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Archiv "Ärztliche Leichenschau und Todesbescheinigung: Schlecht bezahlt ist schlecht gemacht" (23.04.2004)

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tig lese, besteht eine Fehlerquote bis 63,2 Prozent! Wo darf sonst eine Me- thode mit so katastrophalen Ergebnis- sen weiter praktiziert werden? Trotz- dem werden unter anderem zwei Kon- sequenzen munter weitergezogen:

1. Die Todesursachenstatistik, die eigentlich in den Reißwolf gehörte;

von den vergeudeten Geldern der Er- stellung und der daraus wiederum falschen Schlüsse ganz zu schweigen;

2. die Abqualifizierung der Lei- chenschauer.

Es gehört schon eine kassen/ver- tragsarzt-typische Knechtsdemut da- zu, solche nicht gewollten (überfor- dernden?) Pflichten aufgehalst zu be- kommen, um dann wegen deren grot- tenschlechter Erfüllung abgekanzelt zu werden.

Dr. med. Alexander Ulbrich Birkheckenstraße 1

70599 Stuttgart

Forderungen unzumutbar

Kernpunkt der Aussage über die ent- sprechende Tätigkeit der niedergelas- senen Ärzte ist die Angabe, dass nur ein Prozent die Leiche vor der Untersu- chung völlig entkleiden und dadurch das Übersehen von kriminellen Hand- lungen vorprogrammiert sei.

Ich stimme in diesem Punkt zwar mit Herrn Prof. Madea überein, meine aber, dass es dem Autor besser ange- standen hätte, darauf hin zu weisen, dass diese Forderung unzumutbar und in den meisten Fällen gar nicht zu erfül- len ist. Rein physisch ist es ohne Hilfe meist unmöglich eine oft schwerge- wichtige Leiche zu entkleiden ge- schweige denn umzudrehen.

Diese Forderung stellt eine Nöti- gung des Arztes durch die Behörde dar. Die Gerichtsmediziner sollten meines Erachtens vielmehr eine amtli- che Leichenschau in einer Leichenhal- le fordern, wo entsprechendes Hilfs- personal zur Verfügung steht.

Solange aber von staatlicher Seite die beschriebene unhaltbare Forde- rung aufrechterhalten wird, gibt es meines Erachtens für den niedergelas- senen Arzt nur folgende Konsequenz:

1. Sofortige Todesfeststellung wie behördlich gefordert.

2. Falls keine eindeutigen Todes- zeichen vorliegen gegebenenfalls nach acht Stunden und dem Vorliegen der Leichenstarre erneute Untersuchung und erst dann Ausstellung der Todes- bescheinigung.

3. Abgesehen von ganz klar ersicht- lichen Fällen sollte viel mehr von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wer- den, Todesursache „ungeklärt“ anzu- kreuzen. Damit wäre eine behördliche Untersuchung und Verantwortung zu erzwingen.

Dr. med. Rainer Köhl Lehmwiese 16 46282 Dorsten

Soziale Komponente nicht vergessen

Die Leichenschau hat eine soziale Komponente – den Umgang des Arz- tes mit den lebenden Angehörigen.

Menschen in Trauer, Menschen in Un- sicherheit, wie sie mit der Situation umgehen sollen und können. Men- schen, die selbst zu Patienten werden.

Die Durchführung der Leichenschau erfolgt zwar unter Ausschluss der An- gehörigen, dennoch sind die Pietät, die Achtung vor dem Verstorbenen – ins- besondere auch der Angehörigen – die Trauer und die Verzweiflung eine we- sentliche Komponente, die das Han- deln des Arztes beeinflussen können, der vor Ort tätig wird. Da wird ange- prangert, Hausärzte gingen so sorglos mit der Bescheinigung von „natürli- chem Tod“ um. Tatsächlich stehen die- se in einem Konfliktfeld, werden bei dem „Termin“ Leichenschau durchaus von vielen anderen Bestrebungen, et- wa der Ehefrau eines Verstorbenen keine entwürdigenden Befragungen, Unterstellungen zuzumuten, mit be- wegt.

