• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Seuchengesetzgebung und HIV-Infektionen: Problematik getroffen" (24.03.1995)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Seuchengesetzgebung und HIV-Infektionen: Problematik getroffen" (24.03.1995)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

MEDIZIN

1 Problematik getroffen

Herrn Kollegen Finger kommt das Verdienst zu, s

e

inen Finger end- lich wieder einmal in eine schwärende Wunde gelegt zu haben, nämlich in die Diskrepanz zwischen bindender Rechtsvorschrift und fortbestehender Behinderung ihrer korrekten Anwen- dung durch Ideologie und Politik.

Das Problem ist so alt wie das er- ste Auftreten der HIV-Infektion hier- zulande, also etwa 12 Jahre. Ich selbst habe damals in zahlreichen Veröffent- lichungen darauf hingewiesen und Verfahrensvorschläge gemacht — lei- der ohne Erfolg.

Als Konsequenz der in Fingers Kommentar treffend dargelegten mangelnden Rechtskonformität in der Verhütung und Bekämpfung der HIV-Infektion könnte es — wie un- längst bei den Blutpräparaten gesche- hen — eines Tages auch zu Forderun- gen gegenüber den für den Vollzug des BSeuchG zuständigen Behörden und zu Strafverfahren gegen die dort Verantwortlichen kommen — dann nämlich, wenn im Einzelfall nachge- wiesen werden kann, daß sie ihren aus dem BSeuchG sich herleitenden Ver- pflichtungen nicht oder nur mangel- haft nachgekommen und durch diese Unterlassung Dritte zu Schaden ge- kommen sind.

Denn es ist unbestritten, daß das BSeuchG in vollem Umfang auch auf die HIV-Infektion anzuwenden ist — allerdings mit Ausnahme der Vor- schriften über die Meldepflicht (§§ 3 bis 9) und § 45 (Vorschriften für Schu- len). Strittig ist nur die Anwendbar- keit des § 30 (ärztliches Behandlungs- monopol bei meldepflichtigen Krank- heiten), dessen Voraussetzungen die einen durch die auf Grund § 7 Abs. 1 erlassene Laborberichtsverordnung vom 18. 12. 1987 erfüllt sehen; andere (darunter ich) tun das nicht, weil es sich dabei lediglich um eine rein stati- stischen Zwecken dienende anonyme Meldung handelt, die die Kriterien

DISKUSSION

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Horst Finger in Heft 17/1994

der auf namentliche Meldung abge- stellten §§ 3 ff nicht erfüllt.

Da das BSeuchG — auch abgese- hen von der HIV-Problematik — von Unstimmigkeiten nur so strotzt, sollte es schleunigst novelliert und tunlichst mit dem ebenfalls überholten Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechts- krankheiten in eine Einheit zusam- mengeführt werden.

Bis dahin ist zu fordern, daß die einschlägigen Vorschriften des BSeuchG von den Gesundheits- behörden auch bei ihnen bekanntwer- denden HIV-Infektionen korrekt vollzogen werden und daß sich die po- litisch Verantwortlichen endlich zu der schon seit zehn Jahren überfälli- gen Einführung einer namentlichen Meldepflicht im Sinne des § 3 Abs. 1 BSeuchG entschließen.

Prof. Dr. med. Walter Bachmann Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen Ministerialrat i. R.

Tristanstraße 24 80804 München

2 Keine antiquierten Gesetze, sondern sensible Anwendung

In seinem Kommentar versucht Prof. Dr. med. Finger darzulegen, warum die Bekämpfung der HIV-In- fektion einer grundlegenden Neudis- kussion bedarf. Er begibt sich damit ins Fahrwasser derjenigen, die durch- greifendere rechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Immun- schwächekrankheit AIDS fordern,

nachdem es zum einen den Medizi- nern bislang nicht gelungen ist, For- schungserfolge in bezug auf Hei- lungschancen oder einen Impfstoff aufzuzeigen und zum anderen die Krankheit in Bevölkerungsschichten übergreift, die bis dato von der Krankheit noch nicht betroffen wa- ren.

Auf Grund des Sachzusammen- hangs bezüglich der Übertragungswe- ge könnte sich eine Anwendung des Gesetzes zur Bekämpfung der Ge- schlechtskrankheiten ergeben. In der enumerativen Aufzählung der Krank- heiten, auf die das Gesetz anwendbar ist, ist AIDS beziehungsweise die HIV-Infektion nicht erwähnt, so daß das Gesetz zur AIDS-Bekämpfung nicht herangezogen werden kann.

Prof. Finger sieht darin eine An- tiquierung dieses Gesetzes und for- dert eine dementsprechende Novel- lierung. Er verkennt jedoch, daß der Gesetzgeber von einer ausreichenden Regelung der Materie durch andere anwendbare Gesetze ausgegangen sein muß, da er beim letztmaligen Än- derungsgesetz die Möglichkeit zur Aufnahme von AIDS in den Katalog der Geschlechtskrankheiten gemäß

§ 1 GeschlG in Kenntnis der Krank- heit nicht wahrgenommen hat.

