Frage: Herr Minister von Goethe, Sie waren selbst als Forscher und Therapeut tätig.
Man hat Sie mit Anerkennung überhäuft – was sagen Sie nach vielen Jahren selbst dazu?
Antwort: Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn./ O, könntest du in meinem Innern lesen,/
Wie wenig Vater und Sohn/ Solch eines Ruh- mes wert gewesen!
Frage: Wie sah Ihre Heil- kunde ohne klinische Pilot- und Phase-III-Studien aus?
Antwort: Hier war die Ar- zenei, die Patienten starben,/
Und niemand fragte: wer ge- nas?
Frage: Offenbar hatten Sie bei der Galenik auch die Wün- sche Ihrer Patienten zu berücksichtigen. Was pflegten die Kranken zu äußern?
Antwort: Euch ist be- kannt, was wir bedürfen,/ Wir wollen stark Getränke schlür- fen;/ Nun braut mir unverzüg- lich dran!
Frage: Ihre Medikation scheint nicht besonders zu- träglich gewesen zu sein?
Antwort: So haben wir mit höllischen Latwergen/ In die- sen Tälern, diesen Bergen/
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Frage: Sie haben sich um die Evidence Based Medicine bemüht. Können Sie das Er- gebnis beschreiben?
Antwort: O glücklich, wer noch hoffen kann/ Aus die- sem Meer des Irrtums aufzu- tauchen!/ Was man nicht
weiß, das eben brauchte man,/ Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
Frage: Viele klinische Stu- dien haben Konfidenzproble- me. Gibt es da Unterschiede zwischen deutschem und an- glo-amerikanischem Schrift- tum? Was halten Sie von Pu- blish- oder Perish-Autoren?
Antwort: Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,/
Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Frage: Kein Wunder, daß viele sich von der Al- lo- und Chemotherapie abwenden möchten.
Was halten Sie von der Bachblüten-Heil- kunde?
Antwort: Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen./ Was diese Wissenschaft betrifft,/ Es ist so schwer, den falschen Weg zu mei- den,/ Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,/ Und von der Arzenei ists kaum zu un- terscheiden.
Frage: Also erneut ein schwankendes Terrain. Als Studiosus kommt man da ins Stocken. Was sagen Sie den unsicheren Kantonisten?
Antwort: Das wird näch- stens schon besser gehen,/
Wenn Ihr lernt alles reduzie- ren/ Und gehörig klassifizie- ren.
Frage: Das kann lange dau- ern. Gibt es keinen schnellen Weg zur Therapiesicherheit?
Antwort: Am besten ists auch hier, wenn Ihr nur Einen hört,/ Und auf des Meisters Worte schwört.
Frage: Speziell in der Homöopathie kann sich nicht jeder unter C 30 das zugehöri-
ge Molekül im Glas vorstellen.
Hilft Leuten, die es nicht be- greifen, das Wort von der Po- tenzierung weiter?
Antwort: Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;/ Denn eben wo Begriffe fehlen,/ Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein./ Mit Worten läßt sich trefflich streiten,/ Mit Worten ein System bereiten,/ An Wor- te läßt sich trefflich glauben.
Frage: Aus heutiger Sicht ist die Medizin keine Glau- benslehre. Wie kann man den
Anspruch des Faches auf den Punkt bringen?
Antwort: Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;/
Ihr durchstudiert die groß’
und kleine Welt,/ Um es am Ende gehn zu lassen,/ Wie’s Gott gefällt.
Frage: Das wird man dem Ordinarius an der Front schlecht verkaufen können.
Der will das Fach intellektuell durchdringen. Was kann man ihm mitteilen?
Antwort: Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,/ Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;/ Doch, der den Augenblick ergreift,/
Das ist der rechte Mann.
Frage: Diese Chuzpe kol- lidiert voll mit der ärztlichen Ethik. Wie kann sich der Dia- gnostiker qualifiziert auswei- sen, speziell gegenüber einer Gleichstellungsbeauftragten?
