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Archiv "Potentielle Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen: Irreführung durch Weglassen" (20.08.1993)

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°MEDIZIN

den Autoren selbst muß bekannt sein, daß Gewicht und Richtigkeit ih- rer Hypothesen entscheidend von der Beantwortung dieser Fragen ab- hängen. Daß hierauf nicht eingegan- gen wird, werte ich als Hinweis auf Einseitigkeit. Analog vermisse ich weitere Selbstverständlichkeiten ei- ner wissenschaftlichen Publikation.

So wird nicht der Rahmen der Gül- tigkeit der eigenen Daten und Argu- mente kritisch ( = Für und Wider) abgesteckt und relativiert.

Sehr aufschlußreich erscheint mir auch die Sprachanalyse (ein- schließlich Art und Aufbau der Argu- mentation). Vorwort, Präambel und Zusammenfassung (in welcher zum Beispiel die wenigen kritischen An- sätze, die im Text oder Kleingedruck- ten leicht übersehen werden, keiner- lei Berücksichtigung mehr finden, so

„Nahrungskette"; „Immuntoxizität"

usw.) sind hierfür schnell ergiebig.

Auffällig ist auch, daß trotz der enormen wirtschaftlichen Auswir- kungen dieser Abhandlung (es geht ja insgesamt um Milliardenbeträge) Rahmenbedingungen und mögliche Einflußnahmen (oder Versuche hier- zu) ebensowenig erwähnt werden (siehe eingangs: Beispiel Pharmare- ferent!) wie personelle und interes- senbezogene Uberlappungen in ver- schiedenen Gremien, welche die Da- tenbasis erarbeiteten oder in Auftrag gaben.

Zusammenfassend liefert bereits diese kurze formale Betrachtung deutliche Indizien dafür, daß wissen- schaftliche Ausgewogenheit und Ob- jektivität durch (bewußte oder unbe- wußte) Intentionen wesentlich einge- schränkt sind. Einem unvoreinge- nommenen Präsidenten der BAK muß dies meines Erachtens auffallen, die entsprechende Unterschrift und das Vorwort bedauere ich deshalb;

denn ungeachtet der noch ausstehen- den kritischen Diskussion der Daten selbst stellt sich die Frage: Wieviel ist uns eine Studie wert, die sich durch die angedeuteten formalen Kriterien charakterisiert, und welche Berechti- gung hat sie zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort mit diesem „Geleitwort"?

Dr. med. Karl Uhrebein Haslach-Rohrmühle 88430 Rot an der Rot

DISKUSSION

4. Irreführung durch Weglassen

Die Stellungnahme beschreibt ein isoliertes, gesundheitliches Pro- blem aus der Müllverbrennung. Das eigentliche Problem der Energie- und Ressourcenvergeudung durch unsere Gesellschaft wird in keinem Punkt erwähnt.

1. In der Präambel wird von un- vermeidbaren und unverwertbaren Abfällen, die verbrannt werden sol- len, gesprochen. Die eigentliche Stel- lungnahme behandelt dann aber das heutige Müllaufkommen. Unter un- vermeidbarem Restmüll versteht man eine Menge von etwa 50 Prozent des heutigen Müllaufkommens. Die- ser Widerspruch ist erklärungspflich- tig.

2. Unter Punkt 2 wird von 50 Müllverbrennungsanlagen in der BRD ausgegangen. In Wirklichkeit existieren in Deutschland aber weit mehr als 100 Müllverbrennungsanla- gen, zählt man die industriellen Öfen hinzu. 20 Anlagen sind in Planung, 40 weitere werden aber vom Umwelt- Bundesamt für nötig erachtet. Im November 1992 wurden bis zu 100 neue Müllverbrennungsanlagen als nötig angesehen. Zusammen mit wei- teren von der Industrie geplanten Verbrennungsanlagen werden nach zu erwartendem Vollausbau deutlich über 200 Müllverbrennungsanlagen existieren. Für die Bevölkerung ist die gesamte toxikologische Belastung relevant. Somit ist die Gleichsetzung von Hausmüll und Industrieöfen legi- tim.

Diese Zahlen sind nicht unrele- vant, da die Berechnungen über Zu- satzbelastungen im vorliegenden Pa- pier von etwa 20 zusätzlichen Anla- gen ausgehen.

3. Als Bewertungsgrundlage wird die 17. BImSchV herangezogen.

Die Grenzwerte der Verordnung werden aber in keiner Anlage in Dauerbetrieb zuverlässig eingehal- ten. Von einer der modernsten Anla- gen in Weisenborn garantierte der Hersteller die Grenzwerte der 17.

BImSchV einhalten zu können. Tat- sächlich wurden die Grenzwerte um den Faktor 50 überschritten.

