Das Buch Prediger.
Von Franz Dornseiff.
Das Buch mit dem Titel „Der Versammlungsredner"
nennt seinen Verfasser nicht. König Salomo soll es nicht sein,
er redet vielmehr innerhalb der Schrift und sagt: Ich war
König (1, llf.). Es ist nichts davon bekannt, daß er vor
seinem Tod abgedankt hätte. 1. Kön. 11 erzählt zwar, wie
das Haus der Davididen das Königreich verliert, Salomo hat
es durch Vielweiberei und Abgötterei verscherzt. Aber die
Strafe trifft erst den Sohn und Nachfolger Rehabeam. Spä¬
tere Ausgestaltung läßt Salomo noch selbst ins Exil gehen.
Salomo mahnt also aus dem Totenreich heraus (s. auch 9, s)
oder hält zum mindesten eine posthume Ansprache. Die
Schrift Qohelet bildet also die Situation dieses Kapitels
1. Kön. 11, in dem Exzesse und Ende des Königs Salomo
beschrieben waren, selbständig weiter um. Solche Midraschim
entsprechen als literarisches Unternehmen genau den antiken
rhetorischen Produktionen, wo die Frage beantwortet wird:
„Tivag äv elnoi Xöyovg der berühmte N. N., als er in der
berühmten Lage war?" Nur verfolgen die Schriftsteller hier
bei der neuen Vergegenwärtigung geheiligter Gestalten der
Vergangenheit erbaulich religiöse Absichten, während in der
griechisch-römischen Welt rein künstlerische Freude an der
Neubeleuchtung, rednerische Übung und prunkende Fertig¬
keit am Werke ist. In diese Produktion gehören u. a. auch
viele Psalmen, besonders die Gruppe 51—72 am Schluß des
zweiten Buches. Sie wirken wie lyrische, nachträglich ge¬
machte Prosimetrum-Einlagen') für die verschiedenen Le¬
benslagen in einen historischen Roman über das Leben des
Königs David.
1) Antikes zum A. T. I, ZAW. 11/1934, 74 f.
244 F- Dornseiff, Das Buch Prediger.
In der nQoaoanonoila des Königs Salomo auf Grund von
1. Kön. 11 (und vielleicht auch mit beabsichtigtem Anklang
an die Redesituation 1. Kön. 8')) geht der Verfasser sehr
seine eigenen Wege. Salomo rät, sich über das Leben keine
Illusionen zu machen. Eine wichtige Stelle in seinen Mah¬
nungen hat die Philosophie des Gaudeamus. Freut euch des
Lebens, so lang das Lämpchen glüht. Aber sie ist nicht des
toten Königs letztes Wort. Als bester Rat steht darüber noch
die höchste Mahnung: Fürchte Gott (2, 24; 5, e). Augenschein¬
lich handelt es sich um ein Buch für Gebildete, denen durch
eine unterhaltende weltliche Inszenierung schließlich doch
Erbauliches beigebracht wird. Die Einkleidung tritt strecken¬
weise zurück, wird nicht ständig pedantisch eingehämmert*),
denn dem Leser soll eine Menge Gedanken, Lesefrüchte, Mah¬
nungen mitgeteilt werden.
Die Fiktion des toten Mahners zum Genuß steht in einer
langen Tradition. Schon im babylonischen Gilgameschepos um
2000 sagt die Göttin Sabitu-Siduri ebenfalls im Jenseits dem
Besucher Gilgamesch Ähnliches (S. 72 Ungnad-Grkssmann).
Homer läßt in der Unterweltsszene der Odyssee 11, 488ff.,
die als Motiv zweifellos auf altvorderasiatische Epik minde¬
stens in der Art des Gilgamesch zurückgeht*), den Achilleus
vor Odysseus, dem Besuch aus der Welt der Lebenden, fast
ebenso trostlos klagen. Nach Herodot 2, 78 munterten die
Ägypter*) einander bei ihren Gelagen durch Herumreichen
der Nachbildung eines Toten im Sarg zu kräftigem Genießen
auf. Ein besonders nachdrücklicher Apostel des Argumen¬
tierens mit den Toten im Sinne von Diesseitsmahnungen war
der Palästinenser Menippos von Gadara*), der auch in for¬
mell-literarischer Beziehung ein wichtiger Mittler zwischen
1) EisLBR, Jesus Basileus, Heidelberg 1930, II 185.
2) Hesiods Werke und Tage und das alte Morgenland, Philol.
89/1934, 400.
3) WoLPO. Schultz, Aaoyqatfiia 7/1924, 102«.
4) Zahn, xt<B 81. Winckelmanns-Programm, Berlin 1923.
