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Archiv "Zeitenwende in der Medizin?" (20.02.1985)

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Gefahren eines sich ausweiten- den Verarbeitungs- und Kommu- nikationsdranges mit Hilfe der EDV mutmaßt Simitis in dem Ma- ße, wie die Krankenkassen ihren allgemeinen Auftrag zur Sicher- stellung der Gesundheit immer mehr auch auf präventive Ge- sichtspunkte verlagern. Eine auf die Prävention bedachte Informa- tionspolitik der Krankenkassen weite tendenziell eine bislang auf medizinische Angaben be- schränkte Datenverarbeitung aus, konstatierte Simitis. Denn: "Ganz abgesehen davon verstärkt eine auf präventive Ziele gerichtete Verarbeitung die multifunktionale Verwendung der Daten und er- schwert damit erneut eine verläß- liche Beschreibung der Verarbei- tungsanlässe und -inhalte."

Fallbezogene Angaben genügen So sehr es einzusehen ist, daß ein Rückgriff ausschließlich auf an- onymisierte Daten keine noch so reflektierte Kostendämpfung zu machen wäre, so muß man auch den Datenschutzbeauftragten zu- gestehen, daß sie sich auf ihren verfassungsrechtlich bestätigten Auftrag des "vorbeugenden Rechtsschutzes" berufen. Danach sollen alle Betroffenen der "Ra- sterung" - in erster Linie die Pa- tienten - rechtzeitig über Anlaß, Mittel und Ziele der Datenverar- beitung informiert werden. Dies

sei "die unabdingbare Vorausset-

zung einer rechtlichen Zulässig- keit''. Insofern hat der Daten- schutz eine präventive Funktion. Der uneingeschränkte Rückgriff auf personenbezogene Angaben läßt sich, so Simitis resümierend, auch durch keine noch so weit hergeholten Gemeinwohlziele rechtfertigen. Stets müsse geprüft werden, ob und in welchem Um- fang sich die Ziele der Modellver- suche auch mit fallbezogenen An- gaben, Daten also, die keinen Ver- sichertenbezug aufweisen, errei- chen lassen.

Dr. Harald Clade

Kampagnen für die Abtreibung und für das " humane Ster-

ben " , vielerlei Psyche-Techniken , Drogenkonsum und Psych-

iatrie-Mißbrauch- gibt es einen geistigen (ideologischen) Zu- sammenhang, der solche , uns heute geläufigen Erscheinun- gen verbindet? Der Verfasser sieht jedenfalls Indizien dafür.

Zeitenwende in der Medizin?

Friedrich Weinbarger

ln einem vielbeachteten Beitrag hat Wolfgang Furch 1981 in dieser Zeitschrift (1) die Stellen aufge- zeigt, an denen die Ethik der Me- dizin heute herausgefordert und einmal mehr hier, mehr einmal da, letztlich aber zur Gänze im Wan- del begriffen wäre. Nachdem die hippokratische Ethik mehr als zweitausend Jahre überdauert hätte, erwiese sich ihr Wandel nach dem Absturz, den sie im Na- tionalsozialismus erfuhr, heute weltweit in der Beteiligung von Ärzten an der Tötung Mißgebilde- ter und unheilbar Kranker, an der Abtreibung auf Wunsch*), an der Gen-Manipulation, an Folter und Exekution, an der Zwangsernäh- rung, an der Durchbrechung der Schweigepflicht und am Miß- brauch der Psychiatrie zur Unter- drückung Andersdenkender**).

Der Wertewandel, nicht nur in der Medizin, in ihr jedoch besonders, ist in aller Mund. Manchmal wird er bedauert, öfters begrüßt. Als so einschneidend wird er einge- schätzt, daß in ihm auch der Auf- takt eines neues Zeitalters gese- hen wird, "Zeitalter des Wasser- manns" vielfach geheißen. Was mit dem Terminus gemeint ist - mit Lues-Diagnostik hat er nichts zu tun -, begegnete dem Autor erstmals bei Egon Friedell {3) - Carl Gustav Jung hat ähnliches in seiner "Antwort auf Hiob" geäu- ßert (4): Etwa alle zweitausend- zweihundert Jahre träte der Welt- laut gegenläufig zum Zodiakus unter ein neues Sternbild. Das

Zeitalter der Fische sei in unseren Tagen zu Ende gegangen, das des Wassermanns habe begonnen.

