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Archiv "Reizthema AIDS: Diskussionen beim Deutschen Ärztetag und beim Jahreskongreß der Amtsärzte:" (04.06.1987)

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MEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Diskussionen beim Deutschen Ärztetag und beim Jahreskongreß der Amtsärzte:

S

chon unter dem Eindruck der von der bayerischen Staatsre- gierung angekündigten Maß- nahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von AIDS — die al- lerdings noch nicht schwarz auf weiß vorlagen*) — debattierte der 90.

Deutsche Ärztetag das „Reizthe- ma" AIDS. Grundsätzlich bestand übereinstimmend Ablehnung von — gar etwa namentlichen — Melde- pflichten und Zwangsmaßnahmen.

Die Aussage, die deutsche Öffent- lichkeit erwarte eine Stellungnahme des Ärztetages zu AIDS, fand zwar Zuspruch. Was am Ende heraus- kam, dürfte die Öffentlichkeit aller- dings nicht allzusehr beeindrucken.

Dafür gibt es zwei Gründe.

Zum einen befanden sich die Delegierten bei dieser Diskussion am Samstagvormittag bereits unter Zeitdruck. Die Debatte wurde auch noch mehrmals unterbrochen, unter anderem dadurch, daß der Tages- ordnungspunkt „Wahl des Tagungs- ortes für den 93. Deutschen Ärzte- tag 1990" gerade wegen der fortge-

*) Sie sollten Ende Mai — nach Redaktions- schluß dieses Heftes — im bayerischen Amtsblatt veröffentlicht werden

Reizthema LAIDS

schrittenen Zeit vorgezogen wurde.

Und zum anderen gab es auch noch einen zeitraubenden persönlichen Schlagabtausch zwischen dem nord- rheinischen Delegierten Professor Dr. Ulrich Kanzow und der zu den

„Linksoppositionellen" zählenden Berliner Delegierten Constanze Ja- kobowski. Frau Jakobowski hatte den umfangreichsten von 13 (!) Ent- schließungsanträgen zum Thema AIDS eingebracht. Manche Dele- gierte — darunter vor allem auch Dr.

Otfrid P. Schaefer, Hessen, Urheber eines anderen, aber wesentlich straf- fer formulierten Antrages — sahen darin mehr eine ausführlich gehalte- ne Aufklärungsschrift über AIDS, die nicht viel dazu beitrage, gesund- heitspolitische Forderungen der Ärzteschaft zu verdeutlichen. Ande-

re forderten, politisch-ideologische Argumente aus der AIDS-Diskus- sion herauszuhalten.

Professor Kanzow warnte da- vor, sich zu früh festzulegen: Man könne noch gar nicht wissen, ob nicht eines Tages scharfe Maßnah- men zum Schutz der Gesunden nötig werden würden. Als Kanzow Frau Jakobowski zu unterstellen schien, sie habe in ihrem Antrag Argumente aus dem Gedankengut der SED be- ziehungsweise der SEW (Sozialisti- sche Einheitspartei West-Berlins) verwendet, gab es aufgeregte Reak- tionen einzelner Delegierter und ei- ne Berichtigung von Frau Jakobows- ki: sie habe im wesentlichen Unter- lagen der beiden größten Bundes- tagsfraktionen und der Gesundheits- minister der Länder verwendet. Der gleichfalls erhobene Vorwurf, die Antragstellerin gehöre der SED/

SEW an, blieb ungeklärt.

Der mehrmals erhobenen For- derung nach mehr Fortbildungsan- geboten zu AIDS begegnete Dr. P.

