DEUTSCHES lm.ZTEBLATT
AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS
Pollenflugvorhersage in der Bundesrepublik Deutschland
Medizinische Begründung
für den Polleninformationsdienst und Therapiehinweise
Viktor Ruppert
Durch die Neugründung einer Stiftung wird es möglich sein, die Pol- lenflugvorhersage, die bereits seit drei Jahren in Nordrhein-Westfa- len durchgeführt wird, in absehbarer Zeit auf das gesamte Bundesge- biet auszuweiten. Die Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln durch den Pollinosekranken und eine Reihe medizinisch prophylaktischer Maßnahmen sind geeignet, das Leiden zu lindern und auch die Ko- sten niedrig zu halten.
Von 1981 bis 1983 wurde als Pilot- studie in Nordrhein-Westfalen ein Polleninformationsdienst durch- geführt. Der Westdeutsche Rund-
fun~ hat im ersten Jahr zweimal, später dreimal in der Woche die Auswertungen von 5 Pollenmeß- stellen, die gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst (Agrar- Meteorologische Forschungs- und Beratungsstelle Bonn) durch- geführt wurden, ausgestrahlt (Darstellung 1).
Diese Sendungen, die von Mitte April bis Mitte August durchge- führt wurden, fanden einen uner- wartet großen Anklang sowohl bei den Kranken wie auch bei Medien und sogar bei der nicht direkt be- troffenen Bevölkerung. Diese Pi- lotstudie wurde zusätzlich vom Ministerium für Arbeit, Gesund- heit und Soziales in Düsseldorf befürwortet.
Polleninformationsdienst im Rundfunk
Aufgrund der positiven Erfolge konnte mit Wirkung vom 30. Juni 1983 eine Stiftung "Deutscher Polleninformationsdienst" ins Le- ben gerufen werden. Diese Stif- tung in Höhe von 100 000 DM wur-
de durch eine pharmazeutische Firma ermöglicht. Nunmehr soll schrittweise der Polleninforma- tionsdienst auf die gesamte Bun- desrepublik ausgedehnt werden. Nach dem augenblicklichen Stand der Vorbesprechungen werden 1984 neben dem West- deutschen Rundfunk auch die Berliner Sender und der Saarlän- dische Rundfunk den Polleninfor- mationsdienst aufnehmen. Es steht zu erwarten, daß auch ande- re ARD-Anstalten sich schon 1984 anschließen werden.
Aufgrund der Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen ist es von besonderer Wichtigkeit, daß die Kranken über diese Möglich- keiten einer Vorbeugung orien- tiert werden. Dies wird durch ent- sprechende ausführliche Mittei- lungen in Rundfunk und Presse geschehen.
Die Meldungen werden sich vor allem auf Messungen von Birken-, Gras-, Roggen-, Beifuß- und We- gerich-Pollen beziehen. ln Zusam- menarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst ist es bei dreimaliger Sendung in der Woche möglich, eine Vorhersage für die nächsten 2 bis 3 Tage zu machen.
1176 (66) Heft 15 vom 13. April1984 81. Jahrgang Ausgabe A
Medizinische Begründung für den Polleninformationsdienst Die medizinische Begründung für den Informationsdienst für Pollen- allergiker, deren Zahl in der Bun- desrepublik jetzt über 2 Millionen liegt, ist vor allem in folgenden Punkten gegeben:
1. Möglichkeiten einer mehr oder weniger intensiven Pollenkarenz. 2. Möglichkeiten einer gezielten Einnahme von prophylaktisch wirksamen Medikamenten.
3. Einsparung von antiallergisch wirksamen Pharmaka.
Fast alle Ärzte in der Bundesrepu- blik - abgesehen von ganz weni- gen speziellen Fachgruppen- be- handeln Pollenallergiker. Aus die- sem Grund werden im folgenden kurz die wichtigsten Verhaltensre- geln für Patienten und Behand- lungshinweise nach den neuesten Erkenntnissen wiedergegeben.
