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Archiv "Krankenversicherung: Künftig niedrigeres Rücklagensoll" (30.08.1979)

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(1)

Krankenversicherung:

Künftig

niedrigeres Rücklagensoll

Die gesetzlichen Krankenkassen und Ersatzkassen sollen künftig statt zwei oder drei Monatsausga- ben nur noch eine halbe oder eine Monatsausgabe als Mindestrück- lage zur Deckung etwaiger Finanz- engpässe halten. Dies sieht ein Gesetzentwurf vor, den das Bun- deskabinett am 9. Mai verabschie- dete.

Durch die neuen Vorschriften sol- len künftig auch Betriebsmittel, Rücklagen und Verwaltungsver- mögen gegeneinander abgegrenzt werden. Die Krankenkassen sollen verpflichtet werden, in Zukunft zu- sätzlich zur Rücklage eine Be- triebsmittelreserve von bis zu ei- ner halben Monatsausgabe zu halten.

Wie der stellvertretende Regie- rungssprecher, Armin Grünewald, vor der Presse in Bonn erklärte, sollen mit Hilfe der Rücklage und der Betriebsmittelreserve Bei- tragssatzschwankungen der ein- zelnen Kassen während eines Haushaltsjahres möglichst vermie- den werden.

Er verwies darauf, daß die Kassen nach dem Gesetzentwurf ihre Rücklagen durchweg selbst ver- walten könnten.

Die Forderung, das Rücklagensoll der Krankenkassen auf ein Mini- mum abzuschmelzen, wird seit langem von den Ortskrankenkas- sen erhoben. Sie argumentieren, daß die bisher relativ hohen finan- ziellen Rücklagen vor Einführung der arbeitsrechtlichen Lohnfort- zahlung im Krankheitsfall (1970) in erster Linie als Absicherung für Epidemiezeiten erforderlich gewe- sen seien.

Nach Meinung von Krankenkas- senfachleuten seien finanzielle Engpässe praktisch nur noch bei den Betriebskrankenkassen infol- ge von Streiks mit Beitragsausfäl- len denkbar. HC

NIEDERSACHSEN

Landesfrauenklinik Celle aufgelöst

Nach fast zweihundertjährigem Bestehen ist die Landesfrauenkli- nik Celle, die zuletzt über rund 100 Betten verfügte, aufgelöst worden.

Der Staatssekretär im niedersäch- sischen Sozialministerium, Wer- ner Chory, begründete die Not- wendigkeit dieser Maßnahme da- mit, daß man Geburtshilfe und Frauenheilkunde nicht isoliert von anderen Fachbereichen, sondern mit allen Bereichen der Medizin eng verknüpft betreiben müsse, um die Mütter- und Säuglings- sterblichkeit weiter zu senken so- wie um die Früherkennung und umfassende Behandlung von Frauenleiden sicherzustellen. Der überwiegende Teil der Ärzte und des Pflegepersonals der bisheri- gen Landesfrauenklinik wird von der neuen gynäkologisch-geburts- hilflichen Abteilung des Allgemei- nen Krankenhaus Celle über- nommen.

Staatssekretär Chory rief aus die- sem Anlaß vor allem die Ärzte, Hebammen und Krankenschwe- stern auf, immer wieder für die

ECHO

Zu: „Bewährungsprobe" von Staatssekretär Prof. Dr. med. Fritz Beske in Heft 6/1979, Seite 333

Dezentrales System hat sich bewährt

„Während der Schneekata- strophe zum Jahreswechsel hat sich das dezentrale Sy- stem der gesundheitlichen Versorgung in Schleswig- Holstein bewährt. Das erklärt Staatssekretär Prof. Dr. med.

