DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Neurologische
Erkrankungen bei HIV-Infektion
Rolf Biniek, Norbert Brockmeyer, Klaus Balzer, Martin Gesemann, Norbert Scheiermann, Liselotte Gerhard und Hans-Joachim Lehmann
1. Einleitung
Die Infektion mit dem HTLV- III-Virus, nach der neuesten No- menklatur humanes Immunodefi- cienz-Virus (HIV) genannt, gewinnt auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Die Arbeitsgruppe am Frankfurter Universitätsklinikum ging im September 1986 von 100 000 infizierten Patienten in Deutschland aus (persönliche Mitteilung Frau Prof. Helm).
2. Stadien
der HIV-Erkrankung
Die Krankheit beginnt nach der neuesten Klassifikation des Centers for Disease Control (CDC) (5) mit einer akuten Infektion, die klinisch an eine Mononukleose erinnert (Sta- dium I). Die meisten Patienten durchlaufen dieses Stadium jedoch unbemerkt. Es folgt das Stadium II, die asymptomatische Infektion, in dem die Patienten lediglich HIV- Antikörper-positiv sind. Das Stadi- um III kennzeichnet die persistie- rende Lymphadenopathie mit min- destens zwei nicht inguinalen Lymphknoten von wenigstens einem Zentimeter Durchmesser, die mehr als drei Monate persistieren.
Das Stadium IV ist unterteilt in die Gruppe IV a mit Allgemeinsym-
Neurologische Komplikationen treten klinisch bei 30 bis 40 Pro- zent der HIV-infizierten Patien- ten auf, bei der exakten neuro- pathologischen Untersuchung liegt die Häufigkeit sogar noch wesentlich höher. Symptome von seiten des zentralen oder peripheren Nervensystems tre- ten auch schon bei den frühen Stadien der HIV-Infektion auf, daher sollte bei jedem HIV-An- tikörper-positiven Patienten ein neurologisches Screening-Pro- gramm durchgeführt werden.
ptomen wie Fieber, Gewichtsverlust und Diarrhoe ohne Nachweis einer zugrundeliegenden Sekundärinfek- tion. Der Wichtigkeit neurologi- scher Komplikationen entsprechend hat das CDC eine eigene Untergrup- pe IV b für spezifische Erkrankun- gen des zentralen Nervensystems
Universitätsklinikum der Gesamthochschu- le Essen: Neurologische Klinik, Hautklinik, Medizinische Klinik, Institut für Medizini- sche Virologie und Immunologie, Institut für Neuropathologie
eingerichtet, die die Demenz, die Myelopathie und die periphere Neuropathie umfaßt. Die Gruppe IV cl schließt dann die klassischen AIDS-Komplikationen Pneumocy- stis carinii Pneumonie, chronische Cryptosporidiosis, Toxoplasmose, extraintestinale Strongyliadiasis, Isosporiasis; ösophageale, bronchia- le oder pulmonale Candidosis;
Kryptokokkose; Histoplasmose; In- fektionen mit Mycobakterium avi- um; Zytomegalie-Virus-Infektion;
chronische mukokutane oder disse- minierte Herpes-simplex-Infektion und progressive multifokale Leu- kenzephalopathie ein.
Zur Gruppe IV c2 sind neuer- dings sechs weitere opportunistische Infektionen eingeordnet (orale
„hairy" Leukoplakie, multisegmen- taler Herpes zoster, rezidivierende Salmonellen-Bakteriämie , Nocar- diosis, Tuberkulose und die orale Candidiasis), die bisher in der klassi- schen AIDS-Definition nicht enthal- ten waren.
Die Gruppe IV d umfaßt sekun- däre Neoplasien wie das Kaposi-Sar- kom, die Non-Hodgkin-Lymphome und das primäre intrazerebrale Lym- phom. Die Gruppe IV e wird defi- niert durch solche Erkrankungen, die mit einer HIV-Erkrankung ein- hergehen können, jedoch nicht in die vorhergehenden Gruppen klassi- fiziert werden können.
