die Selbstentwicklu ng zu I ndividu alität u nd Eigenart verbu nden ist m it einer Kooperation sich selbstentfaltender An derer, passen I solierth eit als I ndividu u m u nd M asse zu sammen. Wer sich nicht entfaltet, sondern − m itschwimmend im Strom − vor allem

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P rodu kt sozialer Zu richtu ng ist, die erwarteten Rollen im Ganzen spielt u nd sich m it frem d- definierten Kontakten (Verwandtsch aft, com pu tergenerierte Freu ndI nnenkreise, traditio- n elle Vereinsmitgliedsch aften u sw. ) zu frieden gibt, kann beides gleich zeitig sein : I soliertes I ndividu u m u nd Teil einer M asse, also der Gesamth eit oh ne Differenz. Das passt sogar h er- vorragend zu samm en: N ationen, Volk, die fanatisch e Anh ängerI n nen sch aft von Göttern, P roph etI nnen oder Fu ßballm annsch aften leben davon, inn erh alb dieser kollektiven I den- titäten ih re eigene Persön lich keit zu verlieren. M it „ Du bist nichts, Dein Volk ist alles“ zeigte sich zu m B eispiel der N ation alsozialism u s als M eister der I n szenieru ng von M asse oh ne Differenz. B edau erlich erweise eifern etlich e Kon zepte oder B ilder ein er einh eitlich en Ar- beiterklasse, des P roletariats, diesem M yth os der Gleich sch altu n g in kollektiver I dentität ebenso n ach wie schwarze B löcke, einh eitlich e Demo-M arschformation en oder Organisieru n gsansätze der Gesch lossen h eit − ob nu n per Kon sens oder formaler H ierarch ie. Das „Wir“ ersetzt die Welt, in der viele Wel- ten P latz h aben . . .

Au s An n ette Sch l em m s P h il osop h en stü bch en

Im heutigen politischen Vorstellungsvermögen scheint das Bild des einzelnen, iso- lierten und auf sich bezogenen Individuums als alleinige Quelle von Selbstbestimmung und Freiheit beinah alternativlos. Gegenüber diktatorischen Herrschaftspraxen ist die Verteidi- gung der Freiheit des Individuums natürlich berechtigt. Das absolute Gegenteil ist jedoch keine vernünftige Alternative, sondern eine Falle. Das Bild des vereinzelt und nur für sich freien Menschen passt zur gegenwärtigen Herrschafts- und Unterdrückungspraxis wie der Deckel auf den Topf: Die sachlich-abstrakten Kapitalverwertungszwänge setzen das verein- zelte Individuum voraus und erzeugen es ständig wieder. In gesellschaftlichen Verhältnis- sen, in denen die Menschen grundsätzlich als Konkurrenten um Lebenschancen agieren müssen, agieren sie als vereinzelte Wesen − sie sind dies aber nicht „von Natur aus“. Zum Menschen wird jedes Individuum durch das, was es mit allen anderen Menschen teilt. Erst unter konkurrenzförmigen Bedingungen ist es ihr Vereinzeltsein,

das sie teilen. Vereinzelt zu sein ist die Folge konkreter gesell- schaftlicher Verhältnisse.

Gibt es Entsch eidu ngsfreih eit?

M en sch en erzeu gen im Untersch ied zu an deren Teilen in der N atu r ih re eigenen Lebensbedingu n gen − ein- sch ließlich der gesellsch aftlich en Form u nd Verh ältn isse, in denen sie das tu n. M ensch en h andeln nie n u r entsprech end vorgegebenen Erfordernissen, sondern sie können bewu sst wäh len zwisch en versch iedenen H andlu ngsoptionen − au ch bezü glich der Rah menbedingu ngen. Sie könn en im Rah men gegebenener B edin gu ngen (gesellsch aftlich e Verh ältnisse) bleiben oder darü ber h inau s streben . Das „ Darü ber-h in au s- Streben“, das sich in „ ü bersch ießenden„ Träu men, Wü n sch en, Vorstellu ngen , Gedanken u nd die Veränderu ng einfordernden Aktionen äu ßert, ist aber n icht beliebig, sondern er- wäch st selbst au s den jeweiligen B edingu ngen u nd M öglich keiten, der sozialen Zu rich - tu ng, B eispielen u nd Vorbildern . Der M ensch ist also nicht frei von seinem eigen en Leben als Erfah ru ngsh intergru nd u nd von den äu ßeren B edingu ngen als zu mindest empfu ndene Gren zen , H indernisse oder M öglich keiten.

