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ass die ärztliche Versorgung unter den engen sektoralen Budgets immer mehr unter Druck gerät, ist offenkundig. Waren es bislang über- wiegend die niedergelassenen Ärzte, deren Leistungen schlecht und bei Budgetausschöpfung gar nicht mehr bezahlt wurden, droht nun auch den Krankenhäusern eine ähnliche Ent- wicklung. Vom Jahr 2003 an sollen die Kliniken nur noch nach einemFallpauschalensystem vergü- tet werden – budgetneutral, versteht sich.
Aus Sicht der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV) ist damit die Chance verbun- den, zu einer einheitlichen Vergütungsstruktur in der am- bulanten und stationären Ver- sorgung zu kommen. Der Zeit- punkt passt, weil die KBV ei- nen neuen EBM erarbeitet und Krankenhäuser vor der Aufgabe steht, das vom Ge- setzgeber geforderte Entgelt- system zu etablieren. Entschie- den ist bislang nur, dass die künftigen Fallpauschalen in der stationären Versorgung nach dem Vorbild der australi- schen DRGs zusammenge-
stellt werden sollen (dazu auch der nachfolgende Beitrag).
Bereits im Rahmen des Berliner Hauptstadt-Kongresses im Juni dieses Jahres hatte Dr. med. Manfred Richter- Reichhelm den Krankenhäusern ein Angebot gemacht: Der neue EBM, be- triebswirtschaftlich nach dem Muster des schweizerischen Ärztetarifs Tar- med kalkuliert, könne auch die Grund- lage für die Preisbildung im Kranken- haus liefern. Am vergangenen Wochen- ende legte der KBV-Vorsitzende in Kö- nigswinter noch einmal nach. „Die
Budgetierungspolitik der Bundesregie- rung“, sagte Richter-Reichhelm bei ei- nem Symposium der KBV, „wird als Kreuzzug gegen diejenigen geführt, die das Leistungsversprechen der Kran- kenkassen umsetzen müssen. Sie trifft aber die Versicherten.“ Diese Politik, fuhr der KBV-Vorsitzende fort, unter- miniere die Funktionsfähigkeit des Ver- sorgungssystems insgesamt. Der viel-
leicht entscheidende Schritt aus dieser Abwärtsspirale sei eine (gemeinsame) Reform der Vergütungsstrukturen.
Es ist abzusehen, dass die bislang weitgehend getrennt arbeitenden Sek- toren einerseits künftig enger kooperie- ren und dabei andererseits in einen Wettbewerb zueinander treten. Die Er- fahrungen in anderen Ländern zeigen, dass die Einführung von Fallpauschalen zu drastisch reduzierten Liegezeiten in den Krankenhäusern führt. Die Patien- ten werden früher entlassen und müs- sen dann ambulant weiterbetreut wer-
den. Dies hat einen höheren Behand- lungsaufwand durch die niedergelasse- nen Ärzte zur Folge. „Ein stärkerer Wettbewerb zwischen den Kassenärz- ten und den Krankenhäusern ist aber nur dann akzeptierbar, wenn die Rah- menbedingungen und die Preisgestal- tung für beide Seiten gleich sind“, be- tonte Dr. Rainer Hess, der Hauptge- schäftsführer der KBV.
Dies ist keineswegs Zu- kunftsmusik, denn mit der in- tegrierten Versorgung hat der Gesetzgeber bereits jetzt eine Schnittstelle geschaffen, an der die Ärzte in Klinik und Praxis sektorübergreifend tätig wer- den. Nach Lage der Dinge tun sie dies nach ganz unterschied- lichen Vergütungssätzen.
Das Plädoyer der KBV für einheitliche Vergütungsstruk- turen in der ambulanten und stationären Versorgung ist je- doch mehr als nur der Versuch, Nomenklatur und Preisbil- dung anzugleichen. Dahinter steht die Strategie, die sektora- len Budgets zu überwinden und die Vergütung der ärztli- chen Leistungen am tatsächli- chen Versorgungsbedarf aus- zurichten. Bislang geben die Politik und die Krankenkassen den Geldbetrag vor, mit dem sowohl die Krankenhäuser als auch die niedergelassenen Ärzte die medizinische Versorgung sicherstellen müssen. Dass dabei die Budgets weni- ger den medizinischen Notwendigkei- ten als vielmehr den ökonomischen Zwängen folgen, macht die schleichen- de Rationierung deutlich, die erst seit Beginn dieses Jahres nachhaltiger ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt.