Dt. Ärztebl. 84, Heft 27, 2. Juli 1987 (31) A-1895
Neoplasmen:
primäre ZNS-Lymphome
systemisches Lymphom mit ZNS- Beteiligung
Kaposi-Sarkom
3. Beteiligung
des Nervensystems
Nach klinischer Untersuchung beträgt die Häufigkeit von neurolo- gischen Erkrankungen bei klassi- schen AIDS- oder Lymphadenopa- thie-Syndromen etwa 25 bis 40 Pro- zent (8, 10, 25), während bei der neuropathologischen Untersuchung die Häufigkeit bei verschiedenen Untersuchern wesentlich höher ist (16, 17, 18, 19, 23). So fand Navia (19) in seiner Arbeit bei 121 unter-
virale Entzündungen:
subakute Enzephalitis
atypische aseptische Meningitis Herpes-simplex-Enzephalitis progressive multifokale Leukenzephalopathie Myelitis
Varicella-Zoster-Enzephalitis nicht virale Entzündungen:
Toxoplasma gondii Cryptococcus neoformans Candida albicans
Coccidiomycose Treponema pallidum atypische Mykobakterien Mycobakterium tuberculosis Aspergillus fumigatus bakterielle Meningitis
zerebrovaskuläre Erkrankungen:
ischämischer Insult Blutungen
suchten Patienten lediglich fünf Pa- tienten, die keine Komplikationen bei der exakten neuropathologi- schen Untersuchung aufwiesen.
Die bisher umfassendste Arbeit über neurologische Komplikationen bei HIV-Infektion stammt aus der Arbeitsgruppe von Levy (10), der zum einen die Komplikationen bei 352 Patienten aus San Franzisco aus- gewertet hat, zum anderen jedoch auch eine umfassende Literatur- Übersicht zusammengestellt hat (Tabelle 1). Als Vergleich dazu wur-
UCSF + Literatur
35 54
17 21
8 9
2 6
3 3
1 1
18 > 103
16 41
2 6
1 1
1 2
1 6
0 1
0 1
0 1
9 15
2 12
2 3
1 5
1 4
5 5
12 12
5 13
6 6
0 2
0 1
den die Ergebnisse bei 61 in Essen untersuchten Patienten, überwie- gend der Stadien III und IV a aufge- stellt (Tabelle 2).
3.1 Komplikationen viraler Genese
3.1.1 AIDS-Enzephalitis
Bei den neurologischen Erkran- kungen viraler Genese gewinnt die sogenannte subakute Enzephalitis, von anderen Autoren auch AIDS- related dementia Complex (ARDC) oder AIDS-Enzephalitis genannt, zunehmend an Bedeutung. Hierbei handelt es sich um eine Primär-In- fektion durch das neurotrope HIV selbst Klinisch zeigen die betroffe- nen Patienten (Tabelle 3) ein unspe- zifisches Syndrom, das aus Konzen- trations- und Merkfähigkeitsstörun- gen, psychomotorischer Verlangsa- mung, Nachlassen der intellektuel- len Fähigkeiten und der Feinmoto- rik sowie einer Persönlichkeitsnivel- lierung und einer generellen An- triebsminderung besteht. In einem eher chronischen Übergang — selten sind jedoch auch akute Übergänge beschrieben — kommt es zu einem schweren organischen Psychosyn- drom mit Mutismus, Paraplegie und Inkontinenz.
Die Häufigkeit dieser subakuten Enzephalitis wurde sicherlich unter- schätzt, da man im Umgang mit die- sen Patienten geneigt ist, die beste- henden Persönlichkeitsveränderun- gen entweder auf die Primärpersön- lichkeit oder auf eine psychoreaktive Depression bei der schwerwiegen- den Diagnose zurückzuführen. Ins- besondere die Arbeiten von Navia (19) zeigen, daß bei der überwiegen- den Zahl der Patienten eine chroni- sche subakute Enzephalitis abläuft.
Von 121 neuropathologisch unter- suchten Patienten wurden bei 70 kei- ne sekundär-opportunistischen In- fektionen oder Schädigungen des zentralen Nervensystems bei meta- bolischer Enzephalopathie gefun- den. Von diesen 70 Patienten hatten bereits klinisch 35 ein Syndrom im Sinne der AIDS-Enzephalitis, neu- ropathologisch waren es sogar über 95 Prozent.
Tabelle 1: Neurologische Komplikationen bei HIV-Infektion (UCSF = University of California San Francisco, 352 unter- suchte Patienten; + Literatur = inklusive Literaturberichte)
Erkrankungen des peripheren NS:
multiple Hirnnervenausfälle
chronisch entzündliche Polyneuropathie distal symmetrische Neuropathie Herpes-zoster-Radiculitis
Myopathie Polymyositis
Die neuropathologischen Ver- änderungen (19, 21, 22, 23) umfas- sen eine Marklageratrophie, peri- vaskuläre Infiltrate, gehäuft Makro- phagen und multinukleäre Riesen- zellen, in denen elektronenmikro- skopisch (23) das HIV nachgewiesen werden konnte. Die Diagnostik zeigt im konventionellen CT eine unspezifische Hirnatrophie, wäh- rend das Kernspintomogramm eine vorwiegende Markatrophie aufweist.