Die Spannbreite der Entsch eidu ngsfreih eit, also die Zah l der M öglich keiten, au s denen ge- wäh lt werden kann , lässt sich du rch An eignu n g von Wissen u nd Fäh igkeiten ebenso erwei- tern wie du rch die Veränderu n g der Rah menbedingu ngen. Au s em anzipatorisch er Sicht, in

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Link zum Ph il osoph enstübch en:

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http: //ph il osoph enstuebch en.

wordpress.com /201 1 / 01 /1 5/wech sel seitig-i/

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E ine Frage für die Anarch ie: Viel fal t oder kol l ek-

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tive E inh eit? Texte unter www.

projektwerkstatt.de/anarch ie/a_kol l ektiv. htm l Der Grundbaustein der Dem okratie ist ih r größer Feh l er: Kritik an der Konstruktion von Vol k auf www. projektwerkstatt.de/dem okratie/vol k. htm l

(9)

der ja die Erweiteru ng der H andlu ngsmöglich keiten ein Ziel ist, geh ört beides zu m Leben des M ensch en .

Der B egriff der Freih eit ist n icht völlig klar. Er bezeich net oft ganz allgemein das Feh len von Zwän gen . M ensch kan n/darf alles − oder wah lweise au ch n u r in bestimmten H an dlu ngs- feldern, wenn von Wah l-, Versammlu n gs-, Vereins-, Ku n st-, Forsch u ngs- oder P ressefreih eit gesproch en wird. Skeptisch e B licke au f den M ensch en u nd seine intensive Einbindu ng in soziale Verh ältnisse werfen aber die Frage au f, wie weit diese Freih eit eigentlich geht oder ob sie nicht eh rlich erweise nu r als die M öglich keit betrachtet werden kann , u nter m eh reren Optionen wäh len zu können. Diese Au swah l mu ss dann möglich sein, oh n e Sanktionen befü rchten zu mü ssen.

• I ndividu elle Freih eit u n d allgemeine Freih eit: Wäh rend der allgemeine Freih eitsbegriff eh er als u topisch e I dealvorstellu n g oder ph ilosoph isch es Ziel zu versteh en ist, ist die individu elle Freih eit der in der Realität verbleibende H andlu ngsspielrau m ein es I ndivi- du u ms vor dem H intergru nd real existierender Restriktionen, zu m B eispiel physi- sch er, rechtlich er oder m aterieller/ökonomisch er B esch rän ku ngen.

• H andlu n gsfreih eit ist ein B egriff au s der P h ilosoph ie u nd der Rechtswissensch aft (Gru ndrecht). Sie bezeich net das Vermögen eines Lebewesen s, seiner N atu r, seinen I nteressen oder seinen N eigu ngen zu folgen.

• Willensfreih eit: Der Freie Wille ist ein e B ezeich nu n g fü r den Willen eines Wesens, den dieses Wesen selbst u nd frei bestimmt. N ach den Experimenten von B enjam in Libet, der das Aktionspotential, das eine H andlu ng initiert, messen konnte, bevor der H andelnde dazu bewu sst den Entsch lu ss fasste, h aben N eu rowissensch aftler Zweifel an der Willensfreih eit geäu ßert u nd ein e h eftige Disku ssion entfacht.

• Die M einu ngsfreih eit ist das su bjektive Recht eines jedes M ensch en, eine eigen e M ei- n u ng zu h aben u nd zu äu ßern.

• I nformationsfreih eit, ist das Recht, sich au s allgem ein zu gänglich en Qu ellen u ngeh in- dert zu informieren. Das relativ m oderne I nform ationsfreih eitsgesetz soll zu m B eispiel den Zu gang zu B eh ördenakten ermöglich en.

• Der B egriff P ressefreih eit bezeich net das Recht der P resse au f freie Au sü bu ng ih rer Tätigkeit, vor allem das u n zen sierte Veröffentlich en von I nform ationen u nd M einu n- gen sowie alle damit verbu ndenen Tätigkeiten.

• Die Religionsfreih eit wäre die Garantie, selbstän dig u nd oh ne Diskrim in ie- ru ngsgefah r eine eigen e Weltansch au u n g zu wäh len u n d au szu ü ben.