Prof. Finger selbst führt dann auch das Bundesseuchengesetz (BSeuchG) als rechtliches Instrument zur Bekämpfung an. Um bei verän- derter epidemiologischer und seu- chenhygienischer Situation unverzüg- lich Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung ergreifen zu können, sind die Definitionsmerkmale in § 1 BSeuchG, welche Krankheiten unter die Gesetzesmaterie des BSeüchG subsumiert werden können, weit ge- faßt. Es muß sich nur um eine durch einen Krankheitserreger unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen ver- ursachte Krankheit handeln. Danach fällt AIDS/HIV-Infektion also in den Anwendungsbereich. Finger führt nun die Anwendungsmöglichkeit des

§ 10 BSeuchG an. In seiner Systema- tik unterscheidet aber das Gesetz nach den Bereichen „Verhütung" und

„Bekämpfung" übertragbarer Krank- heiten. Grundsätzlich versteht der Gesetzgeber unter dem Begriff der Verhütung die Verhinderung der Ent- stehung übertragbarer Krankheiten

Seuchengesetzgebung und HIV-Infektionen

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 12, 24. März 1995 (57) A-849

(2)

MEDIZIN

und unter der Bekämpfung die Ver- hinderung der Verbreitung bereits aufgetretener Krankheiten. Diese Unterscheidung wird dann zu ver- nachlässigen sein, wenn hinsichtlich der Verhütung und der Bekämpfung identische Eingriffsmöglichkeiten mit denselben Rechtsfolgen vorhanden sind. Das ist aber gerade nicht der Fall, wie die weiterreichenden Maß- nahmen im 5. Abschnitt bezüglich der

„Bekämpfung" und deren Sanktions- vorschriften bei Nichtbeachtung, wel- che hier bis zur Freiheitsstrafe gehen, zeigen.

Da es sich bei AIDS um eine seit Jahren aufgetretene Krankheit han- delt, muß als Rechtsgrundlage der Maßnahmenkatalog der Be- kämpfung, also der Verhinderung der weiteren Verbreitung, von AIDS herangezogen werden, §§ 31 ff.

BSeuchG. Dieser Maßnahmenkata- log führt unter anderem von der Mög- lichkeit der Ermittlung, von An- sammlungsbeschränkungen, der Be- obachtung, welche sich in Duldung von Untersuchungen, Befolgung von Weisungen und Mitteilung von Woh- nungswechseln erstreckt, der Abson- derung bis zu der Möglichkeit des be- ruflichen Tätigkeitsverbotes. Ein rechtliches Instrumentarium der Bekämpfung ist folglich vorhanden und muß nicht erst noch gefunden werden. Daß dieses Instrumentarium nicht in dem Maße angewandt wird, wie manche es sich — aus welchen Gründen auch immer — wünschen, läßt Diskussionen weiteren Raum. Es bleibt aber festzuhalten, daß sich AIDS oder die HIV-Infektion von den bislang bekannten Seuchen (Cho- lera, Pest, Typhus) dahin unterschei- det, daß eine Übertragung bei Kennt- nis der Infektion durch entsprechen- den Schutz vermieden werden kann und dieses auch so von Bundesanstal- ten propagiert wird.

Prof. Finger fragt sich, wie der In- fizierte sich der von ihm ausgehenden Gefahr aber bewußt sein soll, wenn er von seiner Infizierung überhaupt nichts weiß. Diesem Umstand wäre nur mit einem Massenscreening zu begegnen. Doch wem ist damit wirk- lich genützt?

Dem Infizierten, der fortan im Bewußtsein lebt, an einer tödlich ver- laufenden Krankheit erkrankt zu sein

DISKUSSION

und nun unter den nicht rational er- faßbaren Ängsten der Mitmenschen leiden muß? Den Wissenschaftlern, die anhand von Daten der HIV-Infek- tion begegnen wollen?

Prof. Finger führt in diesem Zu- sammenhang auch die namentliche Meldepflicht bei positivem Tester- gebnis an. Aber ist dies verhältnis- mäßig und insbesondere auch geeig- net zur Bekämpfung der Krankheit?

Durch eine Meldepflicht ist die Mög- lichkeit staatlicher Kontrolle gege- ben. Jedoch stellt sich mit der Tatsa- che, daß in bezug auf die lange Inku- bationszeit selten Rückschlüsse auf Infektionsketten möglich sind, die In- tention einer Meldepflicht nicht ein.

