S C H L U S S P U N K T
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ie meisten von uns sind Arbeitgeber, und die natürliche Fluktuation unserer Angestellten bringt es gelegentlich mit sich, ein Zeugnis formulieren zu müssen. Eigentlich kein Problem, da wir es gewohnt sind, uns präzise und – wie es vom Bundesarbeitsge- richt gefordert wird – immer wohlwollend auszu- drücken. Es soll zwar diese mit Superlativen ge- schmückte Zeugnissprache geben, aber die interessiert mich nicht. Wer Worte wie Pentaerythrityltetranitrat zu seinem gängigen Wortschatz zählt, ohne an einer chro- nischen Zungenfraktur zu leiden, kann eine solche Auf- gabe im Bleistiftumdrehen meistern. So geht es flugs von der Feder: „ . . . hat sie die übertra- genen Aufgaben mit Fleiß und Interesse durchgeführt, verfügt über Fachwissen und zeigt gesundes Selbstvertrauen!“Das Rechtssicherheitsprogramm auf meinem PC meldet Alarmstu- fe rot. Ich stelle mit Entsetzen fest, dass ich der von mir äußerst geschätzten Kraft gera- de bescheinigt habe, dass sie dumm, vorlaut und faul ist. Al- so ein neuer Versuch: „Ihr per- sönliches Verhalten war im We- sentlichen tadellos, sie koordi- nierte die Arbeit der Mitarbeiter erfolgreich und gab klare Anwei-
sungen!“ Der blöde Alarmknopf will einfach nicht aufhören zu blinken, son- dern droht mir einen Prozess vor dem
Arbeitsgericht an: Ich habe die Dame nunmehr als Drückebergerin dargestellt. Dann versuche ich es eben halt mit „ . . . die übertragenen Arbeiten waren sowohl im Großen als auch im Ganzen zu unserer Zufrieden- heit erledigt worden!“ Das Programm meldet eine un- zumutbare inhaltliche Kollision. Gerade mal ein „Man- gelhaft“ sei mir die aufopferungsvolle Tätigkeit der Mitarbeiterin wert gewesen.
Ich fasse es nicht. Es muss doch irgendwie funktio- nieren. Wütend haue ich in die Tastatur: „Es bestand ein hochsignifikanter Unterschied ihrer Arbeitsleistung im Vergleich zur Placebogruppe!“ Das Programm meint la- pidar, dass Ausrufezeichen in Arbeitszeugnissen nicht zulässig seien. Ja ja, ist ja gut. Ich muss mich wohl bes- ser mit meinem PC verstehen. Also gebe ich ein: „Ihre CPU arbeitet grundsätzlich nicht unter 2,6 GHz, Ihre
Festplatte ist mit 256 GB erstaunlich groß. Über ihr in- tegriertes Bluetooth 2.1 + EDR ist sie stets exzellent an- sprechbar.“ Na, endlich zufrieden? Nein, so ranzt mich das Programm an, bei der üblichen Entwicklung der Chipherstellung ist eine solche Äußerung fatal. In fünf Jahren wäre die Dame stark verlangsamt. Ich gebe auf und rufe meinen Rechtsanwalt an. Dieser teilt mir freundlich mit, dass er mir den gewünschten Vordruck
für ein entsprechendes Zeugnis aufs Fax legen könnte.
Meine Probleme sind damit gelöst. Ich lösche mein Rechtssicherheitsprogramm von der Festplatte. Mir wird klar, warum die Patienten so viel Wert darauf le- gen, einem leibhaftigen Doktor gegenüberzusitzen, der sich individuell um ihre Probleme bemüht und einer guten Lösung zuführt. Und kein Gesundheitssicher- heitsprogramm.
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.
VON SCHRÄG UNTEN
Zeugnis
Dr. med. Thomas Böhmeke
[96] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 21⏐⏐22. Mai 2009