Die Fische symbolisierten das (westliche} Christentum, in dem die Grundströmung der Men- schen inklusive aller Gegenströ- mungen unter der Zusage der Gottesebenbildlichkeit dem Gott-

ideal entgegen zur Würde des

Menschen, zur Heils- und Reichs- idee, zur Mitmenschlichkeit und Logik hinging ("Im Anfang war der Logos ... " Joh. 1,1 ). Die hippo- kratische Ethik, in der christlichen aufgehoben, gebot denn auch, dem physischen Menschen zu helfen und doch vorrangig das Metaphysische, Unverfügbare in ihm zu achten. Um wieviel anders etwa hätte der Beschluß des Deut- schen Ärztetages 1981 zur Zwangsernährung ausgesehen, wäre es für uns Ärzte damit be- wandt, für "Wohlbefinden", "Le- bensqualität", zu sorgen? Was

")Hier hat auf Betreiben der Amerikaner die World Medical Association im Okto- ber 1983 das Genfer Gelöbnis geändert und den Schutz des Lebens .. von der Empfängnis an"" zu einem Schutz .. von Anbeginn an"" relativiert.

--)Gegen ihn hat sich insbesondere auf bri- tisches Drängen die Weltgemeinschaft der Psychiater gewehrt, hat im Januar 1983 sogar den Rückzug der belasteten sowjetischen Fachgesellschaft aus ih- rem Weltverband erzwungen. Wer aber die Auseinandersetzung um dieses Pro- blem etwa in der FAZ verfolgt hat (2), weiß, wie groß doch mancherorts die Neigung der Psychiater zum Herunter- spielen war.

,.. Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis im Son- derdruck.

(2)

DÄ-Karikatur: Josef Partykiewicz

wäre auch gegen die Psychiatri- sierung Andersdenkender, denen damit vielleicht „Schlimmeres"

(Straflager etc.) erspart bliebe, einzuwenden, hätte sich nicht die Idee von der Würde des Men- schen über christliche Generatio- nen hinweg in uns Ärzten festge- setzt?

Abkehr

von der hippokratischen Ethik Außer in den genannten Berei- chen scheint eine Abkehr von der hippokratischen Ethik aber noch in weiteren auf, so in der Beteili- gung von Ärzten an der Verklä- rung und damit an der Verbrei- tung des Rauschgifts: Wenn An- fang 1984 die Drogenkontrollmis- sionen der Vereinten Nationen in Wien die Drogensucht einer „in manchen Ländern Westeuropas entstandenen falschen Toleranz"

anlastete, so geht die Toleranz nicht nur aufs Konto einiger Regierungen und Medien von

„Stern"- und „Spiegel"-Zuschnitt, sondern wohl auch aufs Konto ei- niger Experten, auf die jene sich meist ja beriefen. Sätze wie

„Wann werden wir uns mit unse- rem Vorurteil gegenüber der staatlich regulierten Ausgabe von

Heroin oder Methadon (Polami- don) konfrontieren?" (5), Vorla- gen quasi für Amsterdam, sind so ungewöhnlich für heutige Fachli- teratur nicht, wo Noxen, an denen junge Menschen in Not und Tod stürzen, teilweise noch als thera- piefördernd, ja bewußtseinserwei- ternd erklärt werden (6).

Ein weiteres ethisches Problem hat sich in der Psychiatrie in jenen neuen Lehren verdichtet, die neue Behandlungsmöglichkeiten versprechen, ohne ihre Wirkun- gen je dargelegt zu haben. Von Anfang an, zumindest aber seit- dem es beobachtende Wissen- schaft gibt, haben die Ärzte die ra- tionale Fundierung ihres Han- delns gesucht. Wohl wissend, daß sie damit nicht alle Menschen und nicht den ganzen Menschen errei- chen, im Wissen auch, daß so für Magier und Scharlatane Platz in der Heilkunde bleibt, vom Bestre- ben aber beseelt, selbst möglichst vielen Menschen möglichst zuver- lässig zu helfen (Hippokrates:

Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil), haben unsere ärzt- lichen Vorfahren die Effizienz ih- res Tuns überprüft. Im Kontakt mit

der Klinik und Praxis anderer Fachbereiche erleben wir auch heute noch, wie hingebungsvoll sich unsere Kollegen dort in der Regel um die rationale Absiche- rung ihrer Diagnostik und Thera- pie mühen. Im seelenheilkund- lichen Bereich aber kursieren in nicht mehr überblickbarer Zahl

„Psycho-Technologien", „psy- chosoziale" Einrichtungen, Wei- sen und Bestandteile einer „Neu- en Psychiatrie", von denen alle- samt mehr bewußtseinsverän- dernde als therapeutische Kraft ausgewiesen ist. Die Frage der Redlichkeit der Medizin ist aufge- worfen.

Dabei stellt sich das Problem der Psychiatrie-Reform und „Neuen Psychiatrie" ähnlich bereits in der gesamten Medizin. Treten hier doch mittlerweile in kaum gerin- gerem Schwall „Alternativen" auf, die allenthalben in der Presse, der Öffentlichkeit, in Präsidenten- und in Königshäusern und in Teilen auch der Ärzteschaft hochgelobt werden, obwohl ihre Wirksamkeit dahinsteht***). Am „Verhältnis von

‚Schulmedizin' und ‚Naturheilkun- de' in historischer Sicht" wurde uns jüngst erst in dieser Zeit- schrift (5) ins Gedächtnis gerufen, mit welchem Feuer unsere Be- rufsvorgänger um die Verbesse- rung der Heilkunde rangen.

Selbstverständlich nahmen sie auf, was sich von den Verfahren der Außenseiter bewährte. Dafür aber, daß sich die Medizin vom Aberglauben löste, legten sie je- nen notfalls auch die loderndsten Fehden hin, wie sie sich ja auch innerhalb der „Schulmedizin",

Für die „Naturheilkunde" wurde kürzlich (6) die Wirksamkeit von Digitalis, Mor- phin, Kodein, Insulin und „einer guten Hundertschaft" von Heilkräutern ange- führt. Der Wirksamkeitsnachweis für die- se Mittel gehört aber zu den besonderen und (wie Witherings Arbeit von 1785) zu den frühesten Glanzleistungen der

„Schulmedizin". Für Digitalis, Insulin oder die physikalischen und diätetischen Einwirkungen, für die der Terminus „Na- turheilkunde" gemeinhin steht, wären Kampagnen, wie sie jetzt für die „Alter- nativmedizin" laufen, kaum nötig. Sie braucht und gibt es offensichtlich allein, um „Therapie"-Verfahren Anerkennung zu verschaffen, für die ein Wirksamkeits- nachweis eben nicht vorliegt.

(3)

den Kranken, ihren Patienten, zu- gut, vor deutlichen Worten nicht scheuten. Man denke nur an Para- celsus' Adresse an die Basler Me- dizinische Fakultät, an die von Semmelweis an die Professoren für Geburtshilfe seiner Zeit. Heute werden solche den Aufschwung der Medizin begleitenden, die Ärzte auszeichnenden Einsätze zu

„Glaubenskriegen" herunterge- spielt, die „immer zu Lasten der Patienten gehen" und „dem An- sehen der Medizin schaden" sol- len (6). Der wissenschaftliche Schriftleiter des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTS schrieb, es sei das

„besondere Anliegen" des Blatts (immer gewesen), „die Meinun- gen und Methoden der wissen- schaftlich orientierten und der na- turheilkundlich ausgerichteten Ärzteschaft mehr und mehr zu- sammenzuführen" (5). Die Frage der Wirksamkeit der „nicht wis- senschaftlich orientierten" Ver- fahren tauchte gar nicht mehr auf.

