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Archiv "Gemeinsam bereit zu konstruktiver Weiterentwicklung" (18.07.1974)

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(1)

Wolfgang Schmidt:

Stolz auf

den Beitrag Berlins

Berlin ist eine Reise wert! Ein Slogan der 60er Jahre, der im In- und Ausland dafür warb, möglichst viele Besucher an die Spree zu bringen. Dieser Ausspruch ist von den deutschen Ärzten in ganz be- sonders intensivem Maße befolgt, man kann, glaube ich, sogar mit des Wortes echter Bedeutung sa- gen, beherzigt worden. Als der 74.

Deutsche Ärztetag 1971 in Mainz einstimmig beschloß, den 77. Deut- schen Ärztetag in Berlin abzuhal- ten, war das für mich als ärztlichen Repräsentanten dieser Stadt natür- lich eine große Freude. Doch hatte mich dieser unerwartete und nicht vorgeplante Beschluß in eine pro- tokollarisch schwierige Situation gebracht. Ich hatte sozusagen als Geschäftsführung ohne Auftrag die Einladung, die viele Abgeordnete des Deutschen Ärztetages in Mainz von mir erbaten, ausgesprochen, ohne vom Regierenden Bürger- meister dazu ermächtigt gewesen zu sein.

Als ich dann nach meiner Rück- kehr aus Mainz ihm diesen Be- schluß des Deutschen Ärztetages vortrug, verzieh er mir nicht nur großzügig diese Eigenmächtigkeit, sondern war ehrlich erfreut über die Sympathiebekundung dieses Deutschen Ärztetages zu unserer Stadt. Und ich glaube, daß wir uns darüber auch sehr freuen, ja stolz darauf sein können, daß der Deut- sche Ärztetag nach Kriegsende

nunmehr zum vierten Mal in den Mauern unserer Stadt tagt. Wer von Ihnen vielleicht sogar alle die- se Ärztetage mitgemacht hat, wird jedes Mal mit Erstaunen und viel- leicht auch mit Bewunderung gese- hen haben, welche Aufwärtsent- wicklung Berlin genommen hat.

Das Klima — ich meine das meteo- rologische — dieser Stadt ist, wissenschaftlich belegt, eines der besten in Europa. Daß es aber auch berufspolitisch ein gutes Kli- ma hier gibt, zeigt die Verabschie- dung der Gesundheits- und sozial- politischen Vorstellungen der deut- schen Ärzteschaft. Ich bin als Ver- treter der Berliner Ärzteschaft stolz darauf, daß dieses richtungwei- sende Grundsatzprogramm der ge- sundheits- und sozialpolitischen

Wolfgang Schmidt

Zielvorstellungen der deutschen Ärzte hier in unserer Stadt verab- schiedet worden ist und der Name Berlins mit diesem Programm ver- bunden bleiben wird.

Es ist kein Geheimnis, und leider haben Sie es ja miterleben müs- sen, daß es in der berufspoliti- schen Arena hier bei uns recht heiß hergeht. So wie auch die allge- meine politische Auseinanderset- zung in dieser Stadt nicht der In- tensität und oftmals auch nicht der Dramatik entbehrt.

Die Ärztekammer Berlin sieht ihre Aufgabe darin, diese Auseinander- setzung im berufspolitischen Raum auf einen sachlichen Boden zu- rückzuführen und sie mit einer Zielvorstellung zu führen, die den berechtigten Anliegen und Erwar- tungen unserer Kollegen gerecht wird, daß wir aber den Mittelpunkt unseres gesamten beruflichen Tuns, den kranken Menschen, nicht aus dem Auge verlieren, ist zu selbstverständlich, als daß es ge- sondert betont werden müßte.

Hinter uns liegen viele Stunden in- tensiver Beratungen, harter und häufig sehr kontroverser Debatten.

Ich bin sicher, daß sich das alles aber gelohnt hat und daß wir gute und konstruktive Arbeit geleistet haben.

Gemeinsam bereit zu

konstruktiver Weiterentwicklung

Die Grußansprachen bei der Öffentlichen Kundgebung des 77. Deutschen Ärztetages am 28. Juni 1974 in Berlin

Während der Öffentlichen Kundgebung des 77. Deutschen Ärztetages, die

— mit einem stark beachteten Referat des Präsidenten, Prof. Dr. Hans Joachim Sewering, im Mittelpunkt (Seiten 2205 bis 2215 dieser Ausgabe)

— am Nachmittag des 28. Juni 1974 im Auditorium der Berliner Kongreß- halle stattfand, richteten der Präsident der gastgebenden Ärztekammer Berlin, Medizinaldirektor Dr. Wolfgang Schmidt, und vier der Ehrengäste Grußansprachen an die Versammelten. Es sprachen der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, Rudolf Hauck, in Vertretung der Präsidentin des Deutschen Bundestages; der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Dr. Katharina Focke; der Berliner Senator für Gesundheit und Umweltschutz, Erich Pät- zold; der Präsident des Weltärztebundes, Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Fromm.

Diese Ausführungen werden nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben.

2216 Heft 29 vom 18. Juli 1974 DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT

(2)

Rudolf Hauck:

Für einen großen Dialog

zwischen Ärzteschaft und Politik

Zunächst möchte ich mich beim Präsidium des 77. Deutschen Ärz- tetages recht herzlich für die Einla- dung bedanken. Dank möchte ich auch dafür sagen, daß Sie mir Ge- legenheit geben, auf dieser Öffentli- chen Kundgebung ein Grußwort zu sprechen.