Die Rolle des Elektro-Enzephalo- gramms bei dieser Fragestellung ist derzeit noch unklar, von einzelnen
Autoren (13) wurden Grundrhyth- musverlangsamungen gefunden.
Die Liquoruntersuchung zeigt bei der konventionellen Untersu- chung eine normale Zellzahl und ein normales Gesamteiweiß. Von Ackermann (1) wurde hierbei die Frage der intrathekalen HIV-Anti- körper-Produktion aufgenommen.
Hierzu werden Serum und Liquor durch entsprechende Verdünnung auf gleiche IgG-Konzentrationen eingestellt und dann parallel Titer- bestimmungen (Abbildung 1) durch- geführt. In dem Beispiel der Abbil-
dung 1 ist dazu eine Verdünnung des Serums um den Faktor 704 notwen- dig, danach können mit dem ELISA bei unterschiedlicher Verdünnung die optischen Dichten gemessen werden. Daraus ergibt sich in einem halblogarithmischen Diagramm eine Kurve, aus der der Schnittpunkt mit dem Cut-off-Wert bestimmt werden kann. So lassen sich Grenzkonzen- trationen mit gerade noch positivem ELISA-Test bestimmen, der daraus berechnete Quotient läßt nun Rück- schlüsse auf eine intrathekale HIV- Antikörper-Produktion zu.
Von 24 in Essen untersuchten Liquores zeigten lediglich sechs ei- nen Quotienten unter 1, während bei fünf Patienten mit einem Quo- tienten über oder gleich 2 eindeutig eine intrathekale HIV-Antikörper- Produktion nachweisbar war.
Diese fünf Patienten boten kli- nisch das Bild der AIDS-Enzephalo- pathie, bei einem Patienten wurde sogar ein Quotient von 16 festge- stellt. Bei 13 Patienten konnten wir einen Quotienten zwischen 1 und 2 bestimmen; hier ist derzeit nicht klar, ob es sich um eine Frühinfek- tion des zentralen Nervensystems handelt, oder ob wir uns innerhalb der Fehlerbreite der Methode bewe- gen. Im Zusammenhang mit den Li- teraturberichten deuten diese Be- funde jedoch darauf hin, daß der Befall des zentralen Nervensystems mit dem HIV sehr früh im Laufe der Infektion stattfindet.
3.1.2 Aseptische Meningitis
Eine weitere Krankheitseinheit stellt die sogenannte atypische asep- tische Meningitis dar, die klinisch durch Kopfschmerzen, Fieber, Me- ningismus und multiple Hirnnerven- ausfälle gekennzeichnet ist. Auffäl- lig sind eine Liquor-Pleozytose so- wie ein rezidivierender chronischer Verlauf.
3.1.3 Weitere Kompli- kationen viraler Genese
Die weiteren Komplikationen viraler Genese umfassen zum einen die Varizella-zoster-Enzephalitis, vi- rale Myelitiden, die im wesentlichen auf die Zytomegalie-Virus-InfektionTabelle 2: Neurologische Erkrankungen bei 61 untersuchten HIV-Antikörper-positiven Patienten der Essener Universitäts- klinik (mehrere Erkrankungen pro Patient möglich)
Organisches Psychosyndrom
5
(Kopfschmerzen, Antriebsminderung)
AIDS-Enzephalitis (mittels Liquor-Befund nachgewiesen)
5
Enzephalitis ungeklärter Ätiologie
3
Lymphozytäre Meningitis
1
Toxoplasmose-Enzephalitis
3
Lues cerebro-spinalis
3
Hirnabszeß
1
Tuberkulöse Meningitis
1
Sensible Reizsymptomatik
5
Polyneuropathie
4
Mononeuritis
1
Multiple Hirnnervenausfälle bei Lymphom
1
Zoster-Radikulitis
5
Systemisches Lymphom mit ZNS-Beteiligung
1
Astrozytom Grad II
1
Intrazerebrale Blutung
1
Malazie
1
Chronische subdurale Hämatome bei Thrombozytopenie
1
neurologisch unauffällig
23
Dt. Ärztebl. 84, Heft 27, 2. Juli 1987 (37) A-1897
konzentrierter Liquor:
0.0079
konzentriertes Serum:
0.0151 (mg IgG/d1)
Qs
/L:1.9
0.4- OD
4
Liquor 0.6-
0.5-
Serum
IgG 1330 (mg/dl)
0.3- verdünnt:
1:704
IgG 1.89 (mg/dI)
0.2-
0.1- Cut-off-Wert
125 240