Erwin Odenbach, Leiter der Abtei- lung Fortbildung und Wissenschaft der Bundesärztekammer, mit dem Hinweis auf die mehr als 60 Artikel, die seit dem Jahre 1983 allein im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT über AIDS erschienen sind, sowie auf den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer, der zu

W

ährend Ärzte bei

den jüngsten Tagun- gen ihrer Gremien (90. Deutscher Ärz- tetag in Karlsruhe und Jahreskon- greß der Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Saarbrük- ken) immer wieder davor warn- ten, die durch AIDS aufgeworfe- nen Probleme zu „politisieren", droschen Bonner Parteipolitiker mit scharfen Argumenten aufein- ander ein:

Ein aufklärendes Buch von Bundesgesundheitsministerin Ri- ta Süssmuth („AIDS — Wege aus der Angst. Informationen, Bera- tung, Adressen") und den bayeri- schen Maßnahmenkatalog sah die Bundestagsabgeordnete der Grü- nen. die Arztin Heike Wilms-Ke-

AIDS-Enquete:

Ultima ratio?

gel, als einen Beweis dafür, daß

„wir die von den Alliierten zur Bewährung erhaltene Demokra- tie nicht bestanden" hätten. Die Vorsitzende des Arbeitskreises Sozialpolitik der SPD-Bundes- tagsfraktion, Anke Fuchs, warf der Bayerischen Staatsregierung

„populistischen Aktionismus"

vor. Andere sprachen von „Holz- hammer", von „Verfassungs- bruch". Für das Präsidiumsmit- glied der FDP, Manfred Brunner, war ein Erlaß des Bundesinnen- ministeriums, nach dem AIDS-in-

fizierte Ausländer beim Versuch der Einreise zurückgewiesen wer- den können, ein „Schildbürger- streich erster Ordnung". Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellte klar, mit diesem Erlaß sei- en die Grenzschutzbehörden le- diglich auf die nach dem Auslän- dergesetz bestehende Rechtslage hingewiesen worden. Die SPD- Bundestagsfraktion hat eine Gro- ße Anfrage zur AIDS-Bekämp- fung an die Bundesregierung ge- richtet.

Am 9. Mai beschloß der Bun- destag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP die Einsetzung einer Enquete-Kom- mission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Ein-

dämmung".

Dt. Ärztebl. 84, Heft 23, 4. Juni 1987 (21) A-1621

(2)

Widerspruch gegen bayrische Maßnahmen

„Der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesund- heitsdienstes hat mit Betroffen- heit und Befremden von den Maßnahmen der Bayrischen Staatsregierung zur Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS Kenntnis erhalten.

Es steht außer Zweifel, daß AIDS eine gefährliche Seuche ist, die mit Ernst, Energie und Sach- verstand zu bekämpfen ist. Jede Seuche erfordert jedoch eine Be- kämpfungsweise, die speziell die- ser Erkrankung angemessen ist.

Nach Ansicht des Bundesver- bandes der Ärzte des ÖGD und der überwiegenden Anzahl der Sachverständigen in der Bundes- republik, insbesondere jener, die mit Erkrankten, Infizierten und Gefährdeten auch direkten menschlichen Kontakt haben, ist der Maßnahmenkatalog der Bay- rischen Staatsregierung derzeit ungeeignet und schädlich, da die klassischen seuchenhygienischen

Maßnahmen im Augenblick nicht wirksam sind. Die bayrische Re- gelung führt zu Ausgrenzung, verleitet Infizierte noch mehr als bislang abzutauchen und schreckt Beratungs- und Untersuchungs- willige ab.

Die erfolgreiche Beratungs- tätigkeit der Gesundheitsämter wird nachhaltig gestört, vermut- lich zerstört. Maßnahmen der Aufklärung und der Einleitung von Verhaltensänderung werden behindert oder unmöglich ge- macht. Die Ärzte des OGD in Bayern werden damit zu augen- blicklich nicht sinnvollen gesund- heitspolizeilichen Maßnahmen veranlaßt, die sie vielfach in Ge- wissenskonflikte im Hinblick auf ihr ärztliches Ethos und in Loyali- tätskonflikte zu ihrem Dienst- herrn bringen können.

Die Bundesländer werden dringend gebeten, den verfehlten Maßnahmen der Bayrischen Staatsregierung nicht zu folgen.

Das Bundesministerium für Ju- gend, Familie, Frauen und Ge- sundheit wird gebeten, auf Rück- nahme der bayrischen Bestim- mungen hinzuwirken." AIDS einen eigenen Arbeitskreis

gebildet hat.