Wenn die kompetente Durchfüh- rung eine kriminalistische Untersu- chung verlangt, dann soll gefälligst die Leichenschau auch unter Hinzuzie- hung der Polizei stattfinden. Tatsäch- lich wird dies unter Hinweis auf Ko- sten abgelehnt. Nur wenn der dringli- che Verdacht auf ein Verbrechen be-

stehe, erhalte ich binnen Stunden (!!) Unterstützung bei der Leichenschau.

Dem entgegen ist die Vergütung der Leichenschau geradezu lächerlich.

Nach offizieller Verlautbarung darf ich nicht einmal eine Besuchsgebühr neben der Leichenschau berechnen.

Ich frage: Soll ich denn nur dann ei- ne Leiche untersuchen, wenn sie in die Praxis gebracht wird? Der Aufwand, den eine Leichenschau und erst recht eine „kompetent“ durchgeführte Lei- chenschau macht – die überdies ein hoheitlicher Akt ist – wird bestenfalls etwa mit 50 Euro nach GOÄ vergütet.

Wenn es eine „amtliche Leichen- schau“ gäbe, die von Behörden durch- geführt würde, wären alle Bestimmun- gen dafür definiert. Die Hausärzte wären dann zu einer Auskunft nach Zeugengebühr (maximal 20 Euro) verpflichtet, die zu zahlenden Ge- bühren an die Behörde aber wären si- cher längst vierstellig.

Seit Jahren bemühe ich mich um ei- ne angemessene Vergütung für diese Aufgabe – erst dann kann auch zur kompetenten Durchführung eine

„Sorgfaltspflicht“ eingefordert wer- den, erst dann können Richtlinien ge- geben werden. Solche Richtlinien soll- ten aber letztlich auch die Situation im Notdienst berücksichtigen: Hier ist der Arzt für einen Notdienstbezirk und die Notfälle bei lebenden Patienten zuständig, dabei kann er sich nicht stundenlang um Leichen kümmern.

Der Artikel verkennt die Praxis und die Lebenswirklichkeit, in der Ärzte vor Ort arbeiten.

Harald F. Hüsgen Buchenweg 20 47877 Willich-Schiefbahn

Schlecht bezahlt ist schlecht gemacht

Als hausärztlicher Internist in Baden- Württemberg muss ich auf eine weite- re „Fehlerquelle“ hinweisen. Seit eini- gen Jahren leiden wir unter einem achtseitigen in drei verschiedene Um- schläge zu versorgenden Formular in Über-DIN-A4-Größe. Dieses am To- tenbett (oft bei Schummerbeleuch- tung) und ohne Schreibunterlage aus-

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zufüllen, gelingt kaum fehlerfrei. Wer weiß zudem am Wochenende gerufen die ICD-Verschlüsselung bis ins De- tail auswendig?

Ich warne darüber hinaus vom Hin- ausposaunen von solchen Aussagen, dass in 60 Prozent keine Übereinstim- mung zwischen Leichenschau und Ob- duktionsdiagnose in Altenheimen be- stünden. Wir geben einem Bildzei- tungsjournalismus Vorschub bei einer Presse und einer Politik, die uns Ärzte zu gerne an den Pranger stellt!

Mein persönliches Fazit ist: Eine gründliche Leichenschau tut Not.

Aber es gilt auch: Was schlecht be- zahlt wird, wird schlecht gemacht.

Solange die Leichenschau mit An- fahrt und tröstendem und erläutern- dem Gespräch mit den Angehörigen weniger wert ist, als zum Beispiel eine bloße Anfahrt des Mechanikers (bei- spielsweise um unser Sonogerät zu reparieren) braucht Herr Prof. Madea nicht die „Unerfahrenheit, Sorglosig- keit und Bequemlichkeit des Arztes“

anzuprangern.

Dr. med. Cornel Certain Hinterhauserstraße 7 78464 Konstanz

Ärzte als billige Handlanger

Nach einem Zeitraum von 25 Jahren ärztlicher Tätigkeit, davon fast 20 Jah- re als niedergelassener Allgemeinarzt, glaube ich mir ein Urteil über das deutsche Leichenschauwesen erlau- ben zu können.

Hier nur ein einziges von vielen Beispielen: Im zentralen ärztlichen Notdienst werde ich vom Pflegedienst zu einer Leichenschau bei einem mir unbekannten Patienten gerufen. Die- ser ist nach langem Leiden an einem Hirntumor verstorben. Beim Betreten des Krankenzimmers finde ich den Leichnam im Sonntagsanzug auf dem Bett aufgebahrt mit einer Rose in den gefalteten Händen im Kreise seiner Familie vor.

