DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DIE REPORTAGE
,11),PriT SHO1JL.1»:LI
VIJ1_1_
v
1 NiV,1111);■
13 h:F" 011 V_
01.0 I Nt SE A T
2088 (20) Heft 28/29 vom 12. Juli 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Die deutschen dneute n Dr"
mitenst e sset- seiratd. tU...nd"Rsetten-
tiend) und d fe tier rrer deM ealnIng — tditten eistn iZleafrtiatnet;
eineu des in tom.porz•
m smtuusditur imedeedyst;
Zsstit:Vaeagezt:sful scc:sePne r n .sit
litileenK(°renclies-) Fotos (5): F\ILR: (1): Strome/er
Für Oktober diesen Jahres ist geplant, das in der Bundesrepublik entwickelte und hergestellte Raumlabor, Spacelab D1, mit der amerikanischen Weltraumfähre Columbia auf eine Erdumlauf- bahn zu schicken. Mit dieser Mission werden nach der deutschen Premiere mit Dr. rer. nat. Ulf Merbold vor knapp zwei Jahren wei- tere bundesdeutsche Astronauten ins All geschossen. Welche Aufgaben ein bei diesem ersten deutschen Weltraumprojekt be- teiligter Arzt hat, schildert der Autor, der als Kontaktmann in der deutschen Bodenstation in Oberpfaffenhofen fungieren wird.
Hans Stromeyer
Folgendes Szenario wird sich wahrscheinlich in diesem Herbst abspielen, sofern sich die Planun- gen der amerikanischen Welt- raumbehörde NASA nicht verzö- gern: Im amerikanischen Welt- raumzentrum Cape Canaveral (Florida) warten acht Astronauten, auf ihren Sitzen fest angeschnallt, den Countdown ab. Bei T minus 5 Sekunden schießen flüssiger Sau- erstoff und Wasserstoff durch Lei- tungen vom Außentank zu den
Haupttriebwerken des Orbiters.
Das Zünden, das sich durch zu- nehmendes Donnern bemerkbar macht, nimmt einige Zeit in An- spruch. Bei T=0 schießen Flam- men in das mit einem hochexplo- siven Gemisch angefüllte Innere der beiden Booster-Raketen.
Knallartig entwickelt sich die Ge- samtschubkraft. Träge, dann im- mer schneller werdend, hebt die Raumfähre Columbia ab und rast ins Weltall.
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 28/29 vom 12. Juli 1985 (21) 2089
Mitte Oktober wird das Weltraumlabor Spacelab D 1 (hier eine Schnittzeichnung) ei- ne Woche lang die Erde umkreisen und alle 87 Minuten Mitteleuropa in 324 Kilome- ter Höhe überfliegen. Während des Fluges sollen etwa 70 wissenschaftliche Experi- mente unter dem Einfluß der Schwerelosigkeit im Weltall durchgeführt werden
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Deutscher Arzt in der bemannten Raumfahrt
Erstmals fliegt sie im fremden Auf- trag — der Kunde ist die Bundesre- publik Deutschland, die das Welt- raumlabor Spacelab D1 mit etwa 70 Experimenten beisteuert. Zur Crew werden drei NASA-Piloten, die die Fähre steuern werden, und die beiden NASA-Missions-Spe- zialisten Dres. Bonnie Dunbar und Guion Bluford gehören. Für die europäische Weltraumbehörde ESA werden die Physiker Dres.
rer. nat. Ernst Messerschmid und Reinhard Furrer sowie der Nieder- länder Dr. Wubbo Ockels als wis- senschaftliches Bordpersonal die Experimente durchführen, an de- nen ihre amerikanischen Kollegen mitwirken werden.
Eine weitere Premiere steht an:
Die Durchführung der Versuche wird von deutschem Boden aus, und zwar im Raumkontrollzen- trum Oberpfaffenhofen bei Mün- chen überwacht. Hier sitzen die Kontaktleute der Astronauten so- wie ein Großteil der Wissenschaft- ler, die die Experimente entwor- fen haben. Jeder Vorgang an Bord wird hier über Funk, Bild- und Da- tenübertragung genau mitver- folgt. Als Ansprechpartner, den sogenannten Crew Interface Coordinatoren (CICs), werden im deutschen Kontrollzentrum Dr.
rer. nat. Ulf Merbold (Physiker), Dr. Reimund Lentzen (Werkstoff- kundler) sowie Dr. med. Hans Stromeyer (Mediziner) dienen.
Dr. Ulf Merbold dürfte allen hinrei- chend bekannt sein, war er doch der erste bundesdeutsche Astro- naut vor einem Jahr. Somit kann er seine Weltraumerfahrung zum Gelingen der D1 -Mission beisteu- ern. Wie die anderen CICs ist er für den direkten Boden-Raum- Kontakt zuständig, der quasi ei- nen Flaschenhals darstellt. Nur über diese Stelle können andere mit den Raumfahrern kommuni- zieren.
Da häufig an Bord der Spacelab viele Versuche gleichzeitig ablau- fen, kann es schon vorkommen, daß mehrere Experimente zur gleichen Zeit in eine kritische
Phase geraten. Dann ist es ver- ständlich, daß die Experimentato- ren den Kontakt zur Crew am Bo- den suchen, zumal jedes Nutz- lastelement jahrelanger Vorberei- tungen, intensiver Planung und Erprobung bedurfte.