Es ist für mich eine große Freude und Ehre, allen Teilnehmern und Gästen des 77. Deutschen Ärzteta- ges die Grüße und besten Wün- sche des Präsidenten des Deut- schen Bundestages, Frau Annema- rie Renger, und aller Mitglieder des Parlamentes, zu übermitteln.

Als Vorsitzender des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesund- heit füge ich noch einen besonders herzlichen Gruß der Ausschußmit- glieder an, denn gerade wir kennen die große Bedeutung der deut- schen Ärzteschaft für die Fort- und Weiterentwicklung einer zukunfts- trächtigen Gesundheitspolitik.

In einer gemeinsamen Erklärung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, die auch den Bundestags- fraktionen zugeleitet wurde, ist die Hoffnung ausgesprochen worden, daß sich die neue Bundesregie- rung zu der Aufrechterhaltung der Grundsätze der freien Arztwahl des Patienten und der freiberuflichen Tätigkeit der Ärzteschaft bekennen wird. Der Bundesminister für Ju- gend, Familie und Gesundheit hat bereits vor drei Wochen hier in Berlin auf dem 23. Deutschen Kon- greß für ärztliche Fortbildung für die neue Bundesregierung erklärt, daß die Grundsätze der freien Arzt- wahl und der freien Ausübung der Heilberufe weiterhin auch Grundla- ge der gesundheitspolitischen Ent- scheidungen sein werden. Es liegt

mir als Vertreter des Parlaments daran, zu unterstreichen, daß diese grundsätzliche Haltung von uns ge- teilt wird. Wir sind uns dessen be- wußt, daß eine entscheidende Vor- aussetzung für die ärztliche Tätig- keit die Bewahrung des beson- deren Vertrauensverhältnisses zwi- schen den Ärzten und ihren Patien- ten ist. Wir sehen es deshalb auch als unsere Aufgabe an, dieses Ver- trauensverhältnis nicht nur zu er- halten, sondern dazu beizutragen, daß es noch weiter vertieft werden kann.

In diesem Zusammenhang verdie- nen die Bemühungen der Bundes- regierung, den Schutz gegen Miß- brauch von Daten durch eine ge- setzliche Regelung zu sichern, un- sere besondere Aufmerksamkeit.

Es ist selbstverständlich, daß wir alle Bestrebungen unterstützen, die einen Mißbrauch von Informationen im medizinischen Bereich verhin- dern. Es ist zu begrüßen, daß diese Fragen von der Ärzteschaft mit Nachdruck aufgegriffen worden sind. Wir werden sie hierbei unter- stützen.

Es ist kein Geheimnis, daß die Si- cherstellung der ärztlichen Versor- gung in allen Regionen unseres Landes auch weiterhin ein Haupt- gegenstand der öffentlichen Dis- kussion geblieben ist. Als ich auf dem 75. Deutschen Ärztetag in Westerland vorsichtig formulierte, daß ich hoffe, die Selbstverwaltung der deutschen Ärzteschaft werde es verhindern, daß es zu einer Un- terversorgung im ländlichen Be- reich und in den Stadtrandgebieten komme, denn sonst würde ein Ein- greifen des Gesetzgebers unver- meidlich sein, machte sich Unruhe im Auditorium breit.

Die Bayerische Staatsregierung und andere Gruppierungen, darun- ter auch eine SPD-Landtagsfrak- tion, sind gewillt zu prüfen, wie man den Ärztemangel in der Pro- vinz durch staatliche Maßnahmen beseitigen kann. Ich sage dies nur, um zu zeigen, wie aktuell dieses Problem ist, und daß die Frage des gastgebenden Kammerpräsidenten,

Dr. Wolfgang Schmidt, „Ist das ge- sundheitspolitische Klima noch rauher geworden?" berechtigt ist.

Präsident Dr. Schmidt bejaht die Frage und sagt, die Angriffe gegen die Ärzte sind nicht weniger ge- worden, sondern im Gegenteil sehr viel gezielter und damit gefährli- cher. Weiter führt er aus, sie kom- men jetzt zunehmend aus einer an- deren Richtung. Es sind nicht nur die Massenmedien, Publizisten und Funktionsträger bestimmter Grup- pen, sondern auch ernst zu neh- mende Politiker aller Parteien, und er stellt fest, sogar die CDU/CSU übt Kritik.

Ich stelle dies ebenfalls nur fest und bekenne, daß ich in den letz- ten Monaten in drei Spitzengesprä- chen mit Vertretern der deutschen Ärzteschaft festgestellt habe, daß Sie es ernst meinen mit der Fort- und Weiterentwicklung unseres ge- sundheitspolitischen Systems. Die- se Aussprachen mit dem Vorstand meiner Fraktion und mit der Ärzte- schaft haben uns weitergeführt, und ich frage mich manchmal, war- um eigentlich solche Diskussionen zwischen der Ärzteschaft und der Politik nicht auch an der Basis ge- führt werden. Diskutieren eigent- lich auch die mit, die Sie hier de- mokratisch gewählt haben? Ich plädiere aus vielfältigen Erfahrun- gen für einen großen Dialog zwi- schen Ärzteschaft und Politik, wie es in den Bereichen der Kirche, der Sozialarbeit und des Sports, um nur einige Beispiele zu nennen, seit Jahren erfolgreich praktiziert wird.