Der Weg aus dem Dilemma führt nach Überzeugung der Kassenärztli- P O L I T I K
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Einheitliche Vergütungsstrukturen
Keine spürbare Annäherung
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung will
über eine gemeinsame Preisbildung mit den Krankenhäusern die sektoralen Budgets überwinden.
Diskussion über die Vergütung: KBV-Vize Eckhard Weisner, Ge- org Baum vom Bundesgesundheitsministerium und KBV-Vor- sitzender Manfred Richter-Reichhelm (von links)
Foto: Johannes Aevermann
chen Bundesvereinigung über ein drei- stufiges Verfahren:
ein transparentes Kalkulationssy- stem zur Bewertung ärztlicher Leistun- gen;
ein schlüssiges Konzept zur Lei- stungssteuerung;
ein Verfahren, das den Versor- gungsbedarf definiert und die Verände- rung der Morbiditätsstruktur deutlich macht.
Dies steuert die KBV derzeit mit dem neuen EBM 2000 plus, mit der Bil- dung von so genannten Regelleistungs- volumina und der Erarbeitung eines Morbiditätsindexes an. Käme es nun zu einheitlichen Vergütungsstrukturen in der ambulanten und stationären Ver- sorgung, könnte die Summe der Regel- leistungsvolumina die sektoralen Bud- gets ablösen, ohne dass damit eine un- kalkulierbare Mengenentwicklung ver- bunden wäre. Der Versorgungsbedarf würde nicht länger „gedeckelt“.
2001 ist für die Krankenhäuser das entscheidende Jahr
Gründe, sich gemeinsam an die Gestal- tung der näheren Zukunft zu machen, gibt es also viele. Das Symposium der KBV zeigte allerdings, dass ein gemein- sames Ziel nicht unbedingt auch in ei- nen gemeinsamen Weg münden muss.
Dass die Vertreter der ambulanten und stationären Versorgung in Königswin- ter einen bemerkenswerten Schritt auf- einander zu gemacht hätten, lässt sich nicht behaupten. Dieses ernüchternde Fazit zog auch Richter-Reichhelm, der gleichwohl an der Idee einer gemeinsa- men Vergütungsstruktur festhalten will.
Vielleicht spielt dabei auch die Er- kenntnis eine Rolle, dass die Zeit der Annäherung noch kommen kann. Für die Krankenhäuser wird nämlich das nächste Jahr entscheidend sein. In 2001 werden die Grundlagen für die Kalku- lation der Fallpauschalen gelegt. „Wir müssen dokumentieren, bis die Schwar- te kracht“, prophezeite der Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery. Bis dahin, hofft die KBV, ist der neue EBM in trocke- nen Tüchern und kann dann auch von den Krankenhäusern näher in Augen- schein genommen werden. Josef Maus
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ie Umstellung des bisher gelten- den differenzierten Abrechnungs- systems zur Berechnung der Krankenhausleistungen (Basis- und Abteilungspflegesätze, Fallpauschalen und Sonderentgelte) auf flächen- deckende diagnosebezogene und lei- stungsgerechte Fallpauschalen (AR- Diagnosis Related Groups) ab dem 1. Januar 2003 bewirkt gravierende Än- derungen in der Kalkulation der Lei- stungsentgelte und insbesondere auch in der Betriebsführung und im Risk- Management der Krankenhäuser. Die von der Selbstverwaltung am 27. Juni 2000 getroffene Festlegung auf das australische System der All Refined Diagnosis Related Groups ist inzwi- schen auch vom Bundesgesundheitsmi- nisterium als die modernste bisher an- gewandte Version des DRG-Gruppie- rungssystems bezeichnet worden.Feilschen um Zu- und Abschläge
Die Spitzenverbände auf Selbstverwal- tungsebene sind unter eng bemessenen zeitlichen Vorgaben damit befasst, Adap- tionen auf das deutsche Krankenhausfi- nanzierungssystem vorzunehmen. Dies erfordert einen enormen finanziellen wie personellen Umsetzungs- und Ver- waltungsaufwand, der möglicherweise
„extra“ finanziert werden muss, so die Erwartungen der Deutschen Kranken- hausgesellschaft e.V. (DKG).