Fritz Beske vom Kieler So- zialministerium in einem Kommentar im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT ..." (ai in:

Ost-Holsteinisches Tageblatt Plön)

Früherkennungsuntersuchungen zu werben. Persönliche Gesprä- che könnten oft mehr Einsicht ver- mitteln und Bereitschaft wecken, erklärte er, als noch so gut aufge- machte Faltblätter. WZ

BAYERN

Klagen gegen

„bezahlte Abtreibung"

Die auf Initiative von Dr. Manfred Krätzschmar, Arzt für Allgemein- medizin in Wiesenfelden bei Straubing, konstituierte „Nieder- bayerische Ärzteaktion" hat mit ei- ner Informationskampagne gegen den Abtreibungsparagraphen 218 in der Öffentlichkeit große Reso- nanz gefunden: Innerhalb weniger Tage schlossen sich 150 Kranken- kassen-Mitglieder der Aktion an, um zusammen mit der Ärzte-Initia- tive gegen die „zwangsweise fi- nanzierte Abtreibung" zu prote- stieren. Inzwischen haben mehre- re Versicherte beim Sozialgericht in Landshut Klage gegen die Bar- mer Ersatzkasse (BEK) wegen der aus Mitteln der Krankenkassen

„bezahlten Abtreibung" einge- reicht. Die Gruppe, die die Klage unterstützt, will den Streit notfalls in die letzte Instanz, das Bundes- verfassungsgericht, tragen. Sie sieht in dem (novellierten) § 218 StGB „eine Verletzung der ein- fachsten Menschenrechte" und ei- ne den Zielen der Krankenversi- cherung widersprechende Ver- wendung kollektiv finanzierter Krankenkassenbeiträge.

Das zuständige Sozialgericht hat inzwischen verlautbart, frühestens im ersten Halbjahr 1980 das Ver- fahren zu eröffnen. Inzwischen hat die Pressestelle der Barmer Er- satzkasse in Wuppertal darauf hin- gewiesen, die Krankenkassen voll- zögen bei der Finanzierung der Abtreibung „nur einen Gesetzes- auftrag". Die Ersatzkasse bleibt al- lerdings auch bei ihrer Ansicht,

„daß eine Schwangerschaft keine Krankheit ist, folglich auch nicht die Abtreibung". HC

AUS DEN BUNDESLÄNDERN NACHRICHTEN

(2)

Die Barfußärzte seien jetzt drau- ßen auf dem Feld, erklärte uns der Leiter der Produktionsbrigade. Es war gerade die Zeit der Getrei- deernte, als wir seine Brigade in der Kommune „Sonnenstadt" na- he Tsingtau besuchten. Da wurde jedermann gebraucht. In China ist die Mechanisierung der Landar- beit noch nicht sehr weit gedie- hen: ein paar Traktoren, einige Pumpen in den Bewässerungsan- lagen, ansonsten wird alles mit Hand, Hacke und Harke gemacht.

Arbeitskräfte sind ja reichlich da.

So bot sich uns China bei der Ge- treideernte in „Sonnenstadt" auf den ersten Blick als „Land der blauen Ameisen" dar, als das es uns in Deutschland so oft geschil- dert wurde. Ein falsches Bild.

Schon auf den zweiten Blick merkt jeder Besucher, daß in den blauen Leinenanzügen, in die Arbeiter wie Intellektuelle, Männer und Frauen gekleidet sind, sehr verschieden- artige Menschen stecken. Neuer- dings zeigt sich das auch in der Kleidung: aus Blau wird Grau oder gar Beige-gestreift, in den beson- ders fortschrittlichen Städten im Süden tragen die Frauen gele- gentlich sogar Röcke, und überall werden die Kinder herausgeputzt.

In Sonnenstadt, bei der Arbeit aber war's noch Blau. Auf den Dresch- plätzen trugen Scharen von Men- schen das Getreide zusammen, droschen mit Händen und Flegeln, türmten Stroh zu hohen Bergen auf und fegten die Tenne. Die Bar- fußärzte, die wir gerne gesehen hätten, waren darunter nicht aus- zumachen.

Das war nicht ohne Symbolwert.

Denn der Barfußarzt gehört zu sei- ner Arbeitsgruppe. Von deren Mit- gliedern wird er ausgewählt und

zur Schulung in ein Krankenhaus geschickt. Nach drei Monaten — in Sonnenstadt waren es sogar sechs Monate — kommt er wieder zurück.