Diese Gespräche halte ich für be- sonders wichtig, weil durch die Ge- setzgebung der letzten Zeit. der Arzt in der Praxis, im Krankenhaus und im Amt, gesellschaftspolitisch gesehen, zunehmend stärker gefor- dert wird. Mit besonderer Freude stelle ich fest, daß seit Sylt 1972 das Engagement des Arztes im Be- reich der Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs stär- ker geworden ist und daß dies mit dazu beigetragen hat, dieses Pro- blem zumindest in den Griff zu be- kommen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 18. Juli 1974 2217

(3)

Verantwortungsvolle Aufgaben für den Arzt

Die Reform des § 218 des Strafge- setzbuches — egal wie man im einzelnen zu der gesetzlichen Re- gelung steht — stellt den Arzt vor neue verantwortungsvolle Aufga- ben. Familienplanung und -bera- tung gewinnt zunehmend an Be- deutung. Die ärztliche Beratungs- pflicht ist ausdrücklich in das Ge- setz aufgenommen worden, und die Verbesserung der sozialen Um- welt, die Voraussetzung ist für eine kinder- und familienfreundliche Ge- sellschaft, ist ohne die Mitarbeit der Ärzte in fast allen Funktionsbe- reichen nicht denkbar.

Wir haben in der Behinderten-Ge- setzgebung mit der Novellierung des Bundessozialhilfegesetzes, der Verabschiedung des Schwerbehin- dertengesetzes und des Rehabili- tationsangleichungsgesetzes einen entscheidenden Durchbruch er- reicht. Auch hier brauchen wir die Mitarbeit der Ärzteschaft. In der leidigen Diskussion über die Mel- depflicht haben wir durch parla- mentarische Initiative einen vertret- baren Kompromiß erreicht, der auch, wie ich erfahren habe, die Billigung der Ärzteschaft gefunden hat. Die Bundesverbände der Kran- kenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben durch Verträge sicherzustellen, daß der Behinderte über die Möglichkeiten der medizinischen, berufsfördern- den und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation beraten wird und die gebotenen Maßnahmen von den Rehabilitationsträgern frühzei- tig eingeleitet werden. In den Ver- trägen ist zu regeln, bei welchen Behinderungen, unter welchen Vor- aussetzungen und nach weichen Verfahren von den Ärzten Mitteilun- gen über Behinderte an die Kassen zu machen sind: Also keine ab- strakte Meldepflicht, sondern im In- teresse der Behinderten ein ver- traglich auszuhandelndes Melde- recht.

Ich bin froh darüber, daß die Erör- terungen über die Lage der Psych- iatrie in der Bundesrepublik einen

Schwerpunkt des 77. Deutschen Ärztetages darstellten. Nachdem die durch parlamentarische Initiati- ve von der Bundesregierung ein- gesetzte Sachverständigenkommis- sion zur Erarbeitung einer Enquete über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik vor Jahresfrist einen Zwischenbe- richt vorgelegt hat, dürfte in Kürze mit dem Abschlußbericht zu rech- nen sein.

Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit wird diesen Be-

Rudolf Haud( Foto: privat

richt sehr sorgfältig daraufhin über- prüfen, was für diesen Teil unserer Bevölkerung durch die Verbesse- rung der Situation der Psychiatrie bald und nachhaltig getan werden kann.

Schwerpunkte: Vorsorge und Krankheitsfrüherkennung Für uns bleibt die Gesundheitspoli- tik eine der wichtigsten gesell- schaftspolitischen Aufgaben in die- ser Legislaturperiode. Schwer- punkte der gesundheitspolitischen

Arbeit werden die Fortentwicklung gesundheitlicher Vorsorge und der Früherkennung von Krankheiten sein. Wir begrüßen es, daß die Neuordnung des Arzneimittel- rechts, die in der eingangs erwähn- ten gemeinsamen Erklärung der Bundesärztekammer und der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung als dringlich zu bewältigendes Pro- blem bezeichnet worden ist, noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluß gebracht werden soll. Mit der Reform des Lebensmittel- rechts, die in diesen Tagen verab- schiedet worden ist, wird ein wich- tiger Beitrag zur Verbesserung des Schutzes unserer Bürger vor den gesundheitlichen Gefahren gelei- stet.

Ein besonderes Anliegen unserer Arbeit im Deutschen Bundestag wird es aber sein, vor allem auch denjenigen zu helfen, deren Schicksal von der Öffentlichkeit nicht immer so beachtet wird, wie es nötig wäre. Neben der schon er- wähnten grundsätzlichen Hilfe für die Behinderten gehört dazu vor al- lem die Verbesserung der Lage un- serer älteren Mitbürger. Es ist er- freulich, daß in dieser Legislatur- periode durch eine Reihe gesetz- geberischer Maßnahmen — ich möchte hierbei an das Gesetz zur Verbesserung der Leistungen in der Rehabilitation, an das Heimge- setz, an die Änderung des Sozial- hilfegesetzes erinnern — wesentli- che Verbesserungen für diesen Personenkreis erreicht wurden oder noch zu erwarten sind.

Viele Anregungen für unsere Ge- setzgebungsarbeit sind aus den Kreisen der Ärzte gekommen. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, allen zu danken, die sich hier aktiv in die gesundheitspolitische Arbeit des Deutschen Bundestages einge- schaltet haben. Im Interesse unse- rer Bevölkerung hoffe ich, daß die- se fruchtbare Zusammenarbeit auch in Zukunft bestehenbleibt und wenn möglich, noch weiter verstärkt wird. In diesem Sinne wünsche ich der deutschen Ärzte- schaft weiterhin ein erfolgreiches Wirken.