1.25 50 100 200 400 Titer
Abbildung 1: Beispiel für die Bestimmung der spezifischen intrathekalen HIV-Antikör- per-Produktion
3.2 Nicht virale Infektionen
3.2.1 Toxoplasmose- Enzephalitis
Bei den nicht viralen Infektio- nen des zentralen Nervensystems spielt schon rein zahlenmäßig die In- fektion mit Toxoplasma gondii die wichtigste Rolle Klinisch (Tabelle 4) zeigt sich bei den betroffenen Pa- tienten nur eine geringe Symptoma- tik mit einem organischen Psycho- syndrom, fokal-neurologischen Aus- fällen und Krampfanfällen. Bei der Diagnostik sind Serum- und Liquor- Antikörper-Befunde unzuverlässig, bei den im Regelfall immunsuppri- mierten Patienten sind die IgM-Titer negativ, Titerbewegungen von ge- ringer Aussagekraft. So waren bei 70 Patienten mit AIDS und nachge- wiesener Toxoplasmose-Enzephali- tis die IgM-Titer mit einer einzigen Ausnahme stets negativ (11). Das CT zeigte typische multiple ringför- mige Kontrastmittelanreicherungen (Abbildungen 2 a und 2 b), jedoch auch atypische Bilder ohne Ring- strukturen.
Der Liquor der Patienten zeigt einen Normbefund bis leichte Pleo- zytosen. Diagnostisch am eindeutig- sten ist die probatorische Behand- lung und die anschließende Kontrol- le des CT-Befundes nach etwa zwei bis vier Wochen. Therapeutisch ste- hen das Pyrimethamin sowie das Sulfometoxydian zur Verfügung.
Bei den Langzeit-Sulfonamiden sind jedoch schwere allergische Reaktio- nen beschrieben, so daß die Berliner Arbeitsgruppe um Prof. Pohl (20) derzeit eine Therapie bei Verdacht auf Toxoplasmose-Enzephalitis mit Pyrimethamin, Clindamycin und Spiramycin empfiehlt. Bei bestehen- der Toxoplasmose-Enzephalitis ist jedoch auch nach ausreichender Be- handlung nicht mit einer völligen Restitution zu rechnen, so daß eine lebenslange Rezidiv-Prophylaxe notwendig ist. Bewährt haben sich
Klinische Syndrome:
—Konzentrationsstörung, Merkfähigkeitsstörung, psychomotori- sche Verlangsamung, Nachlassen der intellektuellen Fähigkeiten und der Feinmotorik, Persönlichkeitsnivellierung
—Chronischer oder selten akuter Übergang zu schwerem organi- schen Psychosyndrom, Mutismus, Paraplegie und Inkontinenz Zusatzdiagnostik:
CT: Hirnatrophie
NMR: Vorwiegend Markatrophie
Liquor: Normale Zellzahl und Gesamt-Eiweiß, intrathekale HIV-Antikörper-Produktion
EEG??
Neuropathologisch:
Marklageratrophie, perivaskuläre Infiltrate, Makrophagen und multinukleäre Riesenzellen
Tabelle 3: AIDS-related dementia complex (Subakute Enze- phalitis, AIDS-Enzephalitis)
zurückzuführen sind, ebenso wurde die progressive multifokale Leuken- zephalopathie und Herpes-Enzepha- litiden beschrieben.
Tabelle 4: Toxoplasmose bei HIV
Klinik:
Organisches Psychosyndrom, fokale neurologische Ausfälle, Krampfanfälle
Diagnostik:
Serum- und Liquor-Antikörper-Befunde unzuverlässig CT: Typisch: Ringförmige Kontrastmittel-Anreicherung, zum
Teil multiple, aber auch untypische Bilder ohne Ringstruktur LP: Normbefund bis leichte Pleozytose
Probatorische Behandlung Therapie:
Pyrimethamine (Daraprim®) 50 mg/die Sulfometoxydiazin (Durenat') 500 mg/die (schwere allergische Reaktion möglich!) oder
Pyrimethamine 150 mg/die
+ Clindamycine (Sobelin®) 2400 mg/die
+ Spiramycine (Selectomycin®) 12 Kaps. 750 000 I. E./die Lebenslange Rezidivprophylaxe mit:
50 mg Pyrimethamine/Woche 2 Tabletten Fansidare/Woche + 1000 mg Sulfadoxine/Woche
Abbildungen 2: Toxoplas- mose-Enzephalitis; links:
vor Therapie, rechts: 4 Wochen nach Therapie (Praxis Dr. Schupp/Dr.
