doch nicht möglich, erklärte Friedrich.
Als Gründe führte die Biologin einer- seits die geringe Anzahl der Stammzell- linien an, andererseits aber deren Kon- taminierung mit tierischen Zellen und Viren. In der Tat basieren die meisten der etwa 80 weltweit existierenden und in den USA registrierten Stammzelllini- en auf Mausnährzellen und können
„verseucht“ und somit für die Anwen- dung am Menschen ungeeignet sein.
Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum, Max-Planck-Institut für ausländisches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, hat rechtliche Bedenken bezüglich der Stichtagsregelung. Der § 5 des neuen Stammzellgesetzes spreche nicht nur von Grundlagenforschung, sondern nen- ne als Ziel auch die Entwicklung diagno- stischer, präventiver und therapeuti- scher Verfahren zur Anwendung beim Menschen. Dies müsse bei der Stichtags- regelung bedacht werden, wenn das Ge- setz einige Jahre gültig sein solle. Ein weiteres Problem sei die rechtliche Ver- fügbarkeit der Stammzelllinien. Denn auf die amerikanischen Zelllinien sind meist Patente angemeldet. Jede For- schung bedarf der Genehmigung der Verwertungsfirmen. Die Firma Gerold besitze sogar die Lizenz auf die Herstel- lung der Stammzelllinien, argumentiert Schneider. „Alle Forscher müssen somit dieses Patent beachten. Nicht der Stich- tag schreibt das Monopol der Stamm- zellanbieter vor, sondern das internatio- nale Patentrecht.“
Die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche sind enttäuscht über die Ausgestaltung des Gesetzes.
Besonders beklagen sie die „ungleich- mäßige“ Zusammensetzung der zentra- len Ethikkommission der Zulassungs- behörde, die die Erfüllung der Aufla- gen überprüfen und entscheiden soll, ob die Forschungsprojekte ethisch ver- tretbar sind. Die Kommission soll sich aus fünf Naturwissenschaftlern und Medizinern, aber nur aus vier Ethikern und Theologen zusammensetzen. Juri- sten warnten vor zu einschneidenden Regelungen im Gesetz. Es laufe da- durch Gefahr, verfassungswidrig zu sein. Die Hürden, die es setze, müssten bewältigbar bleiben. Die „Haltbar- keitsdauer“ des Gesetzes ist ihrer Mei- nung nach sowieso bereits eng be- grenzt. Dr. med. Eva A. Richter
P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002 AA761
KOMMENTAR
A
ufgrund des großen Anklangs haben die Studenten der Euro- pean Medical Students’ Asso- ciation (EMSA) an der Universität Je- na einen „Evidence-based Medicine“- (EbM-)Kurs mit 12 Tutoren organi- siert, um ihren Kommilitonen die Dis- kussion dieses aktuellen Themas in Kleingruppen anzubieten.Die Studenten waren begeistert, ei- nige zudem nachdenklich: „Wir haben viel gelernt, fühlen uns aber unwohl, wenn wir daran denken, dass einige unserer Lehrinhalte einer kritischen Überprüfung nicht standhalten.“
Im traditionellen Medizinunterricht erlernt der Arzt, Entscheidungen im Zustand der Unent- schlossenheit zu tref- fen. Jeder Arzt, der über Jahre Patienten betreut hat, wird be-
stätigen, dass diese Fähigkeit Teil der
„ärztlichen Kunst“ ist und den Behand- lungserfolg wesentlich beeinflusst.
Würden wir eine Generation von Ärzten ausbilden, die alle wenig be- legten Therapien bezweifelt, wäre die messbare Verschlechterung der medi- zinischen Versorgung programmiert.
Wir wagen diese Behauptung, weil die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung mehr Einfluss auf das Ergebnis der Versorgung hat, als wir bisher ange- nommen haben.
Würde man darauf verzichten, Ärz- te auszubilden, die Zweifel am Nutzen unzureichend gesicherter Maßnahmen äußern, würde das Angebot an viel ver- sprechenden Gesundheitsleistungen innerhalb kürzester Zeit unüberschau- bar werden. Es scheint, als bräuchten wir beide, den medizinisch orientierten Praktiker, der als Arzt im traditionel- len Sinn sozialisiert ist und Gesund- heitsleistungen erbringt, und den wis- senschaftlich orientierten Arzt, der in der Lage ist, die empirische Basis der Gesundheitsleistungen zu beurteilen.
Die wissenschaftliche Auseinanderset- zung mit der EbM hat gezeigt, dass es unmöglich ist, beide Fähigkeiten, das
Vertrauen in eine Versorgungsleistung und die kritische Beurteilung dieser Versorgungsleistung, in einer Person zu vereinigen.
Wenn man die Zweiteilung der me- dizinischen Versorgung akzeptiert, ist die Kommunikation zwischen dem Praktiker und dem Theoretiker zu garantieren. Wer als Praktiker viele Jahre lang sozialisiert ist, Entscheidun- gen am Patienten aus der Erfahrung zu treffen, wird mit Unverständnis reagie- ren, wenn er jetzt aufgefordert wird, die wissenschaftliche Basis seiner Ent- scheidungen darzulegen. Andererseits wird kein Gesund- heitssystem zu finan- zieren sein, wenn auf die Transparenz der Entscheidung ver- zichtet würde.
Es wird akzep- tiert, wenn zwei Ärz- te die gleiche Er- krankung auf verschiedenen Wegen versorgen, dabei gleichermaßen er- folgreich sind und dafür vergleichbare Ressourcen verbrauchen. Wenn einer aber mehr Ressourcen verbraucht als der andere, ohne das Ergebnis der Versorgung zu verbessern, wird das zu hinterfragen sein.
Die zahlreichen Beteuerungen, bes- sere Ergebnisse als andere zu erzie- len, zwingen zu mehr Transparenz.
Diese Transparenz kann aus zeitlichen Gründen und wegen der unterschied- lichen Sozialisation nicht von den Praktikern hergestellt werden. Sie wird durch die Kooperation mit den Theoretikern zu erbringen sein.
Die Studenten in Jena haben uns in der Annahme bestärkt, dass wir ver- schiedene Wege der Sozialisation des Arztes diskutieren müssen. Die bei- den Wege sind jedoch zu verschieden, als dass sie gekoppelt werden könn- ten. Beide Richtungen sollten realisie- ren, dass sie im Berufsleben aufeinan- der angewiesen sind.
Prof. Dr. med. Franz Porzsolt Universität Ulm
Prof. Dr. med. Bernhard Strauss Universität Jena