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ie sind das Parlament, und wir müs- sen uns dem beugen.“ Nicht ganz verbergen konnte Prof. Dr. med.Heyo Eckel, Präsident der Ärztekam- mer Niedersachsen und Vorsitzender des Deutschen Senats für ärztliche Fort- bildung, seine Enttäuschung über das Votum des 107. Deutschen Ärztetages zur (Muster-)Satzungsregelung „Fortbil- dung und Fortbildungszertifikat“. Denn in einem wesentlichen Punkt waren die Delegierten von der Vorlage der Bundes- ärztekammer abgewichen. Nach kon- troverser Diskussion entschieden sie sich bei der Bewertung von Fortbil- dungsmaßnahmen gegen eine Ober- grenze bei der in den einzelnen Katego- rien maximal zu erwerbenden Punkte- zahl – mit Ausnahme der Kategorie E:
Selbststudium durch Fachliteratur und -bücher sowie Lehrmittel.
Als Rückschlag wollte Eckel dieses Votum der Delegierten für mehr indivi- duellen Entscheidungsspielraum bei der zertifizierten Fortbildung nicht werten.
Die Tatsache, dass die Satzung angenom- men wurde, sei befriedigend. Noch nicht abzusehen sei allerdings, ob und inwie- weit die Kassenärztlichen Vereinigun- gen, denen gegenüber die Vertragsärzte gemäß SGB V § 95 d den Nachweis ihrer regelmäßigen Fortbildung erbringen
müssen, diese Regelung akzeptieren werden. Und auch in der Politik – so Eckel – gebe es sicherlich andere Vor- stellungen über die Umsetzung der ge- setzlichen Vorgaben zur Fortbildungs- verpflichtung. Ob seine Prognose, dass die (Muster-)Satzungsregelung in der nun verabschiedeten Fassung nicht lange bestehen bleibe, zutrifft, wird sich nach nun anstehenden Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung und dem Bundesgesundheitsmini- sterium zeigen.
In seinem Einführungsreferat zu TOP V hatte Eckel es zuvor als einen wichtigen Teilerfolg bezeichnet, dass
„die inhaltliche Ausgestaltung und Durchführung des Fortbildungsnach- weises in unseren, den Händen der ärzt- lichen Selbstverwaltung liegt“. In den ersten Gesetzentwürfen zum GKV- Modernisierungsgesetz wären die Kran- kenkassen noch über den Gemeinsamen Bundesausschuss an der inhaltlichen Ausgestaltung und Durchführung des
Fortbildungsnachweises beteiligt gewe- sen. Dies hätte im Laufe des Gesetz- gebungsverfahrens im Sinne der Ärzte- schaft entschärft werden können. Aller- dings: Die bisher ausschließlich berufs- rechtliche Fortbildungspflicht sei nun- mehr Bestandteil des Zulassungsrechts;
Vertragsärzte, die zum 30. Juni 2004 zu- gelassen sind, müssen die Fortbildungs- nachweise erstmalig bis zum 30. Juni 2009 erbringen. Um ein bundeseinheitli- ches Vorgehen bei der Bewertung von Fortbildungsmaßnahmen sicherzustel- len, sei die (Muster-)Satzungsregelung
„Fortbildung und Fortbildungszertifi- kat“ erarbeitet worden, über die der 107.
Deutsche Ärztetag abzustimmen hatte.
Eckel wies auf einige Veränderungen ge- genüber den vom Deutschen Ärztetag im vergangenen Jahr gebilligten Richtli- nien zur zertifizierten Fortbildung hin.
So wurde in § 2 die Definition der Fort- bildungsinhalte erweitert um Maßnah- men zur Verbesserung kommunikativer und sozialer Kompetenzen. Die unter § 3 A
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TOP V: Ärztliche Fortbildung
Ärztetag stimmt für liberale Handhabung
Mit der (Muster-)Satzungsregelung „Fortbildung und Fortbildungszertifikat“ wurde die Voraussetzung geschaffen, um den Anforderungen des Gesetzgebers zu genügen.
Heyo Eckel präsentierte und verteidigte das Vorstandskonzept.
Reinhard Griebenow: Plädierte für den Weg- fall der Punkteobergrenzen
aufgeführten Methoden wurden um cur- ricular vermittelte Inhalte erweitert, et- wa in Form von curricularer Fortbildung, Weiterbildungskursen oder Zusatzstudi- engängen. Mit dem neu eingeführten
§ 10 wird nunmehr auch die Möglichkeit geschaffen, bestimmte Fortbildungsver- anstalter als zertifizierte Anbieter im Rahmen der zertifizierten Fortbildung anzuerkennen.
