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Archiv "Zeitenwende in der Medizin (III): Ernst nehmen" (05.06.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BRIEFE AN DIE REDAKTION

Zu dem gleichnami- gen Artikel von Dr.

med. Friedrich Wein- berger in Heft 8/1985, Seite 480 ff.:

Mutig

Der Kollege Weinberger ist zu seinem mutigen Artikel

„Zeitenwende in der Medi- zin" zu beglückwünschen, in dem er das bestätigt, was allerdings schon viele wissen: Wenn Sie Orwell und Huxley gelesen haben, können Sie sich den Rest schenken. Dabei wird aller- dings der dritte große Pro- phet unserer Zeit verges- sen, der Pole Stanislaw Lem. Er beschreibt in sei- nen Büchern die Auftei- lung der Menschheit in Mächtige und Ohnmächti- ge, zwischen beiden Grup- pen bestehen keinerlei Be- ziehungen mehr (also auch keine Stimmscheine und Steuererklärungen). Nie- mand weiß mehr (genau), wer die Mächtigen sind, wo sie wohnen und was sie tun. Von Zeit zu Zeit expe- rimentieren sie mit Ohn- mächtigen unter der Tar- nung von „Gesetzen", zum Beispiel, indem sie eine Antimaterie-Schleuder auf sie richten, die die Ohn- mächtigen in kleine schwärzliche Flocken ver- wandelt, die langsam zu Boden sinken.

Die Mächtigen in der BRD experimentieren (noch) mit Kostendämpfung und variablen Abtreibungsge- setzen, mit deren Hilfe sie die mittlere Lebenserwar- tung und die Bevölke- rungsdichte „einregulie- ren".

Im Jahre 1 nach Orwell ist der Verfasser — Arzt für Neurologie und Psychia- trie Psychotherapie — aller- dings, wahrscheinlich oh- ne es zu merken, selbst ein Opfer der Fordschen Dok- trin geworden. Er über-

sieht zum Beispiel total die humanistischen Psycholo- gien. Diese gehen be- kanntlich nicht davon aus, daß der einzelne ein hilf- loses Opfer seiner ge- wöhnlich als mißlich konzi- pierten ödipalen Situation ist, sondern aufgrund sei- ner OKness zu respektie- ren ist und andere respek- tiert. Diese Grundhaltung paßt natürlich nicht in das Konzept der Mächtigen, die deshalb die humanisti- schen Psychologien verfol- gen und mit der Geldpeit- sche züchtigen lassen (gleich nach den russi- schen Psychiatern).

Ein bißchen Freiheit (Gleichheit und Brüder- lichkeit) gab es in Deutsch- land — unter dem Eindruck des Totalen Krieges ein- schließlich Totaler Nieder- lage — bis zum Ende der sechziger Jahre. Danach errichteten die Mächtigen in der BRD und WB den Totalen Verwaltungsstaat, dessen Ende (noch) nicht abzusehen ist.

Dr. med. Lothar Sattler Ortwinstraße 19 1000 Berlin 28

Schwarzweißes

Hier die edlen Fische: Ka- pitalismus — Kommunis- mus — Konsumismus — Po- sitivismus — Nihilismus.

Hippokrates blickt besorgt auf Elektrophorese, mori- bundes Röcheln unter Intensivapparat, aber noch schöne Kurven. Die Kon- quistadores machten Süd- amerika kaputt — mea cul- pa, die Kolonialherren zer- störten Afrika — pater pec- cavi. In Nordamerika leb- ten einmal Indianer, natür-

Schwarz- weiß-Wieder- gabe des Titelbildes von Heft 8/1985 des Deutschen Ärzteblattes

lich Wilde, der cowboy — overkill schafft auch den Rest der Welt. So geht das Fischvolk einer sicheren Zukunft entgegen und al- les trieft von der Ethik des Abendlandes!

Nun kommen die Wasser- männer, Psychedelika, Promiskuität, sanfter Ter- ror — schlimmster Terror, Matriarchat und Schöne Neue Welt, Manipulation auf jedem Gebiet, das al- les: vielleicht, eine unge- wisse Zukunft!

Aber warum so schwarz- weiß, Herr Weinberger?

Christliche Ethik, gelehrt von Franz von Assisi, der Eid des Hippokrates wört- lich, keine Panikmache vor Infarkt, Krebs und Pflege- fall, Wendezeit von Capra, Wendezeit zu einem Men- schen, der in der Schöp- fung mitlebt, Übergangs- zeit, Symbiose für Fisch und Wassermann, Pastell- farben, eine ungewisse, aber vorerst die einzig mögliche Zukunft.

