LITIK LEITARTIKEL
Bundespflegesatzverordnung
Krankenhäuser müssen differenzierter abrechnen
Spätestens ab 1995/96 müssen sich die Kranken- häuser in Deutschland auf ein neues System der Krankenhausfinanzierung und ein zum Teil völ- lig geändertes Abrechnungssystem umstellen.
Der Mitte Februar veröffentlichte Referentenent- wurf einer „Verordnung zur Neuordnung des Pflegesatzrechts (Bundespflegesatzverordnung 1995)" des Bundesgesundheitsministeriums ba- siert auf den Vorgaben des Gesundheitsstruktur- gesetzes (vom 21. Dezember 1992), mit welchem
das bis Ende 1992 geltende strikte Selbstkosten- deckungsprinzip aufgehoben worden ist. Der Re- ferentenentwurf, der auf den Eckwerten eines Diskussionsentwurfs von Mitte 1993 basiert und der durch verschiedene Gutachten und Beratun- gen von Sachverständigengremien fundiert wor- den ist, soll am 26. April im Bundeskabinett be- raten werden. Die Anhörung der Verbände im fe- derführenden Bundesministerium für Gesundheit ist für den 3./4. März 1994 terminiert worden.
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ünftig wird das dominierende pauschale Abrechnungssy- stem als Grundlage der Krankenhausfinanzierung grundlegend umgestellt auf mehr dif- ferenzierte Entgeltformen (§ 17 Abs.2 a KHG). Die Krankenhäuser haben nach dem Entwurf für eine neue Bundespflegesatzverordnung
(BPflV) künftig Anspruch auf „medi- zinisch leistungsgerechte" Pflegesät- ze; diese ersetzen den Anspruch auf Deckung der vorauskalkulierten Selbstkosten. Die Pflegesätze stellen nicht mehr auf die individuelle Be- triebskostensituation der Kranken- häuser ab, sondern vielmehr auf das vergleichbare durchschnittliche, wirt- schaftlich arbeitende Krankenhaus mit vergleichbarem Versorgungsauf- trag.
Fallpauschalen und Sonderentgelte
Erklärte Absicht des Entwurfs ist es, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbetriebsführung weiter zu erhöhen und noch vorhandene oder bloß unterstellte Rationalisie- rungsreserven zu mobilisieren — nicht zuletzt mit Hilfe externer Betriebs- vergleiche, einer internen Budgetie- rung und einer darauf abgestellten Betriebsführung.
Wesentliches Element des durchgängig neu paraphierten Ent- wurfs der Bundespflegesatzverord- nung '95 sind die Fallpauschalen und Sonderentgelte. Für die Vergütung von Leistungen werden erstmalig krankenhausübergreifend einheitli- che Preise gelten.
Bei der Einführung von Fallpau- schalen und pauschalierten Sonder- entgelten ist eine Stufenregelung vor- gesehen. Die neuen Entgeltformen können zum 1. Januar 1995 auf frei- williger Basis angewandt werden.
Zum 1. Januar 1996 werden Fallpau- schalen und Sonderentgelte flächen- deckend und verbindlich für alle Krankenhäuser eingeführt.
Mit den Fallpauschalen werden die gesamten Leistungen des Kran- kenhauses für einen bestimmten Be- handlungsfall (zunächst im Bereich der Chirurgie) vergütet. Die Sonder- entgelte vergüten dagegen nur die Kosten für einen bestimmten Lei- stungskomplex, insbesondere für Operationen.
Krankenhäuser, die diese neuen Entgelte bereits zu Beginn des Jahres 1995 einführen, werden vorzeitig aus der geltenden Budgetbegrenzung (sogenannte Ausgabendeckelung) entlassen (§ 17 Abs. 1 a KHG). Die Entgelthöhe wird auf der Grundlage von Bewertungsrelationen (ähnlich wie im Bereich der GOA und des
EBM) auf Landesebene vereinbart.
Diese Relationen sind in der Bundes- pflegesatzverordnung vorgegeben.