Die Diskussion über die vom Vor- stand der Bundesärztekammer einge- brachte Beschlussvorlage zur zertifizier- ten Fortbildung konzentrierte sich rasch auf einige umstrittene Regelungen. Bei der Frage, ob man den bisher bei den Ärztekammern üblichen Dreijahreszy- klus beim freiwilligen Fortbildungszerti- fikat an die nunmehr vom Gesetzgeber vorgegebene Fünfjahresfrist anpassen solle, entschieden die Delegierten salo- monisch und überließen es den Lan- desärztekammern, in ihren Fortbil- dungsordnungen entsprechende Festle- gungen zu treffen. Man solle durch eine rasche Anpassung in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck entstehen lassen, dass erst die Politik die Ärzte zur Fortbil- dung gezwungen hätte, betonte Dr. med.
Egon-Hans Mayer, Bayern. Auch der Präsident der Bayerischen Landesärzte- kammer, Dr. med. H. Hellmut Koch, wies auf gesundheitspolitische Aspekte der Entscheidung hin und plädierte für eine strikte Trennung der freiwilligen zertifi- zierten Fortbildung und der Nachweis- pflicht für Vertragsärzte. Als Argument
dagegen verwies Dipl.-Med. Gustav Michaelis, Thüringen, auf den damit ein- hergehenden Verwaltungsaufwand.
Eine gewisse Aufweichung der Vor- standsvorlage bedeutet auch eine von Dr. med. Rainer M. Holzborn, Nord- rhein, initiierte Änderung. Danach wird die Mussvorschrift bezüglich der Arzt- öffentlichkeit von Fortbildungsveran- staltungen in § 8 umgewandelt in eine grundsätzliche Sollvorschrift. Begrün- det wurde dies damit, dass bei der regel- mäßig auch in Fachkonferenzen, Qua- litätszirkeln oder Expertengremien stattfindenden Fortbildung eine gene- relle Arztöffentlichkeit in Einzelfällen nur schwer herzustellen sei. Mit knap- per Mehrheit wurde zum gleichen Para- graphen ein von Dr. med. Volker Pickerodt, Berlin, eingebrachter Ergän-
zungsantrag gebilligt, wonach die Ver- anstalter von Fortbildungen und die Referenten den Ärztekammern ökono- mische Verbindungen zur Industrie of- fen legen müssen.
Lebhafte Diskussionen zog der von Ralf Büchner und Dr. med.Wilken Boie, Schleswig-Holstein, eingebrachte Ände- rungsantrag nach sich, wonach in der (Muster-)Fortbildungssatzung sämtliche Punkteobergrenzen (Ausnahme Selbst- studium) gestrichen werden. Man solle sich nicht allzu willfährig dem politi- schen Druck beugen, argumentierte Büchner. Zudem seien die Ärzte je nach Wohnort in den Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Fortbildungsangeboten eingeschränkt. Unterstützung fand er bei Prof. Dr. med. Reinhard Griebenow, Nordrhein: Jeder Arzt sollte selbst be- stimmen können, auf welche Art und Weise er seine Fortbildungspunkte er- wirbt. Ein eindringlicher Appell von Dr.
med. Barbara Jöckle-Kretz, Rheinland- Pfalz, die mit knapper Mehrheit getrof- fene Entscheidung für den Wegfall der Punkteobergrenze in einer zweiten Le- sung noch einmal zu überdenken, wurde ablehnend beschieden. Je freizügiger die von der ärztlichen Selbstverwaltung ge- troffene Fortbildungsregelung, desto größer sei die Gefahr, dass sich die Poli- tik erneut der Sache annimmt und die Ärzte mit sachfremden Entscheidungen beglückt, argumentierte Jöckle-Kretz.
Nur kurz angerissen wurde in der Diskussion ein Sachverhalt, der bei der künftigen Ausgestaltung der im SGB V enthaltenen Fortbildungsverpflichtung eine große Rolle spielen dürfte. Mit der sozialrechtlichen Verankerung müsse allen Ärzten in gleichem Maße und un- abhängig von Ausbildungsstand, Funk- tion oder beruflicher Position die Mög- lichkeit zur Fortbildung gegeben wer- den. Als Teil der ärztlichen Arbeitslei- stung müssten so auch die Kosten der Fortbildung bei angestellten Ärzten vom Arbeitgeber getragen werden, hieß es in einem Entschließungsantrag aus der Ärztekammer Hamburg. Zu- dem wurde der Gemeinsame Bun- desausschuss aufgefordert, das Fort- bildungszertifikat der Ärztekammern auch als einheitliche Dokumentations- form der individuellen Fortbildung von Fachärzten im Krankenhaus anzuer-
kennen. Thomas Gerst
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Vittoria Braun: Forderte Aufwertung wissen- schaftlicher Publikationen
Delegierte: Votum für eine (relativ) liberale Lösung