H ein z von F örster/B ern h a rd Pörksen (8. Au fl a ge 2 008), „Wah rh eit ist d ie E rfin du n g ein es Lü gn ers“, Carl Au er Verl a g in Wiesbaden (S. 36 f. )

Je größer die Freiheit ist, desto größer sind die Wahlmöglichkeiten und desto eher ist auch die Chance gegeben, für die eigenen Handlungen Verantwortung zu übernehmen. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen. Nur wer frei ist − und immer auch anders agieren könnte -, kann verantwortlich handeln. Das heißt: Wer jemand die Freiheit raubt und be- schneidet, der nimmt ihm auch die Chance zum verantwortlichen Handeln. Und das ist un- verantwortlich.

B. P. Aber wessen Möglichkeiten sollen vergrößert werden? Man kann doch nicht, um ein Beispiel zu wählen, die Chancen eines Propagandisten, bösartige Hetzschriften zu verbrei- ten, unterstützen. Das kann doch kein Ziel sein.

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Textgrundl age dieser Absätze: www.

bastardserver.cz/

de/Anarch ism us

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H. F. Warum nicht? Soll ich seine Schriften verbieten, die Bücher aus den Bibliotheken her- ausholen, weil sie nicht meiner Auffassung entsprechen? Die Alternative ist mörderisch.

Wenn man die Wahlmöglichkeiten erweitert, dann kann man sich entscheiden, ein Kinder- mörder oder ein Schulbusfahrer zu werden. Die Entscheidung für den einen oder den an- deren Weg verknüpft einen mit der Verantwortung. Natürlich ist es bequem, sich zu entlas- ten, indem man etwas verbietet oder den Umständen, den Genen oder der Erziehung, na- ture or nurture, unserer Natur oder den bösen Eltern, die Schuld zu geben. Und es ist be- quem, sich in einer Hierarchie zu verstecken und immer, wenn es eines Tages und am Ende des Krieges zum Prozeß kommt, zu sagen: „Aber ich habe doch nur Befehle und Komman- dos ausgeführt! Ich kann doch nichts dafür! Es gab doch gar keine andere Möglichkeit!“

Das sind, so würde ich sagen, alles Ausreden.

B. P. Glauben Sie nicht, daß man gelegentlich auch intolerant sein und die Verbreitung be- stimmter Propagandamaterialien − ich denke hier etwa an neonationalsozialistische Schrif- ten, die zur Gewalt aufrufen − verbieten muß?

H. F. Mit dieser Strategie des Verbietens kann ich Ihnen nur viel Glück wünschen, wirklich, alles Gute; ich glaube, die Zensur funktioniert nicht. Sie macht alles nur noch schlimmer.

Meine Vorstellung wäre es, die Absurdität neonazistischer Ideen durch andere Ideen, de- nen auch die Möglichkeit der Verbreitung gegeben werden muß, zu illustrieren.

B. P. Sie meinen, daß sich das Gute, Richtige und Schöne allein durch die Aufklärung durch- setzen wird?

H. F. Sie scheinen sich in diesem Bereich sehr genau auszukennen. Woher wollen Sie wissen, was dieses Gute, Richtige und Schöne ist? Wen fragen wir beide, um dieses Wissen zu er- langen? Die Konsequenz dieser absoluten Unterscheidungen zwischen dem Guten und dem Schlechten, dem Richtigen, dem Falschen, dem Schönen und dem Häßlichen ist, daß man sich zum Richter emporschwingt und als der ewig Gerechte, der alles ganz genau weiß, be- greift. Das heißt nicht, daß ich nun für einen ethischen Relativismus plädiere, überhaupt nicht, das muß nicht die Konsequenz sein. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß diese Unterscheidungen, die vermeintlich eine universale und absolute Gültigkeit besit- zen, von Ihnen getroffen werden. Sie sind keineswegs losgelöst von Ihrer Person, sondern Sie tragen für ihre mögliche Durchsetzung die Verantwortung.

