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Archiv "Pharmamarketing: Millionen für die Meinungsbildner" (28.09.2001)

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de Erkenntnis, dass die therapeutische Wirksamkeit der Antipsychotika kei- nesfalls an extrapyramidalmotorische Effekte gebunden sei. Dies habe zur Entwicklung moderner atypischer An- tipsychotika geführt.

Eine schnelle und adäquate medika- mentöse Behandlung, so der Tenor in Berlin, ermöglicht nicht nur ein gutes Abklingen akutpsychotischer Sympto- me, sondern verbessere auch die Lang- zeitprognose. Der Vorteil vieler Atypi- ka liege hauptsächlich in einem günsti- geren Nebenwirkungsprofil, da sie ge- zielt auf das mesolimbisch/mesokorti- kale System einwirkten, nicht jedoch auf das nigrostriatale. Auch ließen sich Erhöhungen der Prolaktinkonzentrati- on vermeiden, erklärte Jeffrey Lieber- man (Universität North Carolina).

Allan Young (Universität Newcastle) hob hervor, dass das Wirkungsspektrum von Olanzapin eine direkte antidepres- sive Komponente aufweise. Gegenüber Haloperidol oder Risperidon sei eine signifikant niedrigere Suizidrate auf- getreten. Nach den Erfahrungen von Padraig Wright (Universität London) lässt sich Olanzapin in einer Akutsitua- tion vorteilhaft auch intramuskulär ein- setzen. Eine rasche Verbesserung der Symptome müsse so nicht mehr mit un- erwünschten Wirkungen wie Parkinson- syndrom, akuter Dystonie oder Herz- reizleitungsstörungen erkauft werden.

Ferner könne auf Benzodiazepine als Begleitmedikation verzichtet werden, und die Umstellung auf die orale Dar- reichungsform sei problemlos.

Während in den USA der primäre Einsatz atypischer Antipsychotika mitt- lerweile bei 60 Prozent liegt, werden die- se Medikamente in Deutschland – wohl auch aus Kostengründen – nur in 20 Pro- zent der Fälle akuter schizophrener Psy- chosen verordnet. Der Londoner Öko- nom Martin Knapp wies auf die volks- wirtschaftliche Bedeutung von Invali- dität und Chronifizierung schizophrener Erkrankungen hin. In Deutschland sei der Anteil der indirekten Behandlungs- kosten durch Krankenhausaufenthalte und staatliche Zuwendungen höher als in jedem anderen Land. Knapp betonte, dass die Atypika bezüglich Lebensqua- lität und Kosteneffektivität den kon- ventionellen Medikamenten überlegen seien. Dr. med. Peter Bartmann

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A2484 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 39½½½½28. September 2001

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iederländische Behörden nehmen derzeit intensiv die Marketing- Praktiken der Pharmaindustrie unter die Lupe – offenbar mit dem Ziel, nach Bestechung beziehungsweise Vor- teilsnahme riechende Praktiken klar zu begrenzen. Bereits Anfang des Jahres musste die niederländische Niederlas- sung von Merck, Sharp & Dohme 95 000 Gulden (etwa 86 000 DM) Strafe zah- len, weil das Unternehmen an Ärzte Ausflüge zu Konzert- und Sportveran- staltungen verschenkt hatte.

Jetzt verhört die Staatsanwaltschaft 60 bis 70 Ärzte, die an einer eintägigen Veranstaltung von Boehringer Ingel- heim teilgenommen hatten, auf der Wer- bung für das Antihypertensivum Micar- dis®(Telmisartan) gemacht wurde. Nach einem Bericht der Zeitschrift der nieder- ländischen Ärztevereinigung KNMG,

„Medisch Contact“, bestand der „Lö- wenanteil“ des Tages aber aus einem Auto-Sicherheitstraining, das die Firma den Ärzten spendiert hatte.

Regelungsbedarf nicht nur in den Niederlanden

Der Staatsanwalt in Haarlem prüft nun, ob die Ärzte damit gegen die bislang sehr weich formulierten holländischen Regelungen zur Vorteilsnahme ver- stoßen haben. Ein Sprecher von Boeh- ringer Ingelheim Deutschland sagt auf Anfrage, dass „uns solche Veranstal- tungen in Deutschland nicht bekannt sind“.

Den Hinweis auf die problematische Werbeveranstaltung erhielt die Staats- anwaltschaft vom niederländischen Ge- sundheitsministerium. Auf Aufforde- rung des Ministeriums hatten sich die holländische Ärztevereinigung KNMG

und die Pharmaindustrie bereits letztes Jahr verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren neue Regeln zur Frage auszuar- beiten, wo kleine Geschenke enden und Bestechung beginnt. Offenbar will die Behörde ein Exempel statuieren, damit Industrie und Ärzteschaft diese Arbeit ernst nehmen.

