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Su bj ekt des ei gen en Leben s werden

Im Dokument Was ist der Mensch?Warum die Frage? (Seite 21-24)

Davonren nen u nd als toter Fisch in die Flü sse kollektiver I dentitäten , frem der Wertsystem e oder vorgekau ten Lebens (oder politisch er Aktion en ) zu springen , wirkt attraktiv. Die Selbstentmü n digu ng verdrängt das B ewu sstsein, aktiv wah rneh m en , abwägen, selbst ent-sch eiden u nd reflektieren zu mü ssen . Damit geht das Typient-sch e am M enent-sch sein verloren.

Zu sätzlich e P robleme sch afft die materielle Veran keru ng allen Denken s u nd Empfindens, also die dynam isch e Anpassu n g des Organismu s an die Lebensgewoh nh eiten . Som it ver-festigt sich die Lebensku ltu r im M en sch en, da z. B. das Geh irn einem stän digen dynam i-sch en Wandel u nterliegt u nd so die Frem dbestimmu ng verstetigt. Es gibt keinen Sch alter, der einfach u mgelegt werden könnte. Die Änderu ng von Lebensgewoh nh eiten sch afft im-m er Übergangsschwierigkeiten − von der Aneign u ng neu er Fäh igkeiten bis zu r Loslösu ng au s bish erigen Gewissh eiten. Das B ish erige h at sich eingebrannt. Das N eu e m u ss erobert werden − ein Kraftakt, denn er gesch ieht, wäh rend noch das alte Den ken dom iniert, in der das B eh errsch ende, Einengende u nd B evorm u ndende die vertrau te Denku mgebu ng bil-det.

Die Alternative ist An eignu n g der Fäh igkeiten, sein B ewu sstsein u nd das Verm ögen zu m aktiven Wah rneh men, Abwägen u nd Entsch eiden wieder in Schwu ng zu bringen , d. h . selbst zu m Gestalter des eigenen Lebens zu werden.

Au s Kan t, I m m an u el (1 784), „B ean twortu n g d er F ra ge: Wa s ist Au fkl äru n g“, zitiert in : Massin g, Peter/B reit, Gotth ard (2 002 ): „D em okra tieTh eorien“, Woch en sch au Verl a g Schwal -bach , L izen zau sgabe fü r d ie B u n deszen tra l e fü r pol itisch e B il d u n g, B on n (S. 1 2 9) Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am

Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstan-des zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Der M ensch als M aß aller Dinge

Alles geh ört ü ber B ord, was meh r Wert h aben soll als der M ensch selbst. I ch u nd die Ande-ren m it ih Ande-ren, h offentlich au ch nicht nu r vom M itschwim men h er stam menden I deen ste-h en im M ittelpu nkt, sonst nicste-hts.

Au s E rich F rom m (1 993): „D ie F u rch t vor d er F reih eit“

Zur positiven Freiheit gehört auch das Prinzip, dass es keine höhere Macht als dieses einzig-artige individuelle Selbst gibt, dass der Mensch Mittelpunkt und Zweck seines Lebens ist und das Wachstum und die Realisierung der Individualität des Menschen ein Ziel ist, das nie-mals irgendwelchen Zwecken untergeordnet werden kann, die angeblich noch wertvoller sind.

Au s Marx, Karl (1 844): „Zu r Kritik d er H egel sch en Rech tsph il osoph ie“

Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in de-nen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Au s de Sain t-E xu pery, An toin e: „N a ch tfl u g“ (S. 1 07)

Obwohl das Menschenleben unbezahlbar ist, handeln wir immer wieder so, als ob es etwas gäbe, das das Menschenleben an Wert übertrifft.

Das gilt au ch fü r wirtsch aftlich e Ziele, fü r M asch inen u nd Geräte. N ichts steht ü ber dem M en sch en. Das im eigen en Leben voranzu treiben , ist Em anzipation. Es tau gt aber ebenso als Gru ndlage fü r die Revolu tion als perm anente B efreiu ng au s den Zwängen u n d Zu rich -tu ngen sowie der Wiederaneign u ng des eigenen Lebens u n d der gesellsch aftlich en Gestal-tu ng.

Au s Sch irrm ach er, F ran k (2 009): „Payback“, B l essin g in Mü n ch en (S. 2 2 4)

Es geht um Realitäten. In Schulen, Universitäten und an den Arbeitsplätzen muss das Ver-hältnis zwischen Herr und Knecht, zwischen Mensch und Maschine neu bestimmt werden.

Die Gesellschaft, die die Kontrolle über ihr Denken neuartig zurückgewinnt, ist eine, in der in Schulen und Hochschulen Meditationen als Teil des Unterrichts angeboten werden. Sie werden zu Institutionen, in denen Denken gelehrt wird und nicht Gedanken, indem wir leh-ren, in Zeiten der Suchmaschine den Wert der richtigen Frage zu erkennen.

Es gibt Äonen von Gedanken, die wir in dieser Sekunde mit einem einzigen Knopfdruck ab-rufen können. Aber kein Gedanke ist so wertvoll und so neu und schön wie der, dessen ers-tes Flügelschlagen wir gerade jetzt in unserem Bewusstsein hören.

