Die Information:
Bericht und Meinung
PRESSESTIMMENmer wieder behauptet wird. Tatsäch- lich liegen die Schwächen unserer gesetzlichen Krankenversicherung auf ganz anderen Gebieten: Ihre Grundsätze entsprechen schon lange nicht mehr den heutigen so- zialen und soziologischen Verhält- nissen. Das gilt für den gespaltenen Beitrag ebenso wie für die Beitrags- bemessung (vor allem für ihre obere Grenze). Das gilt auch für das Soli- daritätsprinzip ebenso wie für den sogenannten Generationenvertrag.
Das Versicherungsprinzip ist zu ei- ner bloßen Fiktion entartet, während Gesetzgebung und Rechtsprechung längst zu einem Versorgungssystem geführt haben, dessen Maßstäbe und Realitäten von ganz anderen Gesichtspunkten bestimmt werden.
Kein Mensch will und kann der brei- ten Masse der Bevölkerung heute eine reduzierte medizinische Ver- sorgung zumuten. Wenn die soziale Gerechtigkeit aber von einer immer größeren Schicht auskömmlich ver- dienender Bürger zu reduzierten Beiträgen ohne jede vernünftige Be- grenzung in Anspruch genommen werden kann, dann muß dieses Sy- stem in die Brüche gehen, weil die Prämissen von Gerechtigkeit und Solidarität einfach nicht mehr stim- men. Wenn jede Befindensstörung zum Verdacht auf eine Krankheit wird, der eine unübersehbare Kette von Folgen und Kosten auslöst;
wenn aus der (vernünftigen) Früher- kennung von Krankheiten eine kri- tiklose Polypragmasie entsteht, bei der jede kritische Distanz und jedes Abwarten des natürlichen Verlaufs als Unterlassung oder Verweigerung von verbrieften Rechten auf medizi- nische Leistungen diskriminiert wird, dann muß auch der ursprüng- lich richtige Grundsatz der freien Arztwahl zu einem unvernünftigen Konkurrenzkampf entarten."
„Die Folgen dieser Entwicklung wä- ren zweifellos noch viel negativer gewesen, wenn die Ärzte trotz aller Mißstände die Funktion des Ganzen nicht aufrechterhalten hätten. Das gilt für die Kassenärzte in ihrer Ge- samtheit. Das gilt aber auch für je- den einzelnen Kassenarzt, zumal die Kritik der Ärzte an den Mißständen ständig überhört worden ist." NJ
Ärzte überall gegen Ehrenberg-Entwurf
„Etwa 90 Leverkusener Kassenärzte wehren sich gegen den Gesetzent- wurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Herbert Ehren- berg, nach dem die Kosten im Ge- sundheitswesen — wie sie meinen — auf dem Buckel der Patienten und der Ärzteschaft eingespart werden sollen. In einem in den Arztpraxen den Patienten vom Arzt persönlich ausgehändigten Handzettel ,An alle Patienten' erklären die Kassenärzte, worum es ihnen in ihrem vorerst zu- rückhaltenden Protest geht. Sie wol-
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len den Entwurf des Ministeriums nicht akzeptieren, da er in ihren Au- gen ,schlimmer als die Verstaatli- chung des Gesundheitswesens' ist.
Die Ärzte wehren sich auch gegen die Unterstellung, es ginge ihnen nur ums Geld. Wichtiger ist ihnen, wenn man der Argumentation der Leverkusener Ärzte folgt, die ,Erhal- tung eines freiheitlichen Systems mit bewährter Patientenbetreu- ung' ... Ein Stillstand der heute hochmodernen, individuellen kas- senärztlichen Versorgung soll — nach Meinung der Leverkusener Ärzte — auf jeden Fall verhindert wer- den."
Deutschlands neue Reiche
Sorgen braucht man sich in der deutschen Politik nicht mehr zu ma- chen, nachdem durch das neue Diä- ten-Gesetz ein Bundestagsabgeord- neter jährliche Gesamtbezüge von DM 144 000,— erhält und man bereits im Twenalter als Parlamentarischer Staatssekretär wie Andreas von Schöler (SPD) DM 219 864,72 kas- sieren kann.
Längst haben die Bezüge der über 200 Minister, Fraktionsvorsitzenden oder Parlamentspräsidenten in Bund und Ländern die Vorstands- Etagen deutscher Banken und Indu- striefirmen erreicht, und viele Ober- bürgermeister deutscher Großstädte
verdienen, wenn man die durch das politische Amt bedingten Einkünfte aus Aufsichtsratsposten und andere Vergünstigungen hinzuzählt, kaum weniger als die von Prof. Ehren- bergs Rotstift bedrohten Ärzte ...
ESPRIT
In keiner Branche der Bundesrepu- blik waren die prozentualen Zu- wachsraten des sozialen Fortschritts so üppig wie in der deutschen Poli- tik. Was in der Bonner Polit-Idylle Anfang der 50er Jahre mit monatli- chen Gesamtbezügen von 1700 DM einschließlich Sekretärin und Porto begann, hat 1977 unter Hinzurech- nung der voll aus der Parlaments- kasse bezahlten Vorzimmerdame runde 15 000 DM erreicht. Zuwachs 900 Prozent .. ."
Kassen überlegen
Leistungskürzungen
„Rund 600 Millionen Schilling könn- ten die [österreichischen — DÄ]
Krankenkassen einsparen, wenn sie sich entschließen, Leistungen wie Bestattungskosten, Geburtenbeihil- fen (neben der staatlichen) und an- dere ,Bagatellzahlungen` zu strei- chen. Obwohl Sozialminister Wei- ßenberg im Gespräch mit der ,Presse' nicht bereit war, diese Mög- lichkeit zu bestätigen, war von ande- rer Seite zu erfahren, daß man sich
PRESSE
während der Krisengespräche im Ministerium sehr wohl darauf geei- nigt hätte ... Wiesinger [gesund- heitspolitischer Sprecher der öster- reichischen Volkspartei; die Red.]
glaubt auch nicht, daß diese Einspa- rungen das Allheilmittel für die an- gebliche Finanzmisere der Kranken- kassen sein könnten. Aber als Be- standteil eines Sanierungskonzep- tes könne man sie akzeptieren, meinte er der ,Presse' gegen- über."