[72] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 44|
31. Oktober 2014VON SCHRÄG UNTEN
Guter Arzt
Dr. med. Thomas Böhmeke
W
er, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer von uns, die wir täglich zwischen Notdienstplänen, Kassenanfragen und Budgetzwängen verheddert sind, will nicht einfach mal gesagt bekommen, er sei ein gu- ter Arzt? Das Lob unserer Patienten gleicht der ersten Sinusknotenaktion nach präautomatischer Pause bei in- termittierendem Vorhofflimmern, den in Worte gemei- ßelten Schlag auf das Acromion: Doktor, Sie sind ein guter Arzt! Diese Form der Anerkennung und des Res- pekts, die sich in unserem Belohnungszentrum breit- macht wie das erlösende Antibiotikum in den harnab- leitenden Wegen bei schmerzhafter Blaseninfektion gibt uns die Kraft, künftige Probleme mit Energie und Empathie zu meistern. Viel zu selten werden wir für un- seren Einsatz derart belohnt, aber irgendwann, viel- leicht heute, wenn nicht, dann morgen, na gut, sagen wir in einem Monat oder dem nächsten Quartal: Es kommt jemand, der uns diesen Impetus setzt, auf dass wir für kommende Herausforderungen gestählt sind.Ich eile in die Sprechstunde, die karge Krankenkas- senentlohnung ausblendend, und will wie immer mein Bestes geben. Als erster begrüßt mich ein Patient mit schwerst einstellbarem Hypertonus. Das ist genau die Herausforderung, die ich suche, hier heißt es, Akribie auf die Spitze zu treiben, und am Anfang steht die zise- lierte Anamnese. Fangen wir an: Welche Medikamente nehmen Sie zurzeit? „Hören Sie mal, das müssen Sie
doch wissen!“ Ich will nur sorgfältig sein und sicher gehen, dass er die verordnete Therapie auch bekommen hat und einhält. Also, welche Medikamente nehmen Sie zur Bekämpfung Ihres Hochdrucks ein? „Können Sie nicht lesen? Das steht doch in Ihrem Computer drin!“
Im Computer steht drin, dass Sie angegeben haben, dass sich Ihre Medikation seit unserem letzten Ge- spräch vor einem Monat nicht geändert hat. Ich will es trotzdem nochmals überprüfen, es könnte ja sein, dass sein Hausarzt Änderungen vorgenommen hat. „So häu- fig, wie ich bei Ihnen vorbeikommen muss, habe ich gar keine Zeit mehr, zum Hausarzt zu gehen!“ Das ist, mit Verlaub, keine Antwort auf meine Frage.
Gehen wir alle Pillen gemeinsam durch: Sie nehmen morgens Ramipril 10 mg ein? „Wenn Sie das meinen!“
Ich meine zu bemerken, dass sich meine Nebennieren stressbedingt spastisch zusammenkrampfen. Aber es hilft ja nicht. Nimmt er nun Ramipril 10 mg ein, ja oder nein? „Wenn Sie das so verordnet haben!“ Das habe ich. Trotzdem gibt es auf dem langen Weg vom Rezept bis zur Einnahme der Substanz immer wieder Irrungen und Wirrungen, daher muss ich mich vergewissern.
Nimmt er nun 10 mg Ramipril morgens ein? „Wenn Sie der Auffassung sind, ja!“ Ich fühle, wie mein Blutdruck die 200er Grenze knackt. Diastolisch, wohlgemerkt.
Soll ich ihn ordentlich und nach allen Regeln der Kunst behandeln oder nicht?! Medikamentöse Thera- pien sind operative Eingriffe auf biochemischer Ebene, insofern gilt es mit der gleichen Sorgfalt vorzugehen, wie sie auch im OP herrscht! „Ich weiß nicht, warum Sie sich aufregen.“ Ich rege mich auf, weil ich auf diese Art und Weise keine Therapie verantworten kann! Er schaut mich geringschätzig an. „Hören Sie mal, damit müssen Sie schon klar kommen, dass ich nicht alles so exakt ma- che, wie Sie sich das vorstellen!“ Nein! Damit komme ich nicht klar! „Soll ich Ihnen mal was sagen? Wenn Sie ein guter Arzt sind, müssen Sie auch damit zurecht kom- men!“ Dann bin ich ab heute ein schlechter Arzt!
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.