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Archiv "Phantastischer Realismus und Landarzt-Alltag" (13.07.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Phantastischer Realismus und Landarzt-Alltag

Literaturpreis-Vergabe der Bundesärztekammer an

Paul Lüth und Ernst Rossmüller

s

eit jeher ist es innerhalb der belletristikorientier- ten Literaturwissenschaft gang und gäbe, bestimm- te humanitäre Strömungen fest- zumachen. Man benennt selbst- gewählte oder auch politisch bedingte Exilliteratur, spricht von der sogenannten Grabes- dichtung im englischen Kleri- kermilieu und räumt selbst den Herrscherpoeten des alten Ir- land ihre individuelle Literatur- schublade ein. Daß Ärzte eine Schriftstellerzunft eigener Aus- prägung in der Union Mondiale des Ecrivains Mädecins (UMEM) gegründet haben, ist also nicht verwunderlich.

Dem Literaturpreis der Bundes- ärztekammer liegen innerhalb der Autorendefinition „Arzt" tra- ditionelle Kriterien zugrunde.

Um Belletristik, um geistig bil- dende Unterhaltungsliteratur, in Abgrenzung gegen primär infor- mative Sachtexte, soll es sich handeln.

Im Rahmen der Jahrestagung des „Bundesverbandes Deut scher Schriftsteller Ärzte e. V."

Paul Lüth, des- sen kritisches Empfinden im

„Tagebuch eines Landarztes" pro- saisch sensibel umgesetzt ist.

Foto: Klaus Rose

verlieh die Bundesärztekammer am 23. Juni zum zweiten Mal ih- ren Literaturpreis, in diesem Jahr an Paul Lüth und Ernst Rossmüller. Die Tagung der Schriftstellerärzte fand diesmal im Fortbildungszentrum der Landesärztekammer Hessen in Bad Nauheim statt, die Preisver- leihung am vorletzten der fünf Kongreßtage, am Samstag, dem 23. Juni, während einer festli- chen Matinee.

Der Eröffnung durch den Ver- bandspräsidenten Professor Dr.

med. Wilhelm Theopold folgte eine inhaltliche Einheit von An- sprachen von Dr. D. Marguärite de Miomandre, Präsidentin der UMEM, Dr. med. Ren6 Kaech, Ehrenpräsident der UMEM, Dr.

Eduard Alt, Kurdirektor der Stadt Nauheim, Professor Dr.

Horst Rheindorf, Geschäftsfüh-

rer der Landesärztekammer Hessen. Der Laudatio für die Preisträger nahm sich Professor J. F. Volrad Deneke, Hauptge- schäftsführer der Bundesärzte- kammer, an. Er berücksichtigte dabei nicht nur die beiden Preis- träger Professor Dr. med. Paul Lüth und Dr. med. Ernst Ross- müller, sondern zitierte außer- dem aus den Laudationes, die Mitglieder der fünfköpfigen Jury zu drei weiteren favorisierten Kandidaten aus der Fülle und Vielfalt der Einsendungen ver- faßt hatten.

Nüchterner Realismus,

romantische Elegien und Krimi Ein Mitglied der Jury lobte Rei- ner Gödtels Lyrikband „Blinde Kuh", dem die Geschichte eines drogenabhängigen Mädchens 2184 (72) Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Literaturpreis der Bundesärztekammer

zugrunde liegt: „Diese Lyrik ist nicht esoterisch überzogen. Die Sprache ist nicht künstlich ab- gehoben. Diese Geschichte ver- steht ein jeder, der die Nöte Jugendlicher verstehen will: die Süchte, die Ohnmacht, die Äng- ste vor Vernichtung, die An- strengung zu lieben, die sich in der Sexualität erschöpft. Gödtel ist kein unbekannter Schriftstel- ler; sein Schaffen wird von der Literaturkritik sehr positiv auf- genommen und aufmerksam verfolgt. Selbst die ehrwürdige Zeitschrift zur Pflege und Erfor- schung der deutschen Sprache (,Muttersprache', herausgege- ben von der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesba- den) widmete Gödtel lange Sei- ten. Er ist Jahrgang 1938 und selbst Mitherausgeber einer lite- rarischen Zeitschrift und Her- ausgeber experimenteller Texte junger Autoren. Es ist noch

mehr von ihm zu erwarten."