Scholl, Essen)
3.3 Neoplasien
Die neoplastischen Komplika- tionen bei HIV-Infektion umfassen.
das Kaposi-Sarkom mit zentraler Beteiligung, dann Lymphome, wo- bei sowohl systemische Lymphome mit zerebraler Beteiligung wie auch primär intrazerebrale Lymphome vorkommen.
hierzu eine Dosierung von 1000 mg Sulfadoxine sowie 50 mg Pyrimetha- mine pro Woche.
Die weiteren nicht viralen In- fektionen des zentralen Nervensy- stems umfassen die relativ seltenen bakteriellen Meningitiden, zum an- deren jedoch auch mykotische Erre- ger wie Aspergillus fumigatus, Can- dida albicans und die Coccidoiden.
3.2.2 Tuberkulöse Meningitis
Die in der amerikanischen Stati- stik nur geringe Häufigkeit der tu- berkulösen Meningitis scheint in Deutschland höher zu sein, bei der im Vergleich geringen Fallzahl in Essen konnten wir bereits einen Fall einer tuberkulösen Meningitis nach- weisen.
3.2.3 Lues cerebro-spinalis
Die Lues cerebro-spinalis hat in den amerikanischen Statistiken ebenfalls nur eine geringe Häufig- keit, im Essener Untersuchungskol- lektiv fanden wir bisher alleine schon drei Patienten mit einer Lues cerebro-spinalis, in zwei Fällen war die Lues Anlaß zur Entdeckung der HIV-Infektion.
3.2.4 Cryptococcus neoformans
Die Infektion des zentralen Ner- vensystems mit Cryptococcus neo- formans ist auch in Deutschland be- reits in mehreren Fallbeispielen be- schrieben worden (4). Diagnostisch beweisend sind die positiven Liquor- kulturen und der positive Liquor- Antigen-Titer, der im Vergleich zu nicht immunsupprimierten Patien- ten extrem hohe Titer aufweist. The- rapeutisch (3,9) empfiehlt sich die Gabe von Amphotericin B (0,4 bis 0,6 mg/kg pro die) und 5 Fluorocyto- sin (150 mg/kg pro die). Von einigen Autoren (21) wurde sogar die primä- re intrathekale Therapie empfohlen, ebenso eine Rezidivprophylaxe mit einer einmal wöchentlichen Gabe von Amphotericin B und 5 Fluoro- cytosin.
Dt. Ärztebl. 84, Heft 27, 2. Juli 1987 (41) A-1899
3.4 Komplikationen des peripheren Nervensystems
3.5 Komplikationen im zerebrovaskulären Bereich
AIDS
nach Blutkontakt
Polyneuropathien finden sich bei den infizierten Patienten eben- falls sehr häufig. In der Literatur (6, 11) werden chronisch entzündliche Polyneuropathien, distal symmetri- sche Neuropathien, multiple Hirn- nervenausfälle bei Polyneuropathie und Zoster-Radikulitiden beschrie- ben.
Therapeutische Erfolge wurden bei chronisch entzündlichen Poly- neuropathien mit der Plasmapherese erzielt (13). Die Essener Ergebnisse zeigen eine noch höhere Häufigkeit von peripheren Komplikationen. So
Tabelle 5: Neurologisches Screening-Programm bei HIV-Infektion
• neurologische Untersu- chung und Erhebung des psychischen Befundes
• EEG mit Hyperventilation
• Basis-Laborwerte (Lues- Reaktionen, Toxoplasmo- se-Antikörper, HIV-Anti- körper)
• bei Auffälligkeiten Weiter- verweisung an spezialisierte Klinik (CT, NMR, LP, EMG/NLG)
konnten wir bisher bei 15 Patienten eine Beteiligung des peripheren Nervensystems feststellen. Bei vier Patienten lag eine schwere distal- symmetrische Polyneuropathie vor, ein Patient bot eine Mononeuritis des N. musculocutaneus. Diese fünf Patienten boten bereits einen Im- mundefekt mit einem T 4/T 8-Index
0,6. Sechs weitere Patienten mit noch nicht deutlich reduziertem Im- munstatus (T 4/T 8 > 0,6) boten da- gegen ein rein sensibles Reizsyn- drom mit heftigen Schmerzen, zeig- ten aber keine motorischen Ausfall- erscheinungen. Fünf weitere Patien- ten hatten eine Zoster-Radikulitis.