Dazu gibt es womöglich nicht nur in Holland Anlass. Wie massiv die Indu- strie auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte Einfluss zu nehmen versucht, zeigen zwei bereits im Juni ebenfalls in Holland veröffentlichte Berichte. Sie geben zum ersten Mal einen Überblick darüber, wie Pharmaunternehmen ihre Marketingstrategien koordinieren. „In Deutschland verwendet die Industrie ganz ähnliche Werbekonzepte“, schil- dert Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, Arzneimittelexperte an der Universität Bremen.

Hintergrund der holländischen In- itiative ist die Umsetzung einer EU- Richtlinie zur Arzneimittelwerbung aus dem Jahr 1992 (92/38/EEG). Um den Regelungsbedarf zu analysieren, hat Gesundheitsministerin Els Borst-Eilers zwei Untersuchungen in Auftrag gege- ben. In der einen haben Beamte ihres Ministeriums Ärzte und Industriever- treter zu üblichen Praktiken und An- sichten zum Pharma-Marketing inter- viewt. In der zweiten Untersuchung hat seit April 1999 ein eigens eingesetzter Inspektor bei zehn Firmen die Marke- tingpläne von 28 verschreibungspflich- tigen Medikamenten analysiert; diese Pläne sind normalerweise ein streng gehütetes Betriebsgeheimnis.

Auch wenn der Bericht über die Er- gebnisse dieser Analyse weder Firmen noch Präparate nennt, bestätigt er die Vermutung, dass Ärzte extrem stand- fest sein müssen, wenn sie nicht dem

Pharmamarketing

Millionen für die Meinungsbildner

Eine holländische Studie belegt, wie

stark der Druck des Marketing auf die Ärzte ist.

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Werben der Pharmaindustrie erliegen wollen. Allein die Höhe des Budgets demonstriert, welche Erwartungen die Industrie in ihr Marketing setzt: Insge- samt lag das bei den meisten der 28 Me- dikamente auf ein Jahr voraus geplante Werbebudget bei 140 Millionen DM;

darin sind Gehälter, Nebenkosten und Provisionen für das Marketing-Perso- nal wie Pharmareferenten und Pro- duktmanager nicht einmal eingerech- net. Die zehn Firmen verplanten diese 140 Millionen DM folgendermaßen:

❃ 28 Millionen DM (20 Prozent) flossen in „Phase IV-Studien“ und An- wendungsbeobachtungen. Der wissen- schaftliche Wert solcher Studien ist seit langem umstritten. Tatsächlich be- stätigt die Untersuchung, dass die primäre Motivation der Firmen zum Beginn solcher Untersuchungen meist darin bestand, den Verkauf neuer Präparate anzukurbeln. Der Report kritisiert deshalb auch die Ethikkom- missionen, die solche Studien zulassen:

Als „Seeding-Trials“ missbrauchte Stu- dien dürften „nicht von Ethikkommis- sionen genehmigt werden“.

❃ 26 Millionen DM (19 Prozent) wa- ren für Fortbildungen und Kongressbe- suche eingeplant: Wie auch in Deutsch- land finanzieren Firmen ausgewählten Ärzten (und Journalisten) die Teilnahme

an den Veranstaltungen – Kongressge- bühren, Reisekosten und Sozialpro- gramm inklusive. „Dabei sind Ausgaben von 10 000 Gulden (etwa 9 000 DM) pro Person und Kongress keine Ausnahme“, schildert der Bericht. Dieses Sponsoring ist für Ärzte durchaus eine gute Möglich- keit, auf dem Laufenden zu bleiben. Al- lerdings besteht aus Firmensicht der Sinn der Einladung vor allem darin, Ärz- te in „Satellitensymposien“ am Rande der Kongresse zu lotsen.

❃ 16 Millionen DM (11 Prozent) wa- ren zudem für reine „Promotion“-Tref- fen eingeplant. Das Strickmuster ist ähnlich wie hierzulande: „Meinungs- bildner“ halten vor mehreren Hundert Ärzten Referate, deren Inhalt oft mit den Firmen abgesprochen oder sogar vorgegeben ist. Nach Darstellung der Firmen sollen diese Veranstaltungen

„der Information“ der Ärzte dienen, in den analysierten Marketing-Plänen le- sen sich die Aufgaben ganz anders:

„überzeugen, dass das betreffende Arz- neimittel das Beste ist; die Anzahl der behandelten Patienten erhöhen; Ärzte bearbeiten, an Phase-IV-Studien teilzu- nehmen“, zitiert der Bericht.