Zustimmung bei Diskussions- rednern fand der Entschließungsan- trag des niedersächsischen Delegier- ten Dr. Jörg G. Veigel, der ganz knapp forderte, bei allen neu ins Krankenhaus aufzunehmenden er- wachsenen Patienten ein generelles AIDS-Screening durchzuführen, ein Vorschlag, der aber nicht durchkam

Zur Abstimmung gelangte schließlich als erstes Otfrid P.

Schaefers Antrag (in diesem Heft dokumentiert). Dieser Antrag wur- de bei einigen Stimmenthaltungen angenommen. Der längere Ent- schließungsantrag von Frau Jako- bowski wurde an den Vorstand überwiesen.

Bevor dann die Diskussion über die noch verbliebenen Anträge wie- der richtig in Gang kam, beantragte die hessische Delegierte Dr. Ingrid

Hasselblatt-Diedrich Schluß der De- batte mit der Begründung, der Deutsche Ärztetag sei kein wissen- schaftliches Gremium (und, unaus- gesprochen: er werde in den letzten 45 Minuten einer anstrengenden Sit- zungswoche nichts grundsätzlich Neues mehr zustande bringen). Sie schlug vor, alle noch ausstehenden Anträge en bloc an den Vorstand zu überweisen, und der Ärztetag folgte diesem Vorschlag mit großer Mehr- heit (um nicht zu sagen: mit großer Erleichterung).

Amtsärzte sind keine Polizisten

Einen Beitrag zur AIDS-Dis- kussion aus der Sicht der Gesund- heitsämter leistete wenige Tage spä- ter der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdien-

stes auf seinem Jahreskongreß in Saarbrücken. Der Vorsitzende, Ltd.

Medizinaldirektor Dr. Peter Schuch, Erlangen, wies darauf hin, daß der Öffentliche Gesundheitsdienst in ganz kurzer Zeit vernünftige und für alle annehmbare Beratungseinrich- tungen geschaffen habe. Der Öffent- liche Gesundheitsdienst verfüge über die einzige wirklich anonyme und kostenfreie Untersuchungsmög- lichkeit für den Bürger.

Dies hob auch Bundesgesund- heitsministerin Professor Rita Süss- muth hervor, die den Gesundheits- ämtern eine hohe Einschätzung sei- tens der AIDS-Infizierten und ande- rer Randgruppen bescheinigte. Sie schloß daraus, es wäre gut, wenn die Gesundheitsämter zu „Orten des Vertrauens" würden und weniger zu

„Orten der Kontrolle". Wenn dies gelinge, dann könnten die Gesund- heitsämter gar eine Vorreiterrolle übernehmen auf dem ganzen großen Gebiet der Prävention, der Gesund- heitserziehung und -beratung. Sie habe sich daher auch dafür einge- setzt, daß den Gesundheitsämtern zunächst für vier Jahre Mittel für zu- sätzliches Personal zur AIDS-Bera- tung zur Verfügung gestellt werden.

Dr. Schuch stellte sich schüt- zend vor die Amtsärzte: Einiges müsse wohl noch geregelt werden, wie etwa die selbstverständlichen HIV-Tests für Blutspender und für Organspender und wie vielleicht das Recht von Chirurgen oder Schwe- stern in Intensivpflegeeinrichtungen zu wissen, ob ihre Patienten HIV- positiv sind oder nicht. Der Öffent- liche Gesundheitsdienst dürfe je- doch nicht darunter leiden, daß er immer wieder „als drohend erhobe- ner Knüppel, als Machtinstrument des Staates, als medizinal-polizei- liches Menetekel gegen jene ein- schüchternd und drohend miß- braucht wird, die vor einer Infek- tionskrankheit Angst haben, die vielleicht infiziert sind oder die an dieser Krankheit leiden".

Der erweiterte Vorstand des Bundesverbandes der Ärzte des Öf- fentlichen Gesundheitsdienstes wandte sich in Saarbrücken in einer Entschließung ganz direkt gegen die Vorhaben der Bayerischen Staatsre- gierung (siehe Kasten). gb A-1622 (22) Dt. Ärztebl. 84, Heft 23, 4. Juni 1987

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