5) Helm, Menippos RE 15/1931, 889 ff. Dtroff, Die Philosophie
des Gaudeamus, NJbb 1923, Bd. 51, 229ff. C. H. Becker, Ubi sunt qui
ante nos? Islamstudien 1, Leipzig 1924, 514ff.
F. DoBNSEiPF, Das Buch Prediger. 245
Osten und Westen gewesen ist'). Aus Kilikien haben wir
einen Grabstein mit einem Gedicht, mit Musiknoten, das
ebenfalls die Gaudeamus-Weisheit einschärft *).
Ein weiterer Schritt ist, daß man einen toten orientalischen
König zum Verkünder dieser Lebensweisheit nimmt. Ein
solcher Großkönig, ein in jeder Hinsicht bevorzugter Mensch,
hat schließlich das irdische Leben so ausschöpfen können, daß
er der denkbar zuständigste Zeuge ist für den Unterschied
zwischen Tod und Leben. Die älteste literarische Fundstelle
dafür ist der Abschied des Dareios als Geist in den Persern
des Äschylos an die Granden seines Hofes. Nachdem er, von
der Niederlage von Salamis unterrichtet, Unheil für die
nächste Zukunft geweissagt hat, sagt er 840 f. leichtlebig und
jovial: „Ihr Alten aber laßt es euch gut gehen! Gebt eure
Seele, wenn auch im Unglück, täglich der Freude; denn den
Toten ist Reichtum nichts nütze." Dieses orientalische Mo¬
tiv") steht in Äschylos' Persern in einer ganzen Reihe wei¬
terer orientalischer Züge, wie Äschylos in den Hiketiden auch
ägyptisches Gut kennt*).
Dann ist für das Rezept: iß, trink, liebe, vergnüge dich;
alles andere ist eitel — der klassische Gewährsmann der am
ausschweifendsten lebende babylonische König Sardanapal^),
der vor der Eroberung seiner Stadt durch die Feinde sich
mit seinen sämtlichen Weibern verbrannte und noch auf dem
Grabstein ein Schnippchen schlägt, ein Lieblingsmotiv der
griechischen ethisch-philosophischen Literatur*).
In diese Reihe gehört Salomo mit der Rolle, die ihm in
dieser Schrift zugeteilt ist. Er war der reichste und am üppig¬
sten (Kap. 2) lebende König gewesen und dazu noch der
weiseste.
Auch die lebendigen Schilderungen der Licht- und
Schattenseite von allem auf der Welt, der Sinnlosigkeit alles
1) Antikes zum A. T. I, ZAW. 11/1934, 74.
2) Musici scriptores graeci ed. Jan Suppl., S. 38f.
3) Dareios und Sardanapal. Hermes 64/1929, 270.
4) W. Kranz, Stasimon, Berlin 1933, 71 ff., 292.
5) Weissbach, Sardanapal RE I A/1920, 2441 ff.
6) W. Jabgeb, Aristoteles, Berlin 1923, 266.
246 F. Dornseiff, Das Buch Prediger.
menschlichen Tuns haben ebenfalls eine lange Tradition. Der
Fachvertreter seiner abgeschlossenen Einzelliteratur sagt bei
solchen Gelegenheiten leicht: das ist entarteter Relativismus,
Nihilismus, Skepsis einer Spätzeit. Tatsächlich ist aber der¬
gleichen uralt, und wenn das alles schon Verfall war, müßten
wir im 20. Jahrhundert n. Chr. verzweifeln. Neben der tief¬
tragischen Klage darüber in den eben erwähnten Texten seit
Gilgamesch haben wir schon babylonisch den köstlich witzigen
Dialog „Hör' einmal, Sklave')", wo, ohne daß der Autor
mißbilligte, der Sklave jedem Befehl und Gegenbefehl seines
Herrn Schlag auf Schlag mit überzeugenden Gründen bei¬
stimmt. Es zeigt sich da schon ein Shakespearescher Humor,
man denke an die beiden Höflinge Rosenkranz und Gülden¬
stern. Im Grunde ist schon der ganze Bouvard und Pecuchet
von Flaubert da. Aus griechischer Literatur stehen die sophi¬
stischen, das Für und Wider bei jeder Sache genießenden
Auüe^eig^) sehr nahe.
Daß dieser Autor nicht einflußfrei in geradliniger Geistes¬
entwicklung vom jüdischen Prophetismus aus zu verstehen ist,
dürfte einleuchten. Man hat ihn mit griechisch-hellenistischer
Skepsis in Beziehung gesetzt. Ob eine unzweideutige Spur von
nachsokratischer und hellenistischer Schulphilosophie zu ent¬
decken ist, gehört zu den schwierigsten Fragen*). Jedenfalls
begegnen ältere Bekannte. Gar nicht jüdisch ist die 4, 2-3 und
6, 3-4 gebrachte Weisheit : Nicht geboren zu sein ist das
beste, sonst aber bald zu sterben. Wir kennen sie aus Theognis
425 ff., Bakchylides 5, 160, Sophokles Oedipus Kol. 1224 ff.