Die Bewertung des „Wissen- schaftlichen Beirates" beruht auf ei-

ner Fiktion. Nicht erwähnt wird, daß die 17. BImSchV die Möglichkeit er- öffnet, Müll als Brennstoff anderen Verbrennungsanlagen zuzusetzen, die nach TA-Luft genehmigt sind.

Hierdurch wurde eine Unzahl von Emittenten geschaffen, die niemals überwachbar sind und die auch nicht die Grenzwerte einhalten müssen.

Zu erwähnen ist noch zum Bei- spiel die PCBs, sowie die Chlorphe- nole, die in der 17. BImSchV nicht erfaßt sind. Gerade die PCBs rücken als Karzinogene immer mehr in den Vordergrund.

4. Die niedrigen Grenzwerte in der Abluft werden nicht durch die Verbrennung erreicht, sondern durch teure, komplizierte und somit störanfällige Filtersysteme. Weder die häufig auftretenden Störfälle, das teilweise Nichtfunktionieren der Fil- teranlagen wird besprochen, noch wird beschrieben, daß es noch keine Konzepte gibt, was mit den hochgifti- gen Filterstäuben zu machen ist.

Derzeit werden sie deponiert oder in Lagerhallen gestapelt.

5. Aus den Immissions-Progno- sen der Dioxine für eine zukünftige MVA-Technologie wurde eine pro- zentuale Zusatzbelastung errechnet.

Da wesentliche Mengen der „Hinter- grundbelastung" in der Luft aus be- stehenden MVAs stammen, ist die Zusatzbelastung prozentual niedrig.

Trotzdem ist eine Zusatzbelastung von 5 Prozent, sollte sie der Wirklich- keit entsprechen, keine zu vernach- lässigende Größe. Wesentliche Kenntnisse über die Dioxine stam- men von Nagerversuchen. Sie wer- den auf den Menschen hochgerech- net.

Der Wissenschaftliche Beirat behandelt vor allem die inhalative Aufnahme. Er geht davon aus, daß die Nahrungskette zur Zeit nicht aus- reichend quantifizierbar ist. Gerade in diesem Bereich gibt es gute Mes- sungen, was Muttermilch angeht, gu- te Hochrechnungen und eindeutige Grenzwerte. So schreibt Herr Prof.

Wiechmann im Raumordnungsver- fahren zur 2. Sondermüllverbren- nungsanlage Baden-Württemberg:

Human Toxikologie Seite 73/74:

„Für die polychlorierten Diben- zodioxine und Dibenzofurane kommt es aufgrund ihres ubiquitären Vor-

A1 -2192 (48) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993

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MEDIZIN

kommens, ihrer geringen Abbaubar- keit und hohen Fettlösigkeit zu einer deutlichen Anreicherung in der Nah- rungskette. Die Halbwertszeit für 2, 3, 7, 8- TCDD beträgt beim Men- schen 5-7 Jahre. Für 130 Proben aus der BRD kommt 2, 3, 7, 8- TCDD, der giftigste Vertreter dieser Stoff- klasse, nur in Mengen vor, die im Be- reich der Nachweisgrenze liegen."

„Andere weniger toxische Ver- bindungen liegen in relativ hohen Konzentrationen vor. Versucht man eine Bewertung mit Hilfe von Äqui- valenzfaktoren, dann ergibt sich eine TCDD-Äquivalenzkonzentration von im Mittel 20 pg/pro Gramm Milch- fett. Berechnet man anhand dieser Werte die Belastung eines 4 Monate alten Säuglings, so ergeben sich fol- gende Werte: Bei einer täglichen Aufnahme von 860 ml Muttermilch mit einem Fettgehalt von 3,8 Prozent nimmt der Säugling täglich 654 pg TCDD Äquivalent zu sich. Bei einem 6,5 kg schweren Kind wären das 100 pg toxische Äquivalent pro Kilo- gramm Körpergewicht und Tag."

„Dieser Wert liegt erheblich über dem Richtwert von 1 pg toxische Äquivalent pro Kilogramm Körper- gewicht und Tag, die als vorläufig duldbare tägliche Aufnahmemenge für den Erwachsenen angesehen wird. Auch der Interventionswert von 10 pg Kilogramm und Tag (BGA Umweltbundesamt 1990) wird für Säuglinge deutlich überschrit- ten. . . ."

„Insgesamt ist somit davon auszu- gehen, daß bei den z. Zt. vorliegenden Konzentrationen an Organochlorver- bindungen insbesondere aber TCDD und TCDF gesundheitliche Beein- trächtigungen bei gestillten Säuglin- gen nicht auszuschließen sind. Wie oben ausgeführt ist die Quelle dieser Stoffe zum überwiegenden Teil in der oralen und nicht in der inhalativen Aufnahme zu sehen. Wegen des ubi- quitären Vorhandenseins der Stoffe ist eine Zuordnung zu lokalen Quellen nicht möglich."