2218 Heft 29 vom 18.Juli 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT'

(4)

Katharina Focke:

Die Eigen-

verantwortlichkeit der Bürger stärken

Mit großer Aufmerksamkeit habe ich die Neufassung der „Gesund- heits- und sozialpolitischen Vor- stellungen der deutschen Ärzte- schaft", die Verhandlungsergebnis- se, den Ablauf dieses 77. Deut- schen Ärztetages und nicht zuletzt auch den Bericht zur Lage des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Kenntnis genommen. Ich begrüße ausdrück- lich, daß Sie in Ihren Beratungsun- terlagen und Stellungnahmen über bewahrende und kritikabwehrende Positionen hinausgegangen sind und sich prinzipiell zur Weiterent- wicklung des Gesundheitswesens und der ärztlichen Berufsausübung bekennen. Das Maß an Selbstkritik in der Standespolitik, das damit deutlich wird, hat es möglich ge- macht, einige berechtigte Argumen- te, die in den letzten Jahren in Ih- ren eigenen Reihen oder in der Öffentlichkeit vorgetragen worden sind, aufzunehmen.

Wesentlich erscheint mir dabei ins- besondere die abwägende Be- trachtung des Spannungsverhält- nisses zwischen Individuum und Gesellschaft. Die unmißverständli- che Aussage in der Ärztetagsvorla- ge, daß „in der modernen Gesell- schaft die soziale Sicherheit eine wesentliche Voraussetzung für die individuelle Freiheit bildet", ent- spricht der gesundheits- und so- zialpolitischen Zielvorstellung der Bundesregierung. Die damit in en- ger Beziehung stehende Stärkung der Eigenverantwortlichkeit unse- rer Bürger in ihrem Gesundheits- verhalten ist eine Aufgabe, der sich der Staat, vor allem aber auch die Ärzte, erheblich mehr noch als bis- her zuwenden müssen.

Als Beispiel für die Wahrnehmung der Ihnen in den Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit den '<rankenkassen übertragenen Ver-

Katharina Focke

antwortung für die ständige Ver- besserung der Leistungsqualität der ambulanten ärztlichen Versor- gung möchte ich die von Herrn Dr.

Muschallik vorgeschlagenen Maß- nahmen zur Sicherung der ärztli- chen Fortbildung besonders her- vorheben.

Sie werden sich erinnern, daß ich mich zur Lösungsbedürftigkeit die- ses Problems kürzlich hier in Ber- lin auf dem ärztlichen Fortbil- dungskongreß auch geäußert habe.

In gleicher Weise gilt meine große Anerkennung auch der Aufforde- rung zur Propagierung der Früher- kennungsuntersuchungen und der Anregung, bei den Patienten vom vierten Quartal 1974 an eine stan- dardisierte Blutdruckmessung durchzuführen. Nicht ganz so ver- ständlich ist für mich unter dem gleichen Gesichtspunkt anderer- seits Ihre Meinungsbildung zu der von der Gesundheitsministerkonfe- renz beschlossenen Facharztge- setzgebung. Erkennbarer Sinn die- ses Beschlusses zur Facharztwei- terbildung ist ausschließlich die Si- cherung der Qualität der fachärztli- chen Versorgung in Praxis und Krankenhaus in nachprüfbarer und damit auch für alle überzeugender Weise.

Die von Ihnen zum Ausdruck ge- brachte Bereitschaft zur vernünfti- gen Weiterentwicklung unseres Sy-

stems der Gesundheitsversorgung ist Bedingung und Unterstützung für ein sinnvolles Zusammenwirken zwischen dem Staat, den Bürgern, der Ärzteschaft und wer sonst an diesem Prozeß beteiligt ist. Dabei halte ich es auch in der Zukunft für wichtig, daß die Auffassungen und Äußerungen aller gesundheits- und sozialpolitischen relevanten Grup- pen einer sorgfältigen Prüfung un- terzogen werden, weil erst dann eine begründete Beurteilung mög- lich sein dürfte.

Mir geht es darum — und damit wiederhole ich meine Bitte vom letzten Ärztetag in München —, daß die Diskussion unter uns auf diejenigen abstellt, um die es geht:

die Patienten oder diejenigen, die Patienten werden könnten.

Beobachter von Ärztetagen könn- ten den Eindruck haben, daß die Diskussion um Fragen der gesund- heitlichen Versorgung mit — viel- leicht auch zwischen — den Ärzten noch mit mehr Empfindlichkeiten und Vermutungen belastet und we- niger selbstverständlich ist als in anderen Bereichen und zu anderen Themen unserer Gesellschaft. Aber ich meine, daß wir sie brauchen, daß wir sie konstruktiv entwickeln und daß sie auf der anderen Seite kein Selbstzweck ist, sondern zur besseren Lösung von Aufgaben dient.

Wo Ärzte diskutieren, gehe ich da- von aus, daß es um Menschen und ihre Gesundheit geht. Und ich bitte Sie, gehen Sie von derselben An- nahme bei der Bundesregierung, bei mir, bei Professor Wolters aus.

Zur Lage der Psychiatrie

Und damit komme ich, soweit das in einem solchen kurzen Grußwort möglich ist, zur Sache, zu einer überaus ernsten und lösungsbe- dürftigen Sache, auf die ich mich hier konzentrieren möchte, nämlich zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, die ein Hauptthema Ihres 77. Ärzteta- ges — wie ich meine — zu Recht gewesen ist.

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 29 vom 18. Juli 1974 2219

(5)

Zwei Wege

Die Notwendigkeit eines großzü- gigen und fortschrittlichen Aus- baus der Arbeitsmöglichkeiten für Belegärzte hat Prof. Dr.

