DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Drei Stellungnahmen
Geistig-sittliche Prinzipien
Der Artikel kann nicht unwi- dersprochen bleiben. Besonders, was die Prophylaxe von AIDS durch Aufklärung angeht, ist zu betonen, daß es in unserem Grundgesetz ein natürliches Sittengesetz gibt — in dem Beitrag als Glaubenssache mit Moral angesprochen —, und daß die Propagierung fundamentaler Grundsätze dieses Sittengesetzes die wirksamste Prophylaxe von AIDS bedeutet.
Der Artikel beruht auf einem Menschenbild, in dem dieser ein zu- fälliges, wertfreies Wesen ist, ledig- lich physiologischen Gesetzen unter- worfen, jedoch keinerlei Gesetzen bezüglich des spezifisch Mensch- lichen, des Geistig-Sittlichen. Die tägliche Erfahrung, insbesondere die Arbeit jedes Pädagogen, bewei- sen das Gegenteil.
In der Aufklärung über AIDS und damit der doch sonst so moder- nen Gesundheitserziehung des Er- wachsenen ist also zu betonen, daß die Sexualität des Menschen keines- wegs wertfrei zur Lustbefriedigung
„gebraucht" werden kann, und daß beispielsweise die Homosexualität eine Perversion des Sinns von Se- xualität darstellt. Daß hierdurch Schuldgefühle entstehen können, ist kein Argument gegen die Darstel- lung dieses Sachverhalts. Vielmehr ist Schuld eine elementare Wirklich- keit in jedem menschlichen Leben, die auf die jedem Menschen zutiefst innewohnende Neigung zum Miß- brauch seiner Freiheit hinweist. Kei- neswegs ist die Aufklärung über gei-
stig-sittliche Prinzipien der Verurtei- lung einzelner Personen gleichzuset- zen. Das Werturteil über einen an- deren Menschen ist niemals gestat- tet, und es ist nicht im entferntesten Intention dieses Briefes.
Dr. med. M. Heltweg Goethestraße 51 4300 Essen
2 Partnertreue nicht unsinnig
Dem genannten Beitrag muß in einem Punkt widersprochen werden.
Es heißt dort: „. . . sind Ratschläge wie etwa ,halten Sie die Zahl Ihrer Partner gering' aus präventiver Sicht unsinnig." Diese Behauptung ist schon deshalb zurückzuweisen, weil sich mit der Zahl der Partner auch für den einzelnen das Infektionsrisi- ko vermindert (noch mehr vermin- dert es sich übrigens, wenn auch die Zahl der Kontakte vermindert wird). Präventiv relevant ist die Zahl der Partner aber vor allem, weil ihre Reduzierung auch die Kinetik der Epidemie verzögert und damit Zeit gewonnen wird — bis zum Impfstoff.
Im übrigen ist es auch für Personen, deren „Beziehungskiste" mehr als einen Partner zur Zeit erfordert, ab- solut empfehlenswert, Partnertreue zu üben und auch die Partner dazu anzuhalten.
Dr. med. Bernt-Peter Robra Winsener Straße 21
3000 Hannover 61
2 Freizügigkeit ist nicht alles
Tatsächlich mag es „rational lenkbare Sexualität" letztlich nicht geben. Was aber war denn der An-
trieb , der unsere Gesellschaft veran- laßt hat, in den letzten Jahrzehnten die Richtung einer freizügigen Se- xualität zu empfehlen? Personen, die (ständig) eine neue sexuelle Be- ziehung eingehen, Personen, die se- xuell freizügig leben, wurden doch unseren Jugendlichen, die ihre er- sten sexuellen Erfahrungen mach- ten, als Vorbilder hingestellt. Nach dieser Devise gehörte Sexualität zum täglichen Leben wie das Zähne- putzen. Es mag eine Trivialität sein, daß Sexualität etwas mit Trieb, Lei- denschaft, Hingabe und Fantasie zu tun hat, aber ist das alles in der Be- ziehung der Geschlechter unterein- ander? Früher haben wir von Liebe gesprochen und verstanden darunter zunächst einmal Vertrauen, Hoch- achtung und Ehrfurcht vor der Per- sönlichkeit des andern Menschen.
Jedenfalls war Sexualität nicht der Anfang der Beziehung, häufig das Ende, und gelegentlich sogar ein de- finitives Ende. Vielleicht können wir unseren Jugendlichen, die ihre er- sten sexuellen Erfahrungen machen wollen, durchaus rational klarma- chen, daß sexuelle Freizügigkeit mit Liebe nichts zu tun hat. Warum soll- te eine derartige Erklärung ange- sichts der hohen idealistischen Ein- stellung Jugendlicher erfolglos sein?