Au s Mech sn er, F ran z: „Wie frei ist u n ser Wil l e?“, in : GE O 1 /2 003 (S. 65)

Wie ist so etwas wie Willensfreiheit möglich in einer Welt unverrückbarer Naturgesetze, denen auch wir unterworfen sind? Das menschliche Gehirn ist ein Organ, das nach den Re- geln der Physik und Chemie arbeitet. Die Freiheit unseres Wollens und Handelns, im Alltag unbestreitbar, erscheint unter dieser Perspektive plötzlich unergründlich geheimnisvoll, wenn nicht gar prinzipiell unmöglich.

Bei erster Betrachtung stellen sich nur zwei Alternativen: Entweder müssen wir glauben, dass wir das natürliche Geschehen in Gehirn und Körper nicht auf naturgesetzliche Weise quasi von außen beeinflussen können, etwa über eine unsterbliche Seele. Dann macht uns ein von der materiellen Natur unabhängiges geistiges Prinzip zu freien und verantwortli- chen Personen. Oder aber wir müssen annehmen, dass unser Denken, Reden und Tun sich im Rahmen der Naturvorgänge abspielt. Dann ist der freie Wille schlicht eine Illusion, und wir sind naturgesetzlich determinierte Automaten. . . . (S. 65 f. )

Denn der Charakter, das Zentrum der Persönlichkeit, ist gewissermaßen geronnener Wille;

in ihm manifestiert sich das versäumte oder geleistete Nachdenken in der Vergangenheit.

Von uns selber wie von jedem halbwegs intelligenten und verständigen Menschen verlan- gen wir, über eigene Entscheidungen nachzudenken und sich um die Selbsterziehung zu kümmern − die Chance zur Freiheit zu ergreifen. Wir bestehen sogar auf der Verantwor- tung des Unverantwortlichen; darauf, dass ein Mensch die Chance hatte und weiterhin hat, seine Freiheitsfähigkeit durch Selbstdistanz und Nachdenken zu entwickeln. . . .

Ob wir aber überhaupt auf die Suche gehen, sagt der Philosoph, „darüber entscheiden letztlich wir, und darin liegt unsere Selbstständigkeit im Trommelfeuer fremder Einflüsterun- gen. Es sind Einsicht und Verstehen, die uns zu befreiender Abgrenzung verhelfen, nicht Abschottung und das Verstecken in einem inneren Schützengraben“. (S. 71 , Zitat von Bieri)

(11)

E xperim en ts von B en jam in L ibet (h ttp: //de.wikipedia.org/wiki/L ibet-E xperim en t)

Libet selbst folgerte zunächst aus seinen Resultaten, dass der Entschluss zu handeln von un- bewussten Gehirnprozessen gefällt wird, bevor er als Absicht ins Bewusstsein dringt; die be- wusste Entscheidung sei somit nicht ursächlich für die Handlung. Dadurch sah er die Wil- lensfreiheit und Verantwortlichkeit des Menschen in Frage gestellt.

Kurz darauf ging Libet zu der These über, dass es ein Zeitfenster von zirka 1 00ms gebe, in- nerhalb dessen der bewusste Wille eine bereits eingeleitete Handlung noch

verhindern könne (Veto- oder Kontroll-Funktion des Willens). In diesem Sinne könne das Bewusstsein „willensbestimmte Ergebnisse selektieren und unter ihre Kontrolle bringen“.

Das P rivate u nd das Politisch e

Freisein ist jedoch zu näch st nu r grau e Th eorie. Denn wen n H andlu ngsspielräu m e zwar möglich sin d, ich sie aber nicht nu tzen kann , weil mir Wille oder B efäh igu ng dazu feh len, nü tzt es au ch nicht viel. Es gibt drei Felder der Einsch rän ku ng:

• Stärke des Willens, Ch arakter u nd m entale Vorprägu ng, d. h . die au s N ach denken u nd Reflexion in der Vergangenh eit gewach sen e eigene Einstellu ng

• Fäh igkeiten zu H andeln (M eth oden , Wissen u sw. )