Verhaltensregeln für den Pollenallergiker
Aufgrund der Pollenflugvorhersa- ge müssen die unter Pollenaller- gie leidenden Patienten angehal- ten werden, folgende Karenzmaß- nahmen durchzuführen:
~ Schließen der Schlafzimmer- fenster in den frühen Morgenstun- den (etwa 4 bis 5 Uhr) auf dem Lande, da dort zu dieser Zeit der Pollenflug einsetzt, während die Masse der Pollen die Großstädte erst in den späten Vormittagsstun- den erreicht (Darstellung 2).
~ Vermeiden längerer Autofah r- ten mit geöffnetem Fenster.
~ Vermeiden von Ausflügen in Wiesen- und Getreideregionen.
Möglichkeiten der
medizinischen Prophylaxe Neben dieser speziellen Karenz ist heute eine echte Prophylaxe möglich. Das Dinatriumsalz der Cromoglicinsäure (DNCG) und ~ das Ketotifen bilden die Grundla-
ge der Therapieprophylaxe.
_J
Mo.+ Fr.
Pollenflugvorhersage
Arbeitsplan zur „Pollenflug-Vorhersage" AMBF BN/382
Zeitraum: April—August 1982 Feldversuch Nordrhein-Westfalen
Karl-Hansen-Klinik Bad Lippspringe
Uni-Klinik Münster
Pollen-Fallen
Uni-Klinik Bonn Bonn-Venusberg
4
Kur-Klinik Grafschaft
4
Krankenhaus Bethanien Moers
--> Deutscher Wetterdienst AMBF Bonn
L
Mo +
a.
+ Fr.Pollen-Fallen
1
Deutscher Wetterdienst Wetteramt Essen
kurzfristige Wetter-Vorhersage
2 Tage
Phänologische Daten Blüh-Vorhersagen
Text-Erstellung
„Pollenflug-Vorhersage"
4 Belastungs-Klassen mit Tendenz 3 Tage
(Mo. + Mi. + Fr.)
Deutscher Wetterdienst Zentralamt Offenbach
mittelfristige Wetter-Vorhersage
7 Tage
4-
•2D
(0) 1 16 02
4
Telex■ir 06.30 WDR 1
07.30 Di. Do. Sa.
//I ■ \\\\
\
30 Presse- Redakt.
Telex Telex
Wetterbericht 06.30
Pol len/m 3 in der Stadt
9 Uhr 12 15 18 21 24
Die Pollenkonzentration im Tagesablauf
12 15 18 21 24 9 Uhr
Pollen/m3 100
80
60
40
20
auf der Wiese
100
80
60
40
20
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Darstellung 1
Darstellung 2: Pollenkalender (Stix, E.: Pollenkalender, Wissenschaftliche Verlags-GmbH, Stuttgart 1981)
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 15 vom 13. April 1984 (69) 1177
Schema für die perorale Kortikoidgabe Prednison-äquivalent 5 mg
Dauer morgens mittags abends
2 Tage 2 Tabletten 1 Tablette 1 Tablette 2 Tage 2 Tabletten 1 Tablette
2 Tage 2 Tabletten 2 Tage 1 Tablette
Tabelle 1
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Pollenflugvorhersage
Die Anwendung von DNCG erfolgt topisch, es sind praktisch keine Nebenwirkungen bekannt. DNCG kommt zur Anwendung als Augen- tropfen (Opticrom-Tropfen® ), als Nasenspray (Lomupren-Spray® ) und schließlich als Dosier-Aerosol bei Pollenasthma (Intal-Dosier- Aerosol® ). Diese drei Anwen- dungsformen müssen gezielt nach dem klinischen Bild zum Einsatz kommen. Die Medikamen- te sollten- auch nur so lange verab- folgt werden, wie ein stärkerer Pollenflug gemeldet wird. Ent- scheidend ist, daß diese Präparate kurzfristig vor dem zu erwarten- den Pollenkontakt eingesetzt wer- den und daß die Anwendung zu wiederholen ist, da die Wirkung nach 2 bis 3, höchstens 4 Stunden nachläßt. Das Wirkprinzip des DNCG besteht in einer Stabilisie- rung der Mastzellen, so daß insbe- sondere die Freisetzung von Hist- amin gehemmt wird. Bei dem Wirkstoff „Ketotifen" (Zaditen® ) besteht gleichzeitig ein Antihist- amin-Effekt, so daß Ermüdungser- scheinungen eintreten können.