Das Gleich e gilt fü r alle kollektiven I dentitäten. Ob Gott oder Google, B oru ssia Pau li oder St. B och u m , Deu tsch land oder Atlantis, N ike oder Green peace − es gibt keine h öh eren Dogmen oder M aßstäbe als der selbstbewu sste u nd reflektierende M ensch selbst. Kom mu -n ikatio-n, Au stau sch u -nd Streit m it a-ndere-n M e-n sch e-n sch ärfe-n die eige-ne Wah r-neh m u -ng.

H öh ere N orm en h ingegen sind nu r Spu ndwände des Kanals, du rch die der Strom des Le-bens seine Richtu ng erh ält. I n diesem P u nkt sind sich die Angebote der M illionen I nternet-seiten, die dagegen prü de u nd verstau bt dah erkom menden Religionen u nd der so h och ge-lobte Rechtsstaat n ämlich äh n lich : Sie bieten einen Ersatz fü r das selbstbestimmte Leben.

Sie mach en den M en sch en zu m Rädch en im System , zu m willigen Vollstrecker der Le-bensentwü rfe anderer − wobei die Qu elle oft gar nicht meh r bestim mbar ist, weil

Religio-nen ebenso wie die Gesetze eh er P rodu kt u mfangreich er u nd h ochvermachteter Disku rse sin d statt Sch öpfu n gen einzelner M ächtiger oder kleiner einflu ssreich er Kreise.

Abstinenz zu all dem ist dabei gar nicht nötig. Die Fu ßball-B u ndesliga m u ss ebenso wen ig au fgelöst wie die B ibel eingestampft werden. I m Sinn e der An eignu ng von M öglich keiten u n d Fäh igkeiten kann selbst in Gesetzen oder Religionssch riften gewildert werden, ob sich dort Anregu ngen fü r das eigen e Leben finden − wie in jeder anderen Qu elle au ch . Aber sie als h öh er anzu erkennen, entm ü ndigt − das h aben solch e N orm en ja au ch zu m Ziel.

Die Rezeptbü ch er fü r ein gu tes bzw. richtiges Leben h aben au sgedient. Emanzipation brau cht keine I deologie, sie macht die M ensch en u nd ih re Überzeu gu ngen zu m M ittel-pu nkt. Das ist die eigentlich e Revolte.

Th ese 1 2 der „Zwöl f Th esen ü ber An ti-Ma ch t“ von J oh n H ol l oway

Die Revolution ist dringend, aber ungewiss. Keine Antwort, sondern eine Frage.

Die orthodox-marxistischen Theorien suchten die Gewissheit auf der Seite der Revolution.

Dies geschah mit dem Argument, dass die historische Entwicklung unvermeidlich zur Entste-hung der kommunistischen Gesellschaft führen würde. Dieser Versuch war ein vollständiger Irrtum, weil es keine Sicherheit bei der Schaffung einer selbstbestimmten Gesellschaft ge-ben kann. Gewissheit kann man in der Vereinheitlichung der Zeit finden, in der Festschrei-bung des Tuns im Sein. Selbstbestimmung ist notwendigerweise ungewiss. Der Tod der alten Gewissheiten stellt eine Befreiung dar. Aus denselben Gründen kann die Revolution nicht als Antwort verstanden werden, sondern nur als Frage, als eine Suchbewegung hin zur Realisierung der Würde. Preguntando caminamos (fragend gehen wir voran).

I h re Rou te wird neu berech net:

Fü r eine Gesellsch aft oh ne Boden

Es gibt keine h öh ere M oral, dah er au ch kein en I mperativ, was Leben sein soll. M en sch sein bedeu tet Losgelösth eit. Das I ndividu u m ist nicht län ger Teil ein er vorgegebenen B in du ng, z. B. der Einordnu ng in ein en biologisch en Verban d oder die Len ku ng du rch I n stinkte. I n dieser Situ ation winkt als em anzipatorisch e Variante die Gesellsch aftlich keit in Form einer Kooperation sich selbst entfaltender I n dividu en . Die I solation h in gegen kappt viele H and-lu ngsoptionen, wäh ren d der Eintritt in kü nstlich e Kollektive (Volk, identitäre Gem einsch aft u sw. ) nu r die u rsprü nglich biologisch e Einbettu n g ersetzt. Das Kollektiv sch afft gefü h lte Geborgenh eit u nter Verlu st der Selbstbestimm u ng. Emanzipatorisch sin d beide Varianten nicht.

Fü r alle An h ängerI nnen h errsch aftsfreier Gesellsch aft könnte sich n och eine andere Frage stellen: I st das dann Anarch ie? Löst sich au s einer solch en Perspektive au ch der sch einbare Gegensatz zwisch en I ndividu al- u nd sozialer Anarch ie au f? Denn eine volle Selbstentfal-tu ng sch ließt ein, dass die M öglich keiten der Kooperation das soziale Leben prägen.

Sch ließlich bedeu tet Kooperation ein e Au sdeh nu n g der H andlu ngsmöglich keit, die wie-deru m ein gesch ränkt wird, wenn sie erzwu ngen ist.