• Äu ßere Zwänge

Anders au sgedrü ckt: Die persönlich e B efreiu ng au s Zu richtu ngen u nd vorgegebenen Rol- len , ein entsch iedener Wille, die eigenen Abwägu n gen u nd Überzeu gu ngen zu m H and- lu ngsmaßstab zu mach en sowie die Aneign u ng eigener Fäh igkeiten u nd die Veränderu ng gesellsch aftlich er B edingu ngen h in zu meh r H andlu ngsfreih eiten u nd -möglich keiten sin d m eh rere Seiten der gleich en M edaille. Das P rivate u nd das Politisch e kann, so m en sch will, in eine Sph äre, die nicht oder nu r begrenzt nach au ßen wirkt, u nd ein e, bei der das Äu ßere verändert wird, getren nt werden. B eide B au stellen im Leben sind wichtig. Emanzipation kann in B eiden stattfinden u nd fördert sich gegenseitig. Denn wer sich nicht losmach en kann au s den N ormieru ngen, die au f ih m /r lasten, wird sich au ch in einer freieren Gesell- sch aft wenig selbst entfalten können. Das ist ja das Konzept m oderner Demokratien: Sie garantieren gewisse Freih eiten, neh men den M ensch en aber du rch ü bermächtige Disku r- se, Entzieh u ng ökon omisch er M öglich keiten u nd gewaltsamer Zu richtu ng au f bestimmte Rollen die Fäh igkeit, sich selbst zu organisieren. So kann der Polizeiknü ppel meist stecken bleiben . Die M ensch en zü chtigen sich selbst.

Au s Ch ristoph Sp eh r, 1 999: „D ie Al ien s sin d u n ter u n s“, Siedl er Verl a g Mü n ch en (S. 1 55) Freiheit wird allerdings unterbunden, wenn wir uns aus einem Herrschaftsverhältnis nicht lösen können, ohne unsere Existenz aufs Spiel zu setzen, unser blankes Überleben. Solche existentielle Abhängigkeit entsteht, im Gegensatz zur „normalen“, relativen Abhängigkeit, nicht automatisch. Sie wird gemacht. Sie ist das Ergebnis einer Politik der verbrannten Erde um das Herrschaftsverhältnis herum: Alle anderen Möglichkeiten werden vernichtet. An- ders als bei direkter Gewalt wird uns nicht unmittelbar Böses zugefügt; oft sieht es sogar so aus, als ob uns etwas Gutes getan würde. Aber im Rücken des Guten geschieht etwas, das uns zuverlässig unterwirft: die Vernichtung dessen, was vielleicht auch ganz gut wäre und was wir wählen könnten, wenn es in der Kooperation nicht klappt.

Umgekeh rt wü rde aber au ch eine B esch rän ku ng au f die private Eben e sch nell an Gren zen stoßen, denn die äu ßeren B edingu ngen blieben als M au ern u nd Zwän ge erh alten. Am Ende stü nde eine h oh e Fru stration oder der Rü ckzu g au f eine kleine I nsel in der P rivath eit,

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Rezension „ Gibt es einen freien Wil l en?“ auf Deutsch l and-Radio:

www.dradio.de/

dkul tur/sendungen/

kritik/404563/

(12)

die sich an den Widrigkeiten gesellsch aftlich er Umgebu ng gar nicht meh r reiben will. Die qu alitätskonsu m-geilen Loh as u nd die in esoterisch er Versenku n g Verschwu ndenen bilden zwei B eispiele solch er Abkoppelu n g, d. h . der kü n stlich en Trennu ng von privat u nd poli- tisch .

Wen ig Sin n macht, beides einfach gleich zu setzen. Denn was in den eigenen vier Wänden (also Syn onym fü r den n icht oder kau m n ach au ßen dringenden B ereich des Lebens) ge- sch ieht, ist eben n icht politisch im Sinne einer gesellsch aftsbeeinflu ssenden Kraft. Wer pos- tu liert „ Das P rivate ist politisch“ ersetzt die notwen dige Widerstän digkeit du rch die I llu sion, im Rü ckzu g Kraft nach au ßen zu entwickeln − ob nu n du rch Erken ntn isgewinn oder per m orph ogenetisch en Feldern, einer beliebten Th eorie fü r alle, die ih ren Rü ckzu g als politi- sch e H andlu ng u m definieren wollen. N ein − das P rivate ist nicht per se selbst sch on poli- tisch . Aber es ist desh alb nicht u nwichtig, ganz im Gegenteil. Und es sollte politisiert wer- den, in dem die Kollisionen, die ein selbstbestimmtes P rivates mit dem normierenden Äu - ßeren im mer wieder h erbeifü h rt, zu m Akt des P rotestes wach sen, u m au ch das Äu ßere zu verändern.

