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Archiv "Wirkungsweise und Toxikologie von Pyrethroiden mit besonderer Berücksichtigung des berufsbedingten Expositionsrisikos: 3 „Sachgemäße“ Anwendung" (07.04.1995)

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MEDIZIN

Millionen Liter Spritzbrühe) (16). Et- wa die gleiche Menge wird exportiert, wobei die mangelhafte Anwendungs- praxis im Ausland nicht unerwähnt bleiben darf. Ebenso muß auf die generelle Unmöglichkeit individuel- ler Schutzmaßnahmen für die Men- schen in den Entwicklungsländern aufmerksam gemacht werden. Dabei verfügen die Pyrethroide über eine beachtliche Umweltstabilität; sie können an und in der Pflanze über Monate persistieren (22) — also auch wieder re-importiert werden! In Fett- geweben von Fischen und Algen er- folgt eine Bioakkumulation bis zum Faktor 10 000 (14, 15). Die Behaup- tung, daß eine Bioakkumulation der Pyrethroide nicht nachzuweisen ist, ist somit objektiv unrichtig (3, 14, 15, 22). Wieviel Pyrethroide gelangen al- so über Lebensmittel zum Menschen zurück? Die Höchstmengenverord- nungen des Lebensmittel- und Be- darfsgegenständegesetzes (20) lassen dabei für „normale" Lebensmittel Pyrethroidrückstände zu, die ein Vielhundertfaches über den aktuell diskutierten Grenzwerten für Baby- kost liegen. 1991 konnte in Tierversu- chen gezeigt werden (8, 9), daß eine postnatale Pyrethroidexposition zu einer Störung der Gehirnentwicklung führt. Diese Störungen werden aber erst in sehr viel späteren Entwick- lungsstadien diagnostizierbar. Es muß deshalb die Frage gestellt wer- den, ob neurologische Auffälligkei- ten auch beim Menschen (Kind) auf eine Aufnahme neurotoxischer Pesti- zide in der frühen Kindheit zurückge- führt werden können.

Der Verweis auf Daten des ehe- maligen Bundesgesundheitsamtes (BGA) basierend auf der Mittei- lungspflicht nach dem Chemikalien- gesetzes (ChemG) muß relativiert werden. Denn: Welcher Kollege kann eine Pyrethroidvergiftung zweifels- frei diagnostizieren? Weder Ausbil- dungsstand, noch diagnostische Ver- fahren erlauben es derzeit, die Dia- gnose „Pyrethroidintoxikation" — zum Beispiel bei einer unklaren Poly- neuropathie — zu stellen. Der Gewe- benachweis der Pyrethroide ist bisher nur in wenigen Labors möglich. Und:

Kennen die Kollegen die Mitteilungs- pflicht nach § 16 ChemG gegenüber dem BGA und kommen ihr nach?

DISKUSSION

Die Datenlage des BGA zum Stand der Pyrethroidintoxikation dürfte al- so eher irreführend sein (10). Der kli- nische Alltag zeigt überdies, wie schwer es auch bei begründetem Ver- dacht ist, eine klinische Symptomatik kausal mit einer Pyrethroidintoxikati- on in Verbindung zu bringen.

Die Bemerkung der Autoren, daß der Ersatz von Pyrethroiden durch Carbamate oder Organophos- phate keine sinnvolle Alternative dar- stellt, ist prinzipiell zutreffend, führt aber zur falschen Schlußfolgerung. Es kann nämlich medizinisch nur um die Frage gehen, ob neurotoxische Insek- tizide überhaupt in Land- und Forst- wirtschaft, Wohnräumen, Arbeitsum- welt, Nahrungsmittel oder Textilien eingesetzt werden sollten. In beinahe allen Bereichen stehen ja gesund- heits- und umweltverträglichere Mög- lichkeiten zur Verfügung.

In neuerer Zeit häufen sich die Hinweise auf toxikologisch relevante

3 „Sachgemäße"

Anwendung

„Im Vordergrund akuter Pyre- throidwirkungen stehen — Effekte sei- tens des peripheren und zentralen Nervensystems, die — voll reversibel sind." Die Autoren erwähnen nicht:

O die Zahl der Eigenbeobach- tungen, aus denen diese Schlußfolge- rung gezogen wurde,

O nach welcher Zeit die Sympto- me „voll" abgeklungen sind und

mit welchen Untersuchungs- methoden Residualsymptome ausge- schlossen wurden. Ich beziehe mich im folgenden auf eigene Beobachtun- gen an fast 500 Fällen von Verdacht auf Pyrethroid-Intoxikation.

Nach einmaliger, wenige Stunden dauernder, starker Exposition durch Versprühen, oder Verstreichen pyre- throidhaltiger Mittel im Innenraum betrug die Dauer der stationären Be- handlung bis zu drei Monaten (dies entspricht den Angaben von He et al., auf welche Perger et al. verweisen).

Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit be- trug im Mittel etwa fünf Monate. Zu den bleibenden Residuen zählen bei- spielsweise die Folgen der in 64 Pro- zent unserer Fälle aufgetretenen sen- somotorischen Polyneuropathie. Daß

Pyrethroidwirkungen. Ein vorschnel- les Postulieren von „Unbedenklich- keit" kann daher zu nicht korrigierba- ren Fehlern führen. Frühere Diskus- sionen um mögliche Gesundheitsge- fährdungen durch Organochlorinsek- tizide (zum Beispiel DDT), die dann viel zu spät anwendungs- beziehungs- weise produktionsverboten wurden, sollten für Ärzte eine ernste Warnung sein.

Literatur bei den Verfassern Priv.-Doz. Dr. med. habil.

Volker Mersch-Sundermann Umwelthygieniker der Universität Heidelberg am Klinikum Mannheim Lehrbeauftragter für Ökotoxikologie

und Ernährungsökologie der Universität Gießen Postfach 10 00 23 68135 Mannheim

eine PNP ohne Residuen abklingen soll, widerspricht jeder medizinischen Erfahrung. Nach einmaliger Expositi- on sank die Konzentration der im Urin ausgeschiedenen Pyrethroid- Metabolite — deren Toxizität nicht vernachlässigt werden darf — erst nach acht Tagen unter die Nachweisgrenze (0,5 14/1; Dr. Hoppe, Bremen). War der Rückstand nach Sprüheinsätzen durch Schädlingsbekämpfer (47 Pro- zent der Fälle), Selbstanwendung (15 Prozent), oder Auslegung eulanbe- handelter Teppiche (13 Prozent) höher als 100 mg Pyrethroid pro kg Hausstaub, so wurden Metabolite permanent ausgeschieden — offen- sichtlich ist der Nachweis im Haus- staub ein Indikator für das Risiko, daß Pyrethroide auch aufgenommen wer- den. Perger et al. schreiben: „Das chronische-neurotoxische Potential ist — als gering einzuschätzen", relati- vieren dies aber: „Inwieweit diese Aussage auch für den nachfolgenden Aufenthalt in fachgerecht mit Pyre- throiden behandelten Innenräumen zutreffend ist, wurde bisher nicht un- tersucht —" (wir haben die ersten Er- gebnisse von Beobachtungen an 73 von 400 Fällen publiziert in: „Kind und Umwelt", Frankfurt 1993; mög- lich, daß die Autoren diese Literatur- A-1034 (66) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14, 7. April 1995

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MEDIZIN

stelle ignorieren, weil sie ihnen nicht

„seriös" genug ist).

Nach den Angaben des Bundes- gesundheitsamtes läßt sich eine sach- gemäße Anwendung rückblickend daran erkennen, daß die Rückstands- menge 1 mg/kg Hausstaub nicht über- schreitet. In 90 Prozent unserer Fälle mit Verdacht auf Pyrethroid-Intoxi- kation lag die Konzentration zwi- schen 10 und 10 000 mg/kg, denn lei- der werden pyrethroidhaltige Insek- tenbekämpfungsmittel mit dem Hin- weis, sie seien bei sachgemäßer An- wendung ungefährlich — ohne Er- klärung, was „sachgemäß" bedeutet — frei an unausgebildete Personen (Pri- vatpersonen und Schädlingsbekämp- fer) verkauft. Da der Anwender in der ausgebrachten Menge eines im Verkauf als ungefährlich gepriesenen Stoffes keine Gefahr sieht, ist die An- wendung für ihn immer dann korrekt, wenn sie den beabsichtigten Erfolg herbeiführt (Vernichtung von Insek- ten). Wegen der Resistenzentwick- lung der Insekten benötigt er schon bis zum Tausendfachen der auf der Verpackung vorgeschlagenen Menge.

Schlußwort Ad 2:

Zur Risikobewertung von Pyre- throiden zieht Herr Mersch-Sunder- mann in seinem Diskussionsbeitrag geringe Anwendungskonzentratio- nen, den „völlig ungeklärten " Ver- bleib von 99,9 Prozent des Wirkstoffes nach dermaler Applikation, hohe Fallzahlen von akuten berufsbeding- ten Vergiftungen und Rückstandsda- ten in Pflanzen oder eine hohe Bio- konzentration in Fischen heran. Die in seinem Leserbrief aufgeführte Lite- ratur wurde dann allerdings teilweise mißverstanden oder nicht korrekt zi- tiert. Auch den Rückgriff auf Tertiär- literatur halten wir nicht für überzeu- gend.

Dem aufmerksamen Leser unse- res Artikels wird hoffentlich nicht ent- gangen sein, daß wir die im Vergleich zu anderen Insektiziden erforderli- chen niedrigen Anwendungskonzen- trationen mit der hohen Empfindlich- keit der Insekten bei gleichzeitiger ge- ringer Warmblütertoxizität begründe- ten und in einer Tabelle anschaulich

DISKUSSION

Kommt er durch die „erfolgreiche"

Anwendung zu Schaden, so wird es als unsachgemäß bezeichnet. Perger et al.: „Von einer Pyrethroid-Anwen- dung durch Laien oder nicht ausrei- chend ausgebildete Schädlingsbe- kämpfer ist daher dringend abzura- ten."