Antwort: Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,/
Daß Eure Kunst viel Kün- ste übersteigt;/ Zum Will- komm tappt Ihr dann nach allen Siebensa- chen,/ Um die ein andrer viele Jahre streicht,/
Versteht das Pülslein wohl zu drücken/ Und fas- set sie, mit feurig schlauen Blicken,/ Wohl um die schlanke Hüfte frei,/ Zu sehn, wie fest geschnürt
sie sei.
Frage: Das Studi- um scheint aus
Ihrer Sicht nicht gerade anspruchs- voll. Was sucht der Durch-
schnittsstu- dent von
heute?
Antwort: Ein wenig Frei- heit und Zeitvertreib/ An schönen Sommerfeiertagen.
Frage: Die Universitäten sind überfüllt. Die Numeri clausi waren ineffektiv. Wie wirken volle Hörsäle auf Sie?
Antwort: O sprich mir nicht von dieser bunten Men- ge,/ Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Frage: Der medizinische Nachwuchs muß nach moder- nen Qualitätssicherungsver- fahren geprüft werden. Könn- ten Sie ein Beispiel für die A-1505 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 22, 4. Juni 1999 (57)
V A R I A FEUILLETON
250 Jahre –
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Johann Wolfgang von Goethe
Ein Interview über Evidence Based Medicine, In-vitro- Fertilisation und die ärztliche Berufspolitik
Foto: Goethe-Museum Düsseldorf
„ Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;/Ihr durchstudiert die groß’ und kleine Welt;/Um es am Ende gehn zu lassen;/Wie’s Gott
gefällt.“
Anamnese und eine zutreffen- de Antwort nach dem Multi- ple-choice-Verfahren nennen?
Antwort: Mir liegts im Fuß wie Bleigewicht – / Mir krampfts im Arme – Das ist Gicht –
Frage: Was würden Sie ei- nem habituell Adipösen raten zum Abbau von Pfunden und Frust?
Antwort: Staub soll er fressen, und mit Lust!
Frage: Mit der von Ihnen umrissenen Medizin dürfte die Bevölkerung nicht gerade alt werden. Stichwort Lebens- abend. Fällt Ihnen dazu etwas ein?
Antwort: Gewiß! Das Al- ter ist ein kaltes Fieber/ Im Frost von grillenhafter Not./
Hat einer dreißig Jahr’ vor- über,/ So ist er schon so gut wie tot.
Frage: Wenn Sie das dem nächsten Uralt-Doktoranden mitteilen, könnte er Ihnen die Brocken vor die Füße werfen.
Was würden Sie ihm sagen?
Antwort: Original, fahr hin in deiner Pracht! – (. . .)/
Doch sind wir auch mit die- sem nicht gefährdet,/ In we- nig Jahren wird es anders sein:/ Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,/
Es gibt zuletzt doch noch e’Wein.
Frage: Nun, Herr Minister von Goethe, machen wir einen
Sprung um gut zwei Jahrhun- derte und lassen Ihre etwas ar- chaische Sichtweise einmal hinter uns.
Antwort: Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob Du bist.
Frage: Hätte ich es um- schreiben sollen?
Antwort: Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.
Frage: Welche Folgen hat der Siegeszug von Mole- kularbiologie, elektronischer Datenverarbeitung und revo- lutionärer Bildgebung für die Patienten auf der Intensivsta- tion?
Antwort: Der alte Tod verlor die rasche Kraft,/ Das Ob? sogar ist lange zweifel- haft.
Frage: Die Gen-Technolo- gie greift in die Medizin ein – zum Guten?
Antwort: Sonst hättest Du dergleichen weggeflucht,/
Doch jetzo scheint es Dir zu frommen.
Frage: Die In-vitro-Fertili- sation greift immer weiter um sich. Ist die natürliche Anzie- hung der Liebenden abhan- den gekommen und . . .
Antwort: Halt ein! Ich wollte lieber fragen:/ Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen.
Frage: Meinen Sie das Problem der Beziehungski- sten und 4-Ringe-Leute?
