DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
EDITORIAL
gen werden kann ( neue Fas- sung: Nr. 43 vom Juni 1985).
AIDS und kein Ende ..
Mindestens die Bundesrepu- blik ist von einer neuen Welle von AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) erreicht worden: Nicht von AIDS selbst, das in linearer Progres- sion zur Zeit für die Bundesre- publik zwischen 200 und 300 Fälle erreicht haben dürfte, dazu ein Mehrfaches an par- tiellen oder potentiellen Syn- dromen (ARC = „AIDS Rela- ted Complex").
Die zweite Welle ist eine Krankheit von Journalisten, Moderatoren und Kommenta- toren unserer großen Medien und in deren Gefolge: der Po- litiker. Sie haben, wenn auch meist etwas verspätet, AIDS als das aktuelle Thema ent- deckt — nicht etwa wie die Gruppen um Gallo (Bethesda) und Montagnier (Paris) mit dem Retrovirus HTLV III, der vermutlichen Ursache der neuen und häufig zu Tode führenden Krankheit.
Ist die Seuche in der Bundes- republik (im Unterschied zu einigen amerikanischen Groß- städten) zur Zeit noch ende- misch, die Angst und Verunsi- cherung sind inzwischen epi- demisch geworden. Der heute relativ einfach auszuführende Test auf Antikörper gegen
HTLV III, der übrigens nir- gends auf der Welt in größerer Labordichte angeboten wird als in der Bundesrepublik (Prof. Eggers, Köln: Persön- liche Mitteilung 1985), schützt nicht nur die Empfänger von Blut und Blutderivaten (eine
sehr positive Folge), sondern läßt klinisch gesunde Proban- den mit positivem Test auf ei- nen Ausbruch der Krankheit starren wie das Kaninchen auf die Schlange (eine sehr nega- tive Folge!).
Da einigen (keineswegs allen!) Journalisten und ihren Infor- manten das Proklamieren mehr zu liegen scheint als das Recherchieren, häufen sich auch die Vorwürfe gegen die Ärzteschaft, besonders gegen die sie repräsentierende Bun- desärztekammer, sie hätte nicht rechtzeitig und umfas- send genug informiert. Genau das Gegenteil läßt sich leicht beweisen:
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AIDS ist in letzten Jahren von anerkannten Spezialisten auf fast allen großen Kongres- sen der Bundesärztekammer, der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (siehe zum Beispiel DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT, Nr. 22 vom 1. Juni 1984, Seite 1796) und anderen Fachgesellschaften ausführ- lich dargestellt worden.e
Der Wissenschaftliche Bei- rat der Bundesärztekammer hat am 8. Dezember 1983 in Köln seine erste ganztägige Konferenz für Medizinjournali- sten ausschließlich AIDS-Pro- blemen gewidmet.C) Das Bundesgesundheits- amt in Berlin (BGA) hat ein ausführliches Merkblatt her- ausgegeben, das von jedem Interessenten von dort bezo-
C) Kaum eine der großen Ta- geszeitungen hat es in den letzten Jahren versäumt, das Problem anhand von Inter- views oder Informationen aus erster Hand ausführlich darzu- stellen.
C) Das offiziöse Organ der Bundesärztekammer, das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT, kann für sich in Anspruch nehmen, zugleich früher und häufiger über AIDS-Probleme berichtet zu haben als jede andere uns bekannte
deutschsprachige Zeitschrift.
Wir zählen die Liste unserer
„AIDS-related"-Publikationen nachfolgend auf:
Heft 7/83: Editorial — Unbekannter Krankheitserreger als Ursache von tödlich verlaufenden erworbenen Immundefekten. Johanna L'age- Stehr und Meinrad A. Koch.
Heft 26/83: Übersichtsaufsatz — AIDS
— Das Acquired Immune Deficiency Syndrome. Hans Jäger. Aus dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, New York.
Heft 26/83: Editorial — AIDS — neue Krankheit oder plurikausales Syn- drom? Rudolf Gross.
Heft 26/83: Übersichtsaufsatz — Er- worbenes Immunsyndrom — Erfah- rungen aus dem Kölner Raum. Her- bert Breker et al.
Heft 43/83: Hinweis auf das Merk- blatt des Bundesgesundheitsamtes.
Heft 44/83: Aussprache — Hepatitis- Schutzimpfung und AIDS. Rainer Thomssen, Wolfram Gerlach, Fried- rich Deinhardt, Hans J. Eggers.
Heft 45/83: Aussprache — AIDS. J. R.
Moringlane.
2722 (50) Heft 38 vom 18. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KONGRESS-NACHRICHT
Heft 1/2/84: Kongreßbericht — AIDS
— der heutige Wissensstand. Semi- nar des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. R. Gross.
Heft 3/84: Referat aus New Eng. J.
Med. 309 (1983), 453-458, Abnor- male B-Zellaktivierung und Immun- regulation bei AIDS. H. Lane et al.
Heft 5/84: Referat aus New Engl. J.
Med. 309 (1983), 609-611, AIDS-Er- fahrungen der letzten zwei Jahre. J.
