• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Muschallik wird achtzig" (30.05.1991)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Muschallik wird achtzig" (30.05.1991)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Muschallik wird achtzig

„Elder Statesman" — alles, was man spontan mit dieser Be- zeichnung assoziiert, fügt sich zu- sammen zu einer klaren Vorstel- lung von Hans Wolf Muschallik, der am 4. Juni sein 80. Lebens- jahr vollendet: die äußere Er- scheinung eines weise geworde- nen und jung gebliebenen Man- nes, die aufrechte Haltung eines in allen Lebensphasen Unge- beugten, der skeptische Blick ei- nes um Realisierbares und um nicht Realisierbares Wissenden.

Hans Wolf Muschallik, Dr.

med. und Arzt seit 1936, heute Ehrenvorsitzender der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung, hat „mit ausgeprägter Zielbe- wußtheit, aber auch mit der not- wendigen Flexibilität, mit großer Beharrlichkeit, aber auch mit der Fähigkeit zu tragfähigen Kom- promissen" die Berufs-, Gesund- heits- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgestaltet (so for- muliert in der Urkunde der Bun- desärztekammer zur Verleihung der Paracelsus-Medaille). Und es ist kein Geheimnis: Als Ratgeber und Vermittler gestaltet er sie noch heute mit, aber nicht mehr oder nur selten im Rampenlicht der berufspolitischen Bühne, eben durch und durch ein „Elder Statesman".

Sein Lebensweg ist in dieser Zeitschrift wiederholt gewürdigt worden: zuletzt bei der Verlei- hung des Großen Verdienstkreu- zes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundes- republik Deutschland, der höch- sten staatlichen Auszeichnung überhaupt, und bei der Verlei- hung der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung, wel- che die deutsche Ärzteschaft zu vergeben hat. Dennoch sei heute daran erinnert, welche Verdien- ste Hans Wolf Muschallik sich, durch vorbildliche ärztliche Hal- tung und durch selbstlosen Ein- satz für die Kassenärzte wie für die Patienten erworben hat, um die ärztliche Selbstverwaltung genauso wie um das Gesund- heitswesen der Bundesrepublik Deutschland insgesamt.

Geboren 1911 in Bismarck- hütte/Oberschlesien, studierte Muschallik Medizin an den Uni- versitäten Freiburg, Jena, Mün- chen und Köln, wo er sein Staats- examen absolvierte und promo- viert wurde. Anderthalb Jahre war er in der Pathologie der Uni- versität Köln, ehe er 1938 in die

Klinik „Bergmannsheil" in Bo- chum zu den Professoren Bürkle de la Camp und Reichmann kam.

Der Zweite Weltkrieg verän- derte radikal Karriere und Le- bensbahn des Internisten Dr.

Hans Wolf Muschallik. Fünf Jah- re (1941 bis 1945) leistete er Kriegsdienst, davon dreieinhalb Jahre an der Front, unter ande- rem als Regimentsarzt in Stalin- grad, mit dem Eisernen Kreuz 1.

und 2. Klasse, dem Silbernen Verwundetenabzeichen und an- deren Auszeichnungen hoch de- koriert.

Kurz vor seinem 80. Geburtstag:

Dr. med. Hans Wolf Muschallik, Ehrenvorsitzender der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung

Bald nach Kriegsende, 1946, ließ sich Dr. Hans Wolf Muschal- lik in Köln als Internist nieder, anfänglich als Nichtkassenarzt, wohlgemerkt. 1950 trat er in der ärztlichen Berufspolitik als Mit- gründer und erster Vorsitzender des Verbandes der niedergelas- senen Nichtkassenärzte hervor.

Von 1952 bis 1957 war er Vize- präsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorstandsmit- glied der Bundesärztekammer, ehe er sich — nach seiner ver- trags- und kassenärztlichen Zu- lassung — ganz der Arbeit für die Kassenärzteschaft widmete. 1961 wurde er nicht nur zum Vorsit- zenden der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, sondern auch in den Vorstand der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung gewählt. Und 1969 wählte ihn die Vertreterversammlung zum Er- sten Vorsitzenden der KBV.

Sechzehn Jahre lang stand er an der Spitze dieser ärztlichen Kör- perschaft.

Die Durchsetzung kassen- ärztlicher Einzelleistungshono- rierung festigte sein Ansehen als

Berufspolitiker in Nordrhein und in der ganzen Bundesrepublik.

Doch sein Name ist mit vielem mehr ebenso untrennbar verbun- den: mit der erfolgreichen Ver- teidigung des Sicherstellungsauf- trages, der Vertragsfreiheit und der Selbstverwaltung als den viel zitierten Essentials der freiprak- tizierenden Kassenärzteschaft.

Dabei hatte die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zu Anfang seiner Amtszeit auch öffentlich größeres Gewicht als die Mitte der siebziger Jahre ein- setzende Bonner Kostendämp- fungspolitik.

In so gut wie allen seinen Re- feraten der siebziger Jahre drük- ken sich Abwehr und Kampf ge- gen kollektivistische Tendenzen im Deutschen Gewerkschafts- bund aus, damals ein Vorreiter jener Kräfte, die das Gesund- heitswesen „revolutionieren"

wollten. Dabei ging es ihm kei- neswegs um starre Verteidigung des Status quo, sondern um Wei- terentwicklung kassenärztlicher Berufstätigkeit im Gleichschritt mit den Fortschritten der Medi- zin, ein notwendigerweise be- harrliches Bemühen, das seit der politischen Wende in Bonn für Muschallik und seine Nachfolger im Amt des Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesver- einigung nicht leichter wurde.

