Das Leser-Forum
PRIVATE MEDICAL SCHOOL
Sorgen um den wissenschaftlichen Standard (DÄ 42/2014: „Private Medical Schools: Wie Pil- ze aus dem Boden“ von Eva Richter-Kuhl- mann).
Patientenversorgung im Fokus
Deutschland bildet seit Jahren zu wenig Medizinstudenten aus, um der Nachfrage der Kliniken nach qualifiziertem ärztli- chen Personal auch nur annähernd gerecht zu werden . . . Unser Staat wird seiner Ver- pflichtung, ausreichend Studienplätze zur Verfügung zu stellen, . . . nicht gerecht.
Verlierer sind auch die jungen Schulab- gänger, die einen unsinnigen NC nicht er- reicht haben und somit ihrem Berufs- wunsch nicht nachgehen können. Häufig sind die höher motiviert als mancher, der aus Verlegenheit bei gutem Abitur das Medizinstudium aufnimmt.
Den neu entstandenen Medical Schools die Qualifikation abzusprechen, ist ein un- tauglicher Versuch der AMSE (Associati- on of Medical Schools in Euope) und des VUD (Verband der Universitätsklinika Deutschlands), vom Missstand bei der Verteilung der Studienplätze und der eige-
nen Ausbildungsqualität abzulenken. Seit Jahren haben wir gute Erfahrungen mit Studienabgängern ausländischer Universi- täten und Medical Schools, teilweise bes- ser ausgebildete Ärzte als die deutschen Universitäten. Zu hinterfragen ist, ob ein hoher Anspruch an die Forschung Grund- voraussetzung für die Ausbildung zum Arzt ist. Wer sich hier berufen fühlt, kann die universitäre Laufbahn einschlagen.
Wer die Patientenversorgung im Fokus hat, ist an mancher Medical School mögli- cherweise besser ausgebildet.
Dr. med. Daniel Frank, Florence-Nightingale-Krankenhaus, 40489 Düsseldorf
Erschreckendes Resultat in den USA
Anfang des 20. Jahrhunderts nahm eine Ar- beitsgruppe anerkannter Wissenschaftler und Mediziner die 155 (meist privaten) Me- dical Schools in den USA unter die Lupe, mit dem erschreckenden Resultat, dass sehr viele Privatschulen katastrophale Mängel aufwiesen und deshalb geschlossen werden mussten (und meist auch wurden). Auch viele medizinische Fakultäten im Lande waren mangelhaft und mussten reformiert
werden. Man stellte fest, dass Tausende von schlecht ausgebildeten Ärzten auf die US- Bürger losgelassen worden waren.
Gernot Beaumont , 66740 Saarlouis
EVIDENZBASIERTE MEDIZIN
Evidenzbasierte Medizin könnte man auch als
„patientenzentrierte Wissenschaftlichkeit“ be- zeichnen (DÄ 39/2014: „Evidenzbasierte Medi- zin: In der Versorgung angekommen, aber noch nicht heimisch“ von Christopher Baethge).
Eher Studienmüll
Danke für diesen Beitrag. Ich erinnere mich noch gut an die hohe Zeit von EbM, als zum Beispiel in der 4S-Studie (Scandi- navian Simvastatin Survival Study) 1994 gezeigt wurde, dass selbst bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und sehr ho- hen Cholesterolwerten (212–310 mg/dl) durch Simvastatin (40 mg/d) die Gesamt- sterblichkeit im Vergleich zu Placebo im Verlauf von fünf bis sechs Jahren nur um 3,3 Prozent reduziert wurde. Das ent- spricht einem NNT (number needed to treat) = 30 und folglich einem NTN (num-
B R I E F E
A 1964 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 45|
7. November 2014PALLIATIVE SEDIERUNG
Über eine Behandlungsoption, die die Zeit bis zum Eintritt des Todes erträglicher gestalten kann (DÄ 38/2014: „Mit großer Sorgfalt und kli- nischer Erfahrung“ von Gisela Klinkhammer).
Unethische Sedierung, was ist das?
Beim Lesen des Artikels über palliative Sedierung im DÄ habe ich mehrfach ver- wundert mit dem Kopf geschüttelt. Da wird einem todkranken Mann mit metasta- sierendem Prostatakarzinom die Sedie- rung verweigert, damit er dann doch vier Wochen später „unter Sedierung“ endlich sterben darf. Was für eine Medizin, nein, das ist keine! Das soll offenbar ein Bei- spiel für ethische und unethische Sedie- rung sein? . . .
Dem Patienten helfen auch nicht Sätze wie „lm Allgemeinen sollte die Sedie- rungstiefe möglichst niedrig gehalten wer- den, jedoch gleichzeitig eine angemessene Linderung der Beschwerden bewirken“.
Diesen Spagat bekommen wir Ärzte eben nicht immer hin. Der Arzt muss aber han- deln in solchen Situationen. Nichtstun ist meines Erachtens unethisch. In solchen Situationen Ärzten zu unterstellen, dass
„sie (die behandelnden Ärzte) sedieren mit dem Ziel, den Tod zu beschleunigen“, ist absurd und im Einzelfall kaum zu be- weisen. Auch diese Ärzte wollen mit dem Sedieren helfen und lindem und nehmen den Tod allenfalls billigend in Kauf in ei- ner ausweglosen Situation . . . Die endgül-
tige Leitlinie für Ärzte in der Sterbebe- gleitung ihrer todkranken Patienten kann nur lauten: Sie sollten so handeln dürfen, wie sie es gerne hätten, wenn es dereinst um ihren eigenen Todeskampf geht.
