[] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 5|
4. Februar 2011S C H L U S S P U N K T
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ass Patienten sich über Kolleginnen und Kolle- gen beschweren, bei denen sie vorher in Behand- lung waren, ist ein fester Bestandteil unseres Alltags;Ärzteschelte gehört heutzutage ja zum guten Ton. Wenn allerdings die Klagen über Praxisgebühren, volle War- tezimmer und Verordnungen von Generika ausufern, nehme ich meine Kolleginnen und Kollegen in Schutz.
Heute aber habe ich Premiere: Ein Patient beklagt sich nicht über Ärzte, sondern über seine Mitpatienten.
„Sie können sich nicht vorstellen, was ich in den vier Wochen in der Rehaklinik erlebt habe. Selbst Schwerst - herzkranke wollten nichts von Raucherentwöhnungs- kursen wissen, die qualmten einfach weiter!“ Meine Patienten muss ich diesbezüglich allerdings in Schutz nehmen, da ich sie letzten Endes doch überzeugen kann, den Zigaretten Lebewohl zu sagen. „Die Vorträge zur Gesundheitsvorsorge, die waren echt gut, aber die- jenigen, die es am nötigsten hatten, die waren danach an der Pommesbude anzutreffen!“ Also, ich bin der fes- ten Überzeugung, dass meine Patienten sich sehr wohl über notwendige Änderungen des Lebensstils bewusst sind, die waren sicher nicht an der besagten Bude zu finden. „Die Physiotherapeuten haben sich unendliche Mühe gegeben, die morschen Gelenke wieder in Gang zu kriegen. Ich kann nur meine Hochachtung ausspre- chen, aber die meisten meiner Mitpatienten haben die Übungen einfach geschwänzt!“ So ganz kann ich seine
Schelte nicht nachvollziehen, weil ich davon ausgehe, dass meine Patienten sehr wohl solche Angebote der Krankenkassen zu schätzen wissen und äußerst ge - wissenhaft mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen.
„Es ist eine Schande, wie das Geld der Krankenver- sicherungen, das eigentlich unser Geld ist, von diesen Leuten verbrannt wird!“ Da muss ich ihm recht geben, aber kann es sein, dass dies nur Einzelfälle sind? Bei meinen Patienten kann ich die Hände ins Feuer legen, dass sie solche medizinischen Leistungen zu würdigen wissen. „Und jetzt kommt das Beste: Im Innenhof der Rehaklinik, auf dem Rasen, lagen lauter tote Tauben!
Können Sie sich vorstellen, warum?“ Äh, nicht wirk- lich. Vielleicht eine Attentatsserie eines verwirrten Tierhassers? Der Ausbruch eines unbelehrbaren Vo- gelphobikers? „Ach was! Meine verehrten Mitpatien- ten haben jeden Morgen ihre Tabletten aus dem Fenster geworfen! Zwischen den toten Tauben lagen jede Men- ge bunter Pillen!“ Darauf habe ich keine Antwort.
Ernüchtert, frustriert und geschockt stehe ich auf und blicke aus dem Fenster auf die Straße. Direkt vor dem Praxiseingang liegt eine tote Taube auf dem Trottoir.
VON SCHRÄG UNTEN
Schelte
Dr. med. Thomas Böhmeke
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.