Antwort: Da seid Ihr auf der rechten Spur;/ Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen las- sen.
Frage: Was halten Sie von der assistierten Befruchtung?
Antwort: Ich bin dabei mit Seel und Leib.
Frage: Mal klar gefragt:
Ist das Für und Wider einer In-vitro-Fertilisation auch ei-
ne ästhetische Frage? Muß die physisch-erotische Kine- tik auf ewig fortgesetzt wer- den?
Antwort: Behüte Gott!
wie sonst das Zeugen Mode war,/ Erklären wir für eitel Possen./ Der zarte Punkt, aus dem das Leben sprang,/ Die holde Kraft, die aus dem In- nern drang/ Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu
zeichnen,/ Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueig- nen,/ Die ist von ihrer Würde nun entsetzt.
Frage: Ist der Sex ein Aus- laufmodell?
Antwort: Wenn sich das Tier noch weiter dran er- getzt,/ So muß der Mensch mit seinen großen Gaben/
Doch künftig reinem, höhern Ursprung haben.
Frage: Die Kryokonser- vierung nach dem Samen- transfer – ist das für Sie neu?
Antwort: Wer lange lebt, hat viel erfahren,/ Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn./ Ich habe schon in meinen Wander- jahren/ Kristallisiertes Men- schenvolk gesehn.
Frage: Vor kurzem berich- tete ein junger Nachwuchsfor- scher aus dem Labor, man ha- be das menschliche Genom komplett entschlüsselt und für die Reparaturwerkstatt freige- geben. Was würden Sie ihm sagen?
Antwort: Was Du nicht al- les zu erzählen hast!/ So klein Du bist, so groß bist Du Phan- tast.
Frage: Herr Minister, können Sie nur in den oberen Etagen der Welt agieren, oder haben Sie auch ein Pro- gramm für den banalen Fra- gesteller?
Antwort: Den schlepp ich durch das wilde Leben,/
Durch flache Unbedeuten- heit.
Frage: Da wären wir ja mitten in der ärztlichen Berufs- politik. Sie wissen um die Ko- stenexplosion im Gesund- heitswesen. Auch da ist Ihr Ministerium – in Grenzen – zuständig. Wie sieht’s in Ihrer Kasse aus?
Antwort: Welch Unheil muß auch ich erfahren!/ Wir wollen alle Tage sparen/ Und brauchen alle Tage mehr.
Frage: Was sagen Sie den Ärzten zur Honorarklemme?
Antwort: Wo fehlts nicht irgendwo auf dieser Welt?/
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld./ Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;/
Doch Weisheit weiß das Tief-
ste herzuschaffen./ (. . .) Und fragt Ihr mich, wer es zu Tage schafft:/ Begabten Manns Na- tur- und Geisteskraft.
Frage: Die Ärzte haben ei- nen Vorsitzer. Der hat sich die Frau Gesundheitsministerin einmal länger angehört. Was könnte der Herr sich dabei ge- dacht haben?
Antwort: Das Trallern ist bei mir verloren,/ Es krabbelt wohl mir um die Ohren,/ Al- lein zum Herzen dringt es nicht.
Frage: Haben Sie auch zu den Sorgen unserer Praktiker etwas zu sagen?
Antwort: So sind am härt- sten wir gequält,/ Im Reich- tum fühlend, was uns fehlt.
Letzte Frage: Herr Mini- ster: In den 250 Jahren Ge- schichte, die Sie überblicken, hat sich Gewaltiges verändert.
Der Mensch beherrscht Din- ge, die Sie ihm so leicht nicht zugetraut hätten, zum Beispiel die Bewegung im Raum. Ihr Fazit?
Antwort: Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom glei- chen Schlag,/ Und ist so wun- derlich als wie am ersten Tag.
Herr Minister vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dr.
med. Ludger Beyerle aus Mülheim/Ruhr.
A-1506 (58) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 22, 4. Juni 1999
V A R I A FEUILLETON