Dr. med. Fritz Hegemann 6551 Fürfeld

Ernst nehmen

Weinbergers Betrachtun- gen zur Abkehr vom hip- pokratischen Denken sind sehr ernst zu nehmen . Ein klassisches Beispiel dieser neuen, semanti- schen Encephalomalazie liefert Walter Jens, missing link — wenn man ihm glau- ben will — zwischen Wis- senschaft und Moral. Er verwendet den Namen des Hippokrates nur als Gleit- mittel, um die Ablehnung der „Katastrophenmedi- zin" einzuführen (Deut- sches Ärzteblatt 17/84).

Und nur seine anakonda- haft verknäulte Syntax hin- dert seine Zuhörer heraus- zufinden, daß er ihnen Lo- gorrhoe statt Logik auf- tischt. Im Ernstfall mutet er dem Arzte zu, daß dieser auf Überlebende stößt und sich als nicht-zuständig er- klärt. Die lästige Frage, wer des Menschen Nächster sei, wird von Jens dahin beantwortet, daß es im Zei- chen der „One World" ein- fach keine Fernsten mehr gibt — mit dem Gleichnis vom Samariter ist die „re-

Zeitenwende

in der Medizin (III)

1742 (10) Heft 23 vom 5. Juni 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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O

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Zeitenwende

Kinderform

ab 1. Juli '85

votutionäre Praxis solida- risch handelnder Subjek- te" gemeint. Fernziel der propagierten Verweige- rung ist es, eine ganze Menschheit „auf die Ebe- ne einer zweiten, von Zwängen und Fremdbe- stimmungen befreiten Na- tur zu heben": Walter Jens macht den Arzt — jenseits der Heilung von Menschen

— für das Heil der Mensch- heit zuständig. Soweit es um Worte geht, ist damit der Übergang vom hippo- kratischen zum messiani- schen Denken vollzogen.

Die der hippokratischen Ethik eigentümliche Ver- antwortung für jeden ein- zelnen Patienten verblaßt vor dem Kolossalgemälde einer iatrogenen Welt-Er- lösung: Walter Jens macht es dem Arzt zur höheren Pflicht, die Ängste seiner Patienten nicht zu lindern, sondern anzuheizen. Sie sollen — ganz im Sinne des Sozialistischen Patienten- kollektivs — dem Energie- bedarf jener Revolution zugute kommen, die Jens mit seiner „Politik als Me- dizin im Großen" in Wahr- heit meint.

Im Mittelalter hatten Schußwunden eine so schlechte Prognose, daß das Schießpulver lange für giftig gehalten wurde. Der große und mutige französi- sche Chirurg Ambroise Pa- re (1510-90) aber beharrte darauf, daß der Arzt dem Patienten gegenüber seine Pflicht tun muß, auch wenn er alle Anzeichen des To- des vor sich hat". Beson- ders an die jungen Kolle- gen richtete Pare die Bitte,

„die armen Patienten nie unbehandelt zu lassen, was für große Wunden und sonstige Veränderungen sie auch haben mögen"

denn „Barmherzigkeit müssen wir gegeneinan- der üben nach Gottes Ge- bot".

Wo sich Walter Jens in der Utopie einer „Medizin im Großen" ergeht, da hält

sich der hippokratische Arzt an die Barmherzig- keit!

Dr. med.

Johannes Hufschmidt Medizinal-Direktor i. R.

Hossenhauser Straße 64 5650 Solingen 1

Entwertung menschlicher Werte

Friedrich Weinberger spricht von einem Zeiten- wandel, wenn er den Ab- sturz aus der Hippokrati- schen Ethik an vielen Bei- spielen belegt.

Ich würde nicht von einem Zeitenwandel, sondern von der Entwertung mensch- licher Werte sprechen.

Den Eid des Hippokrates sehe ich als einen Teil der Gebote aller großen Reli- gionen, die ein Zusam- menleben der Menschen in Frieden und Freiheit ermöglichen. Weinberger hat dankenswerterweise gezeigt, auf welchen Ge- bieten heute gegen die Forderungen dieses Eides verstoßen wird.

Uns wird ein erschrecken- des Bild der Gesellschaft vorgeführt, wirklich „jen- seits von Freiheit und Wür- de". Für mich als alten Arzt und Geburtshelfer war im- mer die legalisierte Abtrei- bung aus sozialer Indika- tion verwerflich, in einem Land, das reich ist und ho- he Sozialleistungen bietet.

Jede Abtreibung ist ein Mord am ungeborenen Le- ben, auch wenn Juristen es nicht so nennen. Vielleicht wird mancher nachdenk- lich, wenn er den amerika- nischen Film sieht, der die verzweifelte Abwehr des Föten während einer sol- chen Abtreibung zeigt. Der abtreibende amerikani- sche Arzt wurde bekehrt, aus einem Saulus wurde ein Paulus. Vielleicht wer-

1744 (12) Heft 23 vom 5. Juni 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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