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Archiv "TSCHERNOBYL: Schlußwort" (16.03.1989)

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Schlußwort

Die Redaktion bat mich, zu einigen Leserbriefen Stel- lung zu nehmen. Ich war er- schüttert, was ein gewisser Adler da geschrieben haben sollte, auch noch über Dinge, die ich selber sehr präzise analysiert hatte und wo ich zu sehr differenzierten, völlig anderen Ergebnissen gekom- men war. Aber dann sah ich, daß man meine Arbeit mein- te. Von der Argumentation fand ich leider nur ein paar Reizwörter wieder. Was soll man dazu sagen? Mir fiel Brecht in seiner Auseinan- dersetzung mit ideologischen Gruppen der DDR ein, als er zu den Menschheitsfeinden eingeordnet werden sollte, da er sich nicht klar zum damals herrschenden sozialistischen Realismus bekennen wollte.

Mit einem gewissen geistigen Transfer müßte man seine damalige Antwort auch als die meinige verstehen:

. . . „und im übrigen hat der Bezirkssekretär von Dresden Recht: Pferde sind tatsächlich nicht blau." — Anspielung auf F. Marc. — Also, einmal im Ernst: Jeder reagiert auf seine Reizwörter emotional, aber menschlich interessant wird doch erst die geistige Verarbeitung und Differen- zierung. Ist die Befürchtung einer Selbstzerstörung unse- rer Gesellschaft nicht ein be- klemmendes Gefühl, das uns alle soweit einen sollte, daß man einander zuhört? (Viel- leicht mal ein Versuch mit meiner Arbeit: „Zur Psycho- biologie der Selbstzerstö- rung"; in: Psychomed 1, Fe- bruar 1989.)

Herr Rednartz, Sie haben mich lange nachdenken las- sen, vielleicht haben Sie Recht und man müßte eine vollständige Analyse leisten, von beiden Seiten. Aber mei- ne Rechtfertigung ist: ich will nicht die vorhandenen politi- schen Gruppierungen analy- sieren, sondern will in einem emotionalisierten Sozialfeld methodisch argumentieren.

Daher ist mein Gegenstand nicht eine Gruppe, sondern ein öffentliches Kulturphäno-

men und ich bringe eine lange methodische Einleitung.

Herr Dr. N. W. aus W.

schreibt hierzu: . . . „zunächst lassen Sie mich anmerken, daß ich Ihren Artikel im gro- ßen und ganzen richtig emp- finde . . . doch nun zu mei- nem Haupteinwand. Als Le- ser des Deutschen Ärzteblat- tes wissen wir beide, welche Folgen Ihr Artikel in der all- gemeinen Ärzteschaft haben wird: Nicht eine Anregung, über die Psyche der Gesell- schaft nachzudenken. Auf der einen Seite werden Sie als Verfechter der Atomindu- strie angeprangert werden, auf der anderen Seite werden Ihre Argumente für die Atomindustrie mißbraucht werden, da ja die Gegner

„Spinner" sind. Deshalb hätte Ihr anregungsreicher Artikel lieber nur in einer Fachzeit- schrift erscheinen dürfen, auch wenn ich ihn mit größter Wahrscheinlichkeit nicht zu Gesicht bekommen hätte . . ."

Ich bin beeindruckt von der Redlichkeit dieser Argu- mentation und möchte ihm schon deswegen zustimmen, auch wenn ich einige Folge- rungen nicht so sehe. Aber:

ist nicht dieses „dichotho- misch/politische" das allge- genwärtige Erpressungsin- strument, das unser Denken verbiegen will?

Die Direktoren eines ge- netischen, toxikologischen und chemischen Institutes (oh, oh, alles Buhmänner der Nation) sandten mir begei- sterte Zustimmung und ver- wiesen auf die in ihren Gebie- ten völlig gleich beobachteten sozialen Reaktionen, einer fragte gar nach einer mög- lichen Therapie. Zu letzterem habe ich wirklich nichts zu sa- gen, es ist das Feld der Poli- tik. Aber Erkenntnisarbeit kann eine kulturpsychiatri- sehe Methode schon leisten, um eine mögliche gemeinsa- me Struktur dieser und ande- rer Bereiche herauszuarbei- ten (Methode heißt Seh- perspektive, keine Onto- logie). Eine solche Struktur sehe ich im kulturpsychologi- schen Entwicklungstrend ei- ner Zerstörung der naturwis-