❃ 4 Millionen DM (3 Prozent) waren als Honorare für jene Meinungsbildner eingeplant, die die Firmen für ihre Überzeugungsarbeit einspannen – wie in

Deutschland sind das meist internatio- nal, national oder regional bekannte Pro- fessoren. Obwohl der Anteil solcher Ho- norare am Budget eher klein erscheint, ist er laut Report des Ministeriums „sub- stanziell“, da die Millionen-Summen auf eine „relativ kleine Gruppe“ von Refe- renten verteilt wird. Der Bericht kriti- siert, dass die engen finanziellen Ver- flechtungen der Meinungsführer mit der Industrie „nicht immer transparent sind“. Dazu Glaeske: „Man kann nicht davon ausgehen, dass man von einem von einer Firma gut bezahlten Referen- ten objektive Informationen bekommt.“

❃ Weitere 27 Millionen DM (20 Pro- zent) werden für Werbepost, Anzeigen in Fachzeitschriften und „sonstige PR“

eingeplant (Textkasten).

❃ 16 Millionen DM (12 Prozent) wa- ren für die Ausstattung der Pharma- referenten vorgesehen, damit sie beim Besuch in der Praxis etwas in der Hand haben: Geschenke, Poster, Werbebro- schüren, Sonderdrucke. Der Rest des Budgets (15 Prozent) verteilt sich vor allem auf Publikumsreklame, Muster- präparate, Internet-Präsentationen und Marktuntersuchungen.

Obwohl die Analyse den bislang tief- sten Einblick liefert, betont der Bericht, dass die Zahlen nicht verallgemeinert werden können. Marketing-Aufwand und Strategie unterscheidet sich von Präparat zu Präparat, aber auch von Land zu Land. Hochrechnungen auf das Gesamt-Marketingbudget der Pharma- branche seien deshalb nicht möglich.

Auf der Grundlage der Berichte hat die niederländische Gesundheitsmini- sterin bereits einen Gesetzentwurf vor- gelegt: Nach dem Entwurf sollen Ärzte in Holland für Bewirtung und Reiseko- sten im Jahr nicht mehr als 1 000 Euro annehmen dürfen, „Geschenke“ sol- len auf 90 Euro pro Jahr beschränkt bleiben.

Bislang enthält auch das deutsche Berufsrecht der Ärzte keine klaren Grenzen, was Ärzte annehmen dürfen und was nicht; „unzulässig“ sind nach der (Muster-)Berufsordnung aber „Ge- schenke oder andere Vorteile, welche das übliche Maß kleiner Anerkennun- gen übersteigen“. Klaus Koch Die Berichte des Niederländischen Gesundheitsministe- riums und die Gesetzesinitiative (in Holländisch) unter www. minvws.nl/infotheek.html?folder=4&page=15856 P O L I T I K

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A2486 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 39½½½½28. September 2001

Umsatz der pharmazeutischen Indu- strie in Deutschland 2000 (Hersteller- abgabepreise): 35,5 Milliarden DM Anteil der Werbung am Gesamtbud- get der Pharmabranche: unbekannt.

Nach Schätzungen des amerikanischen Verbraucherschützervereins Public Ci- tizen investiert die Branche etwa 30 Pro- zent ihres Umsatzes in Marketing und Vertrieb – das ist mehr als doppelt so viel, wie sie für Forschung und Entwick- lung neuer Medikamente ausgibt.

Bereich Selbstmedikation 2000 (End- preise), Umsatz: 7,4 Milliarden DM Ausgaben für Publikumswerbung:

817 Millionen DM

Bereich verordnete Medikamente (Endpreise), Umsatz: 46,7 Milliarden DM

Ausgaben für Marketing:

❃ Ausgaben für Anwendungsbeobach- tungen, Kongress-Sponsoring, Hono- rare für Meinungsbildner: unbekannt.

❃ Anzeigen in Fachzeitschriften: 280 Millionen DM (31 000 Anzeigenseiten in etwa 230 Medizin-Fachzeitschriften)

❃ Aussendungen, Werbe-Post: 100 Mil- lionen DM

❃ Pharmareferenten: 2,7 Milliarden DM; darin enthalten Gehälter, Spe- sen, Provisionen et cetera, aber nicht Werbematerial.

Die Gesellschaft für Pharmainforma- tion in Nürnberg analysiert die Vertre- terbesuche bei etwa 100 000 niedergelas- senen Ärzten. Im Jahr 2000 haben etwa 15 500 Pharmareferenten 20 Millionen Arztkontakte gehabt, das sind etwa 200 Kontakte pro Arzt. Quellen: VFA, BPI, GPI

Pharma-Marketing in Deutschland

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