Brave New World dämmert herauf So verschieden aber die Heraus- forderungen der ärztlichen Ethik und zum Teil auch die Plätze ihres Vorkommens sind, es scheinen nach geläufigen Zukunftsentwür- fen in ihnen doch gemeinsame Li- nien auf. Brave New World (9) zeichnet sich ja gerade aus durch die Selbstverständlichkeit

> „humanen Sterbens", Tötens (in attraktiven Sterbehospitälern, TV und Stereo an jedem Sterbe- bett), „Death Conditionings" und gemeinnützlicher Leichenverwer- tung),

• uneingeschränkter Abtreibung (in superschicken Abortion-Cen- ters, pinkfarben, dienstags und freitags flutlichtbestrahlt),

> großzügigster Gen-Manipula- tion einschließlich eines entwik- kelten Menschen-Klonierens,

• staatlich regulierter „Some"- Versorgung und reichlichen Rauschgiftkonsums,

• lebenslänglicher Bewußtseins- manipulation mittels Drogen, ge-

zielter aber noch mittels entwik- kelter Psycho-Technologien und Institute („Neo-Pawlowscher"

Einrichtungen, „Reconditioning Centers" etc.) und mittels ständi- ger Verfütterung von sensations- gebläht-bewußtseinglättendem Seichtstoff (Orwell: „Proles- stoff"), von Sex, Crime, Klatsch und Hokuspokus-Medizin durch

„Gamma-Gazetten", „Epsilon- Mirrors" etc.

Der Einsatz der Medizin zu Folter und Exekution, der Psychiatrie zur Unterdrückung Andersdenkender gehört gewiß eher zu Orwell, ob- wohl auch solcher Mißbrauch als

„humanisierter Strafvollzug" bei Huxley gut Platz hätte. Auch sind die Möglichkeiten der totalen Überwachung (des „gläsernen Patienten" und Endes jeder Schweigepflicht), sind Orwells

„Neusprech" und sein „2 x 2 = 5"

vorangekommen. Oder hat die Unbekümmertheit, mit der die weithin unausgewiesenen, breit ins Okkultistische bis Absurde hineinreichenden Verfahren der

„Neuen Medizin" (einschließlich

„Neuer Psychiatrie") aufgenom- men wurden, mit Rationalität noch etwas zu tun? Offensichtlich ist der „Untergang der Logik"

großenteils schon da, der nach Friedell dem Ende des Fische- Zeitalters eignet. Dennoch aber weisen auch 1984 die Zeitzeichen überwiegend auf die von Huxley beschriebenen Verhältnisse. Er selbst meinte ja, es wäre eine Mi- schung mehr aus seiner denn aus Orwells Zukunftsvision, die uns erwartete — „just behind the next corner" (10).

Die sanfte Verschwörung des Wassermanns

Daß es auf den verschiedenen Fel- dern des Wertewandels einen Wirkzusammenhang gibt, zeigt ei- ne weitere aufsehenerregende Publikation, „Die sanfte Ver- schwörung — Persönliche und ge- sellschaftliche Transformation im Zeichen des Wassermanns" der kalifornischen Sozialpsychologin Marilyn Ferguson (11): „Ein füh-

rerloses, aber dennoch kraftvolles Netzwerk arbeitet", so schreibt sie, „um in dieser Welt eine radi- kale Veränderung herbeizufüh- ren. Seine Mitglieder haben sich von gewissen Grundkonzepten westlichen Denkens losgesagt und dabei möglicherweise sogar die Kontinuität der Geschichte durchbrochen ..." Dem anhän- gend preist Ferguson die Werte- änderung — insbesondere der Tö- tung, der Abtreibung, den „Psy- chedelics", den Psycho-Techno- logien und der Alternativ-Medizin gegenüber. Auch und gerade in den „neuen Paradigmen" hier scheine das „Zeitalter des Was- sermanns" auf — was sich aus- zugsweise zum Beispiel so liest (Übersetzungskorrekturen und Zusätze in Klammern überwie- gend vom Autor):

Die historische Bedeutung der Psychedelika als Einstiegsmit- tel ... kann nicht hoch genug ein- geschätzt werden. Für Zehntau- sende von Ingenieuren, Chemi- kern, Psychologen und Medizin- Studenten ... stellten Drogen ...

die Einreisegenehmigung für Xa- nadu (amerikanische Metapher für das Paradies) dar ... Die dro- genfreien Psychotechnologien bieten (dazu) eine kontrollierte und stetige Bewegung auf jene umfassende Wirklichkeit hin. In den Annalen der Verschwörung des Wassermanns finden sich un- zählige Berichte von Übergängen:

von LSD zu Zen, über LSD nach Indien, von Psilocybin zur Psycho- synthesis. Welche Herrlichkeiten die Pilze und getränkten Zucker- würfel auch immer enthielten"