Nach dem Gesetz hätte ich nun die- sen etwa 100 kg schweren Mann völlig entkleiden müssen, um unter anderem seinen After zu inspizieren. Ganz ab-

gesehen davon, dass selbst ich als eini- germaßen kräftiger Mann dieses nicht ohne Hilfe hätte leisten können, wäre es absolut schwachsinnig gewesen, und ich wäre mit Sicherheit als Lei- chenfledderer in die Geschichte der Familie und des ganzen Viertels einge- gangen. Absolut blödsinnige, von welt- fremden Bürokraten zu verantworten- de Gesetze werden nicht dadurch bes- ser, dass man dem einzelnen Betroffe- nen Strafe androht. Ich habe schon vor vielen Jahren vorgeschlagen, einen amtlichen Leichenbeschauer einzu- führen, doch dafür ist kein Geld da, man benutzt lieber uns als billige Handlanger und zieht dann noch über uns her.

Alternativ könnte ohne Probleme eine Regelung eingeführt werden, nach der ein Leichenschauer zunächst vor Ort nach Hinweisen für einen un- natürlichen Tod sucht, um die ausführ- liche Leichenschau dann mithilfe der Bestatter in einer Leichenhalle vorzu- nehmen oder auch in Zweifelsfällen einen amtlichen Leichenbeschauer herbeizurufen. Wenn der Staat wirk- lich Interesse an zuverlässigen Lei- chenschauen hätte, dann müsste er sol- che Vorschriften erlassen. Unter den derzeitigen Umständen ist die ständi- ge Kritik grundsätzlich unehrlich. Und die Todesursachenstatistik ist ohne Obduktion ohnehin wertlos.

Im Übrigen habe ich mehrfach er- lebt, dass auch eine Stunde nach dem Todeseintritt noch keine sicheren To- deszeichen vorhanden waren, und ich später noch einmal einen Besuch ma- chen musste. Es grenzt ja schon ans Kriminelle, wenn der Gesetzgeber uns angesichts von Bestattungskosten in Höhe von 4 000 bis 6 000 Euro gerade einmal 21,50 Euro für eine Leichen- schau zubilligt und dann noch die An- sicht vertritt, diese dürfe nicht mit ei- nem Besuch zusammen abgerechnet werden. Es wäre Aufgabe unserer Standesvertretungen, uns vor derart unzumutbaren Zuständen zu schüt- zen. Doch auch hier muss das gewohn- te Versagen derselben konstatiert wer- den. Der Dumme ist wie immer der einzelne Arzt vor Ort.

Dr. med. Henning Fischer Scharnhorsterstraße 25 32052 Herford

Struktur ist schuld

In dem Artikel scheinen die wesentli- chen Aspekte der Leichenschau, vor allem aber die Schwächen ihrer der- zeitigen Durchführung deutlich zur Sprache zu kommen. Dennoch sind diese Schwächen nicht nur ärztlicher Schlampigkeit und gesetzlichen Vor- gaben, sondern im Wesentlichen der Struktur unseres Gesundheitswesens geschuldet.

Aus Sicht eines praktisch tätigen Arztes sind dies folgende Probleme:

1. Ein großer Teil der Leichenschau- en werden an uns fremden Verstorbe- nen durchgeführt – im Notdienst, an Wochenenden, in der kollegialen Ver- tretung und so weiter. Hier eine fun- dierte Aussage über die eigentliche Todesursache zu machen, erscheint praktisch unmöglich. Die Angaben der Angehörigen – gerade in einer solchen Situation – sind mehr als unzuverläs- sig, das Pflegepersonal in den Heimen ist nicht kompetent genug, die medizi- nischen Zusammenhänge zu erfassen und: Es ist auch gar nicht ihre Aufgabe.

Der einzige, der kompetent Auskunft geben könnte, ist der Hausarzt und der ist eben gerade nicht verfügbar.