Er arbeitet weiterhin wie alle ande- ren auf dem Feld, und nur für die Zeiten, in denen er als Barfußarzt gebraucht wird, ist er von der Feldarbeit freigestellt. In den Win- termonaten, wenn die Arbeit auf dem Land nicht mehr drängt, be- kommt der Barfußarzt Gelegen- heit, in „seinem" Krankenhaus seine Kenntnisse zu erweitern. In

„Sonnenstadt" war dieses Mutter- krankenhaus der Barfußärzte, das der Kommune. Eine solche Volks- kommune hat etwa 75 000 Ein- wohner, aufgeteilt in viele Dörfer, sie ist also schon mit einem deut- schen Landkreis zu vergleichen;

am zentralen Ort der Kommune sind eine ganze Reihe öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Su- permarkt und eben auch ein Kran- kenhaus konzentriert. Die Barfuß- ärzte-Stationen sind auf der Ebene der Produktionsbrigaden angesie- delt und damit für etwa 3000 bis 3500 Einwohner zuständig. Der Barfußarzt arbeitet jedoch nicht durchweg in dieser Sanitätssta- tion, sondern in seiner Produk-

tionsgruppe, die etwa 250 Men- schen umfaßt. Damit folgt also der Einsatz der Barfußärzte der orga- nisatorischen Gliederung auf dem Land: Produktionsgruppe, Briga- de, Volkskommune. Diese so ge- gliederte Kommune ist weitge- hend autark, jedenfalls war das bisher das Ziel der chinesischen Politik. Wir konnten bei zwei Besu- chen in solchen Kommunen auch feststellen, daß dort nicht nur landwirtschaftliche Produkte er- zeugt, sondern auch verarbeitet wurden, daß die Kommunen auch Werkstätten und kleinere Produk- tionseinrichtungen (Nudelfabrika- tion, Textilverarbeitung) unter- hielten.

So etwas wie die Barfußärzte in der Kommune gibt es auch in den Städten. Sie sind hier bei den Ein- wohnerkomitees angesiedelt, das sind die untersten Gliederungen im städtischen Bereich, sie haben Selbstverwaltung; die Ebene dar- über, Straßenverwaltung genannt und für gut 50 000 Einwohner ge- dacht, ist Teil der Staatsverwal- tung. Ein solches Einwohnerkomi- tee besuchten wir in Peking: Die Sanitätsstation unterscheidet sich vom Äußeren her in nichts von den übrigen Häusern dieser Gegend:

einstöckig, aus Ziegeln gemauert und in jeder Weise schlicht. Von der Straße her treten wir direkt in den einzigen Raum von etwa 30 qm, aus dem die Station besteht.

Zwei Sanitäterinnen erwarten uns;

während des Besuches läßt sich (was man verstehen kann) kein Pa- tient sehen. Die Einrichtung be- steht aus Liege, Schreibtisch, ein paar Sitzgelegenheiten, Regalen und Schränken; alles einfach, aber reinlich; an den Wänden eine Bil- derausstellung mit Motiven der Gegend. Über ihre Aufgaben be- richten die beiden Damen — sie sind allemal mittleren Alters—, ihre Hauptaufgabe läge in der Präven- tion, vor allem kümmerten sie sich um die Schwangerenvorsorge.

Unter den 1700 Einwohnern ihres Einzugsbereiches gebe es 287 ge- bärfähige Frauen. Mit dem Rück- gang der Säuglingssterblichkeit in 20 TAGE CHINA (III)

Auch der Barfußarzt bleibt Bauer

Fortsetzung aus Heft 33 und Heft 34/1979

(3)

Irgendwo unter diesen Bauern in der Volkskommune „Sonnenstadt" muß auch der Barfußarzt sein. Er arbeitet wie alle Bauern mit bei der Getreideernte. Denn auch als Barfußarzt bleibt er Bauer, eingegliedert in seine Produktionsgruppe

20 Tage China

den letzten Jahren sei man zufrie- den. Zahlen wurden nicht ge- nannt.

Zur Vorbeugung gehören des wei- teren vielerlei Impfungen, vor al- lem Grippeschutzimpfungen im Winter (die in China weit verbreitet sind), jetzt im Sommer beteilige man sich an einer Kampagne zur Verhütung von Darmerkrankun- gen. An der Außenwand der Sani- tätsstation ist dann auch folge- richtig ein Plakat angebracht, das zur Hygiene vor dem Essen mahnt.