Hans-Joachim Sewering bei der Abschlußkundgebung des 77.

Deutschen Ärztetages mit Nach- druck betont (Seite 2205 ff.). Zu- dem unterstreicht „das Blaue Papier" das Erfordernis einer vermehrten Mitarbeit von im Krankenhaus tätigen Ärzten an der ambulanten Versorgung (durch persönliche Beteiligung oder Ermächtigung).

Daß hier das Bundesgesundheits- ministerium möglicherweise ei- nen anderen Weg gehen möch- te, kann aus der ebenfalls im Wortlaut (Seite 2219 ff.) wieder- gegebenen Ansprache von Bun- desgesundheitsminister Dr. Ka- tharina Focke herausgelesen werden, die nämlich — zumin- dest auf die Psychiatrie bezo- gen — den Vorstellungen der Ärzteschaft über die engere Verzahnung der ambulanten mit der stationären Behandlung als

„ebenso wichtig" gegenüber- stellte, „Zwischenglieder mit der stationären Versorgung zu ver-

binden, z. B. in der Form von Vorschalt-Ambulanzen, Tages- und Nachtkliniken, Übergangs- und speziellen Pflegeheimen.

Auf diesem Wege", so heißt es in der Ansprache Frau Dr. Fok- kes weiter, „wäre wohl auch Ihre Vorstellung am besten zu realisieren, in verstärktem Um- fange Krankenhausärzte in die ambulante Behandlung einzube- ziehen."

Diese höflichen Formulierungen deuten an, daß sich seit den — damals noch mit einiger Pole- mik durchsetzten — Darlegun- gen von „Perspektiven zur Ge- sundheitspolitik" durch Staats- sekretär Prof. Dr. Hans-Georg Wolters anläßlich einer Ge- schäftsführertagung des Bun- desverbandes der Ortskranken- kassen im September vorigen Jahres an der grundsätzlichen Haltung des Bundesgesund- heitsministeriums — für zuneh- mende Institutionalisierung der ärztlichen Versorgung der Be- völkerung — nichts geändert hat. Man wird das Gespräch darüber — wie die in diesem Heft wiedergegebenen Ausfüh- rungen der Partner im Gesund- heitswesen erweisen — jetzt aber in aller gebotenen Sach- lichkeit fortführen können.

Es ist sicher hilfreich, daß wir nach dem schon vorliegenden Zwischen- bericht der Sachverständigenkom- mission zur Erarbeitung einer Enquete über die Lage der Psych- iatrie in der Bundesrepublik auch einen Abschlußbericht erwarten können. Die Bundesregierung ist, wie die Bundesländer, schon auf Grund des Zwischenberichts je- doch tätig geworden und hat be- stimmte Maßnahmen eingeleitet.

Das aber genügt bei weitem nicht.

Nach Vorlage der Enquete werden wir vor der Frage stehen, wie die von den Sachverständigen erarbei- teten Empfehlungen verwirklicht werden können. Hier treffen wir auf die kritischen Punkte, die auch Sie angesprochen haben: die Si- cherstellung der ärztlichen Versor- gung, und zwar in der Verteilung des Angebots und in der Durchläs- sigkeit im ambulanten und statio- nären Bereich; schließlich Vorsor- ge, Früherkennung, Früherfassung.

Viele psychische Erkrankungen können heute — dank der Fort- schritte der Medizin und Pharmazie

— wenn nicht geheilt, so doch we- nigstens so weit gebessert werden, daß die Betroffenen rückgliede- rungsfähig werden, wenn eine be- gleitende ärztliche Aufsicht gesi- chert ist. Viele der psychischen und psychosomatischen Erkran- kungen lassen sich frühzeitig er- kennen; ihre Behandlung ist dann um so erfolgreicher. Gezielte Vor- sorge zur Aufdeckung von Risiko- faktorenträgern ist auch bei einem Teil dieser Erkrankungen möglich.

Die wachsende Zahl der Erkran- kungen wie die volle Ausschöpfung der diagnostischen und therapeuti- schen Möglichkeiten schaffen ei- nen so großen Bedarf, daß er, wie Sie in Ihren Vorstellungen mehr- fach herausheben, derzeit nicht ge- deckt werden kann. Wenn man sich vorstellt, daß die mögliche und vor allem wünschenswerte Vorsorge und Früherkennung auf diesem Gebiet allein deshalb nicht verwirklicht werden kann, weil es weder genügend geschultes Perso-

nal für die Durchführung der Unter- suchungen gibt noch genügend

Einrichtungen und Ärzte, um die aufgefundenen Verdachtsfälle ein- gehend diagnostizieren und be- handeln zu können, wird der Teu- felskreis sichtbar, der immer weiter zu einer Verschärfung der Situa- tion treibt. Die stärkere Einbezie- hung der in Krankenhäusern täti- gen Fachärzte in die ambulante Versorgung kann dabei nur eine Teillösung bringen.

Ein wesentlicher Beitrag könnte über die gezielte Fortbildung der niedergelassenen Ärzte auf diesem Gebiet erreicht werden, denen jetzt schon zwangsläufig ein erheblicher Anteil an der Behandlung dieser Patienten zufällt.

Auch die Einbeziehung qualifizier- ter nichtärztlicher Therapeuten ist eine notwendige Ergänzung. Dies alles aber genügt nicht, um eine bedarfsgerechte und flächendek- kende Versorgung sicherzustellen.