2. Wer einmal erlebt hat, dass eine ganze Sippe und Teile des Ortes sich von einem distanzierten, weil man es gewagt hat, am natürlichen Tod zu zweifeln (55-jährige Patientin mit wo- chenlangen somnolenten Zuständen unklarer Genese, die sich in der Klinik besserten, ohne dass dort die Ursache erklärbar war und im Entlassbrief die Möglichkeit einer schleichenden Into- xikation geäußert wurde), wer in einem solchen Fall auch noch hinterbracht be- kam, dass der nachbehandelnde Kolle- ge groß tönte: „War doch ein Herzin- farkt, sieht man doch sofort“, der über- legt sich aus Gründen des wirtschaftli- chen Überlebens seine späteren Ent- scheidungen, notfalls auch wider besse- res Wissen und Gewissen.

3. Weder eine Lungenembolie noch ein fulminant verlaufender Myo- kardinfarkt sind postmortal ohne Ob- duktion diagnostizierbar. Und in 17- jähriger Praxistätigkeit habe ich nur ein einziges Mal Angehörige erlebt, die eine Obduktion wünschten – zum Wohle ihres eigenen und ihres Dok-

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tor’s Seelenheils. Das heißt, auch bei sorgfältig durchgeführter Leichen- schau bleibt die Todesursache oft un- klar.

Die Schlussfolgerungen sind ein- fach und doch weitreichend:

Die Leichenschau gehört aus der Hand des Hausarztes in die eines Spe- zialisten (Pathologe, Gerichtsmedizi- ner, Coroner, neu zu definierende Zu- satzbezeichnung), der die Möglichkeit haben muss

– postmortal an die medizinischen Daten heranzukommen,

– größere rechtliche Zugriffsmög- lichkeiten auf Obduktionen hat, mit oder ohne Zustimmung der Angehöri- gen, (denn das Rechtsgut „Schutz vor und Ahndung von Gewaltverbrechen“

erscheint mir wichtiger als der ver- ständliche Pietätswunsch der An- gehörigen nach einem „unversehrten“

Leichnam) und der

– keine wirtschaftlichen, persönli- chen und räumlichen Interessenskon- flikte mit den Angehörigen und deren Umfeld hat.

Albrecht Bärenz Gassbacherweg 28 64689 Grasellenbach

Wahnwitzige Regelungsvielfalt

Ein guter, klarer Artikel. Statt der üb- lichen Abqualifizierung der Leichen- schauer vor Ort durch realitätsferne Professores wird hier die Problematik der Leichenschau im Alltag abgebildet und zudem auf die wahnwitzige Rege- lungsvielfalt im deutschen Bundesge- biet eingegangen. Gut, dass auch ein- mal die allen Kollegen leidlich be- kannten Beeinflussungsversuche der Kripo, die Todesursache doch als natürlich zu klassifizieren, erwähnt werden.

In meiner Zeit in England habe ich die dortigen klaren und übersichtli- chen Regelungen mit dem Coroner, ei- nem staatlichen „Leichenschaubeauf- tragten“, als äußerst angenehm und professionell empfunden.

Dr. med. Christian Lüders Große Allee 30

34454 Bad Arolsen

Diagnostik eines natürlichen Todes

Diese sehr ausführliche Darstellung enthält auch sehr viele nützliche Hin- weise für den leichenschauenden Arzt, um zwischen einem natürlichen und ei- nem nicht natürlichen Tod zu unter- scheiden. Gleichwohl ist anzumerken, dass im Ärztlichen Bereitschaftsdienst dem leichenschauenden Arzt demnach in praktisch allen Fällen die Attestie- rung eines „natürlichen Todes“ wohl nicht möglich ist. Der behandelnde Hausarzt ist in der Regel am Wochen- ende nicht erreichbar und eine „[. . .]

diagnostizierte und dokumentierte natürliche Erkrankung, die den Tod zu diesem Zeitpunkt hochgradig plausibel erklärt [. . .]“ dürfte nur selten vorlie- gen.

Denken wir in diesem Zusammen- hang an das Versterben alter und sehr alter Menschen. Der 90-jährige Pati- ent, der gestern noch gesund und munter war und dann morgens tot im Bett liegt; die 95-jährige Patientin, die friedlich in ihrem Sessel einschläft;

der Tod im Alten- oder Pflegeheim bei Altersdemenz und Arteriosklerose [. . .].