Erste Schritte
Zur Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen wird das neue Entgeltsystem in einem ersten Schritt auf 38 Fallpauschalen für 25 Krankheitsarten sowie 102 Sonder- entgelte begrenzt. Die Kataloge sol- len kurzfristig in einer ersten Ande- rungsverordnung um Entgelte für die Fachgebiete Geburtshilfe, Augen-, Thoraxchirurgie, Neuro- und Herz- chirurgie erweitert werden. Zum 1.
Januar 1995 könnten dann insgesamt 58 Fallpauschalen und 154 Sonder- entgelte im Routine-Einsatz abge- rechnet werden, prognostiziert das Bundesgesundheitsministerium.
Insgesamt würden, so die Pro- gnosen der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft, Düsseldorf, durch dia- gnosebezogene Fallpauschalen und Sonderentgelte rund 25 bis 30 Pro- zent des bisherigen Krankenhaus- budgets erfaßt werden (das sind rund 22 Milliarden DM p. a.). Die Ver- bände der Krankenkassen, insbeson- dere die Ersatzkassen, drängen dar- auf, den auf das neue Entgeltsystem umzustellenden Katalog rasch zu er- weitern, damit das bislang dominie- Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 9, 4. März 1994 (19) A-547
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rende Pauschalsystem weitgehend außer Kraft gesetzt und tendenziell auf Leistungspreise umgestellt wer- den kann.
Weiter Mischsystem
Die geplante Umstellung in der Finanzierung und Abrechnung bein- haltet ein Mischsystem. Leistungen, die nicht durch Fallpauschalen oder Sonderentgelte vergütet werden, werden im Rahmen eines individuell zu verhandelnden Budgets über Ab- teilungs-Pflegesätze und einen Basis- Pflegesatz abgerechnet (§ 17 Abs. 2 a KHG).
Die Vergütungen für Leistun- gen, die im Rahmen einer vor- und nachstationären Behandlung und für krankenhausambulante Operationen erbracht werden, werden auf der Bundes- beziehungsweise auf der Landesebene vereinbart. Damit be- steht auch in diesem Bereich kein Anspruch auf individuelle Kosten- deckung. Diese Vorschrift stößt auf Widerstand der Krankenhausträger und der Verwaltungsleiter der Klini- ken. Diese tendieren wie bisher schon zu einer krankenhausindividu- ellen Preisfestsetzung und zu einer Deckung der Selbstkosten bei wirt- schaftlicher Betriebsführung (was die Krankenkassen strikt ablehnen).
Die vorgegebenen Bewertungs- relationen legen den Abstand der Entgelte untereinander fest. Die für Krankenhäuser maßgebliche Höhe der Entgelte wird auf der Landesebe- ne durch die Verbände vereinbart (Punktwert). Die Relationen sind von der gegenwärtigen Ist-Situation abgeleitet worden. Der Entwurf un- terstellt, daß bei Einführung von Fallpauschalen die allgemeine Ver- weildauer weiter verkürzt wird. Des- halb sind die Bewertungsrelationen bereits um 15 Prozent niedriger an- gesetzt worden. Bei Belegabteilun- gen ist von einer weiteren Verkür- zung der Verweildauer um 14 Pro- zent ausgegangen worden, was in et- wa der gegenwärtigen Situation im Belegarztbereich entspricht.
Aus den Krankenhausleistungen werden einige Leistungen, die mit dem Anlaß der Aufnahme nicht in Verbindung stehen (sogenannte in-
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terkurrente Erkrankungen), ausge- gliedert. Diese Leistungen können mit den neuen pauschalierten Ent- gelten, insbesondere den Fallpau- schalen, nicht vergütet werden. Die Leistungen sind als ambulante Be- handlung vom ambulanten Bereich zu erbringen und entsprechend zu vergüten. In diesem Bereich kann künftig ein teilstationärer Pflegesatz für Dialyse zusätzlich zu den Fall- pauschalen oder Abteilungspflege- sätzen berechnet werden (§ 14 Abs. 2 und Abs. 6).
