DEUTSCHESÄRZTEBLATT
AIDS
siko. ln der Bundesrepublik Deutschland sind nach Frau L'Age-Stehr zur Zeit 42 an AIDS erkrankte Personen bekannt, da- von aber nur rund 2 Prozent Fixer (wohl infolge der hier andersarti- gen Applikationsmethoden). Die Daten beruhen auf vertraulichen Informationen unter Wahrung der Anonymität des Patienten. 90 Pro- zent der Erkrankten gehören in die Hauptrisikogruppe der Homo- sexuellen. Ein Fall eines Hämo- philie-Kranken wird auf die jahre- lange Faktor-8-Transfusion (aus den USA stammend) zurückge- führt. Bis April 1983 ergab die Anamnese, daß alle Patienten in den USA bzw. in Afrika gewesen waren. ln den letzten Monaten zeichnet sich eine Abnahme die- ser sogenannten "Reiseanamne- se" ab, so daß mit Infektionsquel- len nun auch bei uns gerechnet werden muß. Das Bundesgesund- heitsamt versendet auf Wunsch Fragebögen zur Erfassung. Von einer in Teilgebieten (nicht z. B. in New York) erfolgten nament- lichen Meldung ist man inzwi- schen in den USA abgekommen, da sie nur die Dunkelziffer erhöht und eine wirksame ärztliche Be- handlung der besonders gefähr- deten Personengruppen verhin- dert.
Die allgemeine Letalität wird mit 40 bis 60 Prozent angenommen;
doch lebt von den erstmals vor 3 Jahren beobachteten Fällen an- geblich keiner mehr. ln der Bun- desrepublik Deutschland erwartet man in den nächsten Jahren- we- gen der langen Inkubationszeit von 6 bis 48 Monaten- 300 bis 400 Fälle. Betroffen sind vor allem die Großstädte. Stille beobachtete in Frankfurt, das in unserem Land an der Spitze liegen dürfte, bisher 9 sichere AIDS-Kranke und 43 Pa- tienten mit Lymphadenopathien ohne die vom CDC (siehe oben) geforderten Kriterien des voll aus- geprägten Syndroms.
Virologisch (Eggers, Köln) wurde vor allem das bei Homosexuellen weit verbreitete Zytomegalievirus sowie die von Gallo und einer
französischen Gruppe angeblich isolierten Varianten der mensch- lichen T-Zeii-Leukämie-Viren dis- kutiert. Die relativ niedrige Zahl von Antikörpernachweisen bei den Befallenen (siehe auch Edito- rial in Heft 26 vom 1. 7. 1983) kön- nen .mit einer frühen Störung des lymphatischen Systems in Zusam- menhang gebracht werden.
Inzwischen wurde in den USA bei 3 Kindern einer drogensüchtigen Prostituierten - die Kinder stam- men von jeweils verschiedenen Männern AIDS festgestellt (transversale Übertragung). Auch bei Rhesusaffen wurde ein dem menschlichen AIDS ähnliches Syndrom (Simian-AIDS = SAIDS) festgestellt. Alle hatten eine affen- spezifische Zytomegalie sowohl nach der Erkrankung wie auch im lnokulum. Brede, Paui-Ehrlich-ln- stitut, Frankfurt, betonte, daß in den USA bisher unter rund 30 Mil- lionen Bluttransfusionen 29 AIDS- Fälle aufgetreten seien. Die zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland zur Hepatitis-B-Im- munisierung zugelassenen Char- gen der beiden Tot-Vaccinae hal- te er für sicher.
Als beste Prophylaxe gegen AIDS wurde "relative Keuschheit" emp- fohlen. Für die Therapie haben In- terferon und Interleukin 2 allen- falls temporäre Erfolge gebracht;
für ein endgültiges Urteil über die noch laufenden Studien ist es zur Zeit noch zu früh.
Stille, Frankfurt, behandelt AIDS- Patienten (wegen der häufigen In- fektion mit Pneumocystis carinii) mit täglich 1,92 g Co-trimoxazol (zah I reiche Handelspräparate, z. B. 2 Tabletten Bactrim forte®).
ln den USA ist, außer einer spe- ziellen AIDS gewidmeten Zeit- schrift, inzwischen auch das erste Buch erschienen: K. M. Cahill, The AIDS, Epidemie, St. Martins Press, New York 1983.
Professor
Dr. med. Rudolf Grass Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41
32 (48) Heft 112 vom 9. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
FÜR SIE GELESEN
Erhöhtes Leukämierisiko nach Behandlung mit Nitroso-Harnstoff-Derivat
Die Autoren analysierten die Da- ten von neun randomisierten klini- schen Studien zur adjuvanten Therapie von Magen- oder Dick- darmkarzinomen.
Von 2067 Patienten, die mit dem Nitroso-Harnstoff-Derivat Semu- stin (Methyi-CCNU) behandelt worden waren, erkrankten und verstarben
~ 17 an Leukämie oder Präleuk- ämie, während bei
~ 1566 Patienten, die mit ande- ren Substanzen, Bestrahlung oder nicht behandelt worden waren, nur in einem Fall eine akute Leuk- ämie auftrat.
Das Risiko, an einer Leukämie zu erkranken, steigt mit zunehmen- der Zeitdauer nach der Semustin- Behandlung an. Sieben Jahre nach Behandlungsbeginn beträgt das geschätzte Risiko 3,2
+
1 ,4 Prozent bei einem relativen Risiko von 15,9 im Vergleich mit der Kon- trollgruppe.Hiermit wird die bereits tierexperi- mentell festgestellte und aufgrund von Einzelbeobachtungen vermu- tete Ieukämegene Potenz von Se- mustin (und damit wahrscheinlich auch von den anderen Nitrosc- Harnstoff-Derivaten BCNU und CCNU) für die Klinik bestätigt.
Die Tatsache, daß eine Verminde- rung des Rezidivrisikos durch ei- ne adjuvante Chemotherapie ga- strointestinaler Karzinome bisher nicht gesichert werden konnte, unterstreicht um so mehr die Not- wendigkeit des kritischen Einsat- zes dieser Substanzen. Hrm
Boice. J. D. et al.: Leukemia and Preleukemia alter Adjuvant Treatment of Gastrointestinal Cancer with Semustine (methyi-CCNU), N.
Engl. J. Med. 309 (1983) 1079-1084, Environ- mental Epidemiology Branch, National Cancer Institute, Landow 3C16, Bethesda, MD 20205, USA