Au s B ookch in , Mu rray (1 992 ): „D ie N eu gestal tu n g d er Gesel l sch aft“, Trotzd em -Verl ag in Gra fen au (S. 1 61 f. )

In diesem theistischen Umfeld neigen politische Aktivität und soziales Engagement dazu, sich vom Aktivismus in eine Wartehaltung und von gesellschaftlicher Organisationsarbeit, in privatistische Selbsterfahrungsgruppen zurückzuziehen. Es bedarf lediglich eines persön- lichen Problems − sei es eine gescheiterte Beziehung oder beruflicher Mißerfolg − das man mit einem geeigneten Mantel umhüllt und schon wird es zu einem „politischen“ Prob- lem oder einer Form sexistischer Diskriminierung. Der Begriff vom „Persönlichen als Politi- schen“ wird leichtsinnig bis zu einem Punkt strapaziert, bei dem politische Themen in einem zunehmend therapeutischen Jargon formuliert werden, so dass jemandes „Art“, seine oder ihre Vorstellungen auszudrücken, als wichtiger betrachtet wird als der Inhalt der jeweiligen Aussage.

Abh än gi gkei t, Geborgen h ei t, Losgel östsei n

I n der Evolu tion des Lebens entstan den − wie sch on in der vorgelagerten u nd weiterlau - fen den Evolu tion der M aterie au ch − immer kom plexere Formen. Das ist nicht nu r ein li- n earer P rozess, son dern im mer wieder entstanden qu alitativ neu e M öglich keiten, die in der Rü cksch au wie Sprü nge wirken, weil sich plötzlich neu e Entwicklu ngsch an cen boten . Tat- säch lich bestanden au ch diese „ Sprü nge“ au s langen P rozessen, doch der Zeitraffer der Gesch ichtssch reibu n g prägt die Wah rneh m u ng als qu alitativer Spru n g. Ein solch er

„ Spru ng“ war die Entsteh u ng ein er sich selbst reprodu zieren den Vielh eit von M olekü len in m eh r oder minder stabiler Anordnu n g: Das Leben . Ob die Übertragu ng der B au plän e des Lebens per DN A u nd zu geh öriger M olekü le ein weiterer Spru ng war oder sch on recht frü h (in irgen deiner Vorläu ferversion ) die Entwicklu ng prägte, weiß niem and sich er. Zweige- sch lechtlich keit, Energiegewinnu n g au s dem Sonn en licht, Sau erstoffatm u ng u n d vieles m eh r sin d qu alitative Fortentwicklu ngen. Sie verändern nicht nu r das Leben selbst, son- dern au ch die M öglich keiten der Weiterentwicklu ng, d. h . mit den neu en Qu alitäten sin d n eu e M ech anismen fü r zu kü nftige Veränderu ngen entstan den. M aterie u n d Leben verän- dern nicht nu r sich selbst, sondern au ch die B edingu ngen, u nter denen sie sich verändern.

(13)

Ein solch er „ Spru ng“ stellt die Entsteh u ng von B ewu sstsein dar. Zwar dü rfte als widerlegt gelten, dass nu r M en sch en ein solch es h aben, aber das ist fü r diese B etrachtu ng oh n e B e- lang. Es zeigt nu r, dass B ewu sstsein ebenfalls das Ergebnis eines seh r langen P rozesses ist, der eine Vielzah l m aterieller Gru ndlagen zu h aben sch eint:

• Die Größe des Geh irn s als Ort u nvorstellbar komplexer u n d sich ständig verändern- der Verdrahtu ngen nah m zu . Das Geh irn frisst h eu te im mensch lich en Körper 1 5 P rozent aller Energie − ein bemerkenswerter Anteil, der verdeu tlicht, welch ein ständiges Komm en u nd Geh en von M aterie sich h ier abspielt.

• I mm er längere Tragezeiten (bei Säu getieren) u nd eine seh r lange Entwicklu ngsph ase von der Gebu rt bis zu r Gesch lechtsreife bzw. dem Au sgewach sensein.