Bei den Budget- und Pflegesatz- verhandlungen wird nur noch über die voll- und teilstationären Leistun- gen und die eng damit verbundenen Leistungen verhandelt.
Für die Ausgliederung der Wahlleistung „gesondert berechen- bare Unterkunft" wird anstelle des Allgemeinen Pflegesatzes künftig der Basispflegesatz als Bezugsbasis her- angezogen. Die Höhe der Ausgliede- rung wird um etwa 20 Prozent ge- senkt, um die inzwischen eingetrete- ne Erhöhung der Bezugsbasis „Pfle- gesatz" zu korrigieren.
Grundsatz der
Beitragssatzstabilität
Gegenüber dem ursprünglichen Diskussions-Entwurf ist der absolute Vorrang der Beitragssatzstabilität modifiziert (gemildert) worden. Die Pflegesätze können auch so bemes- sen und vereinbart werden, daß die Ausgaben für die stationäre Versor- gung über den beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohnsumme) der Krankenkassen liegen. Vorrangig ist die Bestimmung, daß das Kranken- haus den Versorgungsauftrag erfül- len kann. Auch unabweisbare außer- gewöhnliche Kostenänderungen kön- nen ein Grund für eine Überschrei- tung im Ausnahmefall sein. Dies gilt auch bei einer unvorhergesehenen Änderung des Versorgungsauftrags, der Leistungsstruktur und des -um- fangs sowie bei außerordentlichen, tariflich vereinbarten Lohnsteigerun- gen. Ansonsten ist die Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabili- tät trotz Aufhebung der Budgetdek- kelung (Ende 1995) festgeschrieben worden.
Einen begrenzten Spielraum für die Vereinbarung von Fallpauscha- len und Sonderentgelten sollen die Selbstverwaltungen erhalten. Der in der Pflegesatzverordnung festge- schriebene Leistungskatalog kann er- weitert werden (Vereinbarung nur auf Landesebene). Ursprünglich war beabsichtigt, dies nur durch den Ver- ordnungsgeber zuzulassen.
Zu den Fallpauschalen und Son- derentgelten können Zu- und Ab- schläge für eng begrenzte Tatbestän- de individuell zugelassen werden.
Übergangszeit
In einer Übergangszeit in den Jahren 1995 bis 1997 werden weiter- hin Gesamtbeträge für die Kranken- hausleistungen vereinbart, von denen 95 Prozent der voraussichtlichen Er- löse aus den Fallpauschalen und Son- derentgelten abgezogen werden („Erlösabzug"). Das verbleibende Restbudget wird den Patienten oder ihren Kostenträgern über tagesglei- che Pflegesätze berechnet. Das Krankenhaus kann anstelle des Erlösabzugs einen Abzug der Kosten verlangen (Kostenausgliederung; § 12). Das Restbudget ist flexibel, wie es für die Jahre 1986 bis 1992 gegol- ten hat.
Das Budget wird über Abtei- lungspflegesätze als Entgelt für ärzt- liche und pflegerische Leistungen und über einen einheitlichen Basis- pflegesatz als Entgelt für nicht durch ärztliche oder pflegerische Tätigkeit veranlaßte Leistungen berechnet.
Für teilstationäre Leistungen müssen entsprechende Pflegesätze verein- bart werden.
Bezogen auf das bisher über die Pflegesätze finanzierte Umsatzvolu- men der Krankenhäuser wird ein Ge- samtbudget von rund 92 Milliarden DM (Basis: 1993) durch die neue Verordnung tangiert. Das neue Fi- nanzierungs- und Abrechnungssy- stem erfordert eine weit ausgebaute Kostenstellen- und Kostenträger- rechnung und eine Leistungs- und Kostenerfassung auf EDV-Basis. Da- durch sollen die interne Budgetie- rung und die verantwortungsbezoge- ne Kostensteuerung ausgebaut wer- den. Dr. Harald Clade A-548 (20) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 9, 4. März 1994