(sage jemand, Rauschgiftverherr- lichung gebe es nicht), „sie waren nur ein flüchtiger Blick, sozusa- gen eine Vorschau ..." Speziell aber zur Medizin, der solche

„Übergänge" ganz besonders zu- gedacht sind: „... Ein wesent- licher Bereich der Gesellschaft, das Gesundheitswesen, hat be- reits begonnen, eine einschnei- dende Veränderung durchzuma- chen .. . die Transformation eines Berufsstandes (des ärztlichen) läßt sich an dessen führenden

(4)

Vertretern erkennen, an der star- ken Wirkung der neuen, aus der Wissenschaft kommenden Model- le ... Wir können die Macht einer ausgerichteten Minderheit beob- achten, einen Paradigmenwech- sel zu beschleunigen, die Macht der Medien ... unsere Vorstel- lung von Gesundheit und unsere Erwartungen zu ändern ..."

Nun wurde die „Wassermann- Zeit" von Friedell und Jung durch- wegs dunkel, ja apokalyptisch ge- zeichnet, und auch Huxley, der ihr zum Teil seltsamen Reiz abge- wann, stellte heraus, daß seine

„Schöne" Neue Welt eher ein Alp- traum (a „nightmare") wäre. Noch schillernder aber Ferguson. Ihre Flüge führen durchwegs in eine lichte (grüne) Zukunft, und nur zwischen den Zeilen klingt an, daß auch „Xanadu" eher luziferisch gedacht ist. In gleicher Weise aber folgt aus Huxley und Fergu- son, daß die „neue Zeit" nicht aus den Wolken fällt. Die Dame, die of- fensichtlich weiß, wovon sie spricht, spricht immerhin von ei- ner Conspiration und erläutert:

„Die Verschwörung des Wasser- manns erstreckt sich über alle so- zialen und intellektuellen Schich- ten. Es finden sich hier ... führen- de Persönlichkeiten der Medizin, des Bildungswesens, der Rechte, der Psychologie ..." Die Ver- schwörer (oder sind es selbst nur Verführte?) „befinden sich in Fir- men, Universitäten und Kranken- häusern, in Lehrerkollegien, in Fa- briken und Arztpraxen, in Bundes- und Staatsämtern, in Stadträten und an Regierungssitzen, bei ge- setzgebenden Organen, bei ge- meinnützigen Organisationen, im Grunde genommen in allen Berei- chen des Landes, wo Politik ge- macht wird."

Handlungsvorlagen für neue Tyrannen

Nun könnte es verständlicher ge- worden sein, warum ein Wert- und Paradigmenwechsel vom Ausmaß einer Zeitenwende dabei ist, Wirk- lichkeit zu werden. Noch deut- licher freilich waren Huxley und

Orwell bereits, die nicht von ei- nem „führerlosen Netzwerk", sondern sehr wohl von Führern,

„Superiors", „Rulers", „World Controllers", vom „Big Brother"

sprachen, ohne deren bestim- mendes Zutun „nightmares", wie sie sie entwarfen und wie sie un- ter uns weithin jetzt Platz greifen, nicht möglich und kaum denkbar sind. „1984" und „Brave New World" sind allem Anschein nach weniger „Romane", als die sie auftreten, weniger auch Warnun- gen vor neuen Tyranneien als viel- mehr Handlungsvorlagen dazu —

„violent" die eine (eher östliche),

„by inflicting pain", sanft oder

„semiviolent" die andere „by in- flicting a hardly less humiliating pleasure" (10).

Der Einsatz der Gen-Technik zur Herrschaft, so Huxley, sei fernere Zukunftsmusik. Aber auch die

„Euthanasie", die Abtreibung, die sexuelle „Emanzipation", die Auf- lösung der Familien wie aller tie- feren menschlichen Beziehungen, der Einsatz des Rauschgifts und der Psycho-Technologien werden bei ihm als Machtmittel gehandelt und als solche verfolgt. Das Inter- esse der „Ruler" sei, „at all costs to keep their subjects from ma- king troubles""***) (10) und des- halb sie „small and backward" zu halten (9). Das „neue mittelalter- liche System", in das es gehe, werde durch schön-neu-weltliche Annehmlichkeiten wie „infant conditioning", „drug-induced eu- phoria" etc. annehmbarer ge- macht ..., „but for the majority of men and women, it will still be a kind of servitude" -- ) "(10). Es werde im Vergleich zum Hitler'-

****) Die Rolle der Ärzte unter anderem dabei:

We preserve them from diseases.