Die Fälle, in denen sich tatsächlich eine dokumentierte Erkrankung konti- nuierlich verschlechtert und schließlich mit dem Tod endet, dürften die Ausnah- me sein. Stirbt ein Mensch durch die

„Altersschwäche“, so stellt dies nach den Ausführungen des Autors keine natürliche Todesursache dar. Hieraus leitet sich nun die Frage ab, woran denn ein Mensch tatsächlich stirbt, wenn er in hohem Alter zu Tode kommt. Und wei- ter: Wie soll der leichenschauende Arzt diese Diagnose und damit einen natürli- chen Tod erkennen?

Der Autor geht zwar sehr ausführ- lich auf Hinweise zu „nichtnatürli- chen“ Todesursachen ein, bleibt aber die Diagnostik eines natürlichen To- des schuldig.

Wenn ein natürlicher Tod aus- schließlich dann bescheinigt werden darf, wenn folgende beiden Bedingun- gen erfüllt sind:

– Kein Hinweis auf einen nicht- natürlichen Tod,

– dokumentierte schwere Erkran- kung, die den eingetretenen Tod zu

diesem Zeitpunkt hoch plausibel er- scheinen lässt, dann bekommen wir 60 bis 80 Prozent Todesfälle mit unge- klärter Todesursache. Hierunter fallen auch alle unerwartet versterbenden al- ten und sehr alten Menschen.

Wenn dies mit allen logistischen und personellen Konsequenzen tat- sächlich dem politischen Willen ent- spricht, müssen Polizei und Behörden, sowie Rechtsmedizinische Institute entsprechend vorbereitet und ausge- stattet sein.

Hofft man vielleicht doch, dass diese Forderungen nicht in aller Konsequenz von den leichenschauenden Ärzten um- gesetzt wird?

Interessant wäre in diesem Zusam- menhang auch eine Studie, die die Trefferquote von Rechtsmedizinern überprüft: Sie bekommen eine völlig unbekannte Leiche auf den Tisch und sollen mit ihren Augen, ihren Händen und einer Taschenlampe bewaffnet die Todesursache und die Kausalkette der zum Tode führenden Erkrankungen benennen. Sie erhalten zusätzlich le- diglich Informationen in Form von 2, 5 oder 10 Jahre alten Krankenhausbe- richten, eine Tablettenschachtel mit 15 bunten Tabletten und den Hinweis, dass der Patient am Vortag noch nor- mal gegessen habe.

So sieht nämlich der Alltag aus für einen Arzt, der am Wochenende im Bereitschaftsdienst zu einer Leichen- schau gerufen wird.

Anschließend wird die Leiche ob- duziert und die vorher gemachten An- gaben des Rechtsmediziners auf Rich- tigkeit überprüft.

Hier wird man sehr schnell erken- nen, welche unmögliche Aufgabe dem leichenschauenden Arzt im Bereit- schaftsdienst auferlegt wird.

Und wenn es tatsächlich politisch so gewollt ist, dass auch der aus scheinba- ren Wohlbefinden heraus unerwartet sterbende 102-Jährige noch obduziert wird, dann muss dieser Wille in der Öf- fentlichkeit in aller Deutlichkeit dar- gestellt werden, damit nicht der lei- chenschauende Arzt die undankbare Aufgabe hat, den Angehörigen diese Ansicht darzustellen.

Dr. med. Eckhard Jentsch An den Sperrwiesen 8 91781 Weißenburg

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Schlusswort

Unser Beitrag „Ärztliche Leichen- schau und Todesbescheinigung“ stößt – nicht unerwartet – auf große Reso- nanz vor allem bei niedergelassenen Kollegen. Im Zentrum der sowohl uns direkt zugegangenen und bereits per- sönlich beantworteten als auch der an das Deutsche Ärzteblatt gerichteten Zuschriften stehen folgende Punkte und Forderungen:

> Unzureichende Vergütung der Leichenschau (siehe auch Textkasten 1 unseres Beitrages), unter anderem verknüpft mit der Bemerkung, für we- nig Geld könne auch nicht viel ver- langt werden, was schlecht bezahlt wird, werde auch schlecht gemacht:

„Seit Jahren bemühe ich mich um eine angemessene Vergütung [. . .] erst dann kann auch zur kompetenten Durch- führung eine „Sorgfaltspflicht“ einge- fordert werden.“

> Unsinnige Forderung einer „un- verzüglichen“ Vornahme der Leichen- schau nach Erhalt der Anzeige über den Todesfall, da dann noch keine si- cheren Todeszeichen vorliegen wür- den.