Sie haben für die engere Verzah- nung der ambulanten mit der sta- tionären Behandlung die Entwick- lung von Zwischengliedern in der Form von Praxiskliniken, Nachsor- geeinrichtungen und speziellen Pflegeeinheiten für niedergelasse- ne Ärzte vorgesehen. Mir scheint es ebenso wichtig zu sein, derarti- ge Zwischenglieder mit der statio- nären Versorgung zu verbinden, in der Form von Vorschaltambulan- zen, Tages- und Nachtkliniken, Übergangs- und speziellen Pflege- 2220 Heft 29 vom 18. Juli 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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heimen. Auf diesem Wege wäre wohl auch Ihre Vorstellung am be- sten zu realisieren, in verstärktem Umfange Krankenhausärzte in die ambulante Behandlung einzubezie- hen. Würde es gelingen, alle neu zu entwickelnden Einrichtungen zur teilstationären und quasiambu- lanten Behandlung miteinander zu verzahnen, wäre nach meiner Auf- fassung Wesentliches zur Sicher- stellung de( ärztlichen Versorgung auf diesem Gebiet zu erreichen.

Was ich hier für einen wichtigen Teilbereich der gesundheitlichen Versorgung aufgezeigt habe, gilt in vieler Hinsicht für unsere Aufgaben in der Gesundheitspolitik schlecht- hin. Im Vordergrund steht für uns die Steigerung der Leistungsfähig- keit, sei es in der ambulanten oder stationären Versorgung, sei es in sonstigen Bereichen, wie im öffent- lichen Gesundheitsdienst oder bei den Ärzten in den Betrieben und in der sozialen Versorgung. Die ge- waltige Zunahme der Aufwendun- gen im Gesundheitswesen ist si- cher zu einem großen Teil einer Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung zum Nutzen unserer Bürger zugute gekommen. Aber sie zwingt uns andererseits, auch die Grenzen der Belastung des einzel- nen zu sehen. Wir alle müssen dar- um bemüht sein, ein ausgewoge- nes Verhältnis zwischen Leistungs- angebot und Aufwand zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Ein- sicht in diese Notwendigkeit wächst. Die Verantwortung hierfür hat der Staat, auch der Politiker, aber auch jeder, der im Gesund- heitswesen Leistungen erbringt oder fordert.

Es ist unsere gemeinsame Aufga- be, in diesem Sinne unter ständi- ger Betonung selbstverständlich der Qualität des Angebots nach zeitgemäßen Lösungen zu suchen, die die Freiheit des einzelnen, sei- nen Arzt zu wählen, und die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung er- hält. Ich bin dankbar, daß der Ärz- tetag vielfältige Bemühungen er- kennen ließ, und hoffe, daß wir auf dieser Grundlage auch in Zukunft eng zusammenarbeiten werden.

Erich Pätzold:

Neue Impulse durch das

"Blaue Papier"

Als Senator für Gesundheit und Umweltschutz dieser Stadt ist es mir eine besondere Freude und Ehre, Teilnehmer und Gäste des 77. Deutschen Ärztetages im Na- men des Senats von Berlin herzlich zu begrüßen. Daß Sie nach 1952, 1960 und 1965 bereits zum vierten- mal seit 1945 den Deutschen Ärzte- tag nach Berlin einberufen haben, erfüllt uns mit Genugtuung und Dankbarkeit.

Ich hoffe, daß Sie neben den inten- siven Diskussionen und Gesprä- chen der letzten Tage auch ein we- nig Zeit gefunden haben, einen Eindruck von den kulturellen und gastlichen Seiten unserer Stadt zu gewinnen.

Die politische Situation Berlins hat sich in den letzten Jahren vor al- lem durch den Abschluß der Vier- Mächte-Vereinbarung und des Transitabkommens stabilisiert. Da- bei vergessen und verschweigen wir nicht, welche tiefgreifende Spu- ren die Politik der anderen Seite im Bild unserer Stadt und im Ver- hältnis der Menschen zueinander zurückgelassen hat.

Die jetzt wieder möglichen Be- gegnungen der Menschen, die Entwicklung des Berlin-Verkehrs und andere Fortschritte haben gezeigt, daß wir keinen Uto- pien beim Abschluß der Berlin- Verträge nachgehangen haben. Wir wußten aber auch, daß damit beileibe nicht mit einem Schlag alle Schwierigkeiten beseitigt sein würden, daß dauerhaft nicht be- friedigende Konstellationen zurück- bleiben würden. Hier bleibt vieles zu tun, und wir werden uns beharr- lich bemühen.

Die Errichtung des Umweltbundes- amtes in Berlin ist trotz der unge- rechtfertigten Proteste ein Aus-

Öffentliche Kundgebung

Erich Pätzold

Foto: Landesbildstelle Berlin

druck für die vertragsgemäße Ent- wicklung der Bindungen zwischen Berlin und dem Bund; sie steht in voller Übereinstimmung mit der Vier-Mächte-Vereinbarung über Berlin. Störversuche hat es in der Vergangenheit immer wieder gege- ben· wir werden davon wohl auch in Zukunft nicht verschont bleiben.

Entscheidend ist, daß wir beharr- lich auf der vollen Anwendung und strikten Einhaltung der Berlin-Ab- kommen bestehen und uns von dieser Politik auch durch Proteste nicht abbringen lassen. ln diesem Zusammenhang ist auch Ihre Ta- gung ein sichtbarer Ausdruck der Normalität der Bindungen zwi- schen Berlin und dem Bund.

Die gesundheitspolitische Diskus- sion hat durch manche Entwicklun- gen und Ereignisse, auch durch diesen Deutschen Ärztetag und die Vorlage der Neufassung des "Blau- en Papiers" der Bundesärztekam- mer, neue Impulse erhalten, die insgesamt einer Weiterentwicklung unseres Systems der gesundheitli- chen Versorgung nur förderlich sein können.