Diese Stellen haben in der klassischen Philologie Streitig¬
keiten hervorgerufen, wie die Griechen zu so überraschend
pessimistischen Stimmungen kommen*). Aber die Griechen
gaben diese Erkenntnis ja als östliche Einfuhr aus: der phry-
1) A. Schott, Zwei babylonische Dichtungen, Die Welt als Ge¬
schichte 1/1935, 65«. Gressmann, AOTB Bd. 1, S. 284—287.
2) Vorsokratiker II«, S. 334ff. Diels.
3) A. Palm, Progr. Mannheim 1884/85.
4) W. Nestle, NJbb 1921, Bd. 47, 81 ff. Diels, Der antike Pessimis¬
mus, Berlin 1921.
F. Dornseiff, Das Buch Prediger. 247
gische König Midas habe sie einem in seinem Rosengarten
gefangenen und gefesselten Silen abgepreßt'). Daß über diese
Wertvertauschung von Tod und Leben außermenschliche
dämonische Wesen uns zuständig belehren, findet sich sehr
eindrucksvoll wieder in 1001 Nacht (Abdallah).
Dann ist einiges da aus der altvorderasiatischen Sprüche¬
literatur-Tradition, die wir in den Salomosprüchen und bei
Hesiod fassen. Qoh. 7, 26 ist das Entrinnen vor dem Weib in
ganz ähnlicher Weise mit der Gottgefälligkeit in engste Be¬
ziehung gesetzt wie Prov. 5, 12 Hesiod Erga 706^). 11, 1
ist die Mahnung zu Freigebigkeit ganz ähnlich wie Hesiod
Erga 744 ff. Echt orientalischer Stil ist die dreigliedrige
Anapher der mit ehe beginnenden Sätze Kap. 12. Für die
erlesene euphemistische Metapher für den Tod 12, 6 dürfte
nicht leicht eine Parallele auffindbar sein. Die große Paren¬
these 12, 3-5 mit dem ausgeführten Bild des Alternden als
verfallendes Haus ist ähnlicher Stil wie Prov. 24, 34. Die
Stellen stehen auch beide gegen Buchschluß.
Für die epikureisch anmutenden Sätze würden schon
ältere Graeca wie etwa Demokritos iJept ev&vfiiag genügen.
Der frühere König hat es mit allem versucht: mit Weis¬
heitsuchen 1, 17, mit Torheit 2, 3, d. h. mit Genußleben und
Pracht 2, 1-11, mit dem Vergleichen von Weisheit und Tor¬
heit 2, 12-23. Aber er kommt zur Erkenntnis: die Welt ist
vielgestaltig, alles hat seine Zeit. Aber, 3, lo ff. : Gott steht
über allem 2,24; 3,10.13; 5, is; 7, 14; 9, 1, er hat auch
seine Absichten mit der Existenz des Unrechts 3, is. Die Er¬
kenntnis der letzten Absichten Gottes ist dem Menschen nicht
gegönnt. Aber er soll rechtzeitig an ihn denken. Das ist eine
erbauliche Argumentation, die ihre Vorläufer an Hiob 8, la;
28, 28 hat*).
Der Rahmen schließt sich am Buchende ganz genau.
12, 9ff. erzählt vom ,, Redner", daß er viele Maschale formte
(vgl. 1. Reg. 5, 12 über Salomo). Daß dem toten König Rat-
1) Bitrem, Midas RE 15/1932, 1527 ff.
2) Philol. 89/1934, 406. 410. 411f.
3) Die altorientalische Priamel, Greifswalder Beiträge 10/1935, 82.
248 F. Dornseiff, Das Buch Prediger.
Schläge in den Mund gelegt werden, dem König zu gehorchen,
ist hübsch.
Sucht man nach Zeitspuren, so geht eine Stelle im
9. Kapitel zweifellos auf ein historisches Ereignis. Dazu ist
eine verblüffende Verknüpfung S. Spinner's') recht be¬
stechend. 9,14-15 lauten:
Eine kleine Stadt, und wenig Leute darin,
und gegen sie zieht ein großer König,
der umzingelt sie und baut wider sie große Bollwerke,
und es findet sich darin ein armer weiser Mann,
der rettet die Stadt durch seine Weisheit:
doch kein Mensch gedenkt jenes armen Mannes.