Ein anderes Plakat richtet sich auf die Familienplanung. Auch die geht nämlich von der Sanitätssta- tion aus.

Die Aufgabe in der Therapie: Aku- punktur, Abgabe von Medikamen- ten, Injektionen — zum Teil nach eigener Indikationsstellung, zum Teil nach Anweisung des Arztes.

Ein solcher hält fast täglich in der Sanitätsstation Sprechstunde. Er kommt von einem Krankenhaus der Umgebung. Auf die Frage, wel- che Methode man bevorzuge, die westliche oder die chinesische, kommt die Antwort, beides in glei- cher Weise. Die Ausbildung der beiden Sanitäterinnen ähnelt der der Barfußärzte auf dem Lande.

Auch sie — von Beruf Hausfrauen — sind von den Einwohnern ihres Viertels ausgewählt worden. Sie haben eine Halbtagsausbildung absolviert, alles in allem sind sie, mit vielerlei Unterbrechungen, zwei Jahre lang geschult worden.

Verglichen damit, daß es in China vor 1949 für die große Masse der Bevölkerung keine geregelte me- dizinische Versorgung gab, und verglichen mit vielen anderen Ent- wicklungsländern, ist das, was in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung erreicht wurde, be- achtlich. Heute gibt es ein Netz von Einrichtungen der Basisver- sorgung. Das chinesische System war beispielhaft auch für andere Länder, die vor einer ähnlichen Si- tuation standen — Aufbau aus dem Nichts, „westliche" ärztliche Ver- sorgung nur für die Oberschicht in den Städten.

Die Welt-Gesundheits-Organisa- tion (WHO) hat ihre Politik seit et- wa 1974 weitgehend auf „primary health care" chinesischen Musters ausgerichtet. Vor einem Jahr hat sie auf einer Konferenz zusammen mit dem Kinderhilfswerk der UNO in Alma Ata ihr Konzept noch ein- mal diskutieren lassen und in einer umfänglichen Entschließung offi- ziell verkündet. Das Kuriose an der WHO-Politik ist allerdings, daß die Genfer Experten zwar anfänglich das chinesische Beispiel noch zi- tierten, dann aber aus Rücksicht- nahme auf andersgeartete politi- sche Richtungen das chinesische Vorbild kaum noch erwähnten.

Unter den Delegierten in Alma Ata war nicht einmal mehr ein Rotchi- nese vertreten.

Die Ausbildung des Barfußarztes — viel Praxis, wenig Theorie

Alle auf „primary health care" aus- gerichteten Ausbildungsprogram- me stellen ab auf den kurzfristigen Erwerb praktischer Kenntnisse, auf die Auswahl der „primary health care workers" durch ihre vertraute Umgebung, auf eine symptom-orientierte Schulung, die sich auf die am häufigsten vor- kommenden Krankheiten des Lan- des richtet. Auch in China wird der Barfußarzt in seinem Krankenhaus von Beginn an praktisch geschult, wobei er sich immer weiter ge-

steckte Lernziele setzt: etwa die wichtigsten 10 Infektionskrankhei- ten des Gebietes kennenlernen, 30 chinesische Heilkräuter kennen- lernen, 50 Akupunktur-Punkte er- lernen. Die Theorie wird in be- scheidenem Maße in späteren Ausbildungsabschnitten nachge- lernt. Eine Folge der an Sympto- men orientierten Ausbildung scheint zu sein, daß chinesischen Barfußärzten eine sehr gute Beob- achtungsgabe nachgerühmt wird.

In jedem auf Barfuß-Medizin ba- sierenden Gesundheitswesen ist es entscheidend, daß der Barfuß- arzt seine Grenzen erkennt, und daß seine Patienten die Möglich- keit haben, an eine Versorgungs- stufe höheren Grades überwiesen zu werden: Die Qualität eines sol- chen Systems steigt mit dem Aus- bau einer solchen „Versorgungs- hierarchie". Zumindest in den dichtbesiedelten Gebieten Chinas scheint das der Fall zu sein. In den Städten gibt es oberhalb der Sani- tätsstationen Polikliniken und dar- über wieder Krankenhäuser bis hin zu Spezialkliniken. Auf dem Land ist über den Stationen der Barfußärzte zumindest eine kleine Klinik in der Volkskommune vor- handen. In China wird bescheiden darauf hingewiesen, daß diese Art der Basisversorgung gewiß besser sei als überhaupt keine Versor- gung. Doch die neue Führung, so wird berichtet, arbeite darauf hin, den Barfußärzten jetzt „Schuhe

(4)

1

the ankle is swollen

2

is the inside of the eyes yellow,

is the inside of the eyes pale,

can he still answer your question,

are his fingers colder than they usually are?