..,.. Dabei liegt mir an der Fest- stellung, daß nicht davon gespro- chen werden kann, unser Sy-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 29 vom 18. Juli 1974 2221

(7)

stem der gesundheitlichen Versor- gung befände sich in einer schwe- ren Krise. So unzutreffend es ist, von einer schweren Krise zu spre- chen, so unrealistisch wäre ande- rerseits eine Sicht, daß im Bereich der gesundheitlichen Versorgung - wie in unserer ganzen Schnelle- bigen Entwicklung - nicht auch wesentliche neue Fragestellungen und Probleme entstanden sind.

Damit es keinen Zweifel gibt: Dies sagt jemand, der freies Arzttum, die pluralistische Trägerschaft von Krankenhäusern etwa und mög- lichste Zurückhaltung der Staatsbü- rokratie nachdrücklich bejaht.

Sicherstellung

der ärztlichen Versorgung

Sie alle kennen die Sorgen über die Sicherstellung der ärztlichen Betreuung in ländlichen Gebieten.

Aber - und dies darf ich aus der Berliner Erfahrung hinzufügen - auch in Neubauvierteln und Stadt- randbereichen ist die ambulante Versorgung häufiger nicht in dem wünschenswerten Umfang gewähr- leistet.

Bei der großen Zahl von Ärzten und der hohen Arztdichte in der Bundesrepublik stellt sich hier kein quantitatives Problem, son- dern eines der regionalen Vertei- lung. Ich begrüße die Bemühungen der Kassenärztlichen Vereinigun- gen, diese Schwierigkeiten

zu

überwinden; aber hier sind alle Verantwortlichen, Ärzte und Politi- ker aufgerufen, gemeinsam nach geeigneten Lösungen zu suchen.

Dogmatische Grundsatzstandpunk- te helfen uns allen nicht.

Neben diesem Problem der regio- nalen Verteilung gibt es in anderen Bereichen strukturelle Fragen, die einer Lösung bedürfen. Die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepu- blik ist nicht von ungefähr eines der Hauptthemen Ihrer Tagung. ln diesem Bereich bestehen Engpäs- se sowohl in der stationären Ver- sorgung - in Berlin haben wir da- für eine beträchtliche Erweiterung

der Bettenkapazität vorgesehen - als auch in der ambulanten Betreu- ung durch niedergelassene Ärzte.

Auch wenn dies von manchen als atypisches Beispiel bezeichnet wird, so zeigt sich doch deutlich, daß wir über mögliche, sachge- rechte Verbesserungen im Zusam- menwirken zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ver- stärkt und vorurteilsfrei nachden- ken und diskutieren müssen. Dabei möchte ich ausdrücklich vor ideo- logischen - radikalen oder allzu- sehr auf Beharrung und Erstarrung abgestellten - Verengungen der Problemstellung warnen.

..,.. Zur tatsächlichen Senkung der Krankenhausverweildauer und nicht etwa gegen die Interessen der freipraktizierenden Ärzte sind deshalb Überlegungen zur vorsta- tionären Diagnostik oder zur ambu- lanten Nachsorge legitime Denk- modelle, die gemeinsam erörtert und möglicherweise in Modellver- suchen erprobt werden sollten, wenn wir einerseits die gesundheit- liche Versorgung der Bevölkerung in allen Bereichen optimal sichern und andererseits die Kostenexplo- sion im Gesundheitswesen in er- träglichen Grenzen halten wollen.

..,.. Bei allen gesundheitspolitischen Diskussionen, bei den notwendigen Überlegungen über die Fortent- wicklung unserer Strukturen und bei konkreten, für sich einsichtigen Reformvorhaben dürfen wir nicht den Fehler fortsetzen, Andersden- kenden schnell weitergehende, un- lautere Absichten zu unterstellen.

So wenig es sicher zutreffend wäre, der überwiegenden Mehrzahl der Ärzteschaft Reformfeindlichkei- ten nachzusagen, so wenig ist es angebracht, bei allen Reformüber- legungen - gerade auch von sei- ten des Staates - sofort das Ge- spenst einer schleichenden Soziali- sierung des Gesundheitswesens an die Wand zu malen. Wer so verein- facht argumentiert, wer nicht bei- zeiten zu den notwendigen Refor- men fähig ist, leitet ungewollt Was- ser auf radikale Mühlen. Es gibt keinen Grund, unser System der

2222 Heft 29vom 18.Juli 1974 DEUTSCHES ARZTEBLATT

gesundheitlichen Versorgung radi- kal zu verändern. Aber es gibt viele Gründe für eine ständige Verbes- serung und Weiterentwicklung die- ses System.

An dieser Fortentwicklung sollten alle Beteiligten gemeinsam mitwir- ken, zum Wohle der Patienten und mehr noch als bisher im Geiste ge- genseitigen Vertrauens. Darum be- mühen wir uns jedenfalls hier in Berlin.

Ernst Fromm:

Codices

sittlichen Verhaltens in einer Zeit, die Antworten braucht

Eine Verquickung glücklicher Um- stände führte dazu, daß ich Ihnen hier heute die Grüße des Weltärz- tebundes zum 77. Deutschen Ärzte- tag in Berlin überbringen darf. ln dieser internationalen Ärzteorgani- sation haben die deutschen Kolle- gen eine aktive und sehr positive Rolle gespielt und spielen sie heute noch, daher füge ich dem Gruß den aufrichtigen Dank der World Medical Association hinzu.