In solchen Momenten ist es sehr wichtig, ausgleichend zu wirken und vor allem Spannungen von der Crew fernzuhalten. Auch zu viel „Herumfunken" kann nachtei- lig sein: Schließlich ist jedes Ge- spräch — verbunden mit dem Drücken der Mikrofontaste — eine Störung in der Durchführung ei- nes Experimentes. Hier erklärt sich auch, warum man promovier- te Wissenschaftler ins All entsen- det und nicht Berufsastronauten:
Sie haben gelernt, Versuche durchzuführen, sind mit den Pro- blemen vertraut, die dabei auftre- ten können, haben Methoden ent- wickelt, auf Störungen zu rea- gieren.
Die Experimente, die an Bord des Spacelab durchgeführt werden, umfassen anwendungs- und grundlagenorientierte Fragestel- lungen aus den Bereichen Physik,
Materialwissenschaften, Biologie und Medizin, die bei der Erfor- schung des Weltraums einen sehr breiten Raum einnehmen.
Wie die grundlegenden Entschei- dungen der Bundesregierung in jüngster Vergangenheit zeigen, werden in den nächsten Jahren weitere deutsche Astronauten ins All geschossen werden, die nicht
Der niederländische Astronaut Dr.
Wubbo Ockels (vorn auf dem Vestibu- larschlitten) und Dr. Ulf Merbold als Er- satzmann beim Training in Köln-Porz 2090 (22) Heft 28/29 vom 12. Juli 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
in allen Punkten den strengen Ge- sundheitsanforderungen der ame- rikanischen Raumfahrtbehörde NASA genügen können.
Großes Interesse finden daher die Veränderungen des Organismus in der Schwerelosigkeit. In den er- sten Tagen finden erhebliche An- passungsprozesse statt. Etwa zwei Liter Blut, Lymphe und inter- stitielle Flüssigkeit, die auf der Er- de gravitationsbedingt in den Bei- nen abgelagert sind, werden in die obere Körperhälfte verscho- ben. Als Folge kommt es zu öde- matösen Schwellungen im Hals- und Gesichtsbereich. Schon bei sehr kurzzeitiger Schwerelosig- keit, wie sie etwa bei Parabelflü- gen in Flugzeugen auftritt, lassen sich bei Versuchspersonen ge- staute Halsvenen beobachten.
Durch Abnahme des antidiureti- schen Hormons, verstärkte Nie- rentätigkeit und vermindertes Durstgefühl kommt es zu allge- meiner Flüssigkeitsabnahme.
Bei der Mission Spacelab 1 im De- zember 1983 zeigte sich, daß menschliche Lymphozyten unter dem Einfluß der Schwerelosigkeit eine drastische Einbuße in ihrer Reaktionsfähigkeit erleiden. Be- kanntlich löst die Wechselwirkung
Ansprechpart- ner der Wissen- schaftler im All
werden Dres.
Ulf Merbold und Hans Stromeyer (rechts) im Kon-
trollzentrum bei München sein IN-
der Oberflächenrezeptoren der Lymphozyten mit Antigenen die Aktivierung der Lymphozyten aus.
Das erwähnte Ergebnis läßt den Schluß zu, daß die Schwerkraft — in „terrestrischen" Laboratorien — ein empfindlicher Parameter bei der Zellteilung der Lymphozyten ist.
Bei früheren Weltraummissionen klagten viele Astronauten in den ersten Tagen über anhaltende Übelkeit, die bereits bei sehr ein- fachen Tätigkeiten auftritt und teilweise sehr hartnäckig sein kann. Der Klärung dieser Frage dient das Nutzlastelement „Vesti- bularschlitten", ein in der Mitte des Raumlabors auf einer rund fünf Meter langen Schiene ange- brachter Stuhl, der mittels eines Elektromotors und einer Seilwin- de unterschiedlich stark be- schleunigt werden kann. Deut- sche und amerikanische Forscher gehen der Frage nach, wo die Schwelle der Wahrnehmbarkeit li-
nearer Beschleunigungen liegt, inwieweit im Raum der kalorische Nystagmus auslösbar ist und in- wieweit sich bei Nick- und Wak- kelbewegungen des Kopfes bei unterschiedlicher Amplitude das Phänomen der Oszillopsie auslö- sen läßt.
Weitere Versuche sollen die Aus- wirkung der Schwerelosigkeit auf den zentralen Venendruck, das Elektrokardiogramm sowie die veränderte kardiale Arbeitssitua-
tion untersuchen. Erste Ergebnis- se von vorausgegangenen Missio- nen zeigen, daß der Mensch zwar kein „Schwerelosigkeits-Wesen", doch aber unerwartet gut (zumin- dest zeitweise) adaptierbar ist.
Die bemannte Raumfahrt fordert also hoch technisierte Nationen wie die Bundesrepublik heraus.
Vor allem sind Ärzte angespro- chen, denn der Mittelpunkt derar- tiger Vorhaben ist und bleibt der Mensch. Ende der achziger Jahre sind eine weitere Spacelab-Mi- sion unter deutscher Federfüh- rung und zu Beginn der neunziger Jahre die Mitwirkung an der Raumstation geplant.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Hans Stromeyer Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt Abteilung PTRF
Postfach 90 60 58, 5000 Köln 90
• Unter irdi- schen Schwere- bedingungen benötigen die Astronauten noch einen Hok- ker, um an die hoch gelegenen Bedienungsele- mente zu gelan- gen. Vorn übt die NASA-Astro- nautin Dr. Bon- nie Dunbar bio- logische Experi- mente
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 28/29 vom 12. Juli 1985 (23) 2091