DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DAS EDITORIAL
Pankreatitis
Neue extraintestinale Manifestation bei Morbus Crohn?
Michael Piontek
Klaus Jürgen Hengels und Georg Strohmeyer
D
ie Inzidenz des Morbus Crohn nimmt in den letzten Jahren weiter- hin zu (1, 2). Ein bedeutsamer An- teil des Krankheitsprozesses bei chronisch entzündlichen Darmer- krankungen manifestiert sich außerhalb des Ga- strointestinaltraktes. Dies unterstreicht die Tat- sache, daß der Morbus Crohn eine Systemer- krankung ist (18). Seit der Erstbeschreibung durch Crohn ist die Liste der beteiligten Organe und Organsysteme stetig größer geworden. Zu dem bereits weiten Spektrum möglicher extrain- testinaler Manifestationen und Komplikationen scheint sich eine weitere zu gesellen, die bei- spielsweise in der letzten Ausgabe eines ameri- kanischen Standardwerkes für Gastroenterolo- gie (3) und eines Fachbuches über chronisch ent- zündliche Darmerkrankungen vom vergangenen Jahr (18) noch keine Erwähnung fand: die Ent- zündung oder Funktionseinschränkung der Bauchspeicheldrüse.Die Veröffentlichungen und Fallberichte zu.
diesem Thema mehren sich in jüngster Zeit. Da- bei sind nicht die medikamentös ausgelösten (4, 5, 6), bei sklerosierender Cholangitis oder duo- denalem Befall durch die Grundkrankheit auf- tretenden Formen (7, 8) gemeint, sondern Pan- kreatitiden, die mit Morbus Crohn assoziiert auf- treten und bei denen keine der klassischen Ätio- logien einer Pankreatitis gefunden werden kann.
Das Auftreten einer Pankreatitis bei Morbus Crohn mit Befall des Duodenums wurde erst- mals 1971 beschrieben (10). Bis 1987 gab es je- doch erst fünf beschriebene Fälle (11). Als pathogenetisches Prinzip wurde Reflux von Duo- denalinhalt durch eine entzündlich veränderte, inkompetente Papilla Vateri oder durch eine entzündliche Fistel zwischen Duodenum und Pankreasgang diskutiert (12).
Berichte über Autoantikörper gegen eine Komponente normalen Pankreassekretes, die bei 39 Prozent der untersuchten Crohn-Patien- ten gefunden werden konnten (13, 14, 15), unter- stützen aber auch die Möglichkeit eines primä-
ren Pankreasbefalls durch Morbus Crohn im Sin- ne einer Autoimmunreaktion, wie sie bereits 1983 von Altman diskutiert wurde (12).
Klinisch fehlte nach einer anderen Untersu- chung (16) die typische Schmerzsymptomatik in der Mehrzahl der Fälle, und Pankreasverkalkun- gen ließen sich bei keinem der Patienten zeigen.
Trotz schwerer Pankreasinsuffizienz wurden in der ERCP Normalbefunde erhoben (16).
Erst im vergangenen Jahr wurde über eine exokrine Pankreasinsuffizienz bei etwa 40 Pro- zent der Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen berichtet (17). Nach opera- tiver Entfernung eines entzündlich schwer verän- derten Darmsegmentes bei Ileocolitis Crohn kam es in einem Fallbericht zur Ausheilung ei- ner begleitenden akuten Pankreatitis (9).
Eine zufällige Assoziation von Morbus Crohn und Pankreatitis erscheint angesichts der genannten Publikationen eher unwahrscheinlich.
Prospektive Studien der Pankreasfunktion und -morphologie bei Morbus Crohn sind erforder- lich, um die wahre Häufigkeit dieser Assoziation zu ermitteln. Bei vielen Patienten mögen bisher Bauchschmerzen und Durchfall dem intestina- len, nicht aber dem möglichen extraintestinalen Crohn-Befall zugeschrieben worden sein. Ange- sichts der Tatsache, daß bisweilen die Symptome der extraintestinalen Komplikationen schwer- wiegender und schwieriger zu kontrollieren sind als die intestinale Grunderkrankung selbst (18), ergäben sich damit möglicherweise auch neue therapeutische Implikationen.
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfassen
Dr. med. Michael Piontek Abteilung für Gastroenterologie der Universität Düsseldorf Moorenstraße 5
4000 Düsseldorf 1 A-2348 (44) Dt. Ärztebl. 86, Heft 34/35, 28. August 1989