Oder wäre der Versu ch , die I dee der An arch ie so neu zu fü llen , wieder nu r ein e neu e Sch u blade, eine Frem dideologie, die lieber m it au f dem M ü llh au fen der Gesch ichte fremd-bestim mter Gesellsch aften geh ört?

Au s Can tzen , Rol f (1 995): „Wen iger Sta at − m eh r Gesel l sch aft“, Trotzd em in Gra fen au Stirner, den die Anarchisten für den Anarchismus reklamieren, übte Kritik an Denksystemen, die den individuellen Menschen (das »Ich«, den »Einzigen«) einem Ganzen unterordnen; sie

richtet sich gegen Ideale, Absolutheiten, Wahrheiten, Werte, gegen Gott, Vaterland und Staat, also gegen alles, was dem einzelnen übergeordnet wird und in das der einzelne ein-geordnet oder dem er zuein-geordnet werden soll. Stirner postuliert einen radikalen, durch nichts eingeschränkten Individualismus und »Egoismus«. Sein Motto lautet »Ich hab' Mein' Sach' auf nichts gestellt«. Das freie, einzelne Ich duldet nichts über sich. Weder Staat, noch Gott; auch keine Moralvorstellung soll das Ich binden und verpflichten (1 979, 399). Stirners

»Anarchismus« ist einer radikalen vor nichts haltmachenden Kritik und Destruktion verpflich-tet. Selbst der Anarchismus als gesellschaftspolitisches Ideal − darüber täu-schen sich die meisten Anarchisten hinweg − wird mit seiner Kritik der

An-spruch auf »Wahrheit« entzogen. »Anarchismus« wäre für Stirner nur ein

»-ismus« mehr, der abzulehnen ist.

Was aber sch afft dann Sich erh eit? N ichts. So wie h eu te au ch . Denn Si-ch erh eit gibt es nie. Zu ku nft ist n iSi-cht vorh erbestimm bar. Es ist ein er der zentralen Disku rse h eu tiger Zeit, dass Sich erh eit nötig u nd deren H erstel-lu ng desh alb geboten ist − oh ne Rü cksicht au f Vererstel-lu ste. Erken nbar klappt das nicht, denn die Sich erh eitsarch itektu r in der Gesellsch aft m u ss stän dig au fgestockt werden. Doch au ch der Vordisku rs, dass Sich erh eit ü berh au pt m öglich ist, besteht nu r au s P ropaganda u nd Lü -gen. Sie ist nicht möglich . Statt die Seh nsu cht nach dem Unerreich baren zu sch ü ren u n d m it Sch einangeboten zu befriedigen, wäre das Umgekeh rte sinnvoll: Die Offenh eit von Le-ben, P rozessen u n d Gesellsch aften mu ss zu r Gru ndlage werden, d. h . zu r alltäglich en Er-fah ru ng u nd P raxis. I n dieser Un abh ängigkeit geh ören Zu gang zu Ressou rcen, Koopera-tion u nd freie Vereinbaru ngen zu den Elem enten, die die I solierth eit ü berwin den. Das wäre ein aktiver P rozess der B eteiligten. M ensch en werden au s den eh emaligen natü rlich en B indu ngen nicht in neu e au toritäre M u ster gezwängt, son dern sie sch affen sich selbst das n eu e (verän derbare) Gerü st ih res Leben s. Sie entfalten sich , sch affen ih r Leben u nd ein Stü ck Gesellsch aft selbst.

Au szu g au s „Ra u s au s d em H a m sterra d“, Kom m en tar von Steph an Grü n ewal d in : F R , 11 . 2 . 201 1 (S. 30)

Aber mit zunehmendem Alter versuchen wir die Spannungsdramatik der Zeit einzuebnen.

Wir ritualisieren unser Leben. Wir opfern das Risiko der Weiterentwicklung der Erwar-tungs-Sicherheit. Darum bezeichnete Sigmund Freud die festen (Trieb-)Bahnen, die wir im Leben aufbauen, als „Zwischenstationen auf dem Weg zum Tode“. Wir wollen schon vor der ewigen Ruhe einen ausgeglichenen Ruhezustand herstellen.

Man kommt aus dem Zustand des Verfliegens nur heraus, wann man wieder − wie schon in jungen Jahren − bereit ist, sich der Zeit zu öffnen, zu experimentieren und sich auf das Abenteuer Entwicklung einzulassen. Ein erster Schritt dahin ist der Ausstieg aus den immer-gleichen Ritualen und der Besinnungslosigkeit des Hamsterrads. Das Innehalten und Ver-weilen öffnet die Zeit. Es macht uns empfänglich für unerfüllte Wünsche, für verrückte Wendungen, für Dinge, die wir immer schon mal tun wollten, oder für Pläne, die wir immer schon einmal verwirklichen wollten.

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Zur U ntersch eidung zwi-

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sch en I ndividual - und sozi-al er Anarch ie sieh e auf www. projektwerkstatt.de/

zitate/z_anarch ie. htm l

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