> Objektive Überforderung, da kein Hilfspersonal zur Verfügung stehe (Hilfe beim Entkleiden des Leichnams, beim Wenden der Leiche et cetera).

> Nicht zu erfüllende Forderung nach Entkleidung des Leichnams.

> Strukturelle Defizite, wie die Kopplung des Begriffes des „nicht- natürlichen Todes“ mit einem (angeb- lichen) Fremdverschulden.

> Überführung der Leichenschau in die Hand amtlicher Leichenschauer.

> Schwierigkeiten bei der Todesur- sachendiagnostik.

> Hinweis auf eine mitmenschlich- soziale Komponente der Leichen- schau (Trauerbewältigung).

Dass uns Zuschriften überwiegend von niedergelassenen Kollegen und kaum von Klinikern erreichten, liegt nicht etwa daran, dass es im klinischen Bereich keine Probleme gäbe. Der Kliniker ist allerdings gegenüber dem niedergelassenen Kollegen in einer ge- schützten Position (Tod im ärztlich do- minierten Umfeld des Krankenhauses statt im privaten Umfeld). Zu diesen Punkten soll im Folgenden noch ein-

mal strukturiert Stellung genommen werden, auch unter Berücksichtigung eines Musterentwurfes der Bundes- ärztekammer zu einem bundeseinheit- lichen Leichenschauschein.

Wir haben in unserem Beitrag und an vielen anderen Stellen die struktu- rellen Defizite des derzeitigen Lei- chenschausystems aufgezeigt (2, 3, 4).

Es gibt auch strukturelle Defizite auf ärztlicher Seite, aber nicht alle Mängel des Systems dürfen uns Ärzten angela- stet werden. Das derzeitige System ist allerdings so, dass bei allen Fehlern, die auftreten, der „Schwarze Peter“

bei uns Ärzten hängen bleibt.

Unzureichende Vergütung

Bei dem im Rahmen der Leichenschau zu bewältigenden Aufgabenkanon handelt es sich nicht nur im individuel- len Interesse des Verstorbenen, son- dern im allgmeingesellschaftlichen In- teresse um außerordentlich verant- wortungsvolle und weitreichende Dia- gnosen, die adäquat honoriert werden müssen. Sind mehrere Fahrten zum Verstorbenen notwendig, um sich vom Vorliegen sicherer Todeszeichen zu überzeugen, ist dies verantwortungs- volle ärztliche Tätigkeit. Adressaten für die Durchsetzung und gesetzliche Regelung adäquater Honoraran- sprüche sind die Berufsverbände der niedergelassenen Ärzte, die Kas- senärztlichen Vereinigungen sowie die Kammern.

Der eingeforderte und auch gesetz- lich normierte Sorgfaltsmaßstab bei Durchführung der Leichenschau kor- reliert allerdings nicht mit der Höhe der Vergütung. Auch unentgeltliche Leistungen müssen sorgfältig durch- geführt werden. Haltungen, wie sie sich in manchen hier abgedruckten Leserbriefen niederschlagen, bergen ein hohes Haftungsrisiko.

Unverzügliche Vornahme der Leichenschau

Die Leichenschauverordnungen un- terscheiden nicht zwischen plötzli- chem Tod und erwartetem Tod. Beim plötzlichen Tod gibt es nur eine sinn- volle Forderung: Sofortige Untersu- chung des Patienten, um die erste und

wichtigste Diagnose zu stellen: Der Patient ist entweder tot oder reanima- tionsfähig. Etwas anderes gilt beim er- warteten Tod, bei dem der Hausarzt den bereits kranken Patienten in der Krankheit zum Tode betreut hat. War mit dem alsbaldigen Ableben zu rech- nen, mit Patient und Angehörigen be- sprochen, dass eine Krankenhausein- weisung nicht in Betracht kommt und nicht gewünscht wird, der Arzt den Patienten ohnehin täglich besucht hat, ist aus unserer Sicht und entgegen dem Wortlaut der Leichenschauver- ordnungen vertretbar, die Leichen- schau erst vorzunehmen, wenn mit dem Vorliegen sicherer Todeszeichen zu rechnen ist.