Ein letzter Gedanke: Vor etwa vier Wo- chen habe ich für eine präfinale Frau mit amyotrophischer Lateralsklerose an einer Patientenverfügung mitgewirkt, die von der Patientin, ihrem Ehemann und ihrem Hausarzt unterschrieben wurde. Zunächst wird präzise beschrieben, was in der fina- len Phase die Behandelnden noch tun dür- fen und was nicht, weil es keine Be- schwerdelinderung, sondern nur Lebens- verlängerung bringt. Dann heißt es wört- lich weiter: „Sollte ein Arzt oder das Be- handlungsteam nicht bereit sein, meinen in dieser Patientenverfügung geäußerten Willen zu befolgen, erwarte ich, dass für eine anderweitige medizinische und/oder
pflegerische Behandlung gesorgt wird.
Von meinem Vertreter (Ehemann) erwarte ich, dass er die weitere Behandlung so or- ganisiert, dass meinem Willen entspro- chen wird“. Was sagt Herr Radbruch und die European Association for Palliative Care (EAPC) eigentlich dazu? Der tod- kranke Patient mit metastasierendem Pros- tatakarzinom hätte nach Verweigerung der Sedierung doch den Arzt wechseln können bei entsprechender Patientenverfügung . . .
Prof. Dr. med. Johann-Peter Nordmeyer, 33739 Bielefeld
Noch viel Aufklärung notwendig
Besten Dank für den ausgewogenen Arti- kel zum Thema „Palliative Sedierung“.
Tatsächlich braucht es noch viel Aufklä- rung und Fort- und Weiterbildung zu die- sem Thema (auch im Bereich der speziali- sierten Palliativmedizin). Eine aktuelle Studie zeigt, dass das EAPC Framework/
oder die deutsche Übersetzung in etwa ei- nem Drittel der spezialisierten Einrichtun- gen in Deutschland noch nicht bekannt sind (Klosa PR, Klein C, Heckel M, Bronnhuber AC, Ostgathe C, Stiel S: The EAPC framework on palliative sedation and clinical practice – a questionnaire- based survey in Germany. Support Care Cancer; DOI 10.1007/s00520–014–
2192–5).
Die Mehrheit (64 Prozent) der Teilneh- menden (Palliativstationen, Hospize, SAPV und SAPPV: Rücklauf 37 Prozent) kennen entweder das Original des EAPC- Rahmenwerks und/oder die deutsche Übersetzung. Mehr als einem Drittel (36 Prozent) sind beide unbekannt. Viele Vor- schläge der EAPC werden umgesetzt.
Dennoch zeigt sich ein heterogener Um- gang mit palliativer Sedierung. Die Fre- quenz von palliativer Sedierung wird im Mittel mit 6,7 Prozent (Median 3,8 Pro- zent; Standardabweichung 9,3 Prozent, Spannweite null bis 80 Prozent) der Pa- tienten eingeschätzt. Unterschiede in den Häufigkeiten könnten durch die Rahmen- bedingungen oder auch Unsicherheiten bezüglich der Definition bedingt sein.
Mehrheitlich (74 Prozent) wird eine inter- mittierende palliative Sedierung, seltener eine tiefe kontinuierliche Sedierung (26 Prozent) bevorzugt. In den meisten Ein- richtungen (84 Prozent) gehört die Doku- mentation der Medikation zum Standard.
Unterschiede existieren in der Dokumen- tation des Umgangs mit Flüssigkeit/Er- nährung (66 Prozent) und von Vitalzei- ber treated needlessly) = 29! Die Wirkung
(= efficacy) von Simvastatin war also selbst in der „Sekundärprävention“ nur sehr marginal! Die Reihe guter Studien ließe sich fortsetzen. Ihre Ergebnisse wa- ren erhellend und ernüchternd zugleich.
Was heute oft unter dem Motto EbM an- geboten wird, ist dagegen – vorsichtig for- muliert – eher „Studienmüll“. Das liegt natürlich vor allem an den nationalen und internationalen Zulassungsbehörden, für die nicht selten kurzfristige placebokon- trollierte Studien auf der Basis von Surro- gaten zulassungsrelevant sind.
Das Dilemma wird derzeit bei den oralen Antidiabetika besonders deutlich, wenn in der aktuellen Versorgungsleitlinie „Diabe- tes mellitus Typ 2“ von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medi-
zin (DGIM) bei Versagen von Metformin alle anderen vorhandenen Substanzen oh- ne spezielle Reihung empfohlen werden.
Das kann man natürlich als „individuelles Vorgehen“ präferieren. Aus meiner Sicht spiegelt es wohl eher die Ratlosigkeit oder Orientierungslosigkeit der Leitlinienauto- ren wider, was nicht verwundert, da keine langfristigen Studien mit klinisch relevan- ten Endpunkten vorliegen. Woran die Pharmaindustrie aus naheliegenden Grün- den auch nicht interessiert ist.
Solange die „Zulassung“ eines Arzneimit- tels aber nicht gleichzusetzen ist mit dem vom Arzt zu Recht erwarteten Behand- lungsstandard, wird es EbM kaum gelin- gen, „heimisch“ zu werden. Ärzte und Pa- tienten haben aber Besseres verdient.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. med. Frank P. Meyer, 39164 Wanzleben-Börde
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