W. Curran.
Heft 12/84: Stellungnahme des Wis- senschaftlichen Beirats der Bundes- ärztekammer: AIDS und die Sicher- heit des Hepatitis-B-Impfstoffes.
Heft 22/84: Kongreßbericht — Interni- stenkongreß Wiesbaden. Rudolf Gross.
Heft 25/26/84: Referat aus New Engl.
J. Med. 310 (1984), 69-75, AIDS nach Bluttransfusion. J. W. Curran et al.
Heft 27/84: Notiz — AIDS — die neue- sten Zahlen aus der Bundesrepublik Deutschland. Rudolf Gross.
Heft 33/84: Übersichtsaufsatz — Die Pneumocystis-carinii-Pneumonie. A.
Szabados et al.
Heft 43/84: Referat aus New Engl. J.
Med. 311 (1984), 354-358, Orale Candidiasis als Initialmanifestation von AIDS. R. S. Klein et al.
Heft 48/84: Kurzbericht — AIDS — Verstärkte Aufklärung der Risiko- gruppen. Jürgen Vogt.
Heft 3/85: Notiz — AIDS — was bleibt bei kritischer Durchsicht der Berich- te? Verschiedene Wissenschaftliche Gesellschaften.
Heft 12/85: Kongreßbericht — Sexu- ell übertragbare Infektionskrank- heiten. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer. W. Siegentha- ler et al.
Heft 14/85: Kurzmitteilung — Desin- fektion bei AIDS. Wissenschaftliche Gesellschaften.
Heft 18/85: Dokumentation (Politi- scher Teil) — Ein neues Kapitel der Homosexuellen-Verfolgung. Deut- sche Gesellschaft für Sexualfor- schung.
Heft 25/26/85: Kurzmitteilung — AIDS
— Konsequenzen des Nachweises von Antikörpern gegen LAV/HTLV- III. Erik Jovaisas, Robert-Koch-Insti- tut, Berlin.
Heft 34/85: Editorial — AIDS-Gefah- ren heruntergespielt? Walter Bur- kart.
Heft 34/85: Kurzmitteilung — Die Be- stimmung von Antikörpern gegen HTLV III/LAV. Wissenschaftliche Ge- sellschaften.
Heft 36/85: Übersichtsaufsatz — AIDS
— der heutige Stand unseres Wis- sens. Meinrad A. Koch und Johanna L'age-Stehr.
Selbstverständlich werden wir die deutsche Ärzteschaft auch künftig über neueste Entwick- lungen und von Zeit zu Zeit über den aktuellen Stand un- terrichten.
So wurde die neueste Über- sicht aus dem Robert-Koch-In- stitut des Bundesgesundheits- amtes in Berlin, Prof. Meinrad A. Koch, Frau Dr. Johanna L'age-Stehr (Heft 36 vom 4.
September 1985), schon vor- bereitet, bevor der „Chor von Journalisten" — nach Art einer griechischen Tragödie — sei- nen Klagegesang über unge- nügende Aufklärung an- stimmte.
Professor Dr. med.
Rudolf Gross
Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41
Schlafentzug als
antidepressive Therapie
„Zum Standard der antidepressi- ven Therapie gehört heute Schlaf- entzug." Diese Feststellung war das Ergebnis eines mitteleuropä- ischen Experten-Symposions
„Therapeutischer Schlafentzug"
am 7./8. Juni 1985 in Münster (ver- anstaltet von R. Tölle, Münster, u.
U. Goetze, Bremerhaven). Der an- tidepressive Schlafentzug ist nun- mehr seit 15 Jahren bekannt und in zahlreichen kontrollierten Stu- dien bewiesen worden. Daher ist es nicht mehr gerechtfertigt, endogen-depressive (melancholi- sche) Patienten nur mit antide- pressiven Medikamenten zu be- handeln, sondern die Kombina- tion von Antidepressiva und Schlafentzug ist Mittel der Wahl.
Schlafentzug für eine halbe Nacht (Wecken um etwa 1.30 Uhr) be- wirkt bei einem Teil der Patienten eine sofortige Besserung, bei manchen sogar anhaltende Hei- lung, im übrigen aber ist der Ef- fekt meist kurzfristig. Daher wer- den Wiederholungen in Abstän- den von 5 bis 7 Nächten empfoh- len. Die Durchführung ist einfach (bei ambulanter Behandlung auch zu Hause möglich), wird von Pa- tienten und Angehörigen in der Regel akzeptiert, von den Kran- ken selbst meist positiv erlebt. Im Krankenhaus bewährt sich das Wachen in Gruppen depressiver Patienten. Weiter wurden Metho- dik der Durchführung und Erfolgs- kontrolle, endokrine und psycho- physiologische Befunde und Er- klärungsmodelle diskutiert. Je- doch ist bisher über den Wir- kungsmechanismus des thera- peutischen Schlafentzuges eben- so wenig bekannt wie über die zir- kadiane Rhythmik dieser endo- gen-depressiven Kranken. Das behindert die Anwendung der Me- thode jedoch nicht. Es bleibt zu fragen, warum diese therapeu- tisch nützliche und nebenwir- kungsfreie Behandlung noch so wenig angewandt wird.
K. Telger, R. Tölle, Münster Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 38 vom 18. September 1985 (51) 2723