Zu Hans Kinkel schreibt Jury- mitglied Professor Dr. Franz Schmid, Pädiater in Aschaffen- burg:,,Das im Zwielicht von Wol- ken und Wellen schimmernde Antlitz eines jungen Mädchens auf der Titelseite von Hans Kin- kels ,Verwehten Träumen' sym- bolisiert das gefühlvolle Verwo- bensein zwischen Handlung und Stimmung in zwei romantischen Elegien. Zwei Mädchen ‚Barba- ra' und ‚Friederike' loten die menschliche Gefühlswelt so un- endlich tief aus, daß der Leser selbst zwischen Traum und Wirklichkeit zu schweben scheint. In ‚Barbara' ist es die knospende Liebe einer virt- uosen Musikerin zu einem Arzt, der sie als Pflegevater heran- zieht, sich ihr als liebender Frau gegenübersieht und erst im lee- ren Boot im Bodensee erkennt, was er verlor. Am anderen Ende des Lebens steht die todkranke

‚Friederike', die rückwärts schauend ihren ,verwehten Träumen' nachgeht."

Professor Denekes persönliche Vorliebe galt Hans Weigolds „Ei-

„Zwischenspiel"

heißt der Band atmosphärischer Gedichte von Ernst Rossmüller, die zum Weiter- denken einladen.

Foto: Privat

nes der verwunschenen Häu- ser": „Ein faszinierender Krimi- nalroman. Es wäre von besonde- rem Reiz gewesen, gerade die- ses Buch auszuzeichnen. Es lebt aus dichterischer Phanta- sie. Es lebt zwischen Wirklich- keit und Traum und es ist weit mehr Spannung zwischen schicksalhaftem Überleben, menschlicher Würde und Erfah- rung des Sterbens in diesem Ro- man als Zeitvertreib: Ein roman- tischer Kriminalroman und da- mit mehr als allemal nur eine in- teressante Story."

Da keine Dramen oder Stücke den Weg in die engere Auswahl gefunden hatten, teilte die Jury – wie bereits im Vorjahr – den Preis schließlich in die Bereiche Lyrik und Prosa auf.

Weltenschau ins irgendwohin

„Serenata, Italiana", das sind nicht nur Betonrampen und Stahltürme, Sightseeing bei Co-

ca Cola, Eidechsen, dorische Kapitäle und Aschenschlacke, das sind Brücken, die fortfüh- ren, ins irgendwohin, ins nir- gends, hier, wo sie vormals her- führten, zu uns und noch wei- ter, aus der Tiefe des schwar- zen, heißen, dämonischen Ge- steins und wiederum unberühr- bar hin zu schneeigen Säulen, goldsternigen Bildern — , heißt es in der Rossmüller-Laudatio der Germanistin und Jurorin In- grid Nixdorf zu einem Gedicht, welches charakteristisch für sei- ne Sammlung „Zwischenspiele"

ist, dessen „Mythische Welten- schau" man mit Titeln wie „J. S.

Bach und die Fuge", „Remords posthume (verspätete Reue)",

„Weltmeister Fußball (1982) K. S.", „Nymphenburger Herbst II" nur andeuten kann. „Wir le- ben in der Zeit des Phantasti- schen Realismus", sagt Ross- müller selbst hierzu, „was aber nichts zu heißen hat, denn es gab ihn schon immer, nur heißt er immer anders."

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 (73) 2185

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Professor Deneke, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, gratulierte den Preisträgern in Bad Nauheim während der festlichen Matinee. Foto: Joppen

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Literaturpreis

Ernst Rossmüller, der bloß dich- tet, „... weil ich es nicht lassen kann", wurde 1923 als Sohn ei- nes Münchner Architekten, der nebenbei bayerische Baudenk- mäler malte, geboren. Das musi- sche Elternhaus war für sein Schreiben prägend, ebenso wie seine Erlebnisse als Soldat im Krieg und die lateinisch-griechi- sche Dichtung als literarische Grundlage. Er promovierte 1950 und ließ sich 1957 als Internist in München nieder.