We keep their internal secretions artifi- cially balanced at a youthful equilibrium.

We don't permit their magnesium-calci- um ratio to fall below what it was at thirty.

We give them transfusions of young blood ... Youth almost unimpaired till sixty, and then, crack! the end" (9).

*****) In seinem Buch „My Life and my Work"

schrieb Henry Ford, nach dem das neue Zeitalter „A. F." („after Ford") bei Huxley benannt ist, daß für die Menschen gut gesorgt werden sollte. Nur eigenen Ein- fluß auf ihre Lebensbedingungen sollten sie nicht haben.

schen und Stalin'schen ein

„more efficient dictatorship" sein.

Bleibt noch der Frage nachzuge- hen, welche Rolle in dem Konzept die „Neue Medizin" spielt, die bei Huxley (mit Ausnahme der Psy- cho-Technologien) noch keine, bei Ferguson und in der heutigen Publizistik allgemein aber eine so eminente Rolle spielt und die uns mehr noch als von der eigenen Standespresse von jenen Blättern angedient wird, die industriebe- zahlt täglich ungebeten auf unse- re Schreibtische flattern. Anschei- nend wird sie propagiert, weil ihre

„ganzheitliche" Orientierung alle Bereiche menschlichen Lebens zugriffig macht, zum anderen aber, weil mit ihr neue, von ärzt- licher Tradition „unbelastete" Be- rufsgruppen in die Therapeutik eingeschleust und mit ihnen wie- der die hippokratischen Positio- nen der Ärzte, soweit sie noch ste- hen, weiter unter Druck gesetzt und überwunden werden können.

... jenseits

von Freiheit und Würde

.. Zum Menschen qua Men- schen", schrieb der Psychologe

Burrhus F. Skinner, Kopf der neu- erdings auch kassenärztlichen

„Verhaltenstherapie", „sagen wir leichthin: Fahr ab. Nur indem wir ihn absetzen, können wir zu den realen Gründen menschlichen Verhaltens gelangen. Nur so kön- nen wir vom Unterstellten zum Beobachteten, vom Wundervollen zum Natürlichen, vom Unzugäng- lichen zum Manipulierbaren kom- men. So vorgehend müssen wir den überlebenden Menschen als bloßes Tier behandeln ..." (12).

Ein neues Menschenbild „jenseits von Freiheit und Würde" und eine ihm entsprechende Heilkunde, ei- ne Art Veterinärmedizin sind's offensichtlich, auf die unsere

„Transformation" zielt. Wenn es so ist, daß sie höherer Entschei- dung entspringt, so erstaunt es nicht mehr, daß auch genügend Ärzte ihr anhängen und „Wasser- männisches" selbst in den ange-

(5)

gend Ärzte, verschworene oder verführte, sich finden, die mittun.

Eine „Transformation" scheint aber nicht nur durch Medizin und Medien, sondern insbesondere auch durch die Parteien zu gehen.

Die Psychiatrie-Reform, die mit den neuen Psycho-Technologien die „psychosozialen" Einrichtun- gen dazu, Ambulatorien, Sozial- psychiatrische Dienste, und mit ihnen wieder in großem Umfang die Sozialisierung des Faches ge- bracht hat, wurde von niemandem hartnäckiger als den Unionspar- teien verfolgt. Auch in den aktuel- len Szenen der Abtreibung, der

„Euthanasie", des Rauschgifts, der heilkundlichen Vorspielungen usw., in denen auf das „C" doch Erwartungen gerichtet waren, ist weiter „Zeitenwendisches" zwar, nur sonst keine Wende zu sehen.

Es scheint, als sei tatsächlich „in allen Bereichen des Landes, wo Politik gemacht wird," ein konspi- ratives Moment im Zeichen des Wassermanns wirksam.

