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Archiv "Evidenzbasierte Medizin: Zum Zweiten!" (15.09.2000)

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A2356 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 37½½½½15. September 2000

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er sich mit seinem privaten PKW allein in einer europäi- schen Metropole orientieren möchte, kann dies auf unterschiedliche Weise tun: Er kann sich vorher über die Lage seines Zieles informieren und fährt munter drauf los. Wenn er nicht mehr weiterweiß, fragt er sich – der eingeborenen Mundart mächtig – wei- ter durch. Er kann sich vor Antritt der Reise eine Routenbeschreibung be- sorgen und hoffen, dass diese präzise genug ist. Auch sollten die Stopps zur aktuellen Orientierung mit Rücksicht auf den umgebenden Verkehr gemacht werden. Besitzer von Fahrzeugen neu- esten Typs und neuesten Interieurs werden mit sanfter Stimme und GPS durch den unübersichtli- chen Dschungel der Großstadt geschleust. Solange die Technik funktioniert, die Inhalte aktuell sind und der Fahrer trotz allem eine Fähre von einer Brücke un- terscheiden kann und bremst, ist dies das derzeit bequemste Ver- fahren.

Orientierung tut Not in Berei- chen, wo eine Vielzahl von Infor- mationen, von Wegen und möglichen Irrwegen vorliegt. Gleiches gilt auch für die Medizin. Der Flut an Informa- tionen über neue oder angepasste dia- gnostische oder therapeutische Ver- fahren wird ein einzelner Arzt kaum noch Herr. „Augen zu und durch“ und darauf hoffen, dass sich die wichtigen Erkenntnisse schon herumsprechen werden, ist kein effizientes Verfahren, um mit seinem Können aktuell zu blei- ben.

Das Verfahren, das im Dschungel medizinisch-wissenschaftlicher Infor- mationen eine Orientierung ermög- licht, ist die evidenzbasierte Medizin (EBM). Im angelsächsischen Sprach- raum geboren, stellt sie die systemati- sche Verbindung primärer ärztlicher Tugenden wie die klare Patientenori- entierung durch Anamnese und Status mit der Bewertung wissenschaftlicher Informationen unter Einschluss epi-

demiologischer Erkenntnisse dar. Der Dschungel lichtet sich, wenn klar ist, was der Patient erhofft („werde ich gesund?“, „was hilft mir am besten und schadet am wenigsten?“, „wel- ches Risiko gehe ich ein, wenn . . .?“) und welche Informationen für den Arzt objektiv und relevant sind. Die evidenzbasierte Medizin ist der „ein- heitliche Bewertungsmaßstab wissen- schaftlicher Informationen“ als Grund- lage bestmöglicher ärztlicher Ent- scheidungen.

Auf diesem Wege verbinden sich mit der evidenzbasierten Medizin zahlreiche Hoffnungen: Der Gesetzge- ber will Ordnung in die Verfahren

bringen, die zur Zulassung medizini- scher Verfahren oder Medikamente führen. Die Krankenkassen erhoffen sich eine Verringerung und die Ab- schaffung von Unter-, Über- und Fehl- versorgung sowie eine Vereinheitli- chung diagnostischer und therapeuti- scher Verfahren. Ärztliche Gremien der Selbstverwaltung haben mit dem evidenzbasierten Leitlinien-Clearing- verfahren das Instrument geschaffen, um dem behandelnden Arzt mehr Klar- heit über Nutzen und Sinnhaftigkeit seiner Entscheidungen bei wichtigen Krankheitsbildern zu geben.

Die bestmögliche Orientierung des klinisch tätigen Arztes in einer zer- splitternden und immer schwerer zu verstehenden Welt der medizinischen Wissenschaft wird durch evidenzba- sierte Medizin gewährleistet. Daneben sind es vor allem die Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft und

die Arbeitsgemeinschaft der Wissen- schaftlichen Medizinischen Fachge- sellschaften, die die EBM zur Grund- lage ihrer Empfehlungen gemacht ha- ben. Somit wäre die evidenzbasierte Medizin auf der Ebene der Steuerung des Gesundheitswesens platziert. Ob die Hoffnungen der Verantwortlichen auf der Systemebene erfüllt werden, wird sich in der nächsten Zeit zeigen.

Aus ärztlich-klinischer Sicht bleibt die Frage, was von evidenzbasierter Medizin beim Patienten ankommt. Si- cher darf man davon ausgehen, dass besseres Wissen, beispielsweise durch Leitlinien, das Handeln der Ärztinnen und Ärzte verbessert. Welche Wege wirklich effizient sind und ob die Erwartungen der Patienten aus- reichend vom Arzt vor Beginn der Behandlung eingeschätzt werden können, ist dabei durch- aus offen.

Seit der ersten Diskussion auf dem 1. Berliner Symposium

„Evidence-based Medicine“ im Jahr 1998 hat das Konzept der evidenzbasierten Medizin im deutschen Gesundheitssystem deutlich an Kontur gewonnen. Auf dem jetzt folgenden zweiten Symposi- um Evidenzbasierte Medizin vom 5. bis 7. Oktober in Berlin (www.ebm- netzwerk.de; siehe Bekanntgabe des Programms in diesem Heft) wird die Gretchenfrage gestellt, welcher Nut- zen für die Patienten aus EBM resul- tiert, beziehungsweise wie er geschaf- fen werden kann. Mit internationaler Beteiligung wird aus klinischer, wis- senschaftlicher, politischer und öko- nomischer Sicht EBM kritisch reflek- tiert und mit den Ansprüchen von Pa- tienten verglichen.

Im Idealfall wird das vornehmste Ziel ärztlicher Bemühungen, dem Kranken mit seinen Hoffnungen und Wünschen bestmöglich zu helfen, durch evidenzbasierte Medizin er- reicht.

Dr. med. Günther Jonitz Präsident der Ärztekammer Berlin

KOMMENTAR

Evidenzbasierte Medizin

Zum Zweiten!

Nutzen für den Patienten

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