SEND HIM QOICKLY TO THE HOSPITAL 00 THE HEALTH CENTRE

Aus einem Handbuch für „primary health care workers" der WHO ein Beispiel für die sym- ptomorientierte Ausbildung: Die drei Bildbei- spiele untermalen eine Erläuterung zu den Leitsymptomen, „Körperliche Schwäche" und

„Müdigkeit". Zunächst hat der „primary health care worker" anhand der Abbildungen 1 (Knö- chel geschwollen?) und 2 (Gelbfärbung?) ernsthaftere Erkrankungen auszuschließen.

Wenn doch - dann ins Hospital! Sofort ins Hospital bei Ohnmacht, rät die Abbildung 3

anzuziehen", sie also intensiver zu schulen. Angesichts der über 1,8 Millionen Barfußärzte, die es in China geben soll, ist das ein hoch- gestecktes Ziel, um es vorsichtig zu sagen.

„In unserer Arbeit im Gesund- heitswesen sollten wir die Politik,

alle Anstrengungen auf die ländli- chen Gebiete zu legen, fortset- zen", hat Hua bekräftigt. Auch dar- in folgt er einer schon seit langem vertretenen Linie. Sie ist freilich — trotz aller Betonung der Landwirt- schaft in Rotchina— nicht immer in Rotchina eingehalten worden. Erst 1965, als Mao eine ärgerliche

„Weisung betreffend die öffentli- che Gesundheitsarbeit" erließ, än- derte sich das nachhaltig. Aus Maos Edikt:

„Die Staatliche Gesundheitsbe- hörde ist davon zu unterrichten, daß nur 50 Prozent der Bevölke- rung des Landes von ihr Gebrauch machen. Diese fünfzig Prozent ge- hören der Klasse der Bourgeoisie an. Für die breite Masse auf dem Lande gibt es überhaupt keine Krankenpflege — weder Ärzte noch Heilmittel. Die Staatliche Gesund- heitsbehörde gehört nicht dem Volk. Sie müßte umbenannt wer- den in ,Behörde für öffentliche städtische Gesundheit' oder ,Ge- sundheitsbehörde der Bourgeoi- sie'. Die Ausbildung der Mediziner sollte reformiert werden, es ist nicht notwendig, daß sie so viele Bücher lesen!"

Die Geringschätzung der Theorie, die sich hier ausdrückt und in der Kulturrevolution eigentümliche Triumphe feierte, ist heute freilich verflogen. Im Gegenteil, die For- schung und Ausbildung in medizi- nischen Grundlagenwissenschaf- ten wird heute vorangetrieben.

Eine Poliklinik in einem Arbeiter- viertel in Shanghai, einem sehr ge- pflegten Arbeiterviertel übrigens.

Wir werden von einem Arzt in Empfang genommen. Die Polikli- nik besteht aus einer Reihe zu- sammenhängender Flachbauten, Baujahr etwa 1960. Von den 160 Personalstellen sind 40 mit Ärzten besetzt und 50 mit Schwestern.