Hier handelt es sich um Mittel- werte, die für die gesamte Republik

gelten.

In belasteten Gebieten muß nochmals ein Faktor 2 bis 3 berech- net werden. Diese eindeutigen Be- funde, die den Menschen direkt be-

DISKUSSION

treffen und nur durch Meßwerte be- legt werden können, induzieren Handlungsbedarf: Der Interventions- wert des BGA und UBA ist 10 pg.

Unsere Kinder nehmen also das 100fache der akzeptierten täglichen Aufnahme auf und das 10fache von dem, was das für uns zuständige Bun- desgesundheitsamt vorgibt. Diese eindeutigen Tatsachen werden im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer nicht erwähnt.

8. Die Verbrennung von Müll wird als wenig belastendes und ver- tretbares Verfahren beurteilt.

Grundlage für diese Beurteilung sind: Nagerexperimente, Emissions- und Immissionsmessungen, die lük- kenlose Einhaltung von Verwal- tungsvorschriften. Dies alles ergibt die „abgeschätzte Exposition des Er- wachsenen"

Für eine ärztliche Stellungnah- me fehlt:

—die Belastung für gestillte Kinder

—die Belastung für den Heranwach-

5. Der Aufnahmepfad Beim Studium der Bekanntma- chung der Bundesärztekammer zu den potentiellen Gesundheitsgefah- ren durch Emissionen aus Müllver- brennungsanlagen (MVA) fallen fol- gende Ungereimtheiten auf:

Es ist irreführend, einen akribisch berechneten Anteil der MVA-Emissi- on (z. B. „0,0003%") an der Gesamt- exposition der Bevölkerung gegen- über Schadstoffen anzugeben, wenn dabei der Aufnahmepfad der Sub- stanzen unberücksichtigt bleibt. Bis auf Benzol werden eben alle übrigen erwähnten Schadstoffe einer MVA nicht vorrangig inhalativ, sondern überwiegend oral aufgenommen. Be- sonders bei den Schwermetallen be- steht die „normale (?!) tägliche Auf- nahme" zu über 97 Prozent aus der Zufuhr von belasteten Lebensmit- teln. Daher ist es weder verwunder- lich noch bemerkenswert, wenn die Zusatzbelastung durch die MVA-E- missionen „weit unter 1 Prozent" der üblichen täglichen Schadstoffaufnah- me liegt. Würde man dagegen die Werte der MVA-Emissionen korrek- terweise auf die inhalative Kompo-

senden (diese beiden Gruppen sind besonders sensibel auf mutagene Substanzen)

—die Belastung für vegetarisch Le- bende und für solche Menschen, die besonders viel Fleisch essen

—die Belastung für Selbstversorger aus starkbelasteten Gebieten

—die Belastung für kranke Men- schen

—die Belastung für Schwangere

—die Belastungen bei allen Gruppen für Störfälle, die in jedes Gutachten gehören.

Die meisten Aussagen in der Stellungnahme des „Wissenschaftli- chen Beirates der BÄK" sind kor- rekt. Durch Weglassen wesentlicher, nachgewiesener Befunde und wissen- schaftlicher Erkenntnisse kommt aber eine irreführende Stellungnah- me heraus.

Dr. med. Günter Baitsch

Leitender Arzt der Hochrheinklinik Bergseestraße 57

79713 Bad Säckingen

nente des Aufnahmepfades bezie- hen, ergäbe sich zum Beispiel bei dem kanzerogenen Arsen ein additi- ver Effekt von 40 Prozent: 0,02 Lug täglich zusätzlich über die Atemluft gegenüber einer „Hintergrundbela- stung" von 0,05 [ig (1)!

Bleibt die Frage, woher denn die indirekt angegebene, höchst uner- freuliche Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen durch Boden- und Nahrungsmittelkontaminationen stammt? Leider bleiben die ausgesto- ßenen (Schwer-) Metalle (Gravitati- onsgesetz!) nicht auf einer unendli- chen Erdumlaufbahn, sondern die Autoren geben zu, daß „die Deposi- tionen von Stäuben im Nahbereich von Abfallverbrennungsanlagen möglich" sind. Doch sei der „Einfluß auf die Nahrungskette. . . noch nicht ausreichend quantifizierbar". Diese angebliche Unwissenheit kümmert jedoch nicht sonderlich, zumal man behauptet zu wissen, daß beispiels- weise die Arsenzufuhr via Lebens- mittel „überwiegend durch das natür- liche Arsenvorkommen bedingt" sei.

Der Leser möge diese Aussage mit folgenden Angaben aus der Literatur vergleichen: >

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993 (51) A1-2193

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