[60] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 50|
13. Dezember 2013VON SCHRÄG UNTEN
Voller Einsatz
Dr. med. Thomas Böhmeke
M
eine Maxime für das tägliche Tun, die ausufernde Arbeit und das rastlose Rackern lautet:voller Einsatz, und zwar immer.
Sekundenschlaf beim Sonogra- fieren, Nickerchen beim Null- abgleich der Kathetermess - anlage gibt es bei mir nicht.
Wenn es die Taktung des Ta- ges erfordert, so mache ich in meinem Hirn bis zu vier Ar- beitsspeicher auf, da passt kei- ne Pause dazwischen. Und ich biete meinen Schutzbefohlenen nicht nur den Zugriff auf jahr- zehntelang abgespeichertes fach- ärztliches Wissen, nein, wenn es not- wendig ist, greife ich zum Körperein- satz, und wie meine Erfahrung zeigt, zum Besten der Beteiligten.
So war ich mit Herzen, Leber, Nieren und Gefäßen in 256 Graustufen dabei, wenn es galt, Studenten und As- sistenten in die Geheimnisse der Sonografie einzuwei- hen. Selbst vor einer idioexperimentellen Reani- mation im Rahmen des Studentenunterrichts machte ich nicht halt, allerdings hatte ich vorher den Stecker des netzabhängigen Defi- brillators gezogen. Das Lernziel war schließlich nicht die Akutversorgung von edukationsassoziierten Brandwunden des Kursleiters, sondern die Beachtung der Sorgfalt, mit der man technisch-medizinische Geräte prüft, bevor man sich auf sie verlässt. Weil das mit dem Defibrillator nicht klappte, versuchten es meine Studen- ten mit einer tutoriellen Intubation. Leider ließ mein Würgereflex keine vollständige Tubusversorgung zu.
Meine Eleven waren trotzdem begeistert, auch die Rechnungsabteilung der Universitätsklinik, denn so ent- standen keine Kosten für Demonstrationsobjekte.
Heute brauchen mich meine Patienten nicht mehr zu intubieren oder defibrillieren, trotzdem verzichte ich nicht auf vollen Körpereinsatz. Diese Mitralinsuffi- zienz hat so viel Krankheitswert wie meine Glatzenbil- dung, versuche ich meinem Schutzbefohlenen die Sor- ge zu nehmen, er würde an einem schweren Klappen- fehler leiden. Wenn Sie 30 Kilo abnehmen, werfe ich mich schreiend auf den Boden und trommele vor Glück mit den Fäusten auf den Teppich! Leider hat besagter
Patient noch keine Anstalten gemacht, Rezipient eines solchen Schauspiels zu werden. Dafür geht unter mei- nen Patienten der Verdacht um, ich würde meinen BMI (momentan 22,2) nur pflegen, um die Übergewichtigen zu terrorisieren.
Meine Patienten beeindruckt soviel Körpereinsatz, jedoch manchmal geht er daneben. Heute kommt eine alte Dame zu mir, sie ist koronarkrank, für gelegentli- che Angina-pectoris-Attacken hat sie Nitrospray. Aber sie benutzt es kaum, und das ist der Moment, in dem ich sage: „Der alte weise Kardiologe aus Gladbeck, der mit der Glatze; meint hierzu: Man spart nichts, wenn man mit Nitro spart!“ Wir machen die Untersuchungen, beschließen eine Änderung der Medikation, dann fragt sie mich: Alles ist gut, aber wer ist eigentlich der alte Kardiologe mit der Glatze?
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.