Die Sozialdemokraten halten an ihrem seit langem verfochtenen Kurs einer strikten Regionalisierung und der Einsetzung basisdemokratisch zu- sammengesetzter „Regionalkonferen- zen“ beharrlich fest. Anläßlich der jüngsten Fachkonferenz der Arbeits- gemeinschaft der Sozialdemokratin- nen und Sozialdemokraten im Ge- sundheitswesen (ASG) am 11. Okto- ber in Bonn wurden alte, bereits 1994, 1996 und 1997 beschlossene Thesenpa- piere repetiert. Sie warnen davor, das Gesundheitsrisiko und den Kranken- schutz immer mehr in die Privatsphäre zurückzuverlagern und dadurch die Entsolidarisierung voranzutreiben, zu- gleich die sozial Schwachen und chro- nisch Kranken zu benachteiligen.
Wie eh und je setzen die „Ge- sundheitsarbeiter“ innerhalb der SPD auf visionäre Perspektiven: Gestal- tende Gesundheitspolitik ist aus der Sicht der Sozialdemokraten weitaus mehr als bloße Kostendämpfungs- und reine Krankenversicherungspoli- tik zu Lasten der Direktbetroffenen.
Vielmehr müßten alle Ressourcen, die Bedarfsplanung und Versorgung vor Ort so konzentriert und positio- niert werden, daß der Bürger mehr als bisher in das Zentrum eines „kun- denorientierten“ Gesundheitswesens gestellt wird. Regionalkonferenzen lautet das Zauberwort, bei denen die Kommunen, die staatlichen Gesund- heitsämter ebenso wie „soziale Netz- werke“ das Sagen haben.
Regionalkonferenzen Die Regionalkonferenzen sollten durch Repräsentanten der öffentli- chen und privaten Leistungsanbieter (einschließlich der Krankenkassen, Patientenrepräsentanzen, Wohlfahrts- verbände) sowie durch staatliche Stel- len rekrutiert werden. Die Gesund- heitskonferenzen sollen dabei tonan- gebend bei der Festlegung der Struk- turen, der Bedarfsplanung und bei der Formulierung von Mindestversor- gungsstandards werden. Die bisherige
„Dominanz“ der akademischen Heil- berufe soll zurückgestutzt werden.
Der Arzt und andere Schaltstellen sol- len lediglich ein Funktionsglied in dem vernetzten Ganzen werden. Am lieb- sten wäre es der SPD-AG, das gesam- te System von der kurativen Medizin auf mehr Prävention und Rehabilita- tion umzustellen. Die eigentlichen Ursachen des Krankheitsgeschehens müßten soweit wie möglich ausge- schaltet werden (Stichwort: „blauer Himmel über der Ruhr“).
Volksversicherung Bei soviel „Weitsicht“ wundert es nicht, daß die übrigen Vorschläge jenseits der Reichweite liegen, die
bisher politisch konsensfähig war:
Erhöhung der Versicherungs-Pflicht- grenze auf das Niveau der Renten- versicherung, langfristig Umfunktio- nierung der Gesetzlichen Kranken- versicherung auf eine allumfassen- de Volksversicherung, Einbeziehung weiterer Einkommensarten in die Fi- nanzierungspflicht; Einführung eines jährlich parlamentarisch festzulegen- den Globalbudgets; zum Teil völlige Abschaffung der mit den beiden GKV-Neuordnungsgesetzen einge- führten erhöhten Zuzahlungsrege- lungen; Wiedereinführung der hun- dertprozentigen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; durchgreifende Um- gestaltung der Familienmitversiche- rung in der Krankenversicherung;
Einführung einer Arzneimittel-Po- sitivliste und Etablierung eines „un- abhängigen Arzneimittelinstituts“
als Schalt- und Transparenzstelle sowie zur Beratung der Kranken- versicherten auf dem Arzneimittel- markt. Dr. Harald Clade
A-2882 (30) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 44, 31. Oktober 1997
P O L I T I K AKTUELL
Sozialdemokraten
Wende rückwärts
CDU-Parteitag
In der Gentechnik zur Nummer eins
Europa, neue Impulse für den Arbeitsmarkt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft waren die dominierenden Themen auf dem Leipziger Bundes- parteitag der CDU. Aussagen zur Ge- sundheits- und Sozialpolitik trafen die Christdemokraten nur dort, wo sie un- terstützend den Generalthemen zuge- ordnet werden konnten. So zum Bei- spiel im Zusammenhang mit der Sen- kung von Arbeitskosten. „Durch mehr Eigenverantwortung und Eigenvor- sorge“, heißt es im „Leipziger Ma- nifest“ der Union, „sowie durch stär- kere Steuerfinanzierung versiche- rungsfremder Leistungen gewinnen wir Spielräume zur Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge.“ Auch müßten die gesetzlichen Leistungs- kataloge laufend überprüft, Miß- brauch und Verschwendung bekämpft werden. Daß die soziale Sicherheit
in Deutschland ein entscheidender Standortfaktor ist, räumt die CDU ein. Stabil könnten die Sozialversiche- rungssysteme indessen nur bleiben, wenn möglichst viele neue Arbeits- plätze geschaffen würden. Arbeitge- ber und Gewerkschaften trügen hier die Verantwortung, „daß der An- teil der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätze erhöht und die Zahl der bezahlten Überstunden ver- ringert werden“.
Bis zur Jahrtausendwende soll Deutschland in der Bio- und Gentech- nologie die „Nummer eins“ in Europa werden. Der nach den USA und Ja- pan drittgrößte Pharmamarkt – auf dem bereits heute die meisten gen- technisch hergestellten Medikamente zugelassen sind – soll nach Auffassung der Christdemokraten künftig der- artige Medikamente verstärkt selbst produzieren können. Josef Maus