Ursprünglich sollte bereits zum 31.
August, dann bis zum 30. September 2000 zwischen den Spitzenverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), dem Verband der privaten
Krankenversicherung und der Deut- schen Krankenhausgesellschaft über die Regelungen von Zu- und Abschlä- gen abschließend verhandelt werden.
Die Krankenhausgesellschaft und die GKV/PKV hatten einen Entwurf zu einer neuen Vereinbarung gemeinsam erarbeitet und in wesentlichen Punkten Einigung erzielt. Wegen der besonde- ren Tragweite und des damit verbunde- nen Konfliktstoffes der Regelung hat sich die DKG gegenüber der Gesetzli- chen und privaten Krankenversiche- rung ausgesprochen, einige Kritikpunk- te erneut zu beraten und bis zum 30.
November zu regeln. Eines der wesent- lichen Probleme des Vertragswerks ist es, ergänzende Bestimmungen zu ver- einbaren, ohne die künftigen, vom Ge- setzgeber noch im Rahmen des zu novellierenden Krankenhausfinanzie- rungsgesetzes und der neuen Bundes- entgeltverordnung (anstelle der Bundes- pflegesatzverordnung) zu kennen. Der Disput unter den Spitzenverbänden geht vor allem darum, die Tatbestände für die Zu- und Abschläge weiter oder enger zu fassen. Beispielsweise plädiert der Bundesverband Deutscher Privat- krankenanstalten e.V. (BDPK), Bonn/
Berlin, für eine möglichst enge Begren- zung der Tatbestände für die Zu- und Abschläge. BDPK und DKG haben empfohlen, bestimmte Zuschläge mög- licherweise auch durch andere Finan- zierungs- und Refinanzierungselemen- te zu regeln.
Das Bundesgesundheitsministerium geht davon aus, dass für die Um- stellung und den Übergang auf das neue Abrechnungssystem mehr als das Startjahr 2003 benötigt wird. Der für die Krankenhausfinanzierung zustän-
Krankenhäuser
Rahmenbedingungen für Fallpauschalen
Zurzeit wird um die ordnungspolitischen Rahmen-
bedingungen für die Implementation der flächendeckenden
diagnosebezogenen Fallpauschalen gerungen.
dige Unterabteilungsleiter des Bun- desgesundheitsministeriums, Georg Baum, hat vor den 20. Biersdorfer Krankenhausgesprächen (Anfang Sep- tember) prognostiziert, dass eine stu- fenweise Anpassung innerhalb von mindestens drei Jahren erfolgen muss.
Sinn der dann bis zum Jahr 2006/2007 bemessenen Übergangszeit ist es, den Krankenhäusern geschützte Bedingun- gen einzuräumen, um bisher problema- tische Kostenstrukturen zu ändern und den neuen Finanzierungsbedingungen anzupassen. Allerdings beharrt das Ministerium auf einer budgetneutra- len Übergangsphase zumindest im Jahr 2003.
Beitragsneutrale Umstellung
Baum: „Die Politik hat die Pflicht, über den Finanzierungsrahmen des neuen Entgeltsystems so schnell wie möglich Klarheit zu schaffen. Die Leistungsbe- wertung durch die Selbstverwaltung kann unabhängig von dem noch zu schaffenden Finanzordnungsrahmen erfolgen.“ Allerdings warnte Baum die Krankenhausträger vor Hoffnungen, die Budget- und Zuwachsbegrenzun- gen für das sektorale Krankenhausbud- get im Zuge der Umstellung auf die neuen pauschalierten Entgelte aufge- ben zu können. Noch sei die Befürch- tung mancher Krankenhausträger un- begründet, das neue pauschale Entgelt- system führe zu floatenden Punktwer- ten bei einem landesweit installierten Budgetierungssystem.