Allegorisches aus dem Knüllwald

„Tagebuch eines Landarztes"

lautet der schlichte Titel des jüngsten prosaischen Werkes, in dem der 63jährige Paul Lüth in

„frischen Gedanken und Formu- lierungen jenseits des Gewöhn- lichen" nicht nur seine Lebens- bilanz zieht. Hierzu Professor Dr. Günter Mann, Medizinhisto- riker der Universität Mainz:

„Der Arzt Paul Lüth, der Eigen- willige, mitunter Unbequeme, dennoch — so habe ich ihn we- nigstens erlebt — stets Toleran- te, aber Zupackende, eigene Wege immer suchend, schreitet hier noch einmal seine Land- straßen, Sackgassen und Sand- wege ab, die schmalen, stillen Pfade, die anscheinend nir- gends hinführen, Resignation mitunter zeigend, auch Trauer über das Nichtmögliche, das Da- hinschwindende und wohl auch Versinkende, dennoch auch das Glück dieses Daseins fassend.

Sein Alltag, der vorüberzieht, Monat um Monat, Jahr für Jahr, ist mehr als Alltag. Er ist ein Stück Leben in einer Sprache, die Literatur ist, dem Einfachen behutsam zugewandt, von trok- kenem Humor mitunter gestärkt, nicht wehleidig, wohl aber das Dasein in seinen Kernelementen und Wechselwirkungen su- chend. In knappen Strichen ge- lingen kräftige Bilder, frische Gedanken und Formulierungen jenseits des Gewöhnlichen. Der

Vielseitige und Vielgebildete vermag viel einzubringen, mehr zu sehen, zu hören, zu erleben als andere, die scheinbar glei- chermaßen ausgestattet sind. Im rechten Augenblick vermag er zuzugreifen. Eine besondere Sensibilität, die sich mit zuneh- mendem Alter noch verstärkt hat, kommt hinzu. Rengshausen im Knüllwald — wer hat früher davon gehört? — ist ein Stück Welt, einer besonderen Welt durch ihn und mit ihm, ein Mi- krokosmos, der den Makrokos- mos spiegelt."

Paul Lüth ist seit 1963 als Land- arzt niedergelassen, hat in vie- len Veröffentlichungen in Fach- und Tagespresse Stellung zur Entmenschlichung in der mo- dernen Medizin bezogen. Ne- ben zahlreichen anderen Aktiv!

täten ist er Moderator der Sen- dereihe „Soziale Brennpunkte"

des Hessischen Fernsehens und Herausgeber der Buchreihe „In- terdisciplina". Die Universität Mainz und die Gesamthoch- schule Kassel bestätigten seine Kompetenz in Fragen der So- zialmedizin durch die Ernen- nung zum Honorarprofessor.

Zum Gedenken Hans Carossas Auf die Dankesreden beider ausgezeichneter Autoren folgte ein informativer Festvortrag Pro-

fessor Theopolds über Hans Ca- rossa. Der Zeitgenosse von Ril- ke und Hesse war zeitlebens der Archetyp des schreibenden Arz- tes, zerrissen in der Zweigleisig- keit zwischen seiner schriftstel- lerischen Neigung und dem Be- ruf, den er als Wunsch seines Vaters ausübte. Der Vater, einer

„jener frommen, alten Ärzte"

voll Größe und Güte, voll intuiti- ver Sicherheit gegenüber sei- nen Patienten, wollte die Träu- mereien seines Sohnes in rea- listische Bahnen lenken. Trotz oder gerade ob der Ausstrah- lung dieser Idealfigur, brauchte Carossa bis zum Tode seines Vaters, um sich wirklich als Arzt zu fühlen. Im Umgang mit Schwindsüchtigen, „für die es nur Trost, Erleichterung und fal- sche Hoffnung gibt", wurde sei- ne Sensitivität geschult, die er 1938 in einer Rede vor Goethe- Verehrern mit „Verzicht auf Ge- walt, Pazifismus und Weisheits- betonung" resümierte.

„Verwirkliche Werte" statt „ver- wirkliche dich selbst" hieß es an diesem Vormittag bereits in ei- ner von Paul Lüth formulierten Maxime, die „Zugewandtheit und Mitleidenschaft" sei es, die Ärzte mit der Literatur verbin- det. Ohne Zweifel war dies für Hans Carossa ebenso wie auch als Grundtenor des Verleihungs- tages charakteristisch.

Christian Köhl 2186 (74) Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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