• Eine frü h e u nd inten sive Komm u nikation der H eranwach sen den mit vielen An deren . Als Ergebnis dieser (u nd möglich erweise n och vieler an derer) Eigensch aften des bewu sst- seinstragenden Lebens ist eine Denkqu alität entstan den, die nicht nu r in einer koordin ier- ten Reaktion au f äu ßere B edingu ngen u nd ein er Steu eru ng des eigenen Verh altens be- steht, sondern all das reflektiert. Der M en sch kann sich selbst erkennen, sich betrachten, sich gedanklich qu asi au ßerh alb seiner selbst stellen. So lassen sich das eigene Leben, die eigen en H andlu n gsm öglich keiten u nd die äu ßeren B edingu ngen beobachten , abwägen u n d au f dieser B asis Entsch eidu ngen fü r dan n folgen de Tätigkeiten treffen. Das Gesch eh en wird abstrah iert, in Wörter u nd Wertu ngen gepackt. Komplizierte Gebilde wie ganze Ge- sellsch aften oder der gesamte Kosmos werden in B egriffen festgeh alten . Dieses Abstrak- tionsvermögen löst den M ensch en au s seiner u nmittelbaren Einh eit mit der Umwelt u n d m it sich selbst, zu m indest m it seiner materiellen Gru ndlage, dem Körper. Zwar ist au ch das B ewu sstsein nicht anderes als ein im Geh irn materiell veran kertes Ereignis, aber es ist eben in seinem Abstraktion svermögen eine I llu sion besonderer Art, weil es sich sch einbar lo- skoppelt. Das Paradoxon, dass ein e m ateriell bestimmte Denkleistu ng so au sfällt, dass sie nicht m eh r einfach nu r in dieser m ateriellen Gru n dlage gefangen ist, m acht das beson dere von B ewu sstsein au s u nd gibt dem M ensch en die relative Freih eit, du rch Abwägen, H inter- fragen, Experimentieren u nd Kreativität in nerh alb der besteh enden Grenzen H an dlu ngs- m öglich keiten zu entdecken oder die Gren zen zu versch ieben. Die Zwänge werden zu I m- pu lsen , denen sich au ch − bei meh r oder weniger klarer Vorh erseh barkeit der Folgen − widersetzt werden kann.

Es gesch ieht aber n och etwas An deres: Dem M ensch en geht die u n mittelbare Kopplu ng des Denkens an die du rch m aterielle Gru ndlagen bestimmten Vorgaben verloren. Es fü h lt sich so an, als wäre da nichts m eh r an B estim mth eit. Das B ewu sstsein tren nt die vorh er u n- m ittelbar verbu ndenen Denken u nd H an deln. Die Ch ance zu r Abwägu ng, Reflexion, zu m Entsch eiden u nd Sich -verantwortlich -Fü h len ist im mer da. Der M ensch ist h inau sgeworfen au s direkten Kopplu n g von Reiz u nd Reaktion. Er mu ss selbst entsch eiden oder sich neu - en, extern en H andlu ngsleitlinien u nterwerfen . Er ist su bjektiv isoliert von der B estimmth eit du rch die N atu r. Es gibt keinen Anspru ch meh r au f Vertrau en, Geborgen h eit u nd Verläss- lich keit.

Au s U l rich Kl em m , 2 005: „F reih eit & An arch ie“, edition AV in L ich (S. 1 3)

Mit der neuzeitlichen Idee der Freiheit entfremdet sich der Mensch ideengeschichtlich und psychologisch von der Sicherheit transzendentaler Bindung und Orientierung und unter- bricht die mittelalterliche Einheit von Gott und Mensch und einer Gesellschaftsordnung, die nicht auf der Gleichheit, Freiheit und Individualität der Menschen basiert.

(14)

Au s B ookch in , Mu rray (1 992 ): „D ie N eu gestal tu n g d er Gesel l sch aft“, Trotzd em -Verl ag in Gra fen au (S. 7)

Im gesellschaftlichen Sinne leben wir in einer verzweifelten Unsicherheit über die Beziehun- gen der Menschen untereinander. Wir leiden nicht nur als Individuen unter Entfremdung und Konfusion über unsere Identität und unsere Ziele; unsere ganze Gesellschaft, als Ein- heit gesehen, scheint sich über ihre eigene Natur und Zielsetzung unklar zu sein.

H ein z von F örster/B ern h ard Pörksen (8. Au fl a ge 2 008), „Wah rh eit ist d ie E rfin du n g ein es Lü gn ers“, Ca rl Au er Verl ag in Wiesbad en (S. 34 f. )

B. P. . . . Menschen kommen doch gar nicht ohne die Sehnsucht nach etwas Endgültigem und Fraglosern aus. Sie brauchen die Sicherheit des Absoluten.