Angesichts des vermehrten Ein- satzes der wegen ihrer hohen akuten Toxizität bereits verlassenen Cholin- esterase-Hemmer ist auch die Fest- stellung der Autoren zu begrüßen:

„daß der Rückgriff auf Carbamate und Phosphorsäureester zur „Desin- sektion" in Innenräumen keine ge- sundheitlich sinnvolle Alternative darstellt." Diese Stoffe wirken — ebenso wie andere neurotoxische In- sektizide (Pyrethroide, Lindan, PCP)

— unspezifisch, also auch humanto- xisch. Im Zeitalter des „chemisch Zie- lens" (Paul Ehrlich) versteht sich von selbst, daß derartige Stoffe als Alter- nativen nicht in Frage kommen Prof. Dr. med. H. Müller-Mohnssen Wasserturmstraße 39

85737 Ismaning

darstellten. Geringe Anwendungs- konzentrationen führen aber zugleich zu einer geringen Umweltbelastung und damit nach den von uns zitierten WHO-Mitteilungen unter den prakti- schen Anwendungsbedingungen we- der zu einer angesprochenen erhöh- ten Belastung von Nahrungspflanzen noch zu einer Anreicherung in der Umwelt. Auf der Grundlage der uns vorliegenden Daten läßt sich für das Rückstandsverhalten in Pflanzen je nach Wirkstoff eine Halbwertszeit zwischen einem Tag und wenigen Wo- chen angeben (8, 12). In der Mehrzahl der untersuchten Lebensmittelpro- ben wurden trotz niedriger Nachweis- grenzen (0,005 mg/kg) keine Pyre- throid-Rückstände gefunden. Waren gelegentlich Rückstände vorhanden, lagen diese weit unter den gesetzlich festgelegten Höchstmengen (14). Un- bestritten ist die Biokonzentration in Fischen, die jedoch in Abhängigkeit vom Wirkstoff etwa 5 bis 15 Prozent des von Herrn Mersch-Sundermann im Leserbrief angegeben Faktors be- trägt und wegen der insgesamt gerin- geren Umweltbelastung durch Pyre-

throide ebenfalls von geringer prakti- scher Bedeutung ist. Diesbezügliche Informationen sind auch über die Bio- logische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft erhältlich. Bei der Be- wertung der Bioakkumulationsnei- gung muß außerdem das Verhalten ei- ner Substanz in der Nahrungskette berücksichtigt werden. Am Beispiel der Modellsubstanz Deltamethrin be- merkt Herr Mersch-Sundermann in diesem Zusammenhang richtig, daß Pyrethroide nach oraler Aufnahme (beim Warmblüter) rasch eliminiert werden. Dieses führt zu kurzen Halb- wertszeiten in den meisten Geweben, auch dem Nervengewebe. Im Fettge- webe liegen die Eliminationshalb- wertszeiten mit vier Stunden bis 31 Tagen höher als in anderen Geweben (1). Eine toxikologisch relevante Ak- kumulation im Fettgewebe nach wie- derholter Aufnahme geringer Dosen ist jedoch aus den in der wissenschaft- lichen Literatur angegebenen Daten nicht ableitbar.

In den von Herr Mersch-Sunder- mann zitierten „neueren Studien" be- richten als einzige He et al. (5) über

„hohe" Fallzahlen von 229 berufli- chen Pyrethroid-Intoxikationen. Im Hinblick auf den Beobachtungszeit- raum von fünf Jahren, die Einbezie- hung von 14 chinesischen Provinzen und die beschriebenen gravierenden Anwendungsfehler relativieren sich diese Zahlen. Schließlich bemißt sich das Gefährdungspotential einer Sub- stanz nicht nur an ihren toxikologi- schen Daten, sondern grundsätzlich auch am bestimmungsgemäßen Ge- brauch. Chen et al. (2) berichten über eine Prävalenz leichter akuter Pyre- throid-Vergiftungen von 0,31 Prozent (bei gleichen Anwendungsfehlern) und setzen dies ins Verhältnis zu einer Prävalenz akuter Organophosphat- Intoxikationen von bis zu elf Prozent.

Beim sorgfältigen Lesen der von Herrn Mersch-Sundermann zitierten Studie von Eadsforth et al. (3) wäre es auch nicht verborgen geblieben, daß nach dermaler Applikation von Cy- permethrin neben den im Harn wie- dergefunden 0,1 Prozent (in Form von Zyklopropancarbonsäure) mehr als 50 Prozent der applizierten Menge durch eine einmalige Waschprozedur von der Haut entfernt wurden. Dar- über hinaus lassen sich durch wieder- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14, 7. April 1995 (67) A-1035

Referenzen

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