Wenn man damit noch zusammenbringt 7, 19: Die Weisheit
gewährt dem Weisen mehr Stärke als 10 Gewaltige, die in
der Stadt sind, so würde alles gut auf die 10 athenischen
Strategen passen, gegen deren Mehrheit Miltiades mit seinem
Willen, bei Marathon zu schlagen, durchdrang (Herodot
6, 109). Der Zug gegen Athen hat sich zwar zu einer Belage¬
rung verschoben, und Miltiades' Schicksal, nach seinem un¬
glücklichen Zug nach Paros im Gefängnis sterben zu müssen
(Herodot 6, ise), hat sich auf dem Weg zum Qoh. dahin ver¬
schoben, daß er in der belagerten Stadt ein armer Mann ist,
der, obwohl verachtet, die Stadt rettet. Wo die historischen
Tatsachen über Miltiades in so verwaschener, nur noch das
Herzbewegende enthaltender Beispielform angelangt sind,
dürfte wohl der sicher zu erwartende Einwand: wie sollen die
Juden davon gewußt haben, die Griechen werden im A. T.
kaum erwähnt ! verstummen. Wenn ihr eigener allergnädigster
Landesherr Dareios einen großen Kriegszug nach Westen
richtete, konnten mit der Zeit auch Einzelheiten über die
Feindesseite einmal zu ihnen dringen. Das Gegenteil wird
ex silentio einiger religiöser Schriften, die uns aus diesen Jahr¬
hunderten erhalten sind, nicht bewiesen.
Leider gibt die Stelle, selbst wenn die Beziehung sicher
1) Herkunft, Entstehung und antike Umwelt des hebr. Volkes.
Wien 1933, 465.
F. DoRNSBiPF, Das Buch Prediger. 249
wäre, für die Zeitbestimmung nicht viel aus. Höchstens einen
terminus post quem 490 v. Chr., über den hinaufzugehen aber
auch so keine Neigung besteht. Terminus ante quem bekannt¬
lich Jesus Sirach 180 v. Chr. Nicht für die Datierung zu ver¬
werten sind dagegen andere Stellen, die man dazu benutzt
hat. 4, 13-14 spricht von Joseph und dem Pharao. 4, 15-16
bleibt Salomo in der Rolle: er erzählt von der Erhebung
seines Bruders Absalom gegen David, die er miterlebt hatte.
8, 2 ff. ebenso: der eben gestorbene Salomo warnt das Volk
davor, von Rehabeam abzufallen. Und 10, le gibt er eine
Unheilsprophetie, weil Rehabeam doch zu jung ist.
Die Schlußworte des Autors, der 12, s hinter dem ver¬
stummenden Salomo hervortritt: Laß die vielen Bücher,
fürchte Gott und halte seine Gebote! wiederholen die Pointe
des Ganzen. Es spricht nichts dafür, sie für den protestieren¬
den Zusatz eines Späteren zu halten. Wie mühsam vorzu¬
stellen, daß vor der LXX ein Abschreiber so töricht war,
einen solchen Zusatz einfach mit abzuschreiben, und daß dieser
sich dann in der Überlieferung gehalten hätte.
Der Lycaon pictus in Arabien nachgewiesen.
Von Georg Jacob.
Der 50. Vers der Lämija des altarabischen Dichters
Schanfarä lautet in deutscher Übersetzung:
„So wisse, daß ich Standhaftigkeit besitze, indem ich
ihre Rüstung anlege über das, was gleichkommt dem Herzen
eüies sim'' und kluge Entschlossenheit als Sandale."
Die Kommentatoren erklären sim' für eine Kreuzung von
Schakal und Hyäne. Eine solche ist natürlich unmöglich;
während sich der Hund mit dem Wolf kreuzt, ist eine Kreu¬
zung zwischen Wolf und Fuchs bisher nur einmal im Zoolo¬
gischen Garten Hellabrunn gelungen. Übergangsformen er¬
klärt das Volk gerne als Kreuzungen. Vom Nashorn heißt es
2. B. bei Demiri: „Man sagt, es sei eine Kreuzung zwischen
Pferd und Elephant."
Seit Jahrzehnten habe ich in meinen Schanfarä-Studien
(Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie), Heft 1, Mün¬
chen 1914, S. 97/98, Heft 2, München 1915, S. 32/33, be¬
hauptet, daß mit sim' nur der Hyänenhund Lycaon (oder
Canis) pictus gemeint sein könne, aber immer wieder hören
müssen, daß dieser in Arabien nicht vorkomme; sagt doch
Brehm noch in der neuesten Auflage: ,,Die Gattung Lycaon
gehört ausschließhch Afrika an", und Landsberger bemerkt
zweifelnd in seiner Fauna des alten Mesopotamien (Abhand¬
lungen der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften, 42. Band, Nr. 6), S. 68:
,, Hyänenhund ist ein afrikanisches Tier. Jacob will ihn für
Arabien aus alten Dichterstellen erschließen."
Es war ziemlich allein J. J. Hess, der in verschiedenen
Briefen für meine Identifikation eintrat und sie weiter be-