Wir können es jedenfalls versuchen.
Professor Dr. med. Peter Stoll Collinicenter 18-19
6800 Mannheim 1
Schlußwort
Es war uns wichtig, darauf hin- zuweisen, daß die Anzahl der Se- xualpartner nicht getrennt von der real gelebten sexuellen Praxis gese- hen werden kann und dies in präven- tiven Ratschlägen berücksichtigt werden muß. Das heißt, wenn die Partner zum Beispiel ausschließlich gegenseitige Masturbation betrei- ben, ist die Anzahl der Partner in präventiver Hinsicht unwichtig; da- gegen kann etwa ein einziger unge- schützter passiver Analverkehr zu einer Infektion führen.
Im Gegensatz zur Auffassung von Dr. Heltweg spricht unser Grundgesetz nicht von einem „na- türlichen" Sittengesetz (als mög-
HIV-Infektion und Sexualität
Zu dem Beitrag von Sophinette Becker und
Dr. Ulrich Clement in Heft 28/29 vom 11. Juli 1987
A-372 (52) Dt. Ärztebl. 85, Heft 7, 18. Februar 1988
liehe Einschränkung des Rechts auf die freie Entfaltung der Persönlich- keit), sondern von dem Sittengesetz
— das heißt, einem Sittengesetz, das dem gegenwärtigen gesellschaft- lichen Konsens entspricht, der zu Recht historischen Wandlungen un- terworfen ist. (Man denke zum Bei- spiel an das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frau). Dr.
Heltweg irrt unseres Erachtens vor allem in zwei Punkten:
• Selbst wenn wir seine sittenge- setzliche Inhalte teilen würden, wür- den wir ihre „Propagierung" nicht für die „wirksamste Prophylaxe"
halten, weil wir aus Erfahrung wis-
sen, daß präventive Empfehlungen die Menschen nur erreichen, wenn sie sie dort abholen, wo sie sich be- finden.
• Natürlich haben auch wir ein wertgeleitetes Menschenbild, dem- zufolge zum Beispiel die „Würde des Menschen" (Grundgesetz Art.
1) und die „Liebesfähigkeit" (S.
Freud) wichtig sind. Im Gegensatz zu Dr. Heltweg halten wir es jedoch im Rahmen der AIDS-Aufklärung weder für möglich noch für ange- bracht, anderen Menschen unser persönliches Menschenbild aufzuok- troyieren. Aber auch innerhalb un- seres Menschenbildes scheint uns
der „Sinn von Sexualität" zu vielfäl- tig, um ihn auf die Fortpflanzungs- funktion reduzieren zu können — Homosexualität als solche ist keine Perversion, sondern eine sexuelle Orientierung; ob jemand liebesfähig ist und seine Würde und die des an- deren achtet, hängt nicht von der se- xuellen Orientierung ab.
Dipl.-Psych. Sophinette Becker Dipl.-Psych. Dr. Ulrich Clement Psychosomatische Klinik
der Universität Heidelberg Thibautstraße 2
6900 Heidelberg
Sport-
verletzungen
Aufgrund mehrerer, teilweise kollegial kritischer, teilweise zumin- dest in der Diktion unkollegial ge- haltener Zuschriften hinsichtlich der Abbildung 5 in unserem Artikel se- hen wir uns zu einer ergänzenden Darstellung veranlaßt. Leider ist die Reproduktion des betreffenden Ori- ginal-Röntgenbildes in den Kontra- sten nicht sehr gut gelungen. Nur so können wir uns die Zweifel an un- serer richtigen Interpretation des Bildes erklären. Wir hoffen mit der markierten Detailvergrößerung auch die überkritischen Kollegen zu überzeugen.
Abschließend dürfen wir uns für die zahlreichen positiven Zuschrif- ten bedanken.
Für die Verfasser:
Oberstarzt Professor Dr. med.
Wilhelm Hartel
Chirurgische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses Oberer Eselsberg 40 7900 Ulm/Donau
Zu dem Beitrag von Professor Dr. med.
Wilhelm Hartel und Dr. med. Reinhard Steinmann in Heft 47 vom 19. November 1987
Abbildung: Detailvergrößerung der Abbildung 5: Alter Apophysenabriß des Tuber ischiadicum
I Apophysenabriß
des Tuber ischiadicum
A-374 (54) Dt. Ärztebl. 85, Heft 7, 18. Februar 1988