Die übrigen Mitglieder des Weltärz- tebundes, von denen so viele hier heute versammelt sind - an ihrer Spitze der Chairman of Council, mein Freund Dr. Andre Wynen -, sehen wie ihre deutschen Kollegen ihre vornehmste Aufgabe in der Er- arbeitung von medizinisch-wissen- schaftlichen Standards und ständi- ger Beachtung sittlich-ethischer Normen, damit allen Patienten eine möglichst qualifizierte und humane Behandlung zuteil werden kann.

Solche Normen spiegeln sich zum Beispiel in verschiedenen Deklara- tionen der World Medical Associa- tion wider.

CD

Im Genfer Gelöbnis haben die Gründer die Aufgabe und die

(8)

Öffentliche Kundgebung

Pflichten des Arztes niedergelegt.

Das geschah 1949.

(i) Die Prinzipien der sozialen Si- cherheit markierten den Freiheits- raum der Patienten in jeder denk- baren sozialen Krankenversiche- rung.

aQ Die Rolle des Arztes beim legalen Schwangerschaftsabbruch drückt die Osloer Deklaration aus, die in den letzten Monaten auch hier in Deutschland in den Diskus- sionen erwähnt, aber nicht erhört wurde. Ärzte vieler Religionen und Rassen bekannten sich hierin zum

Ernst Fromm

Postulat des therapeutischen Schwangerschaftsabbruchs als ein- zige mögliche Form ärztlicher Mit- wirkung!

® Die Regeln für die Erprobung von Arzneimitteln am Menschen wurden in Helsinki verabschiedet.

Die zeitliche exakte Bestim- mung des Eintritts des Todes fand in Sidney ihren Niederschlag in ei- ner Deklaration.

2

Die Frage der ärztlichen Schweigepflicht im Zeitalter des Computers wurde in München be- handelt.

Alle diese wertvollen Codices sittli- chen Verhaltens haben einen be- sonderen Wert in einer Zeit, in der fast alle ethischen Bezüge in Frage gestellt werden.

Sie geben Antworten — das ist be- kanntlich schwerer, als nur Fragen über Fragen in die Welt zu setzen.

Die deutschen Ärzte haben mitge- arbeitet und mit ihrer demokratisch gewählten Ärzteorganisation Anre- gungen und Hilfen geboten. Sie ha- ben Verständnis für die Fragen der sozialen Krankenversicherung er- weckt, nachdem lange Zeit im in- ternationalen Dialog das Vorurteil tonangebend war.

Ich möchte daher an Sie hier, liebe deutsche Kolleginnen und Kolle- gen, appellieren, den Weltärzte- bund auch bei den über die Medi- zin hinausgehenden Bemühungen zu unterstützen. Ich denke dabei

Die sogenannten „Regularien" ei- nes jeden Ärztetages — das waren in diesem Fall der Tagesordnungs- punkt 6 „Finanzbericht der Bun- desärztekammer für 1973", der Ta- gesordnungspunkt 7 „Bericht des Finanzausschusses der Bundesärz- tekammer", der Tagesordnungs- punkt 8 „Entlastung des Vorstan- des der Bundesärztekammer" und der Tagesordnungspunkt 9 „Voran- schlag für das Geschäftsjahr 1975"

— wurden am vorletzten Tag — also am 28. Juni — der Plenumsbera- tungen vorgezogen und wie immer, satzungsgemäß unter Ausschluß der Öffentlichkeit beraten.

Nach Entgegennahme der Rechen- schaftsberichte des Vorsitzenden des Finanzausschusses, Dr. med.

an sein Satzungsziel: den Weltfrie- den zu fördern.

Das ist sehr realistisch gemeint und wurde 1948 nach einem Welt- krieg formuliert. Wer hätte wohl heute 1974 den Mut zu sagen, die Aufgabe sei erfüllt. Natürlich kann der Weltärztebund nur einen klei- nen Beitrag liefern, wenn er zum Beispiel wie kürzlich einen Arzt aus Uruguay durch seine Interven- tion aus der Haft befreien konn- te: Wenn man an ihn appellieren kann, Mißstände zu untersuchen, und wenn man ihn als Berater bei anderen Weltorganisationen hinzu- zieht, wie bei der WHO, der ILO oder der UNO und anderen.

Aber diese kleinen Beiträge sind wert, geleistet zu werden, denn zu keiner Zeit war trotz einer Inflation von Utopien das Humane mehr in Frage gestellt als in unserer Welt.

Hubertus Werner, billigte der Ärztetag den Finanzbericht für das Jahr 1973 sowie die Abrechnung des Außerordentlichen Haushaltes 1973 (Jubiläumsärztetag und XXVII.

Generalversammlung des Welt- ärztebundes in München). Weiter nahm der Ärztetag Kenntnis von dem Ergebnis des Berichts über den Jahresabschluß der Bundes- ärztekammer zum 31. Dezember 1973 — erstattet von Dr. jur. F. Lau- ter und Diplomkaufmann K. Fischer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Köln; der Bericht trägt den ab- schließenden Prüfungsvermerk „Die Buchführung und der Jahresab- schluß entsprechen nach unserer pflichtmäßigen Prüfung den Grund- sätzen einer ordnungsmäßigen Rechnungslegung".

Weitere Einzelfragen der

Gesundheits- und Sozialpolitik

Diskussionen und Entschließungen zum Tagesordnungspunkt 5

„Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer"

„Regularien": Haushalt und Finanzen

DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 18. Juli 1974 2223

Referenzen

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