senschaftlichen Vernunft zu- gunsten einer Ideologisie- rung. Wir brauchen nicht we- niger von dieser Vernunft, sondern mehr, wir brauchen eine Integration dieser Art von Vernunft in unsere übri- ge Kultur. Nachdem wir die kopernikanische Wende be- gonnen haben, müßten wir sie auch vollenden. Die Über- windung der Anthropozentrik ist die beste Ökologie. So- zialpsychologisch kann man diese Zerstörung als Folge der Niederlage des größten irrationalen Ausbruchs in der Geschichte, des Nationalso- zialismus, beschreiben. Die- sen Nachweis versuche ich in meiner Studie „Faschismus- verarbeitung/eine kollektive Neurose" (erscheint Juni 89) zu führen.

Prof. Dr. med. Meinhard Adler, Frangenheimstraße 4, 5000 Köln 41

PR-AKTION

Zu der Meldung „Teure GRG- Kampagne" in Heft 7/1989:

Vermarktung

Welche Erfolgsbilanz!

Endlich wissen wir, wie man Politik vermarktet, in diesem Falle Herrn Bundesarbeits- minister Blüms liebstes Kind, das GRG. Dazu bedarf es 11 000 Plakate, zweier Anzei- genaktionen in Tageszeitun- gen, mindestens 2500 Video- cassetten, nicht weniger als 131 000 Briefe an Arzte, Zahnärzte und Apotheker und und und . . . Billig ist das Ganze außerdem noch. Es kostet in zwei Jahren nur 11,5 Millionen DM (elf Millionen fünfhunderttausend Deut- sche Mark). Die Wirtschaft- lichkeit ist dabei selbstver- ständlich gesichert, vielleicht sogar eine Qualitätsverbesse- rung des Gesetzes damit ver- bunden. Manchmal träume ich davon, es gäbe noch Situa- tionen für einen Administra- tor, die ihm die Schamröte ins Gesicht steigen lassen. Diese Möglichkeit hat Herr Reuber vom Bundesarbeitsministeri- um gründlich verpaßt und

mich rasch auf den Boden machtpolitischer Realität zu- rückgeholt.

Dr. med. Dieter Kelle- wald, Olgastraße 9, 7920 Hei- denheim/Brenz

NS-ZEIT

Zu dem kürzlich auch in deut- scher Fassung erschienenen Buch von Robert Jay Lifton: „Arzte im Dritten Reich" (Klett — Cotta):

Verfälschtes Bild

Ich habe die historische Chance, in der Nachkriegs- zeit geboren zu sein und mei- nen Beruf in Deutschland oh- ne Krieg ausüben zu dürfen.

Wenn mir dann aber, als deutschem Arzt, immer wie- der vorgelegt wird, wieviele (wieviele denn wirklich?) Kollegen im Dritten Reich Verbrechen begangen haben, dann möchte ich gerade diese Autoren und diejenigen, die halbseitige Anzeigen für ihre Bücher über diese Kollegen im Deutschen Ärzteblatt in- serieren können, fragen, wel- cher Arzt im Deutschland des Jahres 1989 führt solche Ver- brechen aus?

Ich lasse mir durch solches Siegergehabe, wie es unter anderem durch den Autor Dr. Robert Jay Lifton wieder einmal versucht wird, weder ein schlechtes Gewissen als Arzt, noch als Deutscher ein- reden, denn Richtschnur mei- ner Arbeit ist nicht die Ver- meidung der Verbrechen ein- zelner deutscher Berufskolle- gen in der Vergangenheit, sondern die zehn Gebote, die heißen: begehre nicht des an- deren Besitz, Frau oder Le- ben durch Lüge und Betrug, sondern erstrebe ein Leben in Arbeit, Familie und Ansehen durch Rechtschaffenheit mit Würdigung deiner Abstam- mung.

Es wird Zeit, daß kein durch Siegermächte ver- fälschtes Bild der Geschichte gerade in Deutschland unse- rer Jugend endlich vor Augen gezeigt wird.

Dr. med. Nikolaus Kießin- ger, Wallmeisterstraße 2, 8070 Ingolstadt-Zuchering A-682 (10) Dt. Ärztebl. 86, Heft 11, 16. März 1989

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