Gerade den niedergelassenen Kol- legen ist jedoch bewusst, dass ärztliche Aufgabe beim Tod eines Menschen auch Beratung und Trost für die An- gehörigen ist (5). Dies legt durchaus ein baldiges Erscheinen am Sterbeort nahe.

Objektive Überforderung

Wir haben seit Jahren auf immer wie- derkehrende Fallkonstellationen hin- gewiesen, bei denen der Leichen- schauer objektiv überfordert ist (etwa die Leichenschau beim Tod in der Öf- fentlichkeit, übergroßes Körperge- wicht des Verstorbenen, Fäulniser- scheinungen, Verstorbener war dem Arzt nicht bekannt).

Auch hier ist es Aufgabe der Berufs- verbände und Standesvertretungen, adäquate Rahmenbedingungen für derartige Problemfälle durchzusetzen und für deren Finanzierung zu sorgen (etwa: Bereitstellung von Hilfsperso- nal [Rettungssanitäter, Bestatter], Durchführung der Leichenschau im Krankenhaus).

Diese Problembereiche auszublen- den und zu hoffen, der einzelne objek- tiv überforderte Arzt werde sich schon zu helfen wissen, generiert Mängel und Fehler bei der Leichenschau. Ge- gebenenfalls müsste gesetzlich gere- gelt werden, dass in derartigen Fällen nach eindeutiger Todesfeststellung die eigentliche Leichenschau von einem anderen Arzt an einem geeigneten Ort mit Hilfspersonal durchgeführt wird.

Eine derartige Entkopplung von To-

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desfeststellung und Leichenschau hat sich in Stadtstaaten wie Bremen und Hamburg inzwischen bewährt (1).

Entkleiden des Leichnams

Das unterlassene Entkleiden ist maß- gebliche Ursache für viele Fehler bei der Leichenschau (erst jüngst in Bonn Attestierung des Todes bei einer Le- benden; Übersehen von todesursächli- chen Verletzungen oder der Farbe der Totenflecke mit daraus resultierender Schädigung Lebender, da die Gefah- renquelle nicht beseitigt wurde). Die Forderung nach Entkleiden des Leich- nams als Voraussetzung für eine ord- nungsgemäße körperliche Untersu- chung ist daher folgerichtig. Der Mu- sterentwurf der Bundesärztekammer für ein bundeseinheitliches Leichen- schauformular sieht vor:

§ 4 Leichenschau und Todesbe- scheinigung:

(1) Der zur Leichenschau gerufene Arzt hat die Leichenschau unverzüg- lich und sorgfältig an der vollständig entkleideten Leiche durchzuführen.

Die Bekleidung ist an der Leiche zu belassen, wenn oder sobald sich An- haltspunkte für eine nichtnatürliche Todesart ergeben. Die Feststellung ei- nes natürlichen Todes setzt in jedem Fall die Durchführung der Leichen- schau an der vollständig entkleideten Leiche voraus. Bei der Leichenschau sind alle Körperregionen einschließ- lich der Körperöffnungen (zum Bei- spiel Mund, Nase, Ohren, Scheide), des Rückens und der behaarten Kopf- haut zu inspizieren.

Wer diesen Sorgfaltsmaßstab unter- schreitet, sollte dies dokumentieren, begründen und dafür Sorge tragen, dass der geforderten Sorgfalt bei einer zweiten Leichenschau Rechnung ge- tragen wird; ansonsten kann bereits das Unterlassen der Entkleidung zu- mindest eine Ordnungswidrigkeit dar- stellen.

Strukturelle Defizite

Im Rahmen der Leichenschau ist die Todesursache im Sinne einer Todesur- sachenkaskade vom dokumentierten Grundleiden über Folgezustände bis zur letztendlichen Todesursache anzu-

geben. Jede medizinische Diagnose, auch die zu Grundleiden und Todesur- sache, muss sich auf eindeutige medi- zinische Befunde stützen. Nichtssa- gende Bezeichnungen zu funktionel- len Endzuständen („Herzversagen“,

„Altersschwäche“) sind zu vermeiden.

