[56] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 18|
2. Mai 2014KÖRPERBILDER: ROBERT MAPPLETHORPE (1946–1989)
Wie polierter Marmor
W
äre ich 100 oder 200 Jahre früher geboren, wäre ich wohl Bildhauer geworden. Die Fotografie ist ein schnelles Medium, um Skulptur zu verstehen, zu rea- lisieren“, gab Robert Mapplethorpe knapp zwei Jahre vor seinem frühen Tod 1989 in einem Interview zu Pro- tokoll. In großen Lettern eröffnet das Zitat die Mapple - thorpe-Retrospektive im Pariser Grand Palais, die 25 Jahre nach seinem Tod etwa 250 Arbeiten des Pioniers homosexueller Fotokunst ausbreitet: die eindrucksvollen Porträts von Prominenten und Künstlern, seine Blumen- stillleben und die berühmten, teils hochprovokanten Akt- bilder, die im Laufe der Zeit mit Mapplethorpes Streben nach Perfektion und Schönheit zunehmend minimalisti- scher und stilisierter wurden. So zoomte er sich in den 1980er Jahren immer näher an die makellosen Körper vor allem männlicher schwarzer Modelle wie Ken Moo- dy heran, der aufgrund einer Erkrankung in der Jugend seine Körperbehaarung eingebüßt hatte, richtete das künstliche Studiolicht stundenlang auf die Hautoberflä- che, deren Textur und Glanz ihn faszinierten.Mapplethorpes Kunst ist eng mit seiner Biografie verbunden. Nach dem Studium der Malerei und Plastik
tauchte er in den 1970er und 1980er Jahren in das New York der homoerotischen Subkultur ein. Dass er in we- niger als 20 Jahren ein umfangreiches Werk hinterlas- sen konnte, lag auch daran, dass er sein Themenreper- toire früh gefunden hatte und fortan an der technischen und kompositorischen Vervollkommnung seiner skulp- turalen Motive feilte. Mit Ken Moody, mit dem er zwi- schen 1982 und 1985 arbeitete, entstanden einige seiner Foto-Ikonen, die in der New Yorker Mapplethorpe Foundation sowie renommierten Museen wie dem Guggenheim New York oder dem Los Angeles County Museum of Art versammelt sind.
Neben dem Grand Palais ehrt auch das Pariser Musée Rodin den Künstler mit einer aktuellen Ausstellung: Sei- ne Fotoarbeiten stehen dort im Dialog mit Skulpturen Rodins, was ihre klassisch anmutende Formenstrenge betont. Einen anderen Blickwinkel auf Mapplethorpe er- öffnet ab kommender Woche die Londoner Tate Modern.
Sie präsentiert seine fesselnden Selbstporträts, die nichts von der kühlen, distanzierten Ästhetisierung seiner Kör- perbilder haben: Denn die Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen einen echten Menschen. Sabine Schuchart
Robert Mapplethorpe: „Ken Moody“, 1983, Gelantinesilberdruck, 50,8 × 40,6 cm: Sein vornüber gebeugter muskulöser Körper erinnert an eine antike Skulptur, die Haut glänzt wie polierter schwarzer Marmor. Den Afroamerikaner Ken Moody fotografierte Mapplethorpe in typisch reduzierter, schwarz-weißer Kühle.
Foto: Robert Mapplethorpe Foundation. Reproduktion mit Genehmigung
AUSSTELLUNGEN
„Robert Mapplethorpe“
Grand Palais, Galerie Süd-Ost, Eingang Avenue Win - ston Churchill, Paris;
www.grand-palais.fr Di.–Sa. 10–22, So./Mo. 10–20 Uhr;
bis 13. Juli
Musée Rodin, Paris:
bis 21. September
Tate Modern, London:
11. Mai bis 26. Oktober