Es ist auch wichtig, darauf hinzu- weisen, daß die Wirkung von Ke- totifen erst nach einigen Tagen einsetzt, so daß es über längere Zeit genommen werden muß.
Trotz dieser Prophylaktika läßt sich die Anwendung von Antihist- aminika häufig nicht vermeiden.
Diese Medikamente sollten ge- zielt, möglichst am Abend einge- nommen werden. Sie können je- derzeit mit den Prophylaktika gleichzeitig angewendet werden.
Zur Anwendung von Kortikoiden
Kortikoide sollen nur bei schwe- ren Zuständen eingesetzt werden und dann möglichst als Tabletten- stoß, wenn inhalierbare Formen als Dosieraerosole für die Bron- chien (Sanasthmyl®, Viarox®, Pul- micort® ) oder als Nasenspray (Beconasespray®, Syntaris®) nicht ausreichen. Ein peroraler Kortiko- idstoß kann, je nach Schwere des Falles, nach dem in Tabelle 1 auf- gezeigten Schema durchgeführt
werden. In leichteren Fällen ist ei- ne Verkürzung auf 4 Tage mög- lich, in schweren Fällen kann die doppelte Dosis verabreicht wer- den. Kristalline Depotinjektionen sind möglichst zu vermeiden, da bei ihnen die zirkadiane Wirkung, die bei der oralen Verabfolgung von entscheidender Bedeutung ist, nicht möglich ist und die kör- pereigene Kortisolproduktion der Nebennierenrinde für wenigstens 14 Tage blockiert wird. Bei Kin- dern bis zu 14 Jahren sind kristal- line Depotinjektionen kontraindi- ziert. Kortikoide sollten möglichst selten und nur kurzfristig unter Berücksichtigung des zirkadianen Rhythmus verabfolgt werden. Ei- ne Kombination mit Antihistamini- ka ist möglich, wenn der zirkadia- ne Rhythmus sichergestellt ist (Fenistil Puls® )
Schlußbemerkungen
Obwohl die Pollen von Gräsern und Roggen sowie die wichtigsten Baum- und Unkräuterpollen in die Messungen einbezogen sind, muß bedacht werden, daß auch Pollen anderer Art in einer nicht uner- heblichen Konzentration vorkom- men können, die von den Pollen- fallen vorerst noch nicht erfaßt werden, aber manchem Pollino- sekranken doch erhebliche Be- schwerden bereiten. Deshalb soll- te ergänzend zum gesendeten In- formationsdienst jeder Pollen- kranke angehalten werden, seine nähere Umgebung zu beobach- ten.
Sinn und Zweck dieser Pollenin- formation sind:
1. Eine Reduzierung der Medika- mente, die nur gezielt bei entspre- chendem Pollenflug eingesetzt werden.
2. Die Erhaltung der Leistungsfä- higkeit in Schule und Beruf.
3. Die Vermeidung von Arbeitsun- fähigkeit.
Die Geschäftsstelle der Stiftung
„Deutscher Polleninformations- dienst"*) stellt jederzeit interes- sierten Kollegen Merkblätter für Patienten zur Verfügung. In den regionalen Ärzteblättern werden rechtzeitig Einzelheiten über Sen- dezeiten der verschiedenen ARD- Anstalten veröffentlicht. Abschlie- ßend soll betont werden, daß die Mitarbeit der Ärzteschaft an die- sem Projekt von entscheidender Bedeutung ist. Der Polleninforma- tionsdienst wurde von der Ärzt- lichen Arbeitsgemeinschaft für angewandte Allergologie entwik- kelt und durch eine großzügige fi- nanzielle Unterstützung der Phar- maindustrie ermöglicht.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Viktor Ruppert (Internist — Allergologie) Vorsitzender der
Stiftung „Deutscher Polleninformationsdienst"
Max-Planck-Straße 9-11 5000 Köln 40
') Stiftung Deutscher Polleninformations- dienst, Max-Planck-Straße 9-11, 5000 Köln 40
1178 (70) Heft 15 vom 13. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A