[108] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 40⏐⏐5. Oktober 2007
S C H L U S S P U N K T
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.
VON SCHRÄG UNTEN
Neue Zeiten
Dr. med. Thomas Böhmeke
M
anchmal, wenn der Sekundentakt unserer Minu- tenmedizin dafür Zeit lässt, berichten die Pati- enten von vergangenen Zeiten, in denen sie zusammen mit ihrem Doktor schlimme Erkrankungen bewältigten.Damals durfte man noch Arzt sein und das Äußerste ge- ben, um das Schicksal des Kranken in eine bessere Zukunft zu lenken. Hingebungsvoll am
Krankenbett verharren, stundenlang
am
OP-Tisch Hunger und Durst igno-
rieren, sich tagelang durch internationale Fach- literatur fräsen, um einem Menschen zu helfen. Doch moderne Zeiten haben dies aus unseren weißen Kitteln extrahiert; wir sind zu DRG-getakteten Leistungserbrin- gern, ICD-fixierten Fließbandarbeitern, GOÄ-verhafte- ten Ziffernzählern mutiert. Was für uns leider bereits Gewohnheit ist, ist für unsere Patienten neu: Kosten- Nutzen-Rechnungen statt Empathie.
Aber anstelle des ebenso sentimentalen wie nutzlo- sen Blicks zurück, bereite ich meine Patienten gezielt auf künftige Erkrankungen, pardon, medizinische Ver- sorgungsformen vor. Schließlich ist es meine Auf- gabe, eine allumfassende Gesundheitsvorsorge zu be- treiben. Viele Patienten haben, so pflege ich zu dozie-
ren, bereits die Umstellung ihrer lieb gewonnen Ori- ginalmedikation auf billige, pardon, günstige Generika kennengelernt. Solange immer noch drin ist, was drauf steht, ist daran nichts Verwerfliches. Für die Zukunft ist jedoch zu erwarten, dass Politiker und Kranken- kassen die Möglichkeiten der Magermedizin weiter ausloten. Dann heißt es Abschied nehmen vom langjährig vertrauten Haus- und Facharzt, dann be- kommt man einen Kassenarzt zugewiesen, und wenn das immer noch nicht billig, pardon, günstig genug ist, muss man mit einem Internetdoktor vorliebnehmen, dem man seine Beschwerden in den PC tippt. Klar, da sind schon einige Hemmschwellen zu überschrei- ten, aber was tut man nicht alles für einen günsti- gen Krankenkassenbeitrag. Ob dann immer noch drin
ist, was draufsteht; ob das Arzt-Patient- Verhältnis immer noch dasselbe
ist, mag ich nicht mehr ent- scheiden. Ganz entscheidend wird sich aber die Struktur der Krankenhäuser än- dern. Für selektive Ein- griffe werden verschie- dene Klinikketten bun- desweit mit billigsten, pardon, günstigsten Ange- boten konkurrieren, die na- türlich allesamt qualitäts- kontrolliert sind. Die- se werden einem von der Krankenkasse zur Auswahl ange- boten, das nennt man dann freie Arztwahl. Wobei diese Kliniken hoch spezialisiert sind, Krankheits- korrekturen zu be- treiben, ganz im Sinn der DRGs. Man darf sich aber nicht beklagen, wenn man sich als Nummer behandelt fühlt, weil man eine ist. Ob hier noch das drin ist, was draufsteht, ist allerdings zu be- zweifeln. Meist schließe ich meinen Vortrag damit, dass die Schnäppchenmentalität, die sich bereits erfolg- reich in Einkaufsläden und Elektronikmarktketten breit- gemacht hat, nun auch im Bereich der Medizin Einzug halten wird und in Form von Kostenoptimierungen, Krankheitsbestrafungen und Eradikationen des Arzt- Patient-Verhältnisses . . .
„Hören Sie auf, Herr Doktor, hören Sie auf, ich will das nicht mehr hören“, unterbricht mich mein Patient.
„Ich will meinen alten Doktor wiederhaben, der sich um mich kümmert, und nicht diesen ganzen Mist!“
Ich auch.