Früh propagierte Dr. Hans Wolf Muschallik rationale Medi- kation, verfocht die Prävention, erlebte Anfang der siebziger Jah- re die Einführung von Früher- kennungsuntersuchungen in die kassenärztliche Versorgung. Sehr früh hat Muschallik auch Fragen der Qualitätssicherung, die heute wieder so aktuell sind, angespro- chen. Darauf gründete seine In- itiative, die schon 1972 zur Grün- dung des „Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung der Bevölkerung in der Bundesrepu- blik Deutschland" führte. Und bereits 1974 legte er ein Vier- Punkte-Programm zur Sicherung der Qualität kassenärztlicher Versorgung vor.

Während seines gesamten Wirkens in der Berufspolitik wi- dersetzte er sich tatkräftig allen politischen Tendenzen, das frei- heitlich-soziale System der Kran- kenversorgung zu verändern oder gar zu beseitigen, kämpfte für die Freiberuflichkeit des einzelnen Arztes genauso energisch und ge- schickt wie für die Handlungs- freiheit der Selbstverwaltung, in überzeugender Partnerschaft- lichkeit zu den Patienten wie zu deren Krankenkassen.

So sehr Dr. Hans Wolf Mu- schallik in den sechziger und frü-

hen siebziger Jahren die Gunst der wirtschaftlichen Entwicklung für die Stärkung der ambulanten Versorgung und deren angemes- sene Honorierung zu nutzen wußte, so flexibel zog er gegen Mitte der siebziger Jahre im Zei- chen des Kostenanstiegs freiwil- lig Konsequenzen in der Hono- rarpolitik. Seine Politik der Mä- ßigung, seine Sparsamkeitsappel- le an die Kassenärzte einerseits rechtfertigten andererseits seine heftige Auseinandersetzung mit der starren Kostendämpfungspo- litik der Regierung(en) und mit allen Pauschalierungstendenzen von Mitte der siebziger Jahre an.

Muschalliks und seiner Nachfol- ger Einsatz zur Stärkung der am- bulanten kassenärztlichen Ver- sorgung („soviel ambulant wie möglich, soviel stationär wie nö- tig") hat ganz wesentlich zur Er- haltung der Finanzierbarkeit der Krankenversicherung beigetra- gen.

Heute mahnt Hans Wolf Mu- schallik, gewissermaßen als per- sönliches Resümee aus Gestern und Heute: „Die Gesundheits- und Sozialpolitik sollte von ei- nem selbstverantwortlichen, selbstbestimmten Menschen aus- gehen, dessen Würde nur ge- währleistet sein kann, wenn er und sein Arzt nicht umfassend gegängelt werden. Dieses Bild vom Menschen und Patienten be- stimmt das Bild auch des ärztli- chen Leistungsgeschehens. Dies geht auch heute vor der Monetik.

Insgesamt gilt: Die soziale Kran- kenversicherung als Teil des Staates darf nicht zu einer legali- sierten Interessengemeinschaft werden, die das Individuum ver- kümmern läßt."

Die kleine Laudatio zum Achtzigsten bedarf einer völlig unakademischen Ergänzung. Sie gilt allein „Musch", dem frühe- ren Boxer, Fechter, Reiter, der heute noch fünfzig Liegestütze wegdrückt wie nichts. Wie mein- te doch kürzlich der Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung bei einer Begrüßung Muschal- liks: Er wird jetzt 80, und er lebt uns vor, wie man sich durch Frühsport und aktives Leben jung erhält. Dem sei hier der weitbekannte Spruch Muschal- liks angefügt: Carpe diem und sei's bei Nacht! Und nicht nur die Auguren in Köln, Bonn und Düs- seldorf lächeln. An und zu Hans Wolf Muschalliks 80. Geburtstag wird ihm von Freund' und auch von Feind' viel Sympathie be- zeugt werden. Für ihn soll das Wort gelten, das er so oft ande- ren zugerufen hat: Glückauf! R

Foto: Wachsmann. Düsseldorf

Dt. Ärztebl. 88, Heft 22, 30. Mai 1991 (75) A-2003

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Meine Ausführungen zu den viel- schichtigen Zusammenhängen , welche bei der Berechnung der Gesamtvergütung für die ambu- lante ärztliche Versorgung eine Rolle

Muschallik: Wenn das Prinzip der sozial verpflichteten und sozial gebundenen Selbstgestaltung der eigenen Verhältnisse und Belange nicht mehr funktionieren würde, wenn

Aber nach einem Scheitern der Konzertierten Aktion und dem Scheitern einer bundesweiten Empfehlungsver- einbarung war damit zu rechnen, daß auch die Verhandlungen auf

• Wer aber einen solchen Verlust der Vertragsfreiheit im Verhältnis der Krankenversicherungsträger zur Kassenärzteschaft in Kauf zu nehmen geneigt sein sollte, dem sage ich

Unmut über die Konzertierte Ak- tion hatte sich schon zwei Tage vor deren Frühjahrssitzung bei der Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung gezeigt:

Diese Regelung ist sachgerecht, da sie unabhängig von der Notwendig- keit einer Einbeziehung von Poliklini- ken in die kassenärztliche Versorgung zur Sicherung

Muschallik hat sich dabei viele Verdienste er- worben: in den fünfziger Jahren um den Zugang zur Berufsaus- übung für alle zulassungswilligen Ärzte, die die gesetzlich

Mit einem freiwilligen Verzicht auf Ho- norarerhöhungen im Jahre 1982 sind die Kassenärzte erneut bereit, die ge- gliederte deutsche Krankenversiche- rung und ihre Selbstverwaltung