Die zerebrovaskulären Kompli- kationen sind in der Übersichtsstati- stik von Levy mit fünf Malazien und vier Blutungen aufgeführt. Im Esse- ner Untersuchungskollektiv fanden wir bei einem Patienten einen ischä- mischen Insult im Rahmen einer Lues cerebro-spinalis, eine intrazerebrale Blutung ereignete sich bei einem Pa- tienten mit schwerer Enzephalitis.
Ein Patient entwickelte im Rahmen einer Thrombozytopenie multiple chronische subdurale Hämatome, die sich unter Therapie der Thrombozy- topenie zurückbildeten (2).
4. Diagnostisches Vorgehen
bei HIV-Infektion
Wegen der hohen Rate von neu- rologischen Syndromen bei HIV-in- fizierten Patienten sollte bei jedem Patienten ein neurologisches Scree- ning-Programm durchgeführt wer- den, auch wenn sich der Patient erst im Stadium II oder III befindet. Ins- besondere die Toxoplasmose-Anti- körper-Bestimmung empfiehlt sich in einem frühen Stadium, da bei pri- mär hohen Antikörpertitern die Wahrscheinlichkeit einer folgenden Toxoplasmose-Enzephalitis wesent- lich höher ist, als wenn der Patient sich bisher nicht mit Toxoplasmose infiziert hat. Bei neurologischen Auffälligkeiten sollte der Patient un- bedingt in eine spezialisierte Klinik überwiesen werden, da bei einer Frühdiagnostik von neurologischen Symptomen häufig noch ermutigen- de passagere Restitutionen zu er- warten sind.
Die Ziffern in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, zu beziehen über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Rolf Biniek Neurologische
Universitätsklinik Essen Hufelandstraße 55 4300 Essen 1
Beträchtlicher Schock wurde in der Öffentlichkeit der USA ausge- löst, als das Zentrum für Krank- heitskontrolle (CDC) einen Bericht über AIDS-Infektion bei drei Ange- hörigen des Krankenpersonals infol- ge von Kontakten mit infizierten Pa- tienten veröffentlichte:
1. Fall: Blutabnahme unter Not- fallbedingungen bei einem sterben- den Patienten führte zu einem Kon- takt mit ungeschützten Händen. 20 Tage nach dem Zwischenfall grippe- ähnliche Symptome, 16 Wochen später Antikörper gegen HIV. 2.
Fall: Bei intravenöser Blutabnahme eines AIDS-Patienten wurden Ge- sicht und Mund der abnehmenden Krankenschwester kontaminiert.
Positive Tests für HIV 9 Monate später. 3. Fall: Ungeschützte Hände und Unterarme einer Schwester wurden mit Blut verunreinigt, als ei- ne Blutseparierungsmaschine einen Defekt hatte. Es traten ebenfalls grippeähnliche Symptome auf, und nach 3 Monaten war der HIV-Test positiv.
Alle drei Kliniksangehörigen verneinten sexuelle Kontakte oder den Gebrauch intravenöser Drogen.
Keiner hatte eine Bluttransfusion.
Der CDC-Bericht stellt fest, daß Exposition von Haut und Schleim- hautmembranen mit kontaminier- tem Blut in seltenen Fällen eine Übertragung von HIV bedeuten könnte. 298 Mitarbeiter des Ge- sundheitsdienstes nach unfallsmäßi- ger Exposition mit HIV-kontami- niertem Blut zeigten nur ein positi- ves Ergebnis. Dabei waren 98 Pro- zent der Kontakte durch Nadelver- letzungen und leichte Schnittverlet- zungen gegeben. Obwohl die Ereig- nisse offenbar sehr selten sind, sind strenge Richtlinien im Umgang mit HIV-Patienten durch das US Public Health Service zu erwarten. Ent- sprechende Rückschlüsse auch für die Bundesrepublik sind wohl uner- läßlich (Nature 327 [1987] 261 — sie- he dazu auch Zeichardt et al. Deut- sches Ärzteblatt 18/1987).
G. Schettler, Heidelberg