Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 105⏐Heft 45⏐7. November 2008 A2349
S E I T E E I N S
M
it einem Präventionsgesetz ist in dieser Legis- laturperiode nicht mehr zu rechnen. Auch das Interesse der ärztlichen Organisationen an einer Verab- schiedung des Gesetzentwurfs war zuletzt nicht mehr groß – kein Wunder, denn Sekundär- und Tertiärpräven- tion in ärztlicher Verantwortung waren gar nicht erst Gegenstand des Entwurfs, und bei der Verankerung der Primärprävention in den Lebenswelten, beim soge- nannten Setting-Ansatz, kamen die Ärzte höchstens am Rande vor. Die Ärzte sollten dem gescheiterten Präven- tionsgesetz keine Träne nachweinen, sondern die Atem- pause nutzen, um der Öffentlichkeit und insbesondere den gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern die große Bedeutung der ärztlichen Prävention in allen Le- bensbereichen vor Augen zu führen.Ein Umdenken ist aber auch in der ärztlichen Profes- sion selbst nötig. Zu sehr dominiert heute immer noch in den ärztlichen Praxen der Gedanke der Kuration vor dem der Prävention. Neben die Krankheitsfrüherken- nung muss die Prävention im eigentlichen Wortsinn, das „Der-Krankheit-Zuvorkommen“, treten. Denn die Fakten sprechen für sich, wie bei der 2. Präventions- tagung der Bundesärztekammer deutlich wurde: So nimmt zum Beispiel die Prävalenz des Typ-II-Diabetes in Deutschland dramatisch zu und parallel dazu das Ri- siko der kardiovaskulären Komplikationen. Wird nicht gegengesteuert, so besteht die Gefahr, dass jeder zweite der im Jahr 2000 Geborenen an Diabetes mellitus er- kranken wird.
Dies ist nicht nur für jeden einzelnen Betroffenen ein schweres Schicksal, sondern auch volkswirtschaftlich kaum zu verkraften, zumal immer mehr junge Men- schen davon betroffen sind. Im Medizinstudium werden die angehenden Ärztinnen und Ärzte nur ungenügend auf die wichtige Aufgabe vorbereitet, ihre Patienten zu einer Änderung ihrer Lebensweise zu bewegen. Das Thema Kommunikation wird in der ärztlichen Ausbil- dung kaum behandelt. Wie wichtig es ist, auf ihre Pati- enten motivierend im Sinne einer Lebensstiländerung einzuwirken, wird nicht vermittelt. In der späteren Be- rufspraxis geschieht das dann eher aus dem Bauch her-
aus – was für ein gutes Ergebnis nicht unbedingt förder- lich ist. An wissenschaftlich belegten Informationen mangelt es nicht: Wir müssen uns gesünder ernähren, mehr Sport treiben und Schadstoffe vermeiden. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat präzise beschrie- ben, wie schwer der Weg von der Information zur Ver- haltensänderung ist: „Gesagt ist nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden, verstanden ist noch nicht einverstanden, einverstanden ist noch nicht umgesetzt, umgesetzt ist noch nicht beibehalten.“
Das Gesundheitssystem setzt nach wie vor nicht die richtigen Anreize. In den vergangenen Jahren sind die Ausgaben für Prävention nicht gestiegen. Zunahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung steht ein Rück- gang der Präventionsausgaben der öffentlichen Hand in mindestens gleicher Höhe gegenüber. Die Beteiligung der Ärzte an der Primärprävention ist unabdingbar – sei es über die direkte Ansprache der Patienten in den Pra- xen, über einen besser ausgestatteten öffentlichen Ge- sundheitsdienst oder die bessere Vernetzung der Ärzte mit den verschiedenen Lebenswelten. Medizin ist nicht allein ein Reparaturbetrieb, sondern muss genauso die Gesunderhaltung der Menschen im Blick haben. Dort, wo es mit der Arbeitsmedizin eine Vernetzung mit einer ganz zentralen Lebenswelt bereits gibt, sollten die darin liegenden Chancen und Möglichkeiten der Prävention auch genutzt werden.
Thomas Gerst Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
PRÄVENTION
Der Krankheit zuvorkommen
Thomas Gerst