Ferner sind spezielle Therapien noch nicht entdeckt. Doch letztlich soll es sich nicht um die Meldepflicht dre- hen, sondern um die Nichtanwendung des BSeuchG. Auch hier läßt sich aber nur wieder entgegnen, daß sämt- liche Maßnahmen den verfassungs- rechtlichen Grundsätzen entsprechen müssen. Hierbei kann nicht verkannt werden, daß gerade bei der Verhält-

3 Gesetze bedürfen der Uberarbeitung

Bis heute werden die mach dem Bundesseuchengesetz und dem Ge- setz zur Bekämpfung der Ge- schlechtskrankheiten möglichen Maßnahmen auf die HIV-Infektion nicht angewendet. Sowohl Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit lebens- langer Zwangsmaßnahmen gegen HIV-Infizierte mit der freiheitlich-de- mokratischen Grundordnung als auch die Überzeugung, daß Information, Aufklärung und flankierende sozial- politische Maßnahmen geeignetere Mittel zur Bekämpfung der HIV-Aus- breitung darstellen als Zwang, sind hierfür ausschlaggebend. Mir sind kei- ne durch epidemiologische oder son- stige Daten untermauerten Publika- tionen bekannt, die zu einer Revision der bisherigen „Nicht-Behandlung"

der HIV-Infektion in den genannten Gesetzen irgend Anlaß geben.

HIV-infizierte Personen können nicht geheilt werden, aber auch Impf- stoffe stehen nicht zur Verfügung. An- derenfalls müßte diese Diskussion überhaupt nicht geführt werden. Da-

nismäßigkeitsprüfung subjektive Maßstäbe Einfluß nehmen. Unter Umständen fließen Moralvorstellun- gen bei der Bewertung von Verhältnis- mäßigkeit und Übermaßverbot ein.

Bevor aber Tabuthemen wie Homosexualität, Promiskuität und Drogenabhängigkeit (die den Begriff der „Risikogruppen" prägten) nicht durchbrochen werden, erscheint die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach dem BSeuchG insofern proble- matisch, als Menschen nicht nur auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu gesell- schaftlich nicht anerkannten Perso- nengruppen und der damit verbunde- nen Ängste der Mitmenschen, son- dern nun auch noch unter dem staatli- chen Druck von Zwangsmaßnahmen zu kämpfen haben.

Wirkliche Bekämpfung der Krankheit erreicht man nicht durch Zwang, sondern durch Aufklärung und safer sex.

Betty Müller

Spandauer Damm 54 14059 Berlin

mit unterscheidet sich die HIV-Infek- tion sehr wohl von den vom Verfasser ausgewählten meldepflichtigen, ob- wohl im Erkrankungsfall nicht kausal behandelbaren Infektionen mit Toll- wut oder Virusmeningoenzephalitis.

Hier kann die Fallmeldung zu Imp- fungen gefährdeter Personen oder ve- terinärmedizinischen oder forstamtli- chen Maßnahmen und geänderten Impfempfehlungen (beispielsweise FSME) Anlaß geben.

Dem Verfasser ist sowohl darin zuzustimmen, daß die genannten Ge- setze der Überarbeitung bedürfen, als auch darin, daß die HIV-Epidemie be- stimmte Charakteristika einer Seuche erfüllt. Dennoch sollten die Argu- mente wider gesetzliche Zwangsmaß- nahmen gegen HIV-Infizierte wesent- lich differenzierter erörtert werden.

Die durch das skandalöse Handeln einzelner Plasmahersteller ausgelö- sten aufwendigen und teuren Maß- nahmen zur Verbesserung der Arznei- mittelsicherheit sind verständlich und unvermeidlich. Hinsichtlich der HIV- Ausbreitung sind sie vergleichsweise unbedeutend. Daß dennoch trotz be- schränkter Mittel öffentlicher Druck A-850 (58) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 12, 24. März 1995

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

sind Ratschläge wie etwa ,halten Sie die Zahl Ihrer Partner gering' aus präventiver Sicht unsinnig." Diese Behauptung ist schon deshalb zurückzuweisen, weil sich mit der

Nach Angabe der Ferring Arznei- mittel GmbH ist zu beachten, daß Minirin ® Rhinyle ® bei plus zwei bis plus acht Grad Celsius gelagert werden muß im Gegensatz zu Minirin ® Na-

In Kürze wird allerdings eine Ar- beitsgemeinschaft Masern ihre Arbeit aufnehmen, die von über 1 000 pädia- trischen und allgemeinmedizinischen Praxen in ganz Deutschland

Hätte man diese rupturierten Aneurysmen elek- tiv operiert, würde sich für das Jahr 1979 eine Kostenersparnis von 50 Millionen Dollar ergeben, die für ein Screening-Programm

Die Morpho- logie etwa der Tuberkulose bei HIV- Infektion weist auf tiefgreifende De- fekte der Makrophagenaktivierung und -reifung hin, die sich auch expe- rimentell

Der Thematisierung dieser Problematik werden sich Ärzte, Paare und die Gesellschaft bei weiter anhal- tenden Therapieerfolgen für die HIV- infizierten Frauen und einer

Bei Therapieversagen kann nach sorgfältigem Abwägen des Gesamt- zustandes des Patienten und der vermuteten Prognose, aber auch in Abhängigkeit von der Lokalisation

Den dramatischen An- stieg dieser „Zivilisations- krankheit“ in China erläuter- te Gu beim Andrologenkon- greß in Salzburg: Noch in den 30er Jahren habe die Inzi- denz bei rund