Eine möglichst differenzierte Angabe diagnostizierter Krankheiten und ihre Einordnung in eine pathophysiologi- sche Kausalkette, gegebenenfalls Be- schreibung der Umstände des To- deseintritts, dokumentiert, dass sich der Leichenschauer Überlegungen zur Todesursache gemacht hat.

Im Rahmen der Kremationslei- chenschau haben wir Todesbescheini- gungen auf ihre Stichhaltigkeit und die Kongruenz mit dem Leichenschau- befund zu überprüfen. Bei vielen zunächst nicht ausreichenden Anga- ben zur Todesursache fällt auf, dass nach Rücksprache mit dem behan- delnden Arzt auf einmal viele für die Beurteilung des Falles relevante Dia- gnosen offenbar werden, die nur nicht in der Todesbescheinigung dokumen- tiert wurden.

Die Statistiken zur Fehlerquote der Todesursachendiagnostik bei der Lei- chenschau entstammen unter ande- rem außerordentlich aufwändigen und verdienstvollen Untersuchungen, die unter den rechtlichen Rahmenbedin- gungen zur Durchführung von Verwal- tungssektionen in Deutschland heute gar nicht mehr möglich wären.

Fehler, die bei der Leichenschau auftreten, sind nicht nur individuel- lem Versagen zuzuschreiben, sondern haben auch Systemcharakter. Die Schwachstellen des Systems zu erken- nen, zu beschreiben und alternative Lösungen aufzuzeigen, sehen wir als unsere Aufgabe an. Nur Novellierun- gen des bisherigen Systems lassen die Mängel bestehen, statt sie zu beseiti- gen.

Künftige Reformbemühungen mit dem Ziel eines bundeseinheitlichen Sektionsgesetzes sollten daher sicher- stellen, dass der medizinisch unklare Todesfall (keine Todesursache fest- stellbar, Todesart daher nicht geklärt) unabhängig von Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft, einer medizinischen Klärung durch eine Verwaltungsobduktion zugeführt wird.

Nur so können auch die ständigen Rei- bereien zwischen Kriminalpolizei und Ärzten verhindert werden (4). Eu- ropäische Nachbarstaaten wie Öster- reich, Großbritannien und die skandi- navischen Länder liefern diesbezüg- lich für Deutschland ebenso beach- tenswerte Modelle, wie das Leichen- schau- und Sektionsrecht der ehemali- gen DDR (3).

Weiterhin ist über die von vielen niedergelassenen Kollegen geforderte Realisierung der Entkopplung von To- desfeststellung, zu der jeder Arzt be- fähigt sein muss, und eigentlicher Lei- chenschau nachzudenken. Es wäre dann auf regionaler Ebene sicherzu- stellen, dass jeweils ein zweiter amtli- cher Leichenschauer zur Verfügung steht, der unabhängig von persönli- chen, wirtschaftlichen und räumlichen Interessenkollisionen den im Rahmen der Leichenschau geforderten Aufga- benkanon erledigt.

Literatur

1. Birkholz M: Das Leichenschauwesen in Bremen – Bi- lanz einer Reform. In Madea B (ed.): Die Ärztliche Leichenschau. Rechtsgrundlagen, Praktische Durch- führung, Problemlösungen. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1999; 53–61.

2. Dettmeyer R: Medizin und Recht für Ärzte. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 2001.

3. Madea B: Die Ärztliche Leichenschau. Rechtsgrund- lagen, Praktische Durchführung, Problemlösungen.

Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1999.

4. Madea B, Dettmeyer R: Rechtliche Grundlagen der Leichenschau. Fortschritt und Fortbildung in der Me- dizin. Köln: Deutscher Ärzteverlag 2004 (im Druck).

5. Saternus K: Zum Umgang mit Gestorbenen. Betreu- ung Angehöriger. In Madea B (ed.): Praxis Rechtsme- dizin. Befunderhebung, Rekonstruktion, Begutach- tung. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 2003;

65–66, 299–301.

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Burkhard Madea

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. jur. Reinhard Dettmeyer Institut für Rechtsmedizin

der Universität Bonn Stiftsplatz 12 53111 Bonn

E-Mail: b.madea@uni-bonn.de

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