Bei einem Patientendurchgang von täglich 1000 (in der Zeit von 8.00-18.30 Uhr, unterbrochen durch eine lange Mittagspause) ist das eine ganz beachtliche Perso- nalbesetzung, auch wenn man be- rücksichtigt, daß die Ärzte auch Hausbesuche machen (allerdings

nicht in dem Umfange, wie das ein westlicher Hausarzt machen wür- de, denn vieles wird dem chinesi- schen Arzt in dieser Hinsicht ja durch die Sanitätsstationen im Viertel abgenommen). Die Polikli- nik hat 10 Abteilungen: für alle gängigen „westlichen" Fächer wie Innere, Chirurgie, außerdem wie überall in China eine Abteilung für Akupunktur und chinesische Me- dizin; da gibt es ferner ein großes Labor, EKG, Röntgen, Ultraschall- gerät. Der Patient wird in der Ein- gangshalle von einer Hilfskraft dem von ihr als richtig vermuteten (Fach-)Arzt zugewiesen; freie Arzt- wahl gibt es also nicht, jedoch kommt ein Patient mit derselben Krankheit auch immer wieder zu demselben Arzt.

Mit Akupunktur gegen

Rheuma, Kopfschmerzen und

„nervösen Magen"

Fragen westlicher Besucher gel- ten immer wieder der Akupunktur.

Sie gehört in China zum alltäglich verwendeten Instrumentarium.

Neben Akupunktur-Anästhesie wird das Nadeln ausgiebig auch in der Therapie angewandt. Auch chinesische Ärzte geben sofort zu, daß die Akupunktur als Therapie- methode bei dem einen Patienten wirken, bei dem anderen nicht wir- ken mag. Auf eine Wirkung kön- ne man jedoch schon zu Beginn der Behandlung schließen, wenn vier Bedingungen erfüllt seien:

Schmerzempfindung, Schwerege- fühl, Kribbeln und eine lokale Muskelbehinderung. Der Aku- punkteur soll das Gefühl haben, seine Nadel senke sich, als werde sie durch einen Magneten angezo- gen. So erklärt es eine der Aku- punkteurinnen in der Poliklinik.

Der begleitende Arzt hält die Aku- punktur für besonders wirksam bei rheumatischen Erkrankungen

— diese Meinung finden wir auch in einem Sanatorium in Tsingtau, das eine sehr ausgedehnte physikali- sche Abteilung, zu der auch die Akupunktur gehört, unterhält. Au- ßerdem verwendet man dort die

(5)

In der Akupunkturabteilung eines Sanatoriums in Tsingtau (oben). Die Akupunkteu- rin hat (westliche) Medizin studiert und eine zusätzliche Ausbildung in Akupunktur absolviert. Ihre Patienten litten vorwiegend unter Rheuma und funktionellen Stö- rungen — etwa nervösen Magenbeschwerden (obwohl Streß, wie uns gesagt wurde, in China unbekannt sei). Die Resonanzfunkentherapie (unten) wird bei chronischen Kopfschmerzen angewandt Fotos: Jachertz 20 Tage China

Akupunktur (so jedenfalls bei den Fällen, die wir in der Akupunktur- Abteilung sahen) bei vielerlei funk- tionellen Störungen wie Migräne,

„nervösem Magen". Allerdings wurde auch in dem Sanatorium ausgiebig westliche Medizin be- trieben; so wird dort Rheuma mit einer Kombination von Akupunk- tur, Bewegungstherapie (Schat- tenboxen) und Cortison behan- delt, so daß also nicht ganz klar auszumachen ist, welchem Teil dieser Kombination die endgültige Wirkung zuzuschreiben ist. Alle Akupunktur-Behandlungen wer- den in einer Serie von 15 Tagen täglich einmal ä 20 Minuten vorge- nommen.

Zu den Akupunkteuren in Tsingtau zählten auch die Ärzte; sie hatten eine 6- bis 12monatige Zusatzaus- bildung zu ihrem ansonsten nach westlichem Muster absolvierten Studium erhalten. In diesem Sana- torium betreibt man außerdem auch Elektro-Akupunktur und eine ganze Reihe von Methoden, die hierzulande nicht sonderlich ge- bräuchlich sind; so gab es dort Abteilungen für Magnettherapie und für etwas, das uns als Re- sonanzfunkentherapie übersetzt wurde. Dabei wird mit einer Art Harke, die an ein elektrisches Ge- rät angeschlossen ist, durch das Haar gekämmt; ein Teilnehmer un- serer Reise hat sich hier als Ver- suchskaninchen zur Verfügung gestellt. Es stellte sich bei dem Harken sehr schnell ein Wärmege- fühl und leichtes Kribbeln ein; das Ganze soll bei chronischen Kopf- schmerzen nützen, sofern es 20 Tage lang täglich 5 Minuten be- trieben wird.