Allerdings sei es Vorgabe des Ge- setzgebers, die Entgelte/Preise auf der Grundlage des DRG-Gruppierungssy- stems zu kalkulieren, so Baum. Das Sy- stem müsse mit klinikindividuellen Punktwerten austariert werden, die schrittweise an die allgemeinen Punkt- werte herangeführt werden müssten. Es könne nicht Sinn der Umstellung sein, dass Krankenhäuser mit relativ ungün- stigen Kostenstrukturen automatisch mit einer Anhebung des Punktwertes rechnen können.
Aus einem bundeseinheitlichen Festpreissystem und damit admini- strierten Preisen dürften nicht klassi- sche Sondervorteile und Gewinne
(windfall profits) entstehen. Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, kön- ne das Festpreissystem in ein Höchst- preissystem umgepolt werden. Dabei müsse allerdings ein Verhandlungs- spielraum bleiben, damit die Kran- kenhäuser, die relativ leistungsfähige Strukturen aufweisen, nicht benachtei- ligt werden. In der Umstellungsphase
werden hauptsächlich klinikindividuel- le Abrechnungspreise gelten, so Baums Prognose. Die Auswirkungen auf den Krankenhauswettbewerb könnten pro- blematisch werden, insbesondere wenn die Krankenkassen und einweisende Ärzte beispielsweise über Integrations- modelle die Patienten in relativ preis- günstige Krankenhäuser leiten. Dies könnte Krankenhäuser veranlassen, auf die ihnen zustehenden höheren Fallpauschalen zu verzichten, um am Markt zu bleiben.
Keine Sondervorteile
Für das Bundesministerium für Ge- sundheit ist es eine unverzichtbare Vor- bedingung, dass auch die Kranken- häuser in den gesetzlich festgelegten Grundsatz der Beitragssatzstabilität dauerhaft einbezogen werden. Dies dürfe aber nicht inflexibel erfolgen.
Baum: Der medizinische Bedarf und die vom Krankenhaus nicht zu beein- flussenden Strukturumstellungen dürf- ten nicht politisch bestimmten fiskali- schen Normen untergeordnet werden.
Eine völlige Freigabe der Leistungs- mengen dürfe es im stationären Sektor nicht geben. Vielmehr müsse ein Steue- rungs- und Reaktionsverbund zwischen Preis und Menge bewirkt werden. Um den Preis-Mengen-Mechanismus zu handhaben und die Mengendrosselung zu bewerkstelligen, gibt es verschiede- ne Alternativen, so beispielsweise die
Steuerung nach dem Individualprinzip.
Hier ist der Anknüpfungspunkt die Fix- kosten-Degression bei einem Wachs- tum der Leistungsmengen. Baum sagte in Biersdorf, dass das Bundesgesund- heitsministerium die Individualsteue- rung favorisiere. Dies dürfe allerdings nicht ausschließen, dass die Mengen- entwicklung bei der regelmäßigen Punktwertanpassung auf Bundesebene allgemein berücksichtigt wird.
Als das „einfachste“ Modell unter dieser Prämisse bezeichnete Baum das Höchstpreissystem mit einer „Men- genöffnung“. In diesem Fall vereinbart das Krankenhaus mit den Krankenkas- sen für einzelne Leistungen oder Lei- stungspakete individuelle, in der Regel reduzierte Preise. Es entfallen im Ge- genzug dafür freie Entwicklungsmög- lichkeiten beziehungsweise erweiterte Spielräume bei den Leistungsmengen.
Die Krankenkassen profitierten da- durch, dass sie niedrigere Preise ab- rechnen können. Leistungen, bei de- nen keine Mengenentwicklung statt- findet (etwa in der Geburtshilfe), könnten zu Festpreisen abgerechnet werden. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
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Die Ausgaben der Kran- kenkassen für die sta- tionäre Kranken- hausbehandlung sind im Vergleich zur Entwicklung der Investitionskosten (getragen durch die Bun- desländer) in den ver- gangenen 15 Jahren Jahr für Jahr erheblich schnel- ler gestiegen. Die Be- triebskosten haben sich von 1973
bis 1997 um das Sechs- fache, die Investi- tionskosten um das Vierfache erhöht.