H. F. Für mich ist diese Sicherheit des Absoluten, die einem Halt geben soll, etwas Gefährli- ches, das einem Menschen die Verantwortung für seine Sicht der Dinge nimmt. Mein Ziel ist es, eher die Eigenverantwortung und die Individualität des einzelnen zu betonen. Ich möchte, dass er lernt, auf eigenen Füßen zu stehen und seinen persönlichen Anschauungen zu vertrauen. Mein Wunsch wäre es, dem anderen zu helfen, seine ganz eigenen Vorstel- lungen, seine eigenen Gedanken, seine eigene Sprache zu entwickeln, ihm zu helfen, seine Beobachtungsgabe zu schärfen, seine eigenen Augen und Ohren zu benutzen.

E rich F rom m (1 990): „D ie F u rch t vor der F reih eit“, dtv in Mü n ch en

Solange man ein integrierter Teil jener Welt war und sich der Möglichkeiten und der Verant- wortlichkeit individuellen Tuns noch nicht bewußt war, brauchte man auch keine Angst da- vor zu haben. Ist man erst zu einem Individuum geworden, so ist man allein und steht der Welt mit allen ihren gefährlichen und überwältigenden Aspekten gegenüber. . . . (S. 28) Genau wie ein Kind physisch niemals In den Mutterleib zurückkehren kann, so kann es auch psychisch den Individuationsprozeß niemals wieder rückgängig machen. Alle Versuche, es doch zu tun, nehmen daher zwangsläufig den Charakter einer Unterwerfung an, bei dem der grundsätzliche Widerspruch zwischen der Autorität und dem Kind, das sich unterwirft, nie beseitigt wird. . . . (S. 28)

Freiheit im eben besprochenen Sinne ist ein zwiespältiges Geschenk. Der Mensch wird ohne die für ein zweckmäßiges Handeln geeignete Ausrüstung, wie sie das Tier besitzt, geboren.

. . . Er ist länger als jedes Tier von seinen Eltern abhängig, und seine Reaktionen auf die Um- gebung sind langsamer und weniger wirksam, als es bei automatisch ablaufenden instinkti- ven Handlungen der Fall ist. Er macht alle Gefahren und Ängste durch, die mit diesem Feh- len einer Instinktausrüstung verbunden sind. Aber gerade diese Hilflosigkeit des Menschen ist der Ursprung der menschlichen Entwicklung. Die biologische Schwäche des Menschen ist die Voraussetzung der menschlichen Kultur. (S. 30)

Dieser Mythos setzt den Beginn der Menschheitsgeschichte mit einem Akt der Wahl gleich, doch betont er höchst nachdrücklich die Sündhaftigkeit dieses ersten Aktes der Freiheit und das sich daraus ergebende Leiden. Mann und Frau leben im Garten Eden in vollkommener Harmonie miteinander und mit der Natur. Es herrscht Friede, und es besteht keine Notwen- digkeit zu arbeiten. Auch gibt es keine Entscheidungen zu fällen, keine Freiheit und auch kein Denken. Dem Menschen ist es verboten, vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bö- sen zu essen. Er mißachtet Gottes Gebot und zerstört dadurch den Zustand der Harmonie mit der Natur, von der er zunächst ein Teil ist und die er nicht transzendiert. Vom Stand- punkt der Kirche aus, welche die Autorität repräsentiert, ist diese Handlung ihrem Wesen nach eine Sünde. Vom Standpunkt des Menschen aus bedeutet sie dagegen den Anfang der menschlichen Freiheit. Gegen Gottes Gebot handeln, heißt sich vom Zwang befreien, aus der unbewußten Existenz des vormenschlichen Lebens zum Niveau des Menschen em- portauchen. Gegen das Gebot der Autorität handeln, eine Sünde begehen, ist in seinem positiven menschlichen Aspekt der erste Akt der Freiheit, das heißt die erste menschliche Tat. . . . (S. 32)

Dieses Mißverhältnis zwischen Freiheit von jeder Bindung und dem Mangel an Möglichkei- ten zu einer positiven Verwirklichung der Freiheit und Individualität hat in Europa zu einer panikartigen Flucht vor der Freiheit in neue Bindungen oder zum mindesten in eine völlige Gleichgültigkeit geführt. . . . (S. 33)

Referenzen

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