Wie viel oder wenig an den Astro- logie- und Verschwörungsge- schichten aber auch sein mag, die neuen „Paradigmen", neuen

„Werte", kommen von allen Sei- ten auf uns zu. Und da sie das In- nerste unseres Arzttums berühren und „böswillige Herrscherinstink- te" (18) hinter ihnen nicht ausge- schlossen sind, müssen wir uns mit der „Zeitenwende" und ihren möglichen Hintergründen wohl weiter befassen. Solchen Instink- ten zuliebe werden doch viele von uns ihre ärztliche Identität und ein Wertsystem, das eine mehrtau- sendjährige Kulturentwicklung mitgetragen hat, nicht aufgeben wollen. Auch soll es doch dem- nächst nicht wieder heißen, wir seien aus einem geordneten Rechtsstaat heraus der Tyrannei anheimgefallen, obwohl fast alles vorher lesbar ausgedruckt stand.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Friedrich Weinberger Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Maximilianstraße 6

8130 Starnberg

LA-MED-Befragung

Ihr Urteil ist erneut gefragt!

In den kommenden Wo- chen und Monaten be- fragt die Arbeitsgemein- schaft LA-MED, in der die überregionalen und die regionalen medizini- schen Zeitschriften zu-

sammengeschlossen sind, erneut die Ärzte zu ihrem Leseverhalten.

Falls Sie zu den reprä- sentativ ausgewählten Ärzten gehören, die vom Untersuchungsinstitut IVE um ein Interview ge- beten werden, bitten wir Sie herzlich um Ihre be- reitwillige Mitwirkung.

Verlag, Redaktion und Herausgeber des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTS sind sehr daran interes- siert zu erfahren, wie Sie unser Informationsange- bot einschätzen und nutzen. Zur weiteren Verbesserung unserer Zeitschrift sind wir auf Ihr Urteil darüber ange wiesen, wie unsere Ar- beit bei Ihnen „an- kommt". Sie werden den Nutzen daraus zie- hen!

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.

Ihr

Deutscher Ärzte-Verlag

sehensten ärztlichen Organen auftaucht, neben vielfachen Für- sprachen für die „Alternativ-Medi- zin" hier etwas Haschischvernied- lichung (13) und da ein wenig Werbung fürs „humane Sterben"

(14) und dort ein Quantum Stim- mungsmache für die Psychiatrie- Reform (15) — selbst wenn deren therapeutischer Fehlschlag schon so offenkundig ist, daß sie in Ita- lien nun zurückgenommen wer- den muß. Vergeblich die Proteste, die solche Beiträge bei den Ärz- ten meist noch auslösen. In leicht veränderten Worten kehren sie einmal hier und einmal da doch immer wieder. „Tabu" ist nur das Thema Psychiatrie-Mißbrauch (16). Fast scheint es, als liefe mit uns das „social experiment", wie lange wir hippokratischen Wider- stand noch durchzuhalten vermö- gen.

Wertewandler

in allen Bereichen der Politik Erklärlich jetzt aber auch, daß sol- cher Widerstand in den allgemei- nen Medien noch weniger ankam.

Wie vordem die Kritik an der „Fri- stenlösung" werden heute Ein- wände gegen die „Alternativ-Me- dizin" heruntergesetzt (17). Wäh- rend der über zehnjährigen Aus- einandersetzung um die Psychia- trie-Reform kamen ärztliche Op- ponenten in der „freien" (oder doch eher „ausgerichteten"?) Presse nicht ein einziges Mal zu Wort! — Auch blieb die „Wasser- mann-Publizistik" eigenartig („neusprech"-artig) schillernd.

Töten lief unter Humanität, Rausch unter Bewußtseinserwei- terung; der Terror war „Schöne Neue Welt" und trat in solcher Weise, solchen Stücken auf, wie zu unserer „Konditionierung" tau- gen mochte, nicht umfänglicher, nicht anders, auf daß ja kein effek- tiver Widerstand aufkäme (?). Die dem „technical" und „social en- gineering" entnommene, wissen- schaftlich angelegte und deshalb vielleicht „effizientere Diktatur"

Huxleys kann schließlich nur ein- gerichtet werden, wenn ihr Sy- stem getarnt bleibt und — genü-

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