Das Sanatorium machte einen sehr ordentlichen Eindruck; Baujahr 1950, durchweg recht gepflegt.

Seine Patienten kommen zu einem Behandlungszyklus von drei Mo- naten, geschickt werden sie vom Betrieb. Die Entscheidung zur Auf- nahme trifft jedoch das Sanato- rium. Das Haus hat 350 Betten, die Patienten sind in 4-Bett-Zimmern untergebracht, was im Vergleich zu den beengten Wohnungsver-

hältnissen in China als ausgespro- chen großzügig gelten kann. Ins- gesamt gibt es 180 Personalstel- len, darunter 30 für Ärzte, auf 12 Patienten kommt also ein Arzt.

Auch hier ist man nicht gerade personell unterbesetzt, wenn man berücksichtigt, daß ein solches Sanatorium keine akuten und kei- ne bettlägerigen Patienten auf- nimmt. Fast alle Patienten sind hier, so wird uns gesagt, damit sie nach ihrem Kuraufenthalt wieder voll arbeitsfähig sind. Die Leitung

des Hauses gibt sich bescheiden und verabschiedet uns mit dem überall in Fabriken und Schulen, jetzt also auch in dem Sanatorium zitierten Satz: „Wir sind ein sozia- listisches Entwicklungsland, des- halb gibt es noch viele Unzuläng- lichkeiten!" Dem Besucher waren sie gar nicht mal so aufgefallen.

Der Lerneifer in China ist überwäl- tigend. Mir steht immer noch das Bild einer jungen Studentin an der Tong Chi-Universität in Shanghai vor Augen. Sie gehörte zu einer

(6)

großen Gruppe von Studenten, die die deutschen Besucher umlager- ten. Sie stellte Fragen über Fragen und wollte gar nicht aufhören; sie wollte einfach alles wissen, und das in einer Stunde. Lehrer des Goethe-Institutes, die an dieser Universität unterrichten, bestätig- ten den flüchtigen Eindruck: Ei- nen solchen Lerneifer hätten sie noch nie erlebt. Immer wieder komme es vor, daß die Studenten sie um zusätzliche Hausaufgaben bäten. Und das will etwas heißen!

Denn das Leben in der Tong Chi fängt für den Studenten mit dem Wecken schon um 5.30 Uhr an. In der Universität herrscht, wie auch an anderen Hochschulen, Inter- natsbetrieb. Um 6.30 Uhr beginnt für die meisten der Unterricht. Er dauert bis mittags. Nachmittags:

Sport, politische Betätigung, Ar- beitseinsätze und eben Hausauf- gaben. Studenten, die heute auf eine chinesische Hochschule kommen, haben eine harte Auf- nahmeprüfung zu bestehen, bei der es auf Leistung ankommt und nicht auf die politische Herkunft.

Die meisten Oberschüler in China haben nicht das Glück, eine Uni- versität oder überhaupt eine höhe- re Bildungseinrichtung besuchen zu können. Auf der Schule der schon früher erwähnten Volks- kommune bei Shanghai beispiels- weise können nur etwa 10 Prozent aller Oberschüler zu einem weiter- führenden Institut gehen.

Die Universitätsausbildung selbst, auch für Medizin, dauert fünf Jah- re. Im Unterschied zur Zeit der Kul- turrevolution, als das Studium ge- nerell auf drei Jahre festgelegt wurde — wenn überhaupt studiert werden konnte, denn die meisten Hochschulen haben erst 1977 wie- der ihre Tore geöffnet. Die Folge heute ist gähnende Leere; Tong Chi hat erst zwei Studentenjahr- gänge zulassen können. So stu- dieren an einer Universität, die mehr als 10 000 Studenten auf- nehmen könnte, heute etwa 3800 junge Leute, für die 1500 Lehrper- sonen, ein Lesesaal mit 1000 Sitz- plätzen, eine Bibliothek mit 800 000 Bänden bereitstehen.

Das große Schweigen

über ein triumphales Ereignis namens Kulturrevolution

Der Bruch im Bildungswesen, die verlorenen Jahre der Kulturrevolu- tion, werden in China heute der

„Viererbande" zugeschrieben; die Kulturrevolution selbst ist einst- weilen tabu.

Das Verhalten all unserer Ge- sprächspartner zu diesem seltsa- men Ereignis, das mit Kultur nicht viel zu tun hat, war merkwürdig.

Jeder kennt natürlich die offizielle Floskel von der „großen proletari- schen Kulturrevolution", die mit dem 11. Parteitag 1977 (also schon unter Hua) formell abgeschlossen wurde — „triumphal", wie die offi- zielle Formel heißt. Tatsächlich wurde schon gegenüber China- besuchern im Jahre 1975 die Kul- turrevolution nicht mehr gern er-' wähnt. Ihr Höhepunkt war in den Jahren 1966 bis 1969. Danach wur- den die „Roten Garden", jene fa- natisierten Kinder und Jugendli- chen, die für ein paar Jahre die Bevölkerung im allerhöchsten Auftrag terrorisiert hatten, ent-

machtet und aufs Land, in ferne Provinzen des Reiches abgescho- ben. Heute, in den Wochen, in de- nen wir in China waren, kehren die abgehalfterten Helden von damals nach Hause zurück — als junge Männer und Frauen, die auch ideologisch ihre Heimat verloren haben, die zu Hause keine Arbeit finden, denn Arbeitsplätze sind auch im sozialistischen China nicht durch Ukas von oben zu schaffen.

Unsere ersten Fragen nach jenen Heimkehrern stoßen oft ins Lee- re. In einer Arbeitersiedlung in Shanghai endlich wird uns zuge- geben, daß man mit den Rückkeh- rern Schwierigkeiten hat. Die Ein- gliederungsversuche laufen, die Leute werden in jedem Fall von ihren Familien aufgenommen, denn das Familienband hält auch im neuen China noch. Kriminalität scheint unter den Heimkehrern nicht selten zu sein. Für die „Über- zeugungsarbeit" unter den jungen

Kriminellen hat sich in der Arbei- tersiedlung ein Kreis von Rentnern zusammengefunden. Die ange- stammte Ehrfurcht vor dem Alter—

hilft sie auch hier?

Freilich, auch unsere so offenen Gesprächspartner in Shanghai schweigen sich über die Kulturre- volution selbst beredt aus. Ein Lehrer, den wir treffen und die .

Gretchenfrage stellen, wie es ihm während jener Jahre ergangen sei, tut so, als habe er uns nicht verstanden. — „Kulturrevolution?

Ja ..." Nochmals die Frage. Wie- der: „Ja . .", und ihm ist sichtlich unwohl in seiner Haut. Eine Schul- direktorin, sie zögert sichtlich. Ja, gibt sie schließlich zu, die Lehrer hätten vor den Schülern Angst ge- habt. Ein Arzt, auch er rückt nicht so richtig heraus. Schließlich: Es habe den einen oder anderen Fall von Disziplinschwierigkeit gege- ben. Die Ausbildung habe gelitten.

Daher seien in seinem Haus auch keine jungen Schwestern zu fin- den. Dann schweigt er wieder.

Wie soll man sich dieses Schwei- gen über ein traumatisches Ereig- nis, das gewiß niemand so einfach

„vergessen" hat, erklären? Das triumphale Ereignis gilt als Maos Werk. Doch Mao wird heute in Chi- na nicht angetastet. Vielleicht im kleinen Zirkel. Bestimmt nicht im Volk. Ich habe den „Vorsitzenden Mao" und dessen Worte immer nur mit Ehrfurcht zitieren hören.

Wenn aber Mao nicht angetastet wird, wenn man ihn wegen seiner Verehrung im Volk heute sogar besonders braucht, um China wei- ter vorwärts zu bringen — in offi- ziellen Texten wird auch die Politik der vier Modernisierungen kühn aus Maos Gedankengut abgeleitet

—, wenn also Mao in Ehren ge- halten wird, dann kann sein Werk, die Kulturrevolution, nicht als böse bezeichnet werden. Lieber schweigt man davon.

Norbert